VI. Abends um die neunte Stunde ging der Präsident in ein stattliches Haus der .... Straße, stieg zwei Treppen hinauf, öffnete mit einem Schlüssel, ...

VI. Abends um die neunte Stunde ging der Präsident in ein stattliches Haus der .... Straße, stieg zwei Treppen hinauf, öffnete mit einem Schlüssel, den er mit sich hatte, einen geschlossenen Corridor und trat bald darauf, ohne anzuklopfen, in ein kostbar eingerichtetes Zimmer.

Ein junger Mann in altfranzösischer Tracht stand am Fenster und sah auf die Straße hinaus. Bei Julian’s Eintritt wendete Jener sich plötzlich um und stürzte mit einem Jubelruf ihm entgegen und in seine Arme.


Es war Sophie Harcourt, die den Geliebten empfing. Er war zu ihr gekommen, mit dem festen Vorsatz, ihr ernste Vorwürfe zu machen, weil sie gleich am Morgen seiner Ankunft von derselben unterrichtet gewesen, also nach ihm gefragt, ihn ausgespäht haben mußte. Jetzt, als er sie sah, dachte er nicht mehr daran, sondern zog sie mit sich auf das Sopha und fragte: Hast Du doch spielen müssen heute Abend? Du bist ja im Costüme.

Ich erwartete Dich schon lange, antwortete sie, und um nicht zu empfinden, wie lange, probirte ich das Costüm an, in dem ich in der nächsten Woche auftreten will.

Kokette! sagte scheltend Julian, während er sie auf seine Knie nahm und ihre feine Hand, die aus den breiten Spitzenmanschetten zierlich hervorsah, auf seine Augen drückte. Kokette! Du wußtest wohl, wie reizend Du bist in dieser Männertracht, in der ich Dich zuerst sah. Du wußtest, daß ich Dir Vorwürfe machen würde, und wolltest mich bestechen. Aber ich sehe Dich nicht an! mit Deinen eigenen Händen halte ich mir die Augen zu.

Glücklicherweise ist der Mund frei! rief sie, indem sie einen Kuß auf Julian’s Lippen drückte, den er mit vielen andern erwiderte. Dann machte sie sich los und sagte: Du zerdrückst mir den schönen Sammetrock und hast doch noch gar nicht gesehen, wie er mich kleidet, so roh und wild bist Du gleich mit Deiner Zärtlichkeit über mich hergefallen. Sieh mich an, mein Freund, wie gefalle ich Dir?

Sie fing nun an im Zimmer umherzugehen, sich in mancherlei Stellungen bald vor dem Spiegel, bald vor Julian zu bewegen, und man konnte in der That kaum höhern Liebreiz finden. Sie war groß, schlank und kräftig gebaut, ohne große Fülle zu haben. Die Männerkleidung stand ihr vortrefflich und die schwarzen Augen sahen blitzend und zärtlich unter der gepuderten Perrücke hervor. Der Präsident betrachtete sie mit Entzücken. Dessen war sie sich deutlich bewußt, und auf ihren Reiz vertrauend, warf sie den kleinen Stahldegen, mit dem sie Fechtübungen gemacht hatte, von sich, setzte sich dicht neben den Geliebten, schmiegte sich an ihn und fragte: Julian! Warum hast Du mir nicht ein einziges Mal geschrieben? Warum hast Du mich nicht wissen lassen, wann Du wiederkommen würdest? Ich habe vor Ungeduld fast täglich in Dein Haus geschickt.

Diese Frage erinnerte den Präsidenten, daß er sich über seine schöne Freundin zu beklagen habe, und die Gelegenheit benutzend, sagte er: Weil ich die Absicht hatte, gar nicht wiederzukommen, weil Dein Spioniren und Nachfragen mir unerträglich ist. Gleich heute wieder! Wie oft habe ich Dir verboten, Deinen Diener zu mir zu schicken, wie oft Dir gesagt: schreibe nicht auf dem närrischen, bunten Papier, das auf zehn Schritte ein billet doux verräth! Nun thust Du gleich das Alles auf einmal. Erspähst, natürlich durch Bestechung meiner Leute, wann ich zurückkehre, schickst den baumhohen Diener in mein Haus und schreibst auf bunt bemaltem Papier, damit vom Kutscher bis zur Küchenmagd Jeder errathen kann, von wem die Botschaft kommt. Du bist unerträglich indiscret. – Nimm die Perrücke ab, der Puderstaub belästigt mich.

Sie that augenblicklich, wie er verlangte, und sagte dann: Indiscret nennst Du mich, wenn ich vor Sehnsucht nach Dir vergehe? wenn ich den Augenblick nicht erwarten kann, in dem Du wieder bei mir bist? Du weißt es: wie ich Dich liebe, habe ich keinen Andern je geliebt.

Eine schöne Liebe, die Vergleiche mit früheren anzustellen hat, warf Julian spottend hin.

Da trat Sophie dicht vor ihn hin und sagte: Julian! ich schwöre nicht, denn Du würdest sagen: wer glaubt dem Schwur einer Schauspielerin? Ich mache mich nicht besser, als ich bin. Ich habe es Dir nicht verborgen, als Du mit glühendem Verlangen um mich warbst, daß Du nicht der Erste bist, dem ich und meine Liebe gehörten.

Und ich werde nicht der Letzte sein! rief Julian bitter, das bedarf keines Schwures, ich glaube es.

Nun denn, auch das kann sein! – Ich fühle es, Du willst mir wehe thun, mich verlassen, Du suchst Streit. Vielleicht werde ich nicht ewig trauern, vielleicht äußerlich bald getröstet scheinen, denn ich bin jung und das Leben ist schön; aber ich werde lange, immerfort leiden um Dich, tief im Herzen, denn so wahr Gott über uns lebt, Julian, ich liebe Dich sehr!

Thorheit! schalt der Präsident. Du willst heute das Maß voll machen, mich nun noch mit Scenen plagen, die mir verhaßt sind. Wollte ich mich quälen lassen, ich hätte mich längst verheirathet.

Als sie diese Worte hörte, brach Sophie plötzlich in das lauteste Gelächter aus, nahm seinen Kopf in ihre Hände, küßte ihn auf die Stirne und rief: Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute von Dir höre. Du hast Recht, eine gute wackere Frau muß eine entsetzliche Qual sein. Ewig tugendhaft, also ohne Nachsicht; im Gefühl des Besitzes ruhig, also nicht ein bischen eroberungssüchtig. Wenn ich ein Mann wäre, ich heirathete gewiß nicht.

Das ist erhabene Weisheit aus Deinem Munde, sagte der Präsident, der noch immer den Beleidigten spielte. Und was thätest Du denn? Nicht wahr, Du liebtest eine Schauspielerin?

Ich sehe nicht ein, warum nicht? Oder glaubst Du, eine Schauspielerin sei oft nicht besser, als Eure Tugendheldinnen aus der stillen Häuslichkeit? O! es ist schon bequem, zwischen Vater und Mutter aufzuwachsen, behütet vor jedem Gedanken, der den Unschuldshauch von den Seraphsschwingen abwischen könnte. Es mag recht hübsch sein, aus den Armen der Eltern in die des Gatten überzugehen und in ihm auch wieder den Schutz zu finden, dessen man bedarf, um tugendhaft zu bleiben. Das heißt tugendhaft vor dem Gericht der Welt, trotz der heimlichen Untreue im Herzen, die oft nicht fehlt.

Du schwärmst, Mädchen! sagte Julian.

Aber Sophie achtete die Unterbrechung nicht. Ja! fuhr sie heftig fort, ich verachte Eure scheinheilige Tugend, Eure gute Gesellschaft. Ich bin mir mit Stolz des Tadels bewußt, den die andern Frauen auf mich werfen. Ich bin Schauspielerin, ich bin Deine Geliebte! Ja! – Aber ich bin’s mit voller Hingebung, so lange ich es bin. Ich bin nur Dein in Deinen Armen. Bis in die Ewigkeit reicht mein Gedanke nicht hinüber. Es gibt keine Ewigkeit für Liebeslust, es braucht ja auch keine zu geben, wo ein Augenblick für Jahrhunderte Genuß gewährt.

Sophie, Sophie! rief der Präsident, der hingerissen ward von der unwiderstehlichen Anmuth der Künstlerin, die Männerkleider machen Dich verwegen. Kleide Dich um und werde Weib, Sophie!

Weshalb? fragte sie, bist Du besorgt, ich wolle Dich besiegen, gegen Deinen Willen? Du willst gar nicht widerstehen, Du kannst nicht von mir lassen, Du kehrst ja dennoch wieder, sagte sie schmeichelnd. Es liegt nicht im Gewande; hier tief in der Brust, in meiner und Deiner, steckt der Zauber; die Liebe hält Dich fest.

Indeß zog sie den dunklen Sammetrock ab und stand nun in den Sammetescarpins, weißseidnen Strümpfen und einer Weste von Goldbrokat vor ihm, die genau Taille und Hüften bezeichnete, fast bis an das runde Knie hinabreichte und ihren wundervollen Wuchs noch mehr hervorhob. Der Präsident sprang auf und wollte sie umfassen, sie lief aber blitzschnell in das Nebenzimmer, das sie hinter sich zuschloß, und rief: O, ich kann auch tugendhaft sein, mein Herr Präsident!

