IX. Am folgenden Tage langte, wie man es erwartet hatte, Teophil an und fand sich bald heimisch in dem Hause und der Gesellschaft seiner Gastfreunde. Er war ein hübscher, ...

IX. Am folgenden Tage langte, wie man es erwartet hatte, Teophil an und fand sich bald heimisch in dem Hause und der Gesellschaft seiner Gastfreunde. Er war ein hübscher, blonder Mann mit fast weiblichen Zügen und einem gut durchgebildeten, stillen Wesen, das auf Therese einen wohlthuenden Eindruck machte, weil sie edle Formen im Betragen besonders hochschätzte. Man ließ dem jungen Manne Zeit, sich in die neue Häuslichkeit und die fremde Umgebung zu finden, man wollte ihn nicht gewaltsam sich selbst und seiner gewohnten Weise entreißen und erst, nachdem er selbst den Wunsch ausgesprochen, führte der Präsident ihn in das Collegium ein.

Theophil ging mit redlichem Eifer, ja mit einer gewissen Freudigkeit an das Geschäft. Julian’s feurige Thätigkeit schien ihn zu beleben und, wenngleich körperlich ermüdet, kam er doch gewöhnlich mit ziemlicher Heiterkeit aus den Sitzungen des Collegiums und von seinen Arbeiten zu Therese zurück, der er bald ein angenehmer Gesellschafter wurde. Er war sehr viel gereist, hatte Menschen und Gegenstände mit Verstand betrachtet, mancherlei Kenntnisse sich zu eigen gemacht und, wenn man ihn auch in keiner Beziehung als besonders bedeutend ansprechen konnte, so mußte man ihn doch für einen liebenswürdigen jungen Mann erklären, der das Talent, angenehm zu plaudern, in hohem Maße besaß. Dabei entwickelte er in näherem Umgange eine solche Geradheit der Gesinnung, eine so große, fast kindliche Gutmüthigkeit, daß man ihm ein herzliches Wohlwollen nicht versagen konnte und Nachsicht mit seinen Schwächen gewann, die namentlich Therese nur seiner Kränklichkeit zuschreiben wollte.


Eva, neugierig und lebhaft, wie die Stammmutter im Paradiese, war gleich nach Theophil’s Ankunft den Gast ihrer Freunde, wie sie es nannte, besehen gekommen und hatte es nicht verschmäht, ihre fröhlichste Laune, ihre tollsten Einfälle zur Erheiterung desselben mitzubringen. Die laute Fröhlichkeit der jungen Wittwe schien ihn aber mehr zu peinigen, als zu erfreuen, während der Präsident sich davon zu gleicher Heiterkeit hinreißen ließ und auch Alfred, der gegenwärtig war, sich dem belebenden Einflusse der Schalkhaften nicht entzog. Das hatte einen gar fröhlichen Abend gegeben, und je kürzer die Tage wurden, je mehr das schnell wechselnde Wetter den herannahenden Herbst verkündete, um so mehr gewöhnten die Männer sich, die letzten Stunden des Tages bei Therese zuzubringen, wo sich denn auch Eva, sicher, die Freunde zu finden, noch häufiger als sonst einstellte.

Hier im traulichen Kreise ward es Theresen sehr wohl. Sie liebte die großen Gesellschaften nicht, ihre ganze Natur hatte etwas in sich Gekehrtes und es war ihr gradezu peinlich, sich über Gegenstände, an denen sie einen wahren Antheil nahm, mit fremden Personen zu unterhalten. Deshalb galt sie bei Leuten, die sie nicht kannten, bald für kalt, bald für stolz oder gar für unbedeutend, während Diejenigen, die ihr nahe standen, an ihr die seltensten Eigenschaften des Herzens und des Geistes verehrten. Von der Mutter zur tüchtigen Haushälterin gebildet, durch Julian’s Bequemlichkeitsliebe an höchste Sorgfalt für häusliches Wohlsein gewöhnt, war sie das Ideal einer sorgsamen und angenehmen Wirthin geworden. Man empfand in ihrem Hause, in ihrer Nähe ein körperliches Behagen, das sich ganz unmerkbar dem Geiste mittheilte, so daß Jeder sich nicht nur frei und ungehindert, sondern durch die Liebenswürdigkeit der Geschwister selbst geistig gehoben bei ihnen fühlte.

Auch Julian fand die neue Lebensweise in seinem Hause sehr angenehm, und während er sonst an jedem Abend, wäre es auch nur für eine Stunde gewesen, zu Sophie zu gehen pflegte und das französische Theater nie zu besuchen versäumte, so oft diese auftrat, unterließ er jetzt bald das Eine, bald das Andere, sich bei sich selbst und bei der klagenden Geliebten mit Rücksichten für seine Gäste oder mit andern Gründen entschuldigend. Therese sah das mit großer Freude. Ihr war des Bruders Verhältniß zu Sophien immer ein Gegenstand des Kummers und manch schmerzlicher Berührung gewesen, und sie hatte nie aufgehört, eine Lösung dieser Verbindung zu wünschen. Aus Widerwillen gegen Sophie hatte sie das französische Theater selten besucht, Julian sie niemals dazu zu überreden gestrebt. Er war stets allein hingegangen, so sehr er bei allen anderen Anlässen die Begleitung seiner Schwester geliebt, und hatte seinen Platz zunächst der Bühne gehabt, um ganz in Sophien’s Nähe zu sein.

Deshalb überraschte es Therese, daß Julian an einem Abend den versammelten Freunden den Vorschlag machte, ob man nicht für das Benefiz eines beliebten französischen Schauspielers am nächsten Tage eine Loge bestellen und gemeinschaftlich das Theater besuchen wolle? Alle waren damit einverstanden und um die bestimmte Zeit fanden sie sich in der Loge zusammen.

Man gab ein neues Schauspiel, in welchem auch Sophie eine Hauptrolle zu spielen hatte. Sie trat mit gewohnter Sicherheit und Anmuth auf, und Alfred, der sie noch nicht gesehen, war von dem edeln Ausdruck ihres Profils, wie von ihrer ganzen Erscheinung lebhaft angezogen. Sie stellte eine Frau dar, die von ihrem Gatten verrathen, von ihm aus blinder Eifersucht der Untreue angeklagt wird, während sie ihn leidenschaftlich liebt und in stiller Demuth die ungerechten Vorwürfe, die bittern Kränkungen erträgt, nur bemüht, dem Auge der Welt das unwürdige Betragen ihres Mannes zu verbergen, um ihn und seine Ehre nicht dem Tadel der Fremden preiszugeben.

Sophien’s erster Blick suchte den Präsidenten auf dem gewohnten Platze. Sie hatte ihn mehrere Tage nicht gesehen, ihn schriftlich gebeten, mindestens im Theater zu erscheinen, und er hatte es ihr zugesagt. Nun sie ihn vermißte, schien sie unruhig zu werden, und Julian, der jede ihrer Bewegungen kannte, dem kein Ton ihrer Stimme fremd war, konnte bemerken, daß sie ihrer Aufregung kaum Herr zu bleiben vermochte, als sie ihn mit Therese und Eva in der Loge erblickte. Sie kannte Eva dem Namen nach; das Gerücht einer möglichen Verbindung zwischen dieser und dem Präsidenten hatte ihr Ohr erreicht und war ihr ein Anlaß zu lebhafter Eifersucht geworden. In diesem Augenblick hielt sie ihr Schicksal für entschieden und, so sagte sie sich, der Treulose hatte nicht einmal die Rücksicht für sie, ihrer glücklichen Nebenbuhlerin den Anblick der Verzweiflung zu entziehen, die ihre Brust zerriß und die, das fühlte sie, aus jedem Worte widerklingen mußte, das sie aussprach. Sie war dem Erliegen nahe. Aber sie raffte sich empor und mit der edelsten Haltung spielte sie ihre Rolle weiter, die in vielen Scenen eine verhältnißmäßige Aehnlichkeit mit ihrer eignen Lage darbot.

Als sie dem ungetreuen Gatten Vorwürfe machte, als sie von ihrer glühenden Liebe sprach, von der Unmöglichkeit, für einen Andern zu leben, und ihr flammendes Auge dabei zu Julian emporblickte, verließ dieser die Loge. Therese ward tief erschüttert. Sie weinte, fast kein weibliches Auge im Theater war ohne Thränen und das ganze Publikum überhäufte die beliebte Künstlerin mit einem Beifallssturm, wie ihn nur die wirkliche Bewunderung hervorzurufen vermag. Alfred war ganz entzückt von der Darstellung. Theophil lehnte sinnend in der Logenecke und schien Eva’s Plaudern gar nicht zu bemerken, die während der rührendsten Scenen ihn bald dies, bald jenes gefragt hatte und fröhlich lachend auf die Bühne hinabsah, während Sophien’s Klagen rührend die Seelen der Hörer durchzitterten. Wie ein Dolchstoß zuckte dies Lachen durch Sophien’s Brust, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen, spielte, immer leiser sprechend, weiter, sank dann ohnmächtig ihrem Mitspielenden in die Arme und die Vorstellung mußte beendet werden.

Zeichen der allgemeinsten Theilnahme, des wirklichen Bedauerns wurden laut. Nie war der gefeierten Künstlerin ein ähnlicher Anfall zugestoßen. Man blieb noch in den Logen, man wollte Nachricht von ihrem Ergehen haben, die Ursache des Zufalls wissen. Therese, der ihr weibliches Gefühl die Lösung des Räthsels leicht machte, war sichtlich bewegt und wendete sich von Eva ab, die, noch immer lachend, sagte: Wenn ihr eine Vorstellung hättet, wie komisch all das Tragiren erscheint, wenn man, wie ich, nicht ein Wort Französisch versteht, ihr würdet lachen wie ich. Ich bin heute zum ersten Mal in einer französischen Vorstellung und es ist ein wahres Glück, daß der Präsident uns grade in ein Trauerspiel geführt hat, denn wäre es noch obenein ein Lustspiel gewesen, ich hätte vor Lachen sterben müssen.

Lache nur jetzt nicht, bat Therese verdrießlich, wo das ganze Publikum in so entgegengesetzter Stimmung ist, Du machst Dich dadurch unangenehm auffällig.

Man hatte einen Augenblick auf Julian gewartet, als man das Theater verlassen wollte. Da er nicht kam, nahm Therese Alfred’s Arm, Theophil führte Eva und man stieg die Treppen hinab.

Die Harcourt ist in der That die größte Künstlerin in ihrem Fache, die ich jemals gesehen habe, sagte Alfred, und sie muß überhaupt eine sehr geistreiche Frau sein. Ich habe Lust bekommen, sie persönlich kennen zu lernen. Welche Wahrheit in der Darstellung der Leidenschaft! so spielt man nur, was man vollkommen versteht. Nur etwas mehr Stolz hätte ich ihr gewünscht, den ungerechten Anschuldigungen gegenüber, die der Gemahl auf sie häuft.

Therese, im Innern lebhaft mit Sophien und den Ereignissen der letzten Augenblicke beschäftigt, ging schweigend neben Reichenbach her, seine Worte bedenkend. Plötzlich sagte sie nach langer Pause: Das grade ist das Wahrste in Sophien’s Spiel gewesen! sie muß die Liebe bis zu ihrem Höhepunkte kennen. Ihr Männer urtheilt, wie ihr es versteht, ihr sprecht von Stolz in der Liebe. Mein Gott! Stolz in der Liebe! – wiederholte sie leise.

Und zweifeln Sie, daß es den gäbe? fragte Alfred. Zweifeln Sie, daß es einen Grad der Kränkung gibt, dem gegenüber es Pflicht wird und Nothwendigkeit, sich mit dem Gefühl der eigenen Würde zu waffnen, um sich nicht untergehen zu lassen?

Ich weiß es nicht, entgegnete Therese, ich aber würde gewiß die Kraft dazu nicht in mir finden, selbst wenn ich sie suchen wollte. Stolz setzt doch immer Eigenliebe voraus und wahre weibliche Liebe ist ganz Hingebung, ganz Demuth. Wie kann man Stolz empfinden, wo man in opferfreudiger Liebe sich einem Anderen zu eigen macht? Daß die Harcourt allen Kränkungen gegenüber kein anderes Gefühl darstellt, als den tiefen Kummer, nicht geliebt zu werden, die tiefe Betrübniß, nicht von ihrer Liebe überzeugen, nicht durch sie beglücken zu können, das ist ja eben so groß und so wahr in ihr.

Sie werden wenig Frauen finden, die diese Ansicht mit Ihnen theilen, meinte Alfred, so unwiderstehlich diejenigen auch sein würden, die danach handelten.

Weil wenig Frauen groß genug sind, sagte Therese mit schöner Erhebung, jene wahre Liebe zu fassen, mit der die Frauen des alten Testamentes sprachen: „Herr! ich bin Deine Magd.“ – Wie viel Frauen kennen denn das Glück, in einer großen Liebe aufzugehen, sich ihr ganz ausschließlich hinzugeben und nichts zu wollen, als nur sie?

Therese! rief Alfred im Tone reinster Freude, theure Therese, jetzt endlich finde ich Sie wieder; das ist das warme, das schöne Herz, das ich früher kannte, in das ich blicken durfte, als wir Beide noch gar so wenig vom Leben wußten. Auch ich, Therese, glaube noch an die großen Ideale unserer Jugend, aber haben Sie, außer der Ihren, viele Seelen gefunden, die dieser unselbstischen Liebe fähig gewesen sind?

Nein, nur wenige! antwortete Therese, doch das war nicht Schuld der weiblichen Natur, denn dieser wohnt der Trieb inne, aufzugehen in der Liebe zu dem Manne ihrer Wahl. Es ist die Schuld der weiblichen Erziehung und unserer mißgestalteten Verhältnisse. Nicht die Liebe ist es, was die Meisten verlangen, es ist die einträgliche Stelle einer Hausfrau, das gesicherte Dasein einer solchen. Sie heirathen, um den Tand zu besitzen, den Flitter, an dem ihr Herz hängt, der sie beglückt; sie wollen glücklich sein, nicht glücklich machen. Jene Liebe, welche die Harcourt uns zeigte, die einzig wahre, die will nichts für sich, als lieben und leben dürfen für den Geliebten!

Nicht auch dem Geliebten ganz zu eigen sein, ihn ganz ihr Eigen nennen? fragte Alfred. Glauben Sie, daß es eine wahre Liebe gibt, die nicht nach gänzlicher Vereinigung strebt? Ich halte das für ihr Kennzeichen. Schelten Sie mich engherzig, eigensüchtig – ich muß es ertragen. Ich hasse alle Entsagungstheorien. Ich will besitzen, was ich liebe, es soll mein sein und müßte ich es der Welt abtrotzen. Ja! ich hasse sie tief, all die blasse verzichtende Entsagung, denn wir sind sicher zum Glück, nicht zum Entbehren auf der Welt.

Der Muth zum Kampfe und die Lust daran mögen in der Natur des Mannes liegen, ich besitze sie Beide nicht, entgegnete Therese. Der bloße Gedanke an große Zerwürfnisse ängstigt mich, ich habe Furcht vor dem Urtheile der Menge; ich wäre untröstlich, müßte ich je einen Schritt thun, der die Augen fremder Leute auf mich zöge; und ich begreife nicht, wie eine Frau es überwindet, mit der Oeffentlichkeit in Berührung zu treten.

Und doch haben Sie eben die Harcourt bewundert! Glauben Sie nicht, daß diese einen Beruf erfüllt? Sagten Sie nicht eben, daß Sie sie einer großen, wahren Liebe fähig hielten, einer Liebe, die jeder weiblichen Natur den höchsten Adelsbrief ertheilt?

Da Therese schwieg, nahm Alfred nach einer Weile das Wort und sagte: Warum verbergen Sie Ihr besseres Gefühl, warum wollen Sie, die eben in so großer Seelenschönheit vor mir standen, klein sein und von Vorurtheilen befangen? Ich weiß, was Sie gegen die Harcourt einnimmt – aber gewiß, Therese, Sie haben Unrecht.

Das kann wohl sein, antwortete sie ihm, aber ich liebe die Frauen nicht, welche den Muth haben, sich über Vorurtheile wegzusetzen; denn dieser Muth ist in meinen Augen eine Feigheit.

Das ist hart! sagte Alfred.

Theresen’s Arm zitterte in dem seinen und mit bebender Stimme sagte sie: Begreifen kann ich es, daß eine Frau aus Liebe so feig wird, nicht entsagen zu können, sich selbst untreu zu werden – vergeben kann ich es nie.

So beten Sie, daß nie die Stunde der Versuchung für Sie komme! rief Alfred ernst, als sie Theresen’s Wohnung erreicht hatten und er sich empfahl, während Theophil und Eva mit ihr in das Haus gingen, um den Abend bei ihr zuzubringen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.