III. Noch klang die Erinnerung an die letzten Streitigkeiten in Alfred’s mißmuthiger Stimmung fort, als schon ein neues Unwetter an seinem Ehehimmel heraufzog...

III. Noch klang die Erinnerung an die letzten Streitigkeiten in Alfred’s mißmuthiger Stimmung fort, als schon ein neues Unwetter an seinem Ehehimmel heraufzog. Er hatte eine bestimmte Menge von Lebensmitteln festgesetzt, welche allwöchentlich an diejenigen Gutsinsassen vertheilt werden sollten, die durch Alter oder Krankheit zur Arbeit unfähig geworden waren. Jahre lang hatte diese Maßregel ruhig fortbestanden, jetzt aber trat plötzlich der Verwalter mit der Frage an ihn heran, wie er es künftig mit der Austheilung dieser Unterstützung zu halten habe, da er mit dem dazu bewilligten Quantum nicht mehr auszureichen vermöge.

Woran liegt das, fragte Alfred, grade jetzt, wo der Gesundheitszustand bei dem schönen Wetter vortrefflich und alle Welt bei der Ernte beschäftigt ist? In dieser Zeit pflegte doch sonst die Nothwendigkeit der Unterstützung sehr gering zu sein und die Sommermonate mußten den Winter übertragen helfen.


Gnädiger Herr! wendete der Verwalter ein, sonst hatten wir die wöchentlichen Sendungen in’s Kloster Maria Gnad nicht zu machen.

Nach Maria Gnad? In’s Kloster? Was soll das heißen?

Ich meine die Sendung, die ich seit einigen Wochen dort hin schaffen muß.

Alfred sah den Verwalter überrascht an, faßte sich aber schnell, den Zusammenhang errathend, und sagte: Ja so! – nun, ich will das überlegen. Ich werde Ihnen morgen den Bescheid geben, wenn Sie in der Frühe zu mir kommen.

Mit dieser Weisung empfahl sich der Verwalter und Alfred eilte zu seiner Frau. Hast Du den Befehl gegeben, fragte er, regelmäßige Lieferungen von Lebensmitteln nach Maria Gnad zu machen?

Ich sehe nicht ein, entgegnete Caroline, die gerade Antwort umgehend, weshalb Du allein Dir das Recht aneignest, Wohlthaten zu spenden; weshalb ich nicht Theil an den guten Werken haben soll, auf meine Weise?

Daß Du nicht Theil daran nahmst auf vernünftige Weise, hat mich oft genug verdrossen! entgegnete er ihr. Wie häufig habe ich Dir gesagt, Du könntest wahre Wohlthaten thun auf unsern Gütern, wenn Du Deinen Einfluß auf die Frauen der Leute verständig geltend machen wolltest. Du könntest mir die Hälfte der Arbeit abnehmen, die mir die Gewöhnung der Einwohner zu verständigem Gebrauch ihrer Mittel verursacht! Ich wollte Dich so gern als die Schöpferin des Guten verehren lassen, das hier allmälig geschieht. Immer bist Du mir dann aber mit kleinlicher Sparsamkeit, mit pietistischen Bedenken entgegengetreten; und nun befiehlst Du, ohne mich zu fragen, plötzlich Sendungen in das Kloster zu machen, die meinen arbeitsamen Leuten entzogen werden, um drüben die faulen Mönche fett zu füttern!

Um von den frommen Herren an fromme, gottgefällige Christen vertheilt zu werden, die sich durch christlichen Wandel des Beistandes würdig machen, fiel ihm Caroline fest ins Wort. So lange Du Deine Leute in dem unkirchlichen Leben bestärkst, so lange Du sie ermunterst, an den heiligen Tagen zu arbeiten und die Messe zu versäumen, so lange kann Deine Wohlthätigkeit nicht die meine sein; und sie wird auch keinen Segen bringen weil ihr der Segen des Himmels fehlt.

Immer das alte Einerlei! rief Alfred verdrießlich. Daß ich doch endlich die Mittel begreifen lernte, durch die alle Lehren der Pfaffen Eingang bei Dir finden, während Du bei meinen Vorstellungen, meinen dringendsten Bitten taub bleibst!

Warum bleibst Du taub bei meiner flehentlichen Bitte, Felix, wenigstens im Christenthum, von dem würdigen jungen Manne unterrichten zu lassen, den Kaplan Ruhberg uns vorschlägt?

Weil ich nicht will, daß man den gesunden Verstand des Knaben mit unklaren Begriffen verdunkle; weil er ein verständiger Mensch werden soll und kein Heuchler, wie Ruhberg und sein Gehilfe es sind. Ehe ich diesen jungen Mann in meinem Hause dulde, lieber –

Lieber? – fragte Caroline spöttisch.

Zwinge mich nicht, das Härteste zu sagen! rief Alfred, als der Diener erschien und den Besuch einer adligen Dame von dem Nachbargute meldete.

Sehr willkommen! sagte Caroline und ging freundlich, als ob nichts Unangenehmes sie berührt hätte, der Gemeldeten entgegen, die gleich darauf eintrat. Alfred hatte das Zimmer verlassen, er fühlte sich nicht gestimmt zu gleichgültig heiterem Gespräch.

Mit dem Gaste zugleich kam aber auch Felix herein. Sein glühendes Gesicht strahlte vor Freude und er wollte eilig durch das Zimmer laufen, als die Mutter, nachdem sie die Baronin begrüßt, ihn bei der Hand nahm und, ihn betrachtend, ausrief: Aber um Gottes willen, Felix! wie siehst Du aus? Wo hast Du Schuhe und Strümpfe gelassen? Wie hast Du Deine Blouse zugerichtet!

Ich habe Ihren Sohn eine tüchtige Strecke vom Schlosse gefunden, bemerkte die Baronin, während sie dem verlegen schweigenden Knaben die Wange streichelte, und ich habe ihn in meinem Wagen hierher gebracht, da er es doch wohl nicht gewohnt ist, ohne Schuhe und Strümpfe einher zu gehen.

Der ganze Unmuth Carolinen’s, den der Streit mit ihrem Manne in ihr zurückgelassen hatte, wendete sich nun gegen den Knaben. Was ist das wieder für ein gottloser Streich! rief sie heftig. Du machst mir nichts als Verdruß und Schande, Du folgst nie! Sehen Sie, Beste, wie er aussieht! Es ist der ungerathenste Knabe von der Welt!

Mutter! sagte Felix leise, der arme Junge sah so elend aus, er hat das Fieber und einen lahmen schlimmen Fuß. Ich dachte, der Vater würde nicht böse sein, es war wirklich nicht weit von hier, und er hatte bis nach Heindorf mit dem schlimmen Fuß.

Und ich sage Dir, Du sollst Deine Sachen nicht jedem Bettelbuben schenken und nicht barfuß umherlaufen wie ein Bauernjunge! Mache, daß Du hinauskommst, und lasse Dich ankleiden, Du ungerathenes Kind! – Damit schob sie den Knaben nach der Thüre, mit so unvorsichtiger Heftigkeit, daß er auf dem glatten Fußboden stolperte und gefallen wäre, hätte nicht Alfred ihn in seinen Armen aufgefangen, der hinzueilte, als er die keifende Stimme der Mutter in dem Nebenzimmer hörte.

Er hieß die Baronin in gewohnter edler Form willkommen, aber Caroline unterbrach ihn: Da siehst Du nun selbst einmal die Folgen Deiner genialen Erziehung an dem Knaben! sagte sie. Fast eine Stunde vom Schlosse hat ihn die gute Baronin gefunden und ihn in dem saubern Aufzuge hierhergebracht. Hieltest Du ihm den Lehrer, den ich Dir heute wieder vorschlug, dann kämen solche Dinge auch nicht vor.

Der zurecht gewiesene Vater versuchte die Sache lächelnd und leicht aufzunehmen. Ich finde in der That nicht, daß der Knabe ein so großes Unrecht gethan hat, sagte er. In der Umgegend umherzulaufen, haben wir ihm stets erlaubt, da er für seine Jahre selbstständig und vernünftig ist; und daß er einmal seine Schuhe aus Mitleid fortgab und eine halbe Stunde barfuß einherging, das wird ihm gar nichts schaden. Mag er sehen, wie es dem Armen thut.

Ich meine auch, versetzte begütigend die Baronin, der dieser Auftritt natürlich sehr unangenehm sein mußte, Sie nehmen die Sache viel zu streng, liebste Freundin! Ihr Felix darf mehr noch als andere Knaben eine gewisse Ungebundenheit zeigen und seinen augenblicklichen Eingebungen folgen. Er ist ja der Sohn eines Dichters und seine Augen sehen aus, als ob viel von dem väterlichen Genius auf ihn übergegangen wäre.

Aber die versöhnenden Worte der Baronin brachten eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervor. Caroline nahm es übel, daß sie ihr nicht beistimmte, daß, wie gewöhnlich, die Meinung der Fremden sich für ihren Mann entschied.

Wenn ich nur nicht dies ewige „ein Dichter!“ hören müßte! rief sie in einem Tone, der nun ihrer Seits auch scherzhaft klingen sollte, während er die äußerste Gereiztheit verrieth. Wenn die Leute nur wüßten, wie unbequem solche poetische Naturen im täglichen Leben sein können, wie die prosaische Umgebung von der Poesie, von ihrer Freigeisterei, und von ihren Ueberspanntheiten bisweilen leiden muß.

Du schmeichelst mir eben nicht, Caroline! unterbrach sie Alfred, und die Baronin bemerkte, man höre wohl, daß Frau von Reichenbach nur scherze; aber sie beachtete die Weisung nicht.

O, ich schmeichle und heuchle nie! rief sie, und es ist, wie ich es sage, glauben Sie mir das! Die Menschen werden durch die Poesien eines Dichters entzückt; aber während er dichtet, fällt alle Sorge für Haus und Hof, alle Noth mit der Erziehung, alle häusliche Plage auf die Frau, denn für solche Kleinigkeiten hat ein Dichter nicht Sinn und nicht die Zeit. Kommt er dann endlich aus dem Studirzimmer heraus, so soll die poetische Welt auch im Leben ausgeführt werden; Alles, was nicht damit in Uebereinstimmung ist, heißt ungroßmüthig, kalt und kleinlich. Gewiß, Sie kennen das nicht.

Caroline war so heftig erregt, daß ihre Stimme zitterte, die Baronin, welche es nicht wissen konnte, daß vor ihrer Ankunft ein lebhafter Streit stattgefunden hatte, war in der peinlichsten Verlegenheit. Alfred’s Farbe wechselte während dieser Scene mehrmals schnell, doch versuchte er seinen Zorn niederzukämpfen und der Sache eine schicklichere Wendung zu geben. Mit erzwungenem Lächeln sagte er: Da sehen Sie, gnädige Frau! wie unsere kleine poetische Glorie bei näherer Betrachtung ein Feuer ist, das alles häusliche Glück verzehrt! Indeß ist es wohl nicht so arg. Es wäre ja zu traurig, wenn Das, was unser Glück ist, zur Plage unserer Lieben würde. Meine Frau fällt mir ins Fach, sie dichtet heute ein wenig und übertreibt dabei wohl etwas.

Die Baronin ging auf diese Wendung ein, aber die quälende Spannung der Einzelnen lähmte jede Unterhaltung. Alfred war verstimmt, Caroline blieb gereizt und bitter, und die Baronin entfernte sich, sobald es in guter Weise möglich war.

Alfred eilte auf sein Zimmer, nachdem er sie zu ihrem Wagen geleitet, und ging in stürmischer Bewegung umher, wie es seine Art war, wenn ein Ereigniß ihn schmerzlich beschäftigte. Mehrmals blieb er stehen, den Kopf gegen die Fensterscheiben gestützt, und sah sinnend in die Gegend hinaus. Dann setzte er die frühere Bewegung wieder fort, ging an die Thüre, um die Glocke zu ziehen, aber plötzlich zögernd ließ er die Schnur aus der Hand entgleiten, trat zurück und warf sich in den Sessel, der vor seinem Schreibtische stand.

Hier saß er, in Gedanken verloren, lange Zeit, bis er sich plötzlich aufraffte, die Klingel zog, dem Diener befahl, die gnädige Frau zu ihm zu bitten, und dann, sie erwartend, auf’s Neue in tiefes Nachdenken versank.

Carolinen’s Erscheinen machte ihn erbleichen. Du hast mich rufen lassen, was willst Du von mir? fragte sie mit Eiseskälte.

Habe die Güte, Dich zu mir zu setzen, bat er sie.

Die äußere Ruhe ihres Mannes bei sichtlicher innerer Erregtheit erschreckte sie, und theils, um sich Muth zu machen, theils auch ihr früheres Betragen bereuend, rief sie: Um Gottes willen, lieber Alfred, nur keine Ermahnung, sage einfach, was Du willst, und mach’ es kurz!

Dabei legte sie ihren Arm um seinen Nacken und neigte sich zu ihm, als ob sie ihn küssen wollte, aber er wehrte es ihr leise und sagte sehr ernsthaft: Die Zeiten sind vorüber, in denen eine Liebkosung mich mit Deinen Fehlern versöhnte. Ich bin es herzlich müde, mich und den Knaben von Dir tyrannisiren zu lassen, ich bin es müde, jeden Freudenbecher, den das Leben mir bietet, durch Dich in Wermuth verwandeln zu sehen. Wir werden uns trennen!

Sie sah ihn in sprachloser Erstaunung an. Sein Ernst ließ sie das Schlimmste fürchten, aber sie wünschte von Herzen, sich zu täuschen, und sagte mit erzwungenem Lächeln: Soll das ein Kapitel aus Deinem neuen Roman sein? Es klingt sehr traurig.

Scherze nicht! entgegnete er ihr, es ist das entscheidende Kapitel unseres Ehestandes.

Aber was ist denn geschehen? rief sie, was bringt Dich gerade heute mit einem Mal so plötzlich auf?

Die Ungerechtigkeit und die Härte, welche Du heute wieder gegen den Knaben und gegen mich begangen hast. Sage selbst, was hatte ich Dir gethan? Warum hast Du das Kind, und obenein im Beisein einer Fremden, so hart gescholten?

Weil er wieder wie ein Bauernjunge mit zerrissenen Kleidern nach Hause kam, weil er gar nicht mehr zu bändigen ist, gegenredete die Mutter, den ersten Theil der Frage geschickt umgehend. Aber das sind die Folgen Deiner ewigen Lehren von der allgemeinen Gleichheit der Menschen, von der wahren Barmherzigkeit. Nun siehst Du selbst, wohin das führt. So mitten unter allem Gesindel läßt kein Edelmann seine Kinder aufwachsen, so verkennt Niemand als Du, was er seiner Stellung schuldig ist.

Und das sagst Du mir?

O! Du brauchst mich nicht zu erinnern, daß ich Dir eine glänzendere Stellung verdanke, als ich sie zu Hause gehabt; ich weiß wohl, daß es Dich oft genug gereut hat, die arme Registratorstochter geheirathet zu haben. Obgleich mein Vater so gut ein Edelmann war, als Du, hast Du Dich meiner doch von je geschämt.

Caroline! das sagst Du mir? fragte Alfred noch mals. Dann nahm er sie bei der Hand, führte sie zu dem Sopha, setzte sich neben sie und sagte mit befehlendem Ernst: Jetzt unterbrich mich einmal nicht! – Ja! Du hast wahr gesprochen, wahrer als Du weißt. Ja! ich schäme mich Deiner, ich habe mich Deiner oft geschämt, aber nicht um Deines armen, wackern Vaters willen, den ich hochgeschätzt, wie alles Tüchtige, das weißt Du wohl. Ich habe mich Deiner geschämt, wenn Du in ungezügelter Heftigkeit den Unfrieden unserer traurigen Ehe fremden Blicken preisgegeben hast, wie heute; wenn Du in blinder Eifersucht Dich und mich dem Spotte unserer Bekannten aussetztest.

Weiß es nicht längst alle Welt, daß Du und ich nie gleicher Ansicht sind? Wo steckt das große Verbrechen, daß ich dies heute halb im Scherze der Baronin sagte, und Felix einen Verweis gab, den er reichlich verdient hat! unterbrach sie ihn trotz seiner Warnung. Das thut jede Mutter; das thäten all die geistreichen Damen auch, die mir mit ihrer Anbetung für Dich, als wir in der Residenz waren, Dein Herz entfremdeten. Das hätte auch Deine Freundin, das hätte jene Baronin auch gethan, die Dir vor unserer Verheirathung wie ein Ideal erschien, im Gegensatz zu mir, und deren Bruder Dich zu allen Deinen poetischen Thorheiten verleitete.

Alfred fuhr auf und seine Hand ballte sich krampfhaft zusammen, doch sagte er ruhig: Therese Brand, die Du vermuthlich meinst, war eben so wenig Baronin als Du, aber eine sehr edele Natur, die mit lebhaftem Gefühl die Dichtungen begriff, welche ich Dir aus vollem Herzen weihte, und die Du nicht empfandest. Daß ihr Bruder Julian mich zum Drucke jener Gedichte überredete, war keine Thorheit; aber von dem Allen ist jetzt die Rede nicht.

Und hat er Dich nicht mit Gewalt bereden wollen, mit mir zu brechen? Habe ich nicht selbst den Brief gelesen, als Du einmal Deine Brieftasche bei uns hast liegen lassen? Er meinte, wir paßten nicht für einander, Du seist zu jung zum Heirathen, Du solltest mich aufgeben, mir eine reiche Mitgift aussetzen, damit ich bald einen andern Mann fände. Daran hätte es mir auch ohne eine Mitgift nicht gefehlt, und vielleicht wäre es besser für mich gewesen.

Alfred entgegnete ihr keine Sylbe; es entstand eine lange Stille, denn Caroline fand nicht den Muth, das Schweigen zu brechen, das drückend auf ihr lastete. Endlich that es Alfred.

Nach dieser Aeußerung, Caroline! sagte er sehr ruhig und bestimmt, obschon in seinem Antlitz seine innere Erregung klar zu lesen war, nach dieser Aeußerung und nach den Vorgängen der letzten Tage und Stunden, hoffe ich bei Dir auf keine Einwendungen zu stoßen, wenn ich Dir mittheile, was ich für uns beschlossen habe. Ich gehe noch heute nach der Stadt, werde dort bleiben und Felix, dessen Erziehung dies ohnehin erheischt, nachkommen lassen. Du magst über Deine Zukunft bestimmen, Dich einrichten, wie es Dir wünschenswerth scheint, nur nach Berlin komme für das Erste nicht. Darum bitte ich Dich, es würde uns die nothwendige Trennung nur erschweren.

Alfred! schrie Caroline im Tone des wahrsten Schmerzes auf, ist es denn möglich, Du willst mich verlassen? Habe ich Dir je Anlaß gegeben, an meiner Liebe zu zweifeln? Bin ich Dir nicht stets ein treues Weib gewesen?

Erniedrige Dich nicht durch solch ein Lob! versetzte er. Was frommte Treue, was galt Liebe, wo jeder Tag, jede Stunde mir Leid gebracht hat? Wir sind unglücklich gewesen durch einander, so wollen wir uns trennen, um fern von einander wenn nicht Glück, doch Ruhe und Frieden zu finden; um Felix dem üblen Einflusse zu entziehen, den unser Unglück auf ihn ausüben muß, je mehr er es begreifen lernt.

Alfred! flehte sie weinend und warf sich an seine Brust, Alfred! ich bin die Mutter Deines Kindes! Um unseres Felix willen vergib, vergib nur noch dies eine Mal, und bleibe!

Er aber machte sich sanft von ihr los und antwortete mit Thränen in den Augen: Ist es das erste Mal, daß solche Auftritte zwischen uns vorfallen? Ich weiß, Du bist an mich gewöhnt, Du liebst den Knaben, Du bist nicht böse, aber wie oft hast Du mir schon gelobt, Dich zu ändern? Wie oft hast Du mir versprochen, Deine Heftigkeit zu überwinden, Dich von dem Einfluß des Kaplan Ruhberg loszusagen, meinen Ansichten, meinen Wünschen Gehör zu geben, wie ich es stets mit den Deinen that? Ist es anders geworden trotz aller Deiner Versprechungen?

Sie schwieg, getroffen von der Wahrheit in den Worten ihres Mannes, und dieser fuhr fort: Glaubst Du, daß mir nicht das Herz blutet, jetzt, da ich von Dir scheide? Mit wie viel gutem Willen, mit wie redlichen Vorsätzen führte ich Dich in mein Haus! – Vielleicht war es unrecht, daß ich es that, obgleich ich fühlte, daß Manches störend zwischen uns lag. Ich habe vielleicht zu viel von Dir verlangt; verlangt, was Du nicht leisten konntest, und Du wärst glücklicher mit jedem andern Manne geworden, wie Du vorhin sagtest – das könnte sein und das wäre hart!

Eine neue Pause entstand. Caroline weinte laut, Alfred ging wieder im Zimmer umher, endlich blieb er vor seiner Frau stehen und sagte mit gepreßter Stimme: Der Verwalter hat meine Befehle für die nächste Zeit. Felix werde ich nicht sehen in diesem schweren Moment, sei nicht zu streng gegen ihn. Dann schritt er der Thüre zu, kehrte zurück, bot seiner Frau die Hand und sprach: Vergib mir, wenn Du so viel gelitten hast als ich, und versuche es, glücklicher zu werden.

Damit verließ er das Zimmer, sein harrender Kammerdiener warf ihm den Mantel über, er stieg in den Wagen, seine raschen Pferde brachten ihn zu der nächsten Station, von dort wollte er mit Postpferden nach der Residenz fahren.

Caroline blieb betäubt zurück; dann holte sie ihren Sohn, den sie mit Zärtlichkeit überhäufte. Auf seine Fragen, ob der Vater ausgefahren, ob er bald wiederkomme, antwortete sie bejahend, denn sie glaubte zuversichtlich an die Rückkehr ihres Mannes. Sie kannte sein weiches Herz, und sie hatte nicht so schwer durch ihre unglückliche Ehe gelitten, als er.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.