Julian wußte, daß man sie gewähren lassen müsse, und setzte sich nieder. Bald wollte er sie erwarten, bald sie verlassen. Sie war ihm noch interessant, sie fesselte ihn durch die Gewalt ihrer Reize, aber Alfred’s Vermuthung war nicht ungegründet, die Verbindung mit Sophie füllte die Seele Julian’s nicht aus, sie befriedigte ihn nicht mehr ganz. Ohne daß er es sich selbst gestand, fing er an, sich nach Ruhe, nach festbegründeter Häuslichkeit zu sehnen. Er dachte bisweilen daran, sich zu verheirathen, aber sein Verhältniß zu Sophien war allgemein bekannt und man hielt es für bindend. Das war ihm doppelt unbequem in seiner Stellung. Er war zu ihr gekommen, sie auf eine mögliche Trennung vorzubereiten, er dachte wohl noch daran, wie aber sollte er dem reizenden Weibe wehe thun, das ihn so innig liebte? Wie konnte er in dieser Stunde ihr gegenüber kalt bleiben? Er hatte am Morgen verächtlich von dem ruhigen Glück der Ehe gesprochen, jetzt peinigte ihn Sophiens Ringen um seine Liebe, die sie zu verlieren fürchtete.

Nach wenig Minuten schon kehrte sie wieder zu ihm zurück. Sie hatte ein seidenes Gewand übergeworfen, das nur mit einer Schnur um die Taille befestigt war und Hals und Nacken frei ließ. Das Haar war ungeflochten mit einem Kamme aufgenestelt. In der Hand trug sie ein Kistchen mit Cigarren. Sie war eine ganz Andere geworden.

Ruhig setzte sie sich an der Seite ihres Freundes nieder und sagte: Nun ist’s des tollen Spiels genug, wir wollen vernünftig sein. Nimmst Du keine Cigarre, lieber Julian?

Der Präsident nahm sie schweigend an, sie reichte ihm Feuerzeug, hing einen Ueberwurf über die Lampe, wie er es liebte, und schickte sich an, ihm den Thee zu bereiten, den man indeß hereingebracht hatte. Das Alles geschah so ruhig und anspruchslos, so dienstbeflissen, daß es wohlthuend sein mußte.

Es war ganz stille im Zimmer, man hörte nur das Summen des Samovar. Der Präsident hatte Tagesblätter vorgefunden, die er durchflog, Sophie störte ihn nicht. Sie lag ruhig in der Sophaecke und betrachtete den Geliebten. Ihre Hingebung machte ihn weich, aber er ließ es sie nicht merken; er war in einer jener gereizten Stimmungen, in denen man eine Lust daran findet, Diejenigen zu quälen, die man liebt. Er ließ es geschehen, daß Sophie ihm Alles zubereitete, ihm den Thee einschenkte, wie er es gern hatte, doch er dankte ihr nicht dafür und las ruhig weiter fort.

Endlich unterbrach Sophie die Stille. Sie lehnte sich an den Präsidenten und fragte demüthig: Julian! könnte eine Hausfrau Dir es besser machen?

Ja! antwortete er kalt, sie machte es eben so und absichtslos. Du stellst dar, wie immer, Du willst gefallen.

Eine Thräne des Zornes trat in das flammende Auge der Schauspielerin, aber sie zerdrückte sie schnell und rief: Gefallen? Doch nur Dir will ich gefallen, Julian, nur Dir! Ist das ein Unrecht? – Sie war jetzt vor den Präsidenten hingekniet, der, als draußen die eilfte Stunde schlug, sich zum Fortgehen erheben wollte.

Sophie, indem sie vor ihm kniete, hielt ihn davon zurück. Ist es ein Unrecht, fragte sie nochmals, daß ich Alles, was ich vermag, anwende, um Dir zu gefallen? Kann ich dafür, daß ich verwaist aufwuchs, daß ich die Bühne betrat, auf die mein Talent mich hinwies? Wer von den Frauen, die sich ihrer Tugend rühmen und mich mit Verachtung eine Buhlerin nennen, hat wie ich zu sechzehn Jahren dagestanden, verwaist, arm, schön genug, um Liebe zu erwecken, und umgeben von der männlichen, glänzenden Jugend in Paris?

Julian sah sie milder an und strich sinnend mit der Hand über ihren Scheitel. Dabei glitt der Kamm heraus und das üppige Haar fiel wie ein dichter, schwarzer Schleier auf sie herab. Sie umfaßte den Präsidenten mit beiden Armen, sah ihm zärtlich in die Augen und fragte: Oder ist das mein Verbrechen, daß ich Dich liebe? Daß ich Dich festhalten will, daß ich Dein bleiben will um jeden Preis?

Da konnte Julian nicht länger widerstehen, nicht länger sich mäßigen. Mit heftigster Leidenschaft zog er das reizende Weib zu sich empor und sank an ihre Brust. Ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter und leise bittend fragte sie: Und Du verläßt mich nicht? Du bleibst mein?

Kannst Du noch fragen?

Und Du liebst mich wieder? lispelte sie.

Mehr als alle tugendhaften Weiber der Welt! antwortete er und schloß sie fest an sich, sie mit seinen heißen Küssen bedeckend.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.