Abschnitt 2

Freilich ist es den Leuten stets interessanter, die Verwüstungen eines Schlachtfeldes, Unglück und Elend zu lesen, an dessen Mitempfindung sie nicht vorüber können, weil es thurmhoch im Wege liegt, oder schreit. O, seht mitunter auch die kleinen Blumen an, unter deren Kelchblatte der schlimme Wurm nagt. Was war denn das für ein Wurm, den wir da gesehen? Die Dreistigkeit verwöhnter Kräfte, durch steten Erfolg, durch freche Erziehung verwöhnter Kräfte, oder die Waffen- und Schutzlosigkeit des Weibes?

Ich bat meinen Begleiter, nicht zu anatomiren, und mir den Weg nach dem Meere zu zeigen. Dem fernen Donnern nachgehend kam ich in einen Föhrenwald, welcher drei Schritt hinter Swinemünde beginnt, und bis an die Dünen geht. Man nennt ihn Plantage – der Name zerstreute mein Interesse, und führte mich in die Jugendzeit zurück, nach Glogau aufs Gymnasium, und auf die dürren Spaziergänge um die Festung, wo wir uns von der Wenck'schen Grammatik erholten. Da war eine grüne Gartenanlage, viel schattiger denn Alles ringsum, mitten drinnen stand ein Kaffeehaus von Baumrinde, da saßen die Honoratioren, rauchten Tabak und erholten sich ebenfalls – das Ganze hieß die Plantage. Wir kleine Brut durften uns nicht hinein wagen, und lauschten und kuckten heimlich über den niedrigen Zaun, die vornehmen Mädchen in schönen Kleidern anstaunend, seufzend und weiter springend. Die vornehmen Leute haben's doch gut, sagten wir, und besonders die Mädchen, die brauchen keine Vokabeln zu lernen, überhaupt nichts zu lernen, hübsch sind sie ja von Natur alle. –


Die vornehmen Leute waren Rendanten, Lieutenants und Capitains, Kanzlei-Inspektoren, Gymnasiallehrer – jetzt konnt' ich viel vornehmere Leute haben, und sie interessirten mich nicht – das Verhältniß ist Alles, Alles liegt nur in uns, alle Färbung, aller Reiz, draußen ist Alles und draußen ist nichts. Mit aufgelös'tem Haare fuhren schöne Mädchen an mir vorüber – was kümmerte mich's! Es war kein Glaube in mir, kein Vertrauen, gereizt zu werden. – Da glaubt man, das bischen Mädchenherz mit der Neigung hierhin, der Neigung dahin auswendig zu wissen; und die Männer! der will Politik, der Geld, der Titel, und Jeder will es matt, und wenn er ganz will, und mit dem Kopfe anrennt, so heißt er ein Narr – wozu reden mit diesen Leuten, welche vom Bade zurückkehrten!

Man sieht, es war eine ganze Gegend des Schönebergers wie ein braunes Moor mit Heidekraut in mir aufgeblüht. Dann hofft man thöricht auf Masseneindrücke, ich dachte: das Meer wird Dich zwingen.

So kam ich an die Dünen. Das sind kleine Sandhügel, drei, vier, fünf Schritt hoch, welche das Land vom Meere scheiden. Sie haben den schönsten Streusand, und sind offenbar für die Kanzleien und Sekretairs geschaffen; traurig, halmartig vereinzeltes Struppgras sprießt aus ihnen, so daß sie ganz das Ansehn eines alten, grauen Mannskopfes gewähren, der schlecht barbirt ist.

Es ist einzugestehn, daß die See viel zu thun hatte, wenn sie auf einen so Vorbereiteten, dermaßen Profanen erklecklich Eindruck machen wollte. Ich trat auf die Dünenspitze – Meer! Ostsee! Schwarzgrün, mit weißem Schaum bedeckt, kam sie daher, als wollte sie weit hinein in's Land, wenigstens bis Angermünd oder Neustadt Eheswalde, hielt aber still an dem ebenen Sandufer, noch eine ganze Strecke jenseits der Dünen. –

Von Ewigkeit, von Unendlichkeit, von Menschenkleinheit, von wüster Absolutheit sollt' ich durchdrungen sein, das gilt für die kourante Art, wie man empfindet beim Anblick des Meeres, und wer dergleichen Empfindung nicht zur Hand hat, das ist ein verwahrlos'tes Geschöpfe. Ja, ich war ein verwahrlos'tes Geschöpfe, aber ich trug die Schuld nicht allein, sondern der Schöneberger und die Ostsee selber.

Der Schöneberger nämlich ging am Strande spazieren, um erquickende Seeluft zu genießen, hatte sich aber gegen etwaige Erkältung dermaßen in Pelzmütze, Mantel und Wasserstiefel eingepackt, daß schier allein die gesunde Schnupftabaksnase der Seeluft theilhaftig werden konnte. Und die Ostsee war mir zu genirt, um einen überwältigenden Eindruck ohne Weiteres auf mich zu machen. Rechts laufen die sogenannten Molen ein langes Stück hinaus in's Meer, an deren Spitze der Leuchtthurm, links tritt die Küste mit den rothen Dächern von Häringsdorf auch ein wenig vor, aufdringlich für das Auge – was den Eindruck der Unermeßlichkeit betrifft, da ist das Meer nur Meer, wenn man eben nirgends einen Maaßstab sieht. Sobald man wegdenken, hinzudenken muß, da ist eine kombinirende Thätigkeit von uns in Anspruch genommen, und die unmittelbare Illusion ist gestört, Illusion ist eben etwas Unmittelbares.

Weiß ich doch, wie es mir mit Venedig ergangen ist: eine Wasserstadt fand ich, aber Meer, Meer, das Meer der Dichter suchte ich umsonst. Dann, als ich des Morgens auf dem Schiff erwachte, was mich nach Triest trug, und mit dem grau dämmernden Tage auf das Verdeck kletterte, und nichts erblickte als Himmel und Wasser, da fiel der Göttergedanke des Meeres wie eine neue Welt auf mein Herz, da sah ich mich Aug in Auge mit der ewigen Gottheit, ein Menschenflocken mit ohnmächtigen Gliedern und einem allmächtigen Geiste, einem Geiste, der sterben kann still und fest – das war Meer. Auch die roth aufgehende Sonne wohnte nur im Meere, und sah nichts als Meer. Alles war Meer – der Vogel, den man sieht, braucht keinen Zweig, um darauf auszuruhn, er schläft auf der Woge; dann ist es eine selbstständige, ungeheure Welt, die mit ihrer ganzen Masse uns befängt, weil wir allein nicht hinein gehören.

Wenn ich links und rechts Land sehe, wie hier auf einer Düne bei Swinemünde, wer bürgt mir denn dafür, daß da hinten der Wasserhorizont meeresweit hinausreiche? Kann nicht gleich dahinter Land sein? Muß ich denn der Landkarte aus dem geographischen Institute zu Weimar glauben? In Weimar kann man sich ja auch mal irren. Meer ist nur das Zweifellose; was ich vor mir sah, war nicht die See, sondern nur die Ostsee. Aber auch eine bloße See, eine mediatisirte, die keine Souverainität besitzt, hat ihre großen Reize: ich habe doch stundenlang an ihr gesessen und ihrem einförmigen Treiben zugesehn, und gefühlt, wie sehr man sie lieben kann. Aus dem Philisterthume, den kleinen Verhältnissen und Bewegungen, aus der trivialen Duodezwelt ist man gerettet, die uns mit Nasenstübern tödtet, dem ächten, ursprünglichen Pulsschlage der Schöpfung ist man näher – da, mit den Meereswogen kommt nichts Verbrauchtes, Destillirtes, nur Elementarisches bewegt sich, was direkt aus Gottes Schooß entsprungen ist; der Meeresstrand ist das schönste und größte Kämmerlein, wo nichts Gemeines stört. –

Unter die Badehütten, welche vor mir lagen, hatte sich aber zu abscheulicher Ironie ein kleiner hoffnungsvoller Pommerknabe geflüchtet, um den Gesundheitsgöttern sein Frühopfer zu bringen, der Bademeister, welcher so etwas wittern mochte, umkreiste die Anstalt und überraschte den offenen Pommeraner in Flagranti – es sollte mir heute auch keine Gedankentäuschung gestattet sein.

Die vor mir liegenden Hütten sind nur das, was man ein Seebad nennt: auf hölzernen Stegen findet sich ein Quantum Kammern zum Auskleiden, und offene Stege führen etwas weiter in's Meer hinein; in weiße Tempelherrnmäntel gehüllt wandeln die Entkleideten da umher, bis ihnen der Moment kommt, hineinzuspringen. Kränkere, oder die sich sonst mehr separiren wollen, finden zwei große Badekutschen, das heißt mit Leinwand überzogene, auf 4 Rädern stehende Kasten; diese sind schon so weit hineingeschoben in See, daß man von ihnen aus gleich in eine genügende Tiefe des Wassers steigen kann. Wer bei mangelndem Wellenschlage das Wasser stürmischer auf den Leib oder auf bestimmte Theile des Leibes haben will, den versehen Badediener mit genügenden Kübelstreichen, das heißt sie versetzen ihm aus ledernen Kübeln, die etwa wie Feuereimer aussehn, so geschickte Wasserstreiche, als man nur verlangen kann. In der See selbst ist Hauptsache, die heranbrausenden Wellen da aufzufangen, wo sie sich am stärksten brechen. – Das ist alle Verrichtung und Wissenschaft eines Seebades.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen