Abschnitt 3

Ich sehnte mich sehr nach dem offnen Meere, das heißt nach einem Meere, wo nichts zu sehen ist, als Himmel und Wasser. Unsre Illusion ist noch eigensinniger als ein Frauenzimmer: ein Frauenzimmer ist zufrieden, wenn sie keine Nebenbuhlerin der Liebenswürdigkeit sieht, die Illusion aber ist zerstört, sobald eine Grenze geahnt werden kann; ein schlechtes Auge, was nichts als Himmel und Wasser sieht, bringt doch keine Illusion, sobald der Schiffer sagt: Bei gutem Wetter sieht man in Südost diese Küste, in Nordwest jenes Eiland; und nach Rügen hin wird selbst ein mittelmäßig Gesicht die brutalsten Störungen nicht los. Rückwärts verläßt Einen der blaue Streif und die Spitze von Usedom nicht, heillose Spitze, wo ich später einen direkten Blick in den Acheron thun mußte, und rückwärts erhoben sich halb aus den Wogen zwei Eilande, Ruden und die Die, genannt die Greifswalder Die, zwischen welchen hindurch die Fahrt sich wendet. Hinter ihnen erblickt man bereits den blauen Punkt von Mönchgut, dem südlichen Theile Rügens.

Diese östliche Meersküste Usedoms, aus welcher wir herausgesteuert waren, hat den pommerschen Historikern viel zu schaffen gemacht mit den Geheimnissen der Unterwelt. Da sollen versunkene Städte schlafen von wunderbarer Pracht und Herrlichkeit, mit goldnen Thoren und silbernen Thürmen, die sollen in Handelsverkehr gewesen sein mit den Griechen, das heißt mit den ordentlichen Griechen, mit den Häusern Solon, Cimon und Comp., aus welcher Zeit der klassische Hauch noch stammen soll, der über Pommern, respektive Hinterpommern lagert. So tief liegt der Autoritätstrieb in uns, daß Länder, sonst so unbefangen und genügsam wie Pommern, in den Meeresgrund steigen, um Gewährniß zu holen für alte, historische Verbindung. Man wird mich im Verlauf dieser Reise schiffbrüchig, in großen Filzschuhen, den Mantel statt des gewünschten Schlafrocks umschlagend, auf einem sandigen Eilande liegen sehn, wo ich nichts zu genießen finde als etwas Rauchfleisch und eine von Fliegen beleidigte pommersche Monatsschrift. In dieser stehen alle Nachrichten, Sagen, Scholien und Glossen von den versunkenen Städten Vineta und Julia, welche Städte auch eine Stadt gewesen sein können, da es an Taufzeugnissen aus jener heidnischen Zeit fehlt und Saxo Grammatikus nicht vereidigt und klar genug geschrieben hat. Kurz: an hellen, stillen Sonnentagen will man die Glocken von Vineta unter'm Meere läuten hören und die Thurm- und Kirchendächer durch das Wasser leuchten sehn; die größte Handelsstadt des Nordens von außerordentlichem Umfange und Reichthume sei dort von den Fluthen verschlungen worden, und wenn heutiges Tags ein Schiffer drüber fahre, der gottlos und schlechtdenkend sei, da passire ihm dort das größte Unglück.


Wenn ihm zum Exempel seine Liebste nicht mehr gefallen, und er sie verlassen habe, so finde er sie dort wieder – dies erzählte Ulrich, der Schiffer und sagte Brr! dabei, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus der Strohflasche.

Wie überall hin, haben denn auch hier in's Meer die Stationalisten ihre Laternen gesteckt und die unterirdische, wie sonst die überirdische Welt vernichten wollen mit der Bemerkung, die goldnen und silbernen Mauern, Thore und Thürme der klassischen Handelsstadt Vineta seien einfache Felsenriffe, die man bei gutem Sonnenscheine sehen könne. Als ob die wichtigsten Dinge mit einer Bemerkung zu erledigen wären – das Wort Bemerkung ist überhaupt schon ein naseweises Wort. Ferner: als ob an einer Küste, wo mit vortrefflichstem Auge gar kein Felsencharakter, sondern nur Sand, Düne, Sandbank zu entdecken ist, als ob an solcher Küste eigensinnig allein Felsen etablirt sein würden, lediglich, um den Leuten eine klassische Anknüpfung zu rauben! O, pfui! Wenn man artig wäre, gäben die Pommern sicherlich die alten Griechen drein, und begnügten sich mit einer überschwemmten Wendenstadt, Heide ist Heide, indessen, ich will kein historisches Recht vergeben, und fahre mit Ulrich weiter.

Artig braun und blau hob sich die Küste von Mönchgut immer deutlicher vor uns aus den Fluthen; unser Südost war stetig und frisch, und legte sich mit vollen Armen in die Segel; die bebuschte Insel Vilm, welche in der Bucht von Puttbus liegt, stieg ebenfalls aus der See, und bei einer kleinen Wendung nach Rechts sahen wir auf der Strandhöhe hinter dem Vilm die weißen Punkte, welche in der Nähe die weißen Häuser von Puttbus sind. Es liegt eine kleine halbe Stunde vom Strande, und hat mit den schneeweißen, in einzelnen Partieen etwas kahl sich bietenden Häusern ein wunderlich Ansehn von frischer Wäsche, die auf's Plätten wartet.

Die Küste, zwischen welcher und dem Vilm zum Landungsplatze gesteuert wird, ist schön bewaldet, im Meere stehen bunt wie stille Pagoden die Badehütten, durch die Büsche winkt lockend ein stattlich weißes Badehaus.

Ich verhandelte mit Ulrich, daß er drei Tage und drei Nächte auf mich warten soll, unverführt von etwaigem günstigem Nordwest, der eintreten könne, und wendete mich zu Fuße mit dem muntern Sachsen, einem jungen rüstigen Pommer und den trübseligen Siebenbürgern rechts nach dem Badehause, um in der See zu baden. Die Ungarn und der Bruder Breslauer, dessen Pfeife noch brannte, ließen sich vom Privatdocenten gen Puttbus leiten. Er hatte wie Columbus und Wilhelm Tell einige unbequeme Begrüßungsversuche mit dem Rügenschen Erdboden vorgenommen, und sich den schwarzen Rock dabei beschmutzt, sonst schien ihm der ganze Meeresmuth wieder gekommen zu sein, wir hörten ihn noch weithin lärmen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen