V. Am nächsten Morgen ließ sich Alfred bei Frau von Barnfeld melden. Er fand sie in einem Zimmer, das nach den Forderungen der Mode auf das glänzendste eingerichtet, ...

V. Am nächsten Morgen ließ sich Alfred bei Frau von Barnfeld melden. Er fand sie in einem Zimmer, das nach den Forderungen der Mode auf das glänzendste eingerichtet, voll von gepolsterten Sopha’s und Sesseln und so mit Bildern, Kleinigkeiten, Blumen und Epheuwänden überfüllt war, daß es dem Spielzeugschränkchen eines verwöhnten Kindes glich.

Eva selbst lag in weißem, mit rosa Bändern geziertem Negligée auf einem dunkelgrünen Plüschsopha, das von einer Epheulaube beschattet war. Unwillkürlich mußte Alfred lächeln. Sie sah aus, wie jene Wachspüppchen, die man in Nuß- oder Eierschalen verbirgt, und die uns, wenn wir die Hülle öffnen, aus grünem Blätternetz rosig entgegenlächeln.


Bei Alfred’s Eintritt richtete sie sich ein wenig empor und sagte: Ich weiß wohl, Herr von Reichenbach, daß ich Sie, als einen neuen, werthen Gast, mit mehr Form empfangen müßte; ich bin aber müde von der Reise und so froh, mich auf einem ordentlichen Sopha von den ländlichen Divans des Seebades zu erholen, daß Sie Nachsicht haben müssen.

Alfred bat sie, sich nicht stören zu lassen. Eine bejahrte Frau, die im Zimmer mit weiblicher Arbeit beschäftigt war, rückte ihm einen Sessel zurecht und, nachdem er Platz genommen hatte, fragte ihn Eva: Wissen Sie es denn schon, daß der Präsident von Brand auch gestern und noch früher angekommen ist als wir? Therese hat es mir heute sagen lassen. Damit ist ihr nun die Freude verloren gegangen, den Bruder zu überraschen.

So darf ich vielleicht hoffen, ihn bald bei Ihnen zu sehen? fragte Reichenbach.

Wo denken Sie hin! rief Eva. Julian schon am ersten Morgen seiner Ankunft bei mir? Mit nichten! Da kommt erst das parfümirte Bad, ein langes Frühstück, eine lange Freude mit der Schwester, die er anbetet, und dann die Aktenrevision und dann die – – nun! davon spricht man nicht, so sehr sie auch zu des Präsidenten Leben gehört. Erst spät am Abend komme ich. Die Brocken seines Geistes, die nach der Tagesarbeit übrig bleiben, die wirft er mir dann im Vorübergehen zu und denkt: Für die Eva ist es eben noch genug. Er hat’s im Frühjahr, als ich nach Berlin zog, immer so gehalten.

Erstaunt betrachtete Alfred die reizende Frau. Es schien, als ob sie scherze, und doch lag eine Bitterkeit in ihrer Stimme, die ihm auffiel, so daß er begütigend sagte: Der glückliche Freund! wenn Sie ihn ahnen ließen, daß Sie ihn gern früher wiedersehen würden, wie müßte er eilen Ihren Wunsch zu erfüllen.

Glauben Sie das nicht. Er ist ja mein Vetter und das Prädikat ist ein vollauf genügender Grund für jedes Betragen. Ein junger Mann macht einem Mädchen leidenschaftlich den Hof und man findet die Auszeichnung in der Ordnung, denn es ist ja ihr Vetter. Ein Anderer ist rücksichtslos, beleidigend gegen eine Dame und wieder sagt man entschuldigend: Mit einem Vetter nimmt man es nicht so genau. Ich wollte, es gäbe gar keine Vettern in der Welt.

Aber Julian ist als Bruder so liebenswürdig, daß –

Eben! Das verschlimmert ihn noch als Vetter! unterbrach ihn Eva. Liebe Werner, befahl sie dann der arbeitenden Frau, lassen Sie das Frühstück bringen.

Frau Werner ging hinaus, den Befehl zu vollziehen, und Eva sagte zu Alfred: Sie kennen ja den Präsidenten, da kann man offener gegen Sie sprechen. Auch sagte ich Ihnen gleich gestern, Sie kommen mir nicht wie ein Fremder vor. Sie sind mir durch Ihre Schriften, durch Julian’s und Theresen’s Erzählungen wie ein alter Bekannter und Freund. Sagen Sie mir, wollen Sie mir das sein?

Alfred’s Verwunderung stieg mehr und mehr; aber Eva war so hübsch, daß er dankbar die angebotene Freundschaft annahm und den neuen Bund mit einem Kuß auf die kleine Hand besiegelte, die Eva ihm reichte.

Ich habe schon lange gewünscht, Jemanden zu finden, dem ich mittheilen könnte, was mir das Herz bedrückt, meinte Eva. Glauben Sie mir, Herr von Reichenbach, Julian und Therese machen sich unglücklich. Es ist wahr, Julian betet Therese an. Er liebt sie wie ein Bruder und wie ein Vater zugleich. Diese Liebe ist aber der Grund, daß Therese nicht die Nothwendigkeit begreift, sich zu verheirathen, wozu es hohe Zeit wäre, denn Therese muß fast dreißig Jahre alt sein. Andrerseits hält ihre Anwesenheit im Hause auch Julian vom Heirathen ab und – eine Frau darf das wohl sagen – dadurch kommt er zu solchen Verbindungen, wie die mit der Harcourt, durch die er sich zum Stadtgespräche macht. Das thut mir weh und macht gewiß auch der Schwester Kummer, obgleich sie nie darüber spricht. Dagegen sollen Sie Rath schaffen, Herr von Reichenbach, das sollen Sie ändern.

Da schrie der Papagei, der während des Sprechens von seiner Stange herab und auf Eva’s Schultern gestiegen war, sein: Eva! Eva! die Kanarienvögel schmetterten dazwischen und das Wachtelhündchen, das bis dahin ruhig zu den Füßen seiner Herrin gelegen, verlangte durch tausend Liebkosungen Aufmerksamkeit. Eva ward plötzlich von ihrer ernsten Unterhaltung abgezogen, das Frühstück erschien, sie machte mit großer Zärtlichkeit Alfred’s Wirthin, theilte mit Coco und dem Hündchen ihr Biscuit, trieb tausend Possen und hatte ihre beglückenden Absichten für Julian und Therese darüber ganz und gar vergessen.

Bald darauf empfahl sich Alfred, von Eva mit vielen unwesentlichen Bestellungen für Therese beauftragt.

Als er nun allein den Weg zur Wohnung seines alten Freundes antrat, dachte er an das eben Erlebte zurück und vermochte sich Eva’s Wesen nicht zu erklären, wenn er nicht annahm, daß sie, sich selbst unbewußt, eine Leidenschaft für den Präsidenten nähre, der nach ihren Schilderungen noch ganz der alte Epikuräer sein mußte.

So reizend Eva war, so hatte doch Alfred sich unbehaglich bei ihr gefühlt. Das Geräusch, das von der Straße herauftönte, erhöht durch die Unruhe der Thiere, und Eva’s unstätes Wesen selbst, hatten ihm einen peinlichen Eindruck gemacht. Um so erquickender erschienen ihm die tiefe Stille und Ruhe im Hause des Präsidenten, als er es erreicht hatte.

Er fand Therese allein in großen, räumlichen Zimmern, die nach einem Garten hinauslagen. Es war nichts Ueberflüssiges, keine Modespielereien in dem Gemache, aber es fehlte auch Nichts, das wahrer Behaglichkeit förderlich sein konnte. Die Thüren zwischen den Zimmern waren geöffnet, so auch ein paar von Vorhängen beschattete Fenster. Einzelne prächtige Kupferstiche zierten die Wände, fremdländische Pflanzen einen Balkon, der aus dem Zimmer in den Garten führte.

Therese war mit dem Ordnen verschiedener Gegenstände beschäftigt, die während ihrer Abwesenheit von der gewohnten Stelle genommen sein mochten. Sie empfing den Freund heiter, aber doch mit mehr Zurückhaltung, als sie ihm am vorigen Tage auf der Reise gezeigt hatte. Alfred beklagte sich darüber und beschwichtigend sagte sie: Denken Sie nur, Herr von Reichenbach! welch lange Reihe von Jahren zwischen unserer ersten Bekanntschaft und unserm Wiedersehen liegt. Da bildet sich viel an dem Menschen aus, Eigenschaften und Fehler mancher Art, man wird ein ganz Anderer, man kennt einander nicht mehr und noch nicht, Sie haben mich gestern selbst äußerlich nicht mehr gekannt. So kann es uns auch geistig leicht geschehen; darum wollen wir uns nicht blind in ein ganz neues Verhältniß stürzen, sondern es der Zeit überlassen, das alte Zutrauen herzustellen, das sich gewiß bald finden wird.

Alfred mißfiel diese Aeußerung. Ich will nicht fürchten, sagte er, daß Sie eine Andere geworden sind, denn Sie waren gut. Ich für mein Theil bin ganz der Alte geblieben und brachte Ihnen und Julian die alte, feste Neigung entgegen. Es wäre traurig, wenn auch er der Zeit bedürfte, den Freund in mir wiederzuerkennen.

Indem trat Julian ins Zimmer und die Herzlichkeit, mit der er Alfred bewillkommte, verscheuchte jeden Zweifel desselben. Die Freunde mußten sich viel zu sagen haben, Therese entfernte sich also unter dem Vorwande häuslicher Geschäfte.

So fanden Julian und Alfred sich nach vieljähriger Trennung zuerst wieder allein, und es konnte kaum eine größere Verschiedenheit geben, als das Aeußere dieser beiden Männer sie darbot. Alfred hatte die edeln, regelmäßigen Züge, die man oft bei den alten Familien des deutschen Adels findet. Eine schöne kräftige Gestalt über Mittelgröße und dunkelblaue Augen bei reichem, dunklem Haar, das mit einem üppigen Bartwuchs sein Gesicht umgab, machten ihn zu einer eben so anziehenden, als schönen Erscheinung. Er sah jung aus, wenngleich leichte Falten auf der Stirne von tiefem Denken und langer geistiger Thätigkeit zeugten.

Julian hingegen war, wie es Therese und Eva bereits gesagt, entschieden häßlich. Sehr groß und mager, trug er sich ein wenig gebückt. Schwarzes, schon mit Grau gemischtes Haar fiel auf eine sehr edle, hohe Stirn herab, unter der große schwarze Augen geistreich hervorblickten, obgleich eine Brille ihr Feuer mäßigte. Starke Backenknochen, eine stumpfe Nase, Lippen, in denen Lavater ein sinnliches Temperament erkannt hätte, gaben ihm etwas von der Physiognomie eines Mulatten, und sein Gesicht trug in stark ausgeprägten Zügen die Spuren eines leidenschaftlichen Charakters und reichen Lebensgenusses. Er sah kalt und oft spöttisch aus, wie ihn Eva geschildert hatte. Alfred fand ihn sehr gealtert, obgleich Julian erst in der Mitte der Vierziger sein konnte.

Nach den ersten herzlichen Begrüßungen fragte Julian: Was führt Dich endlich einmal nach der Residenz und wie lange wird man Dich hier behalten?

Ich denke in Berlin zu bleiben, für jetzt wenigstens.

Mit Frau und Kind? das ist vernünftig.

Mein Felix kommt mir nach, meine Frau nicht, sagte Alfred.

Deine Frau nicht? fragte Julian plötzlich ernst geworden, was soll das bedeuten?

Es bedeutet, antwortete Alfred seufzend, daß ich mich nach langer Ueberlegung und bitterm Kampfe von meiner Frau zu trennen gedenke.

Also doch! sagte Julian. Armer Freund, das wird Dir schwer werden, wie ich Dich kenne. Also doch! – Und immer noch Eifersucht und all die Quälereien, die Dir schon in den ersten Jahren Deiner Ehe Noth gemacht?

Vor Allem die Unmöglichkeit, neben einer Frau zu leben, mit der ich in keiner Beziehung übereinstimme, der mein ganzes Seelenleben fremd bleibt.

Es entstand eine Pause, dann zuckte ein leichtes, mephistophelisches Lächeln um Julian’s Lippen und er sagte: Und da kommst Du nun nach Berlin, um Dich hier mit unsern Schönen in dem Strudel der Residenz von dem einsamen Landleben zu erholen? Das ist natürlich und vernünftig.

Du irrst, das ist nicht der Grund. Du weißt, das ist es nicht. Ich kam her, um mir Ruhe zu schaffen vor täglicher Plage, um Menschen zu finden, mit denen ich geistig leben kann, um Herz und Geist an Edlem und Schönem zu erfrischen.

Aber was soll Dir das Kind dabei? fragte Julian; soll das auch erfrischt werden und Menschen finden, Du lieber Phantast?

Es soll dem katholisch-pietistischen Eifer, dem Einfluß der Mutter überhaupt, entzogen werden, antwortete Jener. Das Erste, was mir hier zu thun obliegt, ist, einen Gouverneur und eine Schule für den Knaben zu wählen.

Ich würde den Knaben, der an Einsamkeit gewöhnt ist, nicht gleich einer öffentlichen Anstalt anvertrauen, wendete Julian ein, um von der ersten Unterhaltung abzulenken. Aber ehe Alfred Zeit zur Antwort gewann, erschien ein Diener, der dem Präsidenten ein Billet in buntverziertem Couvert überbrachte. Dieser, der sehr kurzsichtig war, führte es nahe an die Augen und sagte kopfschüttelnd, nachdem er es betrachtet hatte: Immer dieselbe Geschmacklosigkeit! daß sie sich so etwas nicht abgewöhnen lassen!

Dann las er den Inhalt und sagte zum Diener: Es ist gut, machen Sie meine Empfehlung, ich werde kommen.

Der Diener ging hinaus und Julian sprach lächelnd, indem er sich das Rückenkissen zurechtlegte und die ausgestreckten Beine behaglich kreuzte: Das Billet kommt von Sophie Harcourt, einer Französin, mit der ich liirt bin, länger als es sonst zu dauern pflegte. Sie ist hier bei dem Theater angestellt und ich danke es ihr, noch einmal alle Thorheiten früher Jugend in vollem Ernste durchgemacht zu haben. Sie galt für spröde und ich war wie zu zwanzig Jahren, wie ein Jüngling in sie verliebt. Ich schlage Dir vor, Dich zu ihr zu führen.

Und Deine Eifersucht läßt das zu? oder bin ich schon so ungefährlich? fragte Alfred.

Im Gegentheil! sie betet das Genie an und der gefeierte Dichter wird sie in Entzücken versetzen. Aber wir – oder vielmehr ich – ich bin nun über die große Leidenschaft für sie hinweg. Sie ist ewig in Extase und ich bin der großen affectvollen Scenen etwas müde. Das wird aufreibend mit der Zeit und ich sähe es nicht ungern, wenn sie auswärts ein gutes Engagement fände. Ich unternahm meine Reise zum Theil, um sie an eine Trennung von mir zu gewöhnen.

Und was zwingt Dich, wenn dem so ist, gleich heute wieder in die alten Fesseln?

Die Furcht vor ihrer Rücksichtslosigkeit. Sie bildet sich ein, sie liebe mich leidenschaftlich und ich muß es fast glauben. Käme ich nicht, so wäre sie im Stande, mich hier aufzusuchen. Das will ich vermeiden und – die Fesseln sind denn doch so drückend nicht. Ich wollte sie schon noch eine Weile tragen, sie sind mir in der Gewohnheit sogar lieb geworden; aber ich möchte sie in ein ruhiges bequemes Band verwandeln. Nur daß ich täglich von Leidenschaft hören soll, daß sie verzweifelt, wenn sie mich in irgend einer andern Verbindung vermuthet, das ist mir lästig. Du spartest mir in der That eine Menge Vorwürfe über mein langes Ausbleiben, über mein Nichtschreiben, wenn Du mich zu ihr begleiten wolltest.

Alfred lachte laut auf. Julian! aber Julian! rief er, wie bist Du der Alte geblieben, ganz und gar. Dieselbe Eitelkeit, dieselbe Furcht vor peinlichen Erörterungen, wie früher. Ist mir’s doch, als wären wir wieder der Assessor Brand und der Lieutenant Reichenbach geworden. Hast Du denn wirklich noch Lust an solchen Theaterintriguen? Fühlst Du Dich noch glücklich in solchen Verbindungen?

Sehr glücklich! antwortete zuversichtlich der Präsident. Es sind die einzigen, bei denen man nicht Gefahr läuft, eine Laune des Herzens durch lebenslängliches Elend abzubüßen. Im solid bürgerlichen Leben verliebt man sich, wird getraut und hat nun eine Frau, die man in tausend Fällen wenig kennt. Die Braut schien ein Engel, denn sie wollte gefallen. Die Frau, deren Loos gesichert ist, findet das nicht mehr der Mühe werth; der Mann, ebenfalls am Ziel seiner Wünsche, läßt sich in gleicher Bequemlichkeit gehen. Nach wenig Monaten leben zwei Menschen, die mit einander leben sollten, nur noch neben einander und vergehen vor Ueberdruß und Gleichgültigkeit. Dies ist das treue Bild einer rechtmäßigen Ehe! schloß er, mit seinem gewohnten spöttischen Lächeln.

Du malst es in Deiner Weise, mit dem Pinsel der Satire! meinte Alfred. Warum schilderst Du grade eine unglückliche Ehe?

Weil es mir im Allgemeinen an Vorbildern für glücklichere fehlt; weil eine Ehe auf gegenseitiges Verstehen, auf geistiges Zusammenleben gegründet, zu den Seltenheiten gehört.

Alfred schwieg und Julian fuhr fort: Weiß eine Frau, daß wir sie jeden Augenblick verlassen können, so denkt sie jeden Augenblick daran, uns zu fesseln, scheint uns immer neu und reizend, und wir lieben die Schöpferin unseres Glückes, die dadurch ebenfalls glücklich wird. Dies ist der natürlichste Erfolg vernünftiger Freiheit. Ich bin in der That gewiß, daß Sophie mich liebt, ich habe nie an ihrer Treue gezweifelt, und sie ist mir, trotz meiner Klagen gegen sie, unendlich werth.

Aber Du sähest es nicht ungern, wenn sie auswärts ein gutes Engagement fände, wie Du mir vorhin gesagt, meinte Alfred. Dies spricht nicht sehr für die Dauer Deiner Liebe, für Deine Hingebung an sie. Wer sichert sie und Dich selbst, daß Du nicht jeder ungünstigen Aufwallung gegen sie nachgibst, daß Du sie nicht morgen verlässest, wenn es Dir angemessen scheint? wenn neue Reize Dich verlocken?

Ihre eigene Liebenswürdigkeit.

Und wenn diese ihre Anziehungskraft für Dich verliert?

Dann werden wir uns trennen, sagte der Präsident sehr ruhig. Aber glaube mir, weil Sophie das fühlt, bleiben wir glücklich und vereint. Wärst Du nicht durch Eide an Caroline gebunden, wüßte sie sich nicht in sicherem Besitz, sie wäre vielleicht eine treffliche Frau geworden und ihr hättet mit einander wie die Engel gelebt.

So wenig Alfred Ursache gehabt hatte, mit seiner Frau zufrieden zu sein, so verletzte es ihn doch, Julian in dieser leichtsinnigen Weise von ihr und seiner Ehe sprechen zu hören.

Du selbst glaubst Deinen Worten nicht, mein Freund! sagte er, denn es liegt Unedles, Unwahres darin. Wer Frauen so hoch zu schätzen vermag, wie Du Deine Mutter geschätzt hast, Deine Schwester schätzest, der kann die Gattin allein nicht zum Gegenstande genußsüchtiger Berechnung erniedrigen, der kann nicht die treue, liebende Gefährtin, die Mutter seiner Kinder zur Buhlerin entwürdigen wollen, die man verstößt, wenn man ihrer müde ist. In dem festen Zusammengehören, in dem Bewußtsein der Dauer, liegen die Heiligkeit, die Schönheit der Ehe, die uns das Leid gemeinsam leichter tragen, Freude doppelt genießen lassen und die vollste, edelste Entwicklung der menschlichen Natur zur Blüthe bringen. Wenn wir die rechte Wahl getroffen, eine Frau gefunden haben....

Und wenn nicht? fiel ihm Julian ins Wort, wenn man die rechte Wahl nicht getroffen hat? Dann bleibt nichts übrig, als Leiden, vor denen man sich sichert durch Ungebundenheit. Das Bewußtsein der Freiheit wiegt in jedem Verhältnisse alles Andere auf; sie ist das höchste, wahrste Glück!

Wirst Du nie anders denken? Wird der genußreiche Wechsel Dich dauernd beglücken? Wirst Du bei Deinem feinen, lebhaften Gefühl, bei Deiner Eifersucht nie nach einem treuen, jungfräulichen Wesen verlangen, deren ganzes Sein in Dir begründet ist? fragte Alfred sehr ernst und fügte hinzu: Ich fürchte, Julian, Du täuschest Dich über Dich selbst und erheuchelst Dir ein Glück, das Du nicht fühlst. Du bist zu stolz, einzuräumen, daß Du es vielleicht gesucht und nicht gefunden hast.

Du irrst! versicherte Julian. Ich habe Alles, was ich wünsche. Eine Stellung, die mir zusagt; Therese, die ein seltenes Mädchen ist, zur treuen, nachsichtigen Gefährtin, eine bequeme Häuslichkeit, eine reizende Geliebte und niemals Langeweile. Mehr werde ich nie verlangen. Ich bin durchaus zufrieden und gönne Andern das ruhige häusliche Glück und die ehelichen Freuden.

Bei Julian’s letzten Worten kehrte seine Schwester wieder zu ihnen zurück, gesellte sich zu den Männern und die Unterhaltung wendete sich bald auf die erste Zeit ihrer Bekanntschaft zurück.

Ich erinnere mich noch deutlich des Abends, sagte Julian, da ich Dich einsam schreibend in Deinem Mansardstübchen fand und gegen Deinen Willen Deine Schreiberei durchlas. Für eine poetische Natur hatte ich Dich stets gehalten, und der lyrische Lieutenant war mir oft ergötzlich gewesen, wenn er mitten in den Orgien, denen unser Kreis sich damals überließ, sich hinweg sehnte nach Wald und Flur, nach Ruhe und Stille. Nun ich Deine Verse las, begriff ich Dich plötzlich ganz, ich rief Dir das „Ich hab’s gefunden“ zu. Ich sagte Dir, Du bist ein Dichter, und ohne mein Dazwischentreten hättest Du vielleicht noch lange Deinen eigentlichen Beruf verkannt.

Ich habe des Augenblickes später selbst oft gedacht, sagte Alfred, und mich gefragt, wann ich wohl eigentlich zu dichten angefangen habe? Ich konnte es aber nie ergründen, denn mein erstes Bewußtwerden mag ziemlich mit dem ersten Dichten zusammen gefallen sein. Wie das Meer seit dem Moment der Schöpfung sich in rastlosem Wechsel bewegt, wie es nicht existirt ohne Bewegung und in seiner Ruhe noch den Himmel mit Sonne, Mond und Sternen widerspiegelt, also auch in der Ruhe noch Bilder des Himmels schafft, so ist es mit der Seele des Dichters. – Ich bin mir jetzt noch schreckhafter Nächte aus meiner ersten Kindheit bewußt, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in denen ich unwillkürlich Das, was ich gehört hatte, weiter fortspann; von Krieg und Erdbeben, von dem Tode Derer, die ich liebte, wachend träumte und es mir mit gräßlicher Genauigkeit ausmalte, weil ich die Grenzen des Wahrscheinlichen von denen des Möglichen nicht zu sondern vermochte. Die schreckhafteste Möglichkeit hielt ich immer für Das, was sich ereignen werde und müsse.

Und ist man früh auf Ihre Anlagen und Ihr Treiben aufmerksam geworden? fragte Therese.

Nein! antwortete Alfred. Die Qualen jener Nächte verschwieg ich, ohne zu wissen, weshalb. Später, als ich anfing, meinen Spielgenossen ganz wunderbare Geschichten zu erzählen, die mir oder meinen Eltern begegnet sein sollten, da wurden die Eltern aufmerksam, schalten mich wegen der Unwahrheiten, die ich erzählt hatte, und drohten mit ernster Strafe, falls ich je wieder auf gleichem Unrecht ertappt werden sollte. Daraus erwuchs mir neue Qual. Ich traute mir selbst nicht mehr. Da ich nicht für wahr ausgeben durfte, was sich an Ideen in mir ausbildete, fing ich auch an, an Dem zu zweifeln, was ich wirklich erlebt hatte. Aus dieser gänzlichen Verwirrung tauchte als unwiderlegliche Wahrheit eine Geschichte in mir auf, in der Napoleon und mein Vater die Hauptrollen spielten.

Und war das eine wirkliche Begebenheit? fragte der Präsident.

Nichts weniger als das, antwortete Alfred. Meine Kindheit fiel in die Zeit nach den Befreiungskriegen, in der die Heldengestalt Napoleon’s noch ganz im Vordergrund der Ereignisse stand. Ich hatte sein Bild oft gesehen, mein Vater, ein großer Bewunderer des Kaisers, sprach viel von ihm und war einmal in amtlichen Verhältnissen in der nächsten Umgebung desselben gewesen. Vermuthlich daraus hatte sich in mir eine lange Geschichte gebildet, die ich besonders gern erzählte. Ich behauptete, mich deutlich des Tages zu erinnern, an dem mein Vater in einer gelben Carosse in großem Aufzuge dem Kaiser entgegen gefahren sei, ihm auf rothem Sammetkissen die Schlüssel der Stadt überreicht habe und was daran sich noch fabelhaft und kindisch Erfundenes anreihte. – Diese Erzählung erreichte auch das Ohr meiner Eltern und zog mir, weil es meine großartigste Erfindung war, auch die lang versprochene großartige Strafe in tüchtigen Schlägen zu. Dies war der Lohn und das erste Honorar für mein erstes Heldengedicht.

Der Präsident lachte, Therese aber sagte: Es ist recht schlimm, daß in den Seelen der Kinder all ihre Empfindungen, ihnen selbst unklar, oft so lange verborgen liegen. Wie mich ein krankes Kind immer noch mehr rührt, als ein Erwachsener in gleicher Lage, weil es bei zarterer Constitution tiefer leiden mag, als Jener, und nicht sein Leid zu klagen vermag, so jammern mich Kinder mit reichem Seelenleben doppelt, denn sie müssen davon gepeinigt werden. Wenn man es nur verstände, sie zu errathen, ihnen zu Hilfe zu kommen, man würde vielleicht manche große Anlage entdecken, die jetzt verloren geht.

Dies ist eine recht haushälterische Sorge, liebe Therese! neckte sie der Bruder, es soll nichts umkommen, nichts verschwendet werden. Aber sei nur unbesorgt, die Natur selbst ist die beste Haushälterin. Allem von ihr Geschaffenen wohnt die Fähigkeit und der Trieb ein, alle Hindernisse zu überwinden, alle Bande zu sprengen und durch tiefe Nacht zum rechten Lichte zu dringen. Ein Talent, eine Anlage, die durch Verhältnisse unterdrückt werden, verdienen kein Gedeihen. Dagegen ist es in der Natur des Genius, daß er immer und überall Sieger ist.

Das glaube ich auch, bekräftigte Alfred. Es ist gar nicht nöthig, den Menschen in dieser Beziehung beizustehen, es ist mit ihnen grade wie mit den Pflanzen. Wollen Sie eine Hyazinthe früh zur Blüthe bringen, setzen Sie dieselbe beständig in das beste Licht, in die behaglichste Wärme, so wird allerdings eine frühere Blüthe Ihnen die Pflege lohnen, aber sie wird oft schwächer und vergänglicher sein, als die, welche unter Nachtfrost und Schnee sich langsam, reif und kräftig, ohne andern Beistand als den eignen Trieb, aus dunkler Erde ans Licht hervorringt. Daß meine Eltern die Eiseskälte der Zweifel und einen kleinen Hagel von Schlägen über mich ausgeschüttet, hat mir gewiß nicht geschadet.

Indeß war es spät geworden, Alfred erhob sich und schickte sich an, die Freunde zu verlassen, aber Therese und der Präsident baten ihn, den Mittag mit ihnen einzunehmen, und Alfred ließ sich willig dazu finden.

In einem mäßig großen, von Bäumen beschatteten Zimmer war der kleine Tisch für drei Personen gedeckt, mit Vasen voll frischer Blumen und einem schönen silbernen Korbe geziert, in dem feines Obst so trefflich geordnet war, daß es zu einem Schmuck der Tafel wurde. Alfred äußerte sein Wohlgefallen daran, man nahm Platz und Julian sagte, während die ersten Speisen aufgetragen wurden, zu Alfred: Du empfindest lebhaft für das Schöne, Du besingst es auf die würdigste Weise, wo es Dir begegnet, nur für Eine Richtung geht Dir der Sinn ab und das ist ein großer Mangel. Ich glaube, Du hast keinen Sinn für die rechte Bequemlichkeit, für materielles Wohlsein.

Du irrst! antwortete Alfred. Ich empfinde Unbequemes lebhaft und störend.

Das glaube ich schon, denn Du müßtest kein Mensch sein, wenn Du es nicht empfändest, sagte der Präsident. Aber vom Empfinden des Unbequemen bis zum tiefen, bewußten Genießen sinnlichen Wohlseins ist eine große Entfernung. In dieser Kunst, denn eine Kunst ist es, sollten die Alten unsere Lehrer sein.

Es sieht aus, als ob Du schon nicht geringe Studien darin gemacht hättest, meinte Alfred, und ich finde, daß Deine Schwester Deinen desfallsigen Bestrebungen sehr umsichtig entgegenkommt.

So ist es, bestätigte Julian. Ich bilde mir viel darauf ein, mit Verstand an dies Geschäft zu gehen. Es ist mir heiliger Ernst, ein Theil meiner Poesie – ein Theil meiner Religion sogar.

Der Religion, Julian! wendete Therese tadelnd ein, die möchte mit Essen und Trinken schwerlich etwas gemein haben.

Doch, liebe Schwester! Wie willst Du, daß sich der Mensch vortheilhafter von dem Thiere unterscheide, wie willst Du, daß er besser danke für das Geschaffensein und für Das, was für ihn geschaffen ist, als indem er es so selbstbewußt, so vollkommen genießt, als es ihm möglich ist. Die Griechen, die einer reinen Gottanbetung viel näher waren, als wir, bekränzten Haupt und Becher mit Rosen und opferten Libationen, wenn sie an das hohe Geschäft gingen, die nothwendige Nahrung zu sich zu nehmen. Selbst in den Klöstern ließ man dem Körper noch sein Recht widerfahren. Man legte sich Bußen, Fasten auf, man geißelte sich, um nachher das Essen desto schmackhafter zu finden, um die mangelnde Bewegung zu ersetzen, und die Tafeln waren mit höchster Sorgfalt behandelt. Luther, ein an Körper und Geist durchweg gesunder Mensch, pries begeistert Wein, Weiber und Gesang, und liebte eine gute Mahlzeit. Ueberall, wo poetischer oder nur gesunder Sinn war, schätzte man materiellen Genuß. Erst der spätern, am Schreibtisch verkümmerten, kranken Zeit, erst den protestantischen Gelehrten mit schwacher Verdauung, den schwindsüchtigen Pietisten gelang es, das Essen als ein niedriges Bedürfniß darzustellen; erst sie sind thöricht genug gewesen, die gesunde Sinnlichkeit ihrer angebornen Poesie zu entkleiden, dem Körper sein Recht entziehen zu wollen.

Dafür stehen denn auch in unsern Tagen solche wackere Kämpfer auf als Du, Julian! sagte Alfred. Du solltest der Stifter eines neuen Cultus werden.

Und wer sagt Dir, daß ich es nicht möchte, wenn die Zeit reif dafür wäre? fragte Julian. Wäre es denn nicht ganz poetisch, wenn man, von sinnlichem Genießen ausgehend, endlich zu einer tiefgefühlten Anbetung des Schaffenden, zu einer erhabenen Anschauung alles Erschaffenen gelangte? Wäre es nicht schön, wenn jeder Einzelne den Weg ginge, den das Menschengeschlecht ursprünglich verfolgte, um zur Gotterkenntniß zu gelangen? Uns sagt man: Gott hat die Welt für uns erschaffen, danke ihm dafür! Aber man hindert uns, seine Gaben zu genießen, man sagt uns, das sei sogar sündhaft. Die Heiden genossen in vollen Zügen, und dann in der Freude des höchsten Genusses fand sich das Danken von selbst. – Ich bitte Dich, mein Freund, das überlege, das besinge einmal und Du sollst mir der König der Dichter heißen.

Seine Zuhörer lachten und freuten sich sein, denn der Präsident besaß wirklich ein besonderes Talent, den Materialismus, dem er huldigte, zu veredeln. Man mußte ihn sehen, wie er sich zur Tafel setzte, sich das Haar von der Stirn strich, als wolle er zugleich jeden unangenehmen Gedanken verbannen; wie er die Brille zurechtrückte, die Serviette entfaltete und dann prüfend und genießend das Mahl einnahm, um seine Behauptungen gerechtfertigt zu finden.

Aber hast Du denn ein wirkliches Vergnügen vom Essen und Trinken? fragte Alfred. Sobald ich das Bedürfniß danach befriedigt habe, hört für mich der Genuß auf, es wird mir sogar lästig.

Das Erstere, antwortete der Präsident, war eine ziemlich sonderbare Frage, lieber Freund! Freilich habe ich eigentliches Vergnügen daran und was die Uebersättigung betrifft, so kommt die nur davon her, daß man es als ein Sattmachen, als eine thierische Fütterung betreibt. Wer, wie ein ordinairer Mensch, nahrhafte, sättigende Kost ißt, der wird schläfrig nach dem Essen, der wird fett und setzt sich einem Schlagfluß aus. Anders Derjenige, der die Mahlzeit künstlerisch behandelt, wie etwa ein Virtuose sein Concert. Dieser wird Dich, wenn er sein Fach versteht, nicht mit großen Concertstücken, in wilder Hast auf einander gehäuft, belästigen. Er wird Dir abwechselnd Ernstes und Heiteres, Schweres und Leichtes bieten, damit jeder Deiner Neigungen harmonisch begegnet werde. Dasselbe verständige Maß verlange ich von der Hausfrau, die eine Mahlzeit anordnet. Licht, Wärme, Wohlgerüche, Blumen und Geräthe in gehörigem Verhältniß’, damit alle Sinne beschäftigt, keiner vorzugsweise erregt werde, und vor Allem Das, um was schon Faust den Mephisto anging, als er fast Unerreichbares forderte: „Speise die nicht sättigt.“ Wer so lebt, kann lange leben und genießen. Er wird nie träge, nie stark werden und nie den Schlagfluß, sondern höchstens das Podagra zu fürchten haben, das denn doch immer ein aristokratisches Leiden ist.

Gleichsam als bereue er die Anstrengung, welche ihm die Auseinandersetzung verursacht hatte, lehnte sich der Präsident in den Sessel zurück und Alfred sagte: Du bist freilich schon von Jugend an durch die ganz eigenthümliche Zierlichkeit Deiner Mutter und Deiner Schwester an die geschmackvollste Häuslichkeit gewöhnt worden! Ich habe daran oft gedacht!

Vermuthlich, weil Ihre Frau denselben Sinn für das Schöne hat, als wir! meinte Therese.

Nein, weil er ihr fehlt! sagte Alfred. Aber er erschrak vor seiner unwillkürlichen Aeußerung und meinte dann ablenkend, da Therese ihn betroffen anblickte, ihre große Sorgfalt für Julian’s Tafelgenüsse sei um so lobenswerther, als Frauen an denselben gewöhnlich keine Lust zu haben pflegten.

Da irrst Du abermals, widerlegte ihn der Präsident. Meine Schwester hat allerdings den Fehler, gleichgültig dagegen zu sein, aber unsere kleine Freundin Eva ist es zum Beispiel ganz und gar nicht. Sie bedarf sehr wenig, um ihren Hunger zu stillen, sie ist aber so begehrlich nach Leckerbissen und Näschereien, weiß sie so niedlich zu verzehren, daß sie dadurch einen neuen Reiz für mich gewinnt.

Sie ist auch darin ein wahres Kind, wendete Therese ein; doch ist das in meinen Augen keine von ihren guten Eigenschaften, deren sie gar manche hat. Finden Sie Eva nicht sehr schön, Herr von Reichenbach, und sehr anmuthig?

Wenn ich die Wahrheit sagen darf, nein. Sie ist schon zu klein und zu unruhig, um mir schön und anmuthig zu erscheinen. Ich kenne sie freilich erst seit gestern, aber ich halte sie für eine kleine Kokette, die Kindlichkeit vorschützt, um ihren Launen Duldung zu verschaffen.

O, das ist schlecht von Ihnen, Herr von Reichenbach! schalt ihn Therese. Unsere Freundin Eva ist in der That ganz so kindlich und kindisch, als sie erscheint. Sie war das einzige Kind sehr reicher Eltern, die sie in jedem Sinn verwöhnten. Der Vater starb, die Mutter verheirathete Eva, das fünfzehnjährige Mädchen, mit dem Major von Barnfeld, einem Freunde ihres verstorbenen Mannes, und man zog auf das väterliche Gut, um dort zu leben.

Das Uebrige, sagte der Präsident, da Therese innehielt, folgt nun von selbst. Mutter und Gatte verhätschelten die kleine Frau nun vollends um die Wette, und Beide unterdrückten alle Selbstständigkeit in ihr. Zwischen Kornblumenkränzen, Nachbarstöchtern, Voß’ Idyllen, Landjunkern und andern unschädlichen Dingen wuchs sie auf; lachend, wo sich Anlaß dazu bot, froh, verheirathet zu sein, weil sie nichts mehr zu lernen brauchte, was ihr von jeher verhaßt war, und sie hat denn auch gar nichts gelernt.

Julian, das dürftest Du am wenigsten sagen, der Du sie in ihrer Unwissenheit so reizend findest! bemerkte ihm die Schwester.

Mache ich ihr denn jetzt einen Vorwurf daraus? fragte der Präsident. Ihre unglaubliche Unwissenheit ist für mich ihr schönstes Lob in einer Zeit, in der es lauter gebildete, geniale Frauen gibt, zur tödtlichen Plage für den Mann. Eva hat die seltensten Eigenschaften. Sie ist hübsch, gutmüthig, reich und gar nicht geistreich, also leicht zu beherrschen. Sie ist eitel, kindisch und naschhaft, also bequem und leicht zu erfreuen. Solch eine Frau ist ein Phönix in unsern Tagen.

Seit wann lebt sie denn in Berlin? fragte Alfred.

Noch nicht lange, erst seit dem Tode ihrer Mutter, antwortete Therese. Herr von Barnfeld starb, als Eva achtzehn Jahre alt war. Die Mutter verkaufte die Besitzungen und zog mit Eva in die nächste Stadt, und die kleine junge Wittwe sah sich so von allen Männern umschwärmt, daß sie wohl ein wenig übermüthig geworden sein mag. In Zerstreuungen und Huldigungen jeder Art lebte sie fröhlich fort, bis vor sechs Monaten ihre Mutter starb. Seitdem wohnt sie, nach dem Wunsch der Verstorbenen, in unserer Nähe und Julian ist zu ihrem Vormunde ernannt. Sie ist uns sehr lieb geworden und wird auch Ihnen gefallen, wenn Sie hinter dem flüchtigen Wesen einen tüchtigen Verstand und das offenste Herz entdecken werden.

Unter diesen und andern Gesprächen verging die Zeit während der Mahlzeit schnell, man stand auf und der Präsident fragte seine Schwester, welche Entwürfe sie für den Abend gemacht habe?

Ich habe noch Einiges im Hause zu schaffen, sagte Therese, um erst wieder in die gewohnte Ordnung zu kommen. Ist das beendet, dann will ich ganz still ausruhen.

So wirst Du mich nicht vermissen, falls ich vielleicht später nach Hause komme. Ich werde mit Reichenbach den Abend zubringen.

Darauf trennte man sich, nachdem Alfred auf Julian’s wiederholte Anfrage es abgelehnt hatte, ihn zu begleiten, weil er noch für einige Stunden Geschäfte habe, die er abzumachen wünschte.

Therese ging nach der Entfernung der Beiden an ihre Arbeiten, aber unaufhörlich dachte sie dabei an Alfred’s Worte: Nein! weil er ihr fehlt! – Ob Alfred’s Ehe nicht glücklich ist? fragte sie sich und wünschte den Morgen herbei, um von dem Bruder Auskunft über diese Angelegenheit zu erhalten, die sie lebhaft beschäftigte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.