Abschnitt 2
Die unermüdlichsten Sänger waren übrigens ein Paar Studenten aus Siebenbürgen – zu Hause, meinten sie, ist nicht vom Singen die Rede, besonders solche Freiheitslieder sind nicht statuiret, da müssen wir uns die Zeit in Deutschland zu nutze machen. Einer von ihnen war ganz bartverwachsen und sah lebensgefährlich aus. Also auf der Ostsee, dachte ich, mußt Du solch einen ganzen Demagogen wiederfinden, der für einen schwülstigen Vers von Follenius Mond und Sonne mit Pulver auseinander sprengt; aber ich hatte mich arg getäuscht: erstens war er ein Theologe, der in Ermangelung einer Dogmatik sich an's Moralprinzip hielt und die Liebe zu einem Mädchen für höchst frevelhaft ansah; zweitens hatte er nicht die allerbürgerlichste Courage, fürchtete sich auf der Ostsee vor'm Gubernium in Siebenbürgen, vor dem Wasser, vor dem Winde und vor allen Elementen, die man etwa noch erfinden möchte; aber er trug einen eisernen Ring, einen eisernen Stock und kein Halstuch, und sang in allen Pausen:
Steig aus der Nacht,
O Hermannsschlacht!
Sein schlankerer, jüngerer Landsmann war etwas frischer, und offenbar ein muthigeres Naturell, aber auch wie die tugendhaften Französinnen auf der einen Seite, und wie die leichtsinnigen auf der andern: jusqu'à un certain point, eine Redensart bekanntlich, ohne welche es in Frankreich keine Unterhaltung, keine Tugend, keine Liebenswürdigkeit, kein Gesetz, keinen Geist, und in Siebenbürgen keine Courage giebt. Wie verkümmertes Haidekraut blühte mir auf Ulrichs Schooner und im weiteren Verlauf der Reise siebenbürgische Nationalität entgegen. Zwischen Armuth, öde, barbarische Nachbarschaft, straffes Regiment von außen und eigne Schwäche eingewürgt, machte mir das Bild dieses Ländchen den traurigsten Eindruck.
Eine Nationalität, die aus den fremdartigsten Elementen zusammengewürfelt ist, und ihre Ehrenstandarte so mit verliert, um welche sich Stolz und Muth stets wieder zusammenfindet, wird immer einschrumpfen in kleine, niedrige Bezügnisse, vor allen Dingen das kleine Bischen Leben und das nothdürftige tägliche Brod zu erhalten suchen. Von Ausgleichung der Nationalität kann immer erst die Rede sein, wenn die edlen und hohen Beziehungen, das stolze innere Lebenselement erst sicher gestellt sind. Unsre Landsleute, Tuchmacher und Krautpflanzer, welche in die siebenbürgischen Berge eingewandert sind, und dort als Sachsen und Schwaben ihre Plätzchen gefunden, haben sicher reichlich dazu beigetragen mit ihren Nothdurftsanforderungen, die Atmosphäre jenes Landes abzuschwächen.
Von ihnen stammte auch der Ostseebramarbas, und das Obige fand eine traurige Bestätigung darin, daß ein Paar Ungarn auf dem Schiffe waren, und zornig die Frage zurückwiesen, ob sie auch Siebenbürgner seien – Sind wir Ungarn, ächte Ungarn sagten sie, stolz sich aufrichtend im schwersten Seejammer. Der Bramarbas flüsterte uns zu, daß diese Ungarn, unter denen oft der Schweinehirt ein Edelmann sei, sich immer übermüthig appart hielten – dabei sah er sich aber ängstlich um, ob ihn der kranke Ungar etwa am Kragen packe.
Alles Mögliche bei Seite gesetzt, bewiesen die Ungarn offenbar einen vollen inneren Kern neben diesem holen, muthlosen Gesellen.
Es darf nicht in Verwunderung setzen, daß auf ein scheinbar so Alltägliches, wie der ordinaire Muth, solcