Abschnitt 2

Wieder Sturm und Fels und Anlauf! Wir mußten uns besinnen, ob wir denn auch nur eine Anhöhe zu ersteigen gehabt; nur der Siebenbürgner nahm Kosegartens Partie, weil fast in jedem Gedichte die Unsterblichkeit empfohlen werde. Der Sachse dagegen lachte wie ein Recensent darin umher und las einzelne Verse vor:

»Mit herrlichen Narben die Stirne beblümt«
»Nur Eines, Ida, altre nie,
»Es ändre und es kränkle nie
»Das süße Band, das uns umflicht,
»Das fas're und das reiße nicht.«


Dann fand er mehrere »Thränchen« und trieb arges Zeug. Man kann pietätslos damit viel Unrecht thun, und muß sich meistens begnügen, die historische Vergleichung zu gewinnen.

Der Siebenbürgner im Barte führte uns diesen Abend noch ein wunderliches Schauspiel auf: Das stille friedliche Bergen, was in der Sonntagsruhe um uns her lag, unsere sanfte, lachende Stimmung und ein schönes Rügensches Mädchen mit vollen, wohlgebildeten Formen und den artigsten Lustspielaugen, das Alles hatte wohl den Paroxysmus veranlaßt, welcher sich seiner bemächtigte. Er stand nämlich auf und ging heftig im Zimmer auf und nieder, lange Zeit unbemerkt von unserm Treiben. Sein Landsmann, dem die Erscheinung nicht mehr neu war, machte uns aufmerksam. –

Der Akteur hatte die Arme gekreuzt, trat stark und imponirend auf, machte ein sehr böses Gesicht, und ballte mitunter schnell eine Faust in die Luft. Das Mädchen räumte den Tisch ab, und sah mitunter von dem mit ihr scherzenden Sachsen nach dem Bärtigen zurück, und kicherte. –

Warum lachen Sie, warum erdreisten Sie sich zu lachen, bedenkliches Geschöpf? wandte er sich plötzlich mit einer Donnerstimme an sie. –

Wie ein Pfeil entwich die Dirne, an der Thür dem Hauswirth begegnend, welchen ein Geschäft zu uns führte. Gegen diesen richtete sich der neue Angriff. – Herr Wirth – die Stimme war gedämpft – besorgen Sie mir ein Glas Wasser und einen Stiefelknecht, oder ich renne Ihnen meinen eisernen Stock durch den Leib. –

Der Wirth prallte zur Thüre hinaus, und brachte in Kurzem zaghaft und schüchtern das Verlangte, Wasser und Stiefelknecht. –

Herr, wie konnten Sie sich erlauben, was Sie sich erlaubt haben? ich werde blutige Rechenschaft von Ihnen fordern. –

Darf ich fragen –

Schweigen Sie, thörichter Mann, ich weiß, was ich sage, und ich sage, was ich weiß, das Unglaubliche wird bei der Sittenverderbtheit möglich, aber ich werde ein schreckliches Gericht halten –

Aber ich erinnere mich durchaus nicht, und muß tausendmal um Verzeihung –

Ich mache Sie kalt, furchtsamer Mann, bewegt sich Ihre Lippe noch weiter – Sie haben vor einer halben Stunde vor der Hausthür g e p f i f f e n , g e p f i f f e n haben Sie, dreister Mann –

Ein allgemeines Gelächter veranlaßte den Wilden, gegen uns Front zu machen, er maß uns mit stolzem Blicke, und da unser Lachen nicht aufhören wollte, wendete er uns den Rücken und schritt hinaus.

Sein Landsmann schien mehr verlegen, als erschreckt zu sein, und was er uns endlich zögernd von ähnlichen Vorfällen zugestand, deutete wirklich auf einen Paroxysmus renommirender Kourage, der unter gewissen Verhältnissen bei dem bärtigen Manne einzutreten pflegte. Die hauptsächlichsten Bedingungen schienen zu sein, daß er kurz vorher in mehrerlei Situationen ein Benehmen gezeigt habe, was die nöthige Kourage allenfalls vermissen ließe, daß ein schönes Mädchen in der Nähe sei, und sich einem muntern Scherze mit andern Männern nicht abgeneigt zeige. Dazu gab er die sehr überflüssige Versicherung, sein Landmann thue auch in diesem Paroxysmus keinem Menschen einen Finger weh.

Wir hatten also eine vollständige Monomanie vor uns gehabt, wo der mangelnde Muth, Muth zu Gedanken, zur That, zur Liebe auf gefahrlose Weise eine Explosion erzeugt, ein blindgeladenes Losschießen, um irgend ein verlorenes Gleichgewicht mit sich und der Umgebung wieder herzustellen. Ich sprach mit dem Sachsen vor'm Einschlafen noch über Menzels Literaturblatt, sonst thaten wir nichts mehr.

Den andern Morgen, als wir in der Frühe aufbrachen, war unser Held ganz still und sanft, und wandelte langsam mit uns zum Thore hinaus. Niemand erinnerte ihn an seine Schlacht von gestern, wir behandelten ihn wie einen Nachtwandler.

Wir schritten durch sanfte Hügelschluchten, an Berglehnen hin, über kleine stille Plateaus; die Sonne schien freundlich, der Thau blitzte, ein Schäfer grüßte freundlich neben seiner Heerde. So kamen wir an die Abdachung, welche nach dem Jasmunder Bodden abfällt, und sahen mit Freuden den matteren herbstlichen Sonnstrahl auf der breiten ruhigen Wasserfläche tanzen, einen gemessenen Adagiotanz. Die Luft war still und Alles ladete zur Beschaulichkeit.

Das Meer ausgenommen, ist aller Eindruck und alles Verhältniß auf Rügen in dieser kleinen, gefälligen Weise, die Berglehnen sind niedrige, sanfte Hügel, das Gestein ist weich, bröcklig, kaum zum Kreideartigen gedichtet, die Wälder, denen man weiter drüben im Osten und Südosten begegnet, sind freundlich und in mäßiger, halbjunger Stammesstärke, meist aus Buchen bestehend. Wir haben uns gewundert, keinen eigentlich tiefen, alten Wald, keinen bejahrten Hain der alten Wenden und Germanen zu finden, er muß mit der alten Vorzeit geschieden sein. Alle die Redensarten von erhab'ner, wilder Natur, von pittoresker Gestalt der Insel, wie sie gäng und gäbe, sind übertrieben, und stammen vom täuschenden Idealismus, der nach dem Schema alter Poeten beschreibt, sind Kosegartensch.

Wir schifften über den seichten Bodden, schritten über die Hügel, welche Jasmund schützen, und gelangten durch breite Hügelbecken gegen Mittag in das Städtchen Sagard.

Dieses krummstraßige Oertchen hat zwei todte Merkwürdigkeiten, und eine lebendige. Diese ist der Wirth des Gasthofes, dessen Namen ich leider vergessen habe, der aber in seinem grünen Rocke, in seiner ganzen rüstigen Wohlgenährtheit und taktfesten Geschäftigkeit, mit seiner schwedischen Physiognomie noch lebendig vor mir steht. Der Mann gewährt mir die beste Erinnerung: er betreibt nämlich einen kleinen Gasthof auf's rührigste, ausbeutendste, und befriedigend für alle Gäste, liebt und pflegt seine hübschen Kinder, und ist über alle historische und Naturmerkwürdigkeit Rügens auf das beste unterrichtet. Ganz mit eigner Hand hat er sich im Wirthszimmer eine Sammlung aller rügenschen Merkwürdigkeiten angelegt, giebt Auskunft und die kundigsten, besonnensten Hypothesen über alle Steine, Muscheln, Opfermesser, Streitäxte von Stein, Urnen, die sich auf, bei und unter Rügen irgend vorfinden. Das Meiste hat er selbst zusammen gesucht, und besonders seine naturhistorische Kenntniß ist von solcher Bedeutung, daß er mit den berühmten Forschern unsers Vaterlandes in dem freundlichsten Verkehre steht. Das flicht sich Alles so anspruchslos und doch bewußt mit der ordinairsten und beflissensten Gastwirthssorge für ein Beefsteak, für ein Glas Bier durch einander, daß es das wohlthuendste Ensemble einer erfüllten Menschenfigur gewährt, und wirklich an ein Ideal erinnert, wie wissenschaftliche Kenntniß und Forschung mit alltäglicher praktischer Wirksamkeit verbunden sein könne.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen