II. Alfred war der Sohn adliger und edler Eltern. Den Vater hatte er wenig gekannt, die Mutter, welche ihn mit vollster Hingebung erzogen, war gestorben, ...

II. Alfred war der Sohn adliger und edler Eltern. Den Vater hatte er wenig gekannt, die Mutter, welche ihn mit vollster Hingebung erzogen, war gestorben, als er kaum das Jünglingsalter erreicht hatte und Offizier geworden war. Von dieser trefflichen Frau an ein geistiges Zusammenleben mit ihr gewöhnt, fand er nach ihrem Tode sich einsam und verlassen. Die lauten, wüsten Kreise seiner Kameraden zogen ihn nicht an und, in ein kleines Garnisonstädtchen versetzt, führte er ein zurückgezogenes freudloses Dasein, bis ihm in der Liebe neue Hoffnung erblühte.

Er hatte eine Wohnung in dem Hause eines adligen Subalternbeamten gemiethet, dessen einzige Tochter, Caroline, für das schönste Mädchen der Stadt galt, das von den Launen einer jungen Stiefmutter viel zu dulden hatte. Alfred bedauerte sie, wollte sie trösten, sie durch seine Theilnahme für ihre Leiden entschädigen. Während dieser Bestrebungen verwandelten sich allmälig sein Mitgefühl und des Mädchens Dankbarkeit in Liebe, die sie sich mit der Befangenheit der ersten Jugend gestanden.


Beide waren neunzehnjährig und schön. Alfred’s Seele schmachtete liebedurstig nach einem Ideale, und freigebig schmückte er in seinem Geiste das junge Mädchen mit allen Vorzügen, die er in ihm ersehnte, die es nicht besaß. Kleine Mißhelligkeiten, die oftmals vorfielen, wurden durch die Küsse und Schwüre der Versöhnungsstunden ausgeglichen; es war ein Verhältniß, wie viele andere, das sich gleichblieb, bis Alfred die Garnison verließ, um die Kriegsschule in Berlin zu beziehen. Eine Trennung, ohne sichere Aussichten für künftiges Wiedersehen, schien den Liebenden unmöglich. Man entdeckte sich den Eltern und, da dem Vater der stattliche Schwiegersohn, der Stiefmutter die Verheirathung der Tochter willkommen war, erlangte das junge Paar die Einwilligung der Eltern mit dem Versprechen, der begüterte Vater wolle die Verheirathung Carolinen’s möglich machen, sobald der Lieutenant seine Studien beendet haben würde.

In Berlin fand Alfred einen greisen Großonkel, der sich väterlich des strebsamen Jünglings annahm. Er war Domherr, hatte an verschiedenen größeren Höfen gelebt und zeichnete sich ebenso sehr durch Geist und feine Sitten, als durch ein starres Festhalten an den Grundsätzen der katholischen Kirche aus. Von ihm ward Alfred in die gebildeten, kunstsinnigen Kreise der Hauptstadt eingeführt; unter seiner Leitung suchte er auf jede Weise seinen Geist zu bilden, und der Neigung für Künste und Wissenschaft zu genügen, die er in seinen früheren Verhältnissen nicht befriedigen können.

Nachdem dies beglückende Verhältniß ein paar Jahre gedauert hatte, starb der Greis plötzlich und Alfred sah sich, unerwartet zu dessen alleinigem Erben ernannt, in dem Besitze eines bedeutenden Vermögens. Freudig ward die Nachricht der Braut verkündet und die Hoffnung baldiger Hochzeit daran geknüpft; aber in der Freude seines Herzens hatte der junge Mann eine Bedingung des Testaments nicht beachtet, welche jene Aussicht noch in weite Ferne hinausschob.

Das Testament verlangte, daß Alfred sich nicht vor vollendetem vierundzwanzigsten Jahre verheirathen, bis dahin in Berlin bleiben oder reisen, und seine Braut nicht wiedersehen dürfe, bis er nach erlangter Großjährigkeit die Erbschaft angetreten haben würde, welche bis dahin für ihn von den Domherren des geistlichen Stiftes verwaltet werden sollte.

Nur mit Widerstreben fügte sich das Brautpaar in das Unabänderliche. Carolinen’s Klagen über ihre traurigen Verhältnisse zur Stiefmutter suchte Alfred mit Schilderungen der glücklichern Zukunft zu beschwichtigen; während er jetzt schon mit zärtlicher Großmuth bemüht war, ihr Loos erträglich zu machen und dem sinkenden Wohlstande ihrer Eltern wieder empor zu helfen. Die reichsten Geschenke, die ausführlichsten Briefe, die feurigsten Liebeslieder wurden ihr gesendet; aber Nichts vermochte sie zu erheitern, Nichts sie von dem Verdachte zu befreien, Alfred vergesse ihrer, und sein Wille müsse die Hindernisse überwinden können, die sich ihrer Verbindung im Augenblicke entgegenstellten. Das sprach sie mit Bitterkeit in jedem ihrer Briefe aus und verminderte dadurch die Sehnsucht, mit welcher er ihnen sonst entgegengeharrt hatte.

Bald darauf trat er seine Reisen an. Er sah Länder und Völker und lernte den Menschen verstehen, von dem Palaste des Herrschers bis hinab in die Hütte des Armen. Die Natur hatte ihm eine poetische Auffassungsgabe und eine schöne gestaltende Kraft verliehen. Es trieb ihn also, was er gefühlt und gedacht, für sich und Andere in bleibender Form fest zu halten und auf Zureden eines Freundes gab er einen Band von Liedern und Gedichten heraus, die er in begeisterten Stunden geschrieben hatte.

Als er nach Verlauf einiger Jahre in die Heimath zurückkehrte, begrüßte ihn das Mitgefühl des deutschen Vaterlandes, das die Versuche des jungen Dichters wohlwollend willkommen hieß; aber er entriß sich schnell dem verlockenden Treiben der großen Welt, um zu seiner Verlobten zu eilen.

Wer jedoch beschreibt seine Empfindungen, als er die Ersehnte wiedersah? In den beständigen Reibungen mit der Stiefmutter, in den kleinlichen Verhältnissen eines Landstädtchens war der mädchenhafte, jugendliche Reiz, der auch die weniger begabten Frauen liebenswürdig macht, gänzlich entschwunden, und Alfred fühlte sein Herz erstarren in dem Begegnen mit der Braut.

Der Gedanke, mit ihr zu brechen, regte sich in ihm, aber er unterdrückte ihn schnell; denn er hatte ihr sein Wort verpfändet, sie hatte ihre Jugend im Vertrauen darauf durchlebt und ihr Vater war verarmt. Daneben wachte auch die Erinnerung an die erste Zeit ihrer Liebe mächtig in ihm auf. Er wähnte, Caroline bilden, sie zu sich erheben zu können. In dieser Erwartung ward ihre Ehe geschlossen, und noch am Hochzeitstage führte er die junge Gattin in sein Schloß, das mit gebildetem Schönheitssinn für ein poetisches Zusammenleben eingerichtet worden war.

Aber seine Hoffnungen täuschten ihn. Carolinen’s Herz war nicht böse, es fehlte ihr nicht an Verstand, sie liebte ihren Mann auf ihre Weise, aber sie war kalt und herb, und Alfred entdeckte bald eine Kluft zwischen sich und ihr, die sie weit von einander trennte. Die Weise, in der er, bei großer praktischer Tüchtigkeit, Welt und Leben geistig erfaßte, seine Bestrebungen für Menschenwohl im Großen, sein ganzes Wollen und Wirken lagen außer den engen Grenzen, in denen der Geist seiner Frau sich bewegte. Seine ganze Richtung erschien ihr phantastisch, sie fühlte, daß sie ihm nicht folgen, ihm nicht genügen könne, daß er mehr verlange, als sie ihm sei. Das machte sie eifersüchtig, launenhaft und reizbar, und selbst die Geburt eines Sohnes brachte keine vollständige Annäherung zuwege, obgleich beide Eltern mit gleicher Liebe an dem Kinde hingen.

Häusliches Unbehagen führte die Gatten vom Lande nach der Stadt, wo sie eine Weile zu leben versuchten; Carolinen’s Eifersucht trieb sie wieder auf das Land zurück. In immer neuen Verstimmungen flossen die Jahre dahin, und die Mißhelligkeiten steigerten sich, seit die Erziehung des zehnjährigen Sohnes die religiösen Ansichten der Eltern einander gegenüberstellte. Alfred und seine Frau waren beide katholisch; während aber Jener einem reinen Deismus huldigte, hing Caroline streng an dem äußern Kultus der römischen Kirche und suchte, unter Anleitung ihres Beichtvaters, eines Kaplan Ruhberg, vom Domstifte zu Maria-Gnad, das in der Nähe des Schlosses lag, auch Felix zu dem äußern Gottesdienste anzuhalten, was ganz gegen die Ansicht ihres Mannes verstieß.

Caroline, an beständigen Streit mit der Stiefmutter gewöhnt, war gegen das Verletzende der oft wiederkehrenden Zerwürfnisse zwischen sich und ihrem Manne nicht allzu empfindlich, während sein feineres Gemüth beständig darunter litt und bei jedem neuen Anlasse schmerzlicher blutete, so daß das Leben an der Seite seiner Frau ihm bald zu einer drückenden Bürde wurde, gegen die er nur in rastloser Thätigkeit Trost und Zerstreuung fand. Schulen und Fabriken wurden auf seinen Gütern gegründet, Noth und Elend schwanden von seinen Besitzungen, er sah sich nach wenig Jahren von frohen, dankbaren Menschen umgeben und sein großer, ererbter Reichthum nahm mächtig zu. Er wußte, daß er seine Pflicht that, und er that sie gern.

Aber je mehr er es fühlte, wie er in dem Gelingen dieser Bestrebungen, in seinen dichterischen Erfolgen und vor Allem in dem fröhlichen Heranwachsen seines Sohnes, alle Mittel zu dem vollkommensten Glück besitze, um so schmerzlicher entbehrte er in der Mutter dieses Knaben die gleichfühlende Gefährtin, die all das Gute mit ihm theilen sollte, und um so größer ward die Entfernung, die ihn geistig von ihr trennte. Was blieb ihm also übrig, als sich endlich vor dem Unerreichbaren entsagend zu bescheiden? Alles, was er erlangen konnte, war eine verhältnißmäßige Ruhe, und diese strebte er also an. Er gab den Launen Carolinen’s so weit als möglich nach, ließ sie in ihrer Neigung für Luxus gewähren, er aber lebte seinen Pflichten, seinen Arbeiten und seinem Sohne.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Erster Teil.