Abschnitt 3

Ein sehr schmerzhaftes Gegenbild, wie der Mensch nicht wohlthuend gebildet sein könne, bildet der Barbier von Sagard, den Gott und die Kunst bessern mögen. Eigentlich ist er kein Barbier, sondern ein weibliches Wesen, des Barbiers Frau, was mit Seife und Barbiermesser schmerzhaft handthieret. Diese Manier erinnert auch an Schweden, wo eine Amazonen-Domestikenschaft herrscht, wo die Weiber nicht nur Weiber, sondern auch Hausknechte, Postillone und Barbiere sind. Ich war der erste, welcher unter ihren Händen weinte, aber ich verbarg meine Rührung, um die Genossen keines Reiseeindrucks verlustig zu machen, das nächste Schlachtopfer, der Sachse, wollte zwar nach den ersten Annäherungen dieser Damenhand sprunghafte Beweise einer ungewöhnlichen Betheiligung dokumentiren, aber ein Wink von mir auf den bärtigen Siebenbürgner ließ ihn ausharren, er ruckte und zuckte nur einige Male wie ein Karpfen, der geschuppt wird, trug's aber für die Aussicht des nächsten Anblicks.

Man konnte nicht sagen, daß die grausame Dame schön sei, sie hatte im Gegentheil zum wahrscheinlichen Leidwesen des wirklichen Barbiers von Sagard die Zeit des Paradieses, die Zeit der »zarten Sehnsucht und des süßen Hoffens« hinter sich, und deßhalb nahm der Siebenbürgner keinen Anstand, mit ihr in ein Verhältniß zu treten, ein Verhältniß, was seiner Tugend gewiß auf viele Jahre förderlich sein wird. Ich schweige von dieser unchristlichen Scene, von den Schlangenwindungen und dem Gestöhn, unter welchen er für die Erbsünde der Männer, für den Bart, zu leiden hatte. Verklärt, geläutert durch Weh ging er hervor, kein erklärendes Wort entweihte die Scene, die Dame von Sagard hat nie erfahren, was sie angerichtet.


Die erste t o d t e Merkwürdigkeit des Städtchens ist ein Gesundbrunnen, der vor dreißig Jahren gesund gemacht haben soll, jetzt aber wie ein entlarvter Wunderthäter ignorirt wird; möge die wackere Barbiersfrau sein Schicksal theilen, Sagard wird glücklicher sein.

Die zweite ist der Dubbenworth, das größte Hünengrab der Insel: ein abgestumpfter Kegel mit Dorngebüsch bewachsen, der dicht bei Sagard liegt, und neben seiner Antiquität auch eine Aussicht gewährt. Die Landleute glauben, unter diesen Gräbern lägen Riesen, und wenn beim Unwetter die Erde bebt, da schnarchten sie, oder wendeten sich um. Das ist ganz gut, was machen aber wir, die wir keine Hünengräber haben? Auch mit einer Sage wartet der Dubbenworth auf: In Jasmund hat eine große Riesin gehaus't, denn es giebt auch große und kleine Riesen, die hat über den Bodden hinüber zum Fürsten von Rügen geschickt mit dem Bemerken, sie wünsche ihn zu heurathen. Dies hat selbigem aber nicht wünschenswerth geschienen, da er zufällig gar kein Riese und ohne Verlangen nach so großen Gliedmaaßen gewesen ist. Er giebt ihr also einen Korb, und sie nimmt das natürlich sehr übel, und rüstet einen Krieg. Um schneller über den Bodden zu kommen, will sie ihn eiligst mit Sand ausfüllen. Sie trägt eigenhändig Sand in ihrer Schürze zu, und bei dieser Gelegenheit sehen wir, daß die Schürze ein sehr altes, ästimirtes und nicht blos Grisetten, sondern auch großen Damen zukommendes Kleidungsstück ist – die Schürze aber platzt in der Nähe von Sagard, und der Haufe Sand, welcher herausfällt, liegt noch heute da, und heißt jetzt, wo's an Riesen fehlt, der Dubbenworth.

All dies erlebten und erfuhren wir in dem kleinen Städtchen, und es war noch nicht zu Ende – es fuhren zwei lange, unbedeckte Korbwagen vor, die Pferde waren ziemlich ordinair aufgeschirrt, aber prächtige Thiere, deren reines Blut auch in der unscheinbaren Tracht und Umgebung leicht erkannt wurde. Solche Korbwagen hat man in Mecklenburg, und die Heimath derselben ist Holstein; es fahren in jenen Gegenden ganz noble Leute darauf; solche Pferde hat man nur in Mecklenburg; die Gesellschaft, welche aus einem Zimmer trat, was wir noch nicht gesehen hatten, mußte also nothwendig aus Mecklenburg sein. Mecklenburg, welche solide, schrotige, viereckige Gedanken steigen Einem auf bei diesem Namen! ich denke stets dabei an Kutschenpferde, große Klöße, Fleischtöpfe und wasserdichte Stiefeln; ich bin immer satt, wenn mir das Land einfällt, es muß sich derb und gesund dort leben. Und so hatte ich mir die Mecklenburg'schen Damen gedacht, wie ich deren zwei hier vor mir sah: von großem, vollem Wuchse, mit weiten blauen Augen, mit festem, weißem, luftig geröthetem Fleische, nicht fein, aber üppig, kräftig, mit tüchtiger Gutmüthigkeit in den Zügen, mit großen, weißen Zähnen und dichtem, braunblondem Haar, mit starker, aber fleischesvoller, weißer Hand. Die eine trug ein weißes Kleid, die andre ein schwarzes, und sie gefielen uns sehr. Nach Unbefangenheit der nordischen Art gingen sie leicht sammt ihren Begleitern in Anknüpfung und Gespräch ein; wir waren im Begriff nach Arkona zu fahren, sie stiegen eben auch auf den Wagen: von allen Herrlichkeiten der Welt hatten wir im Augenblicke nichts anders zu wünschen, als daß diese freundlichen, schönen Mecklenburgerinnen – klingt das nicht so gewiß handfest und zuversichtlich, und ganz gewiß kochverständig und treu und gut, das Wort Mecklenburgerin – als daß sie auch nach Arkona fahren würden. Und so lieb und zutraulich fragten sie auch: Sie fahren gewiß ebenfalls nach Stubbenkammer?

Herr Gott, nein, wir thörichten Menschen haben einen Wagen bestellt – geschwind, läßt sich das nicht ändern?

Da rasselten sie fort, die im weißen Kleide, die wirklich prächtig drein sah mit dem gutmüthig-innigen Ausdrucke sah sich so ermunterungsvoll um – meine Herrn, ändern wir den Plan – aber die Siebenbürgner waren ungerührt, der Sachse war nicht da, und hatte keinen Drang, da ihm der Eindruck entgangen war; ich mußte mitpoltern auf dem harten Wagen über die Schabe nach Arkona, das that weh!

Die Schabe ist zwar sehr merkwürdig, aber es giebt doch bessere Dinge als Merkwürdigkeiten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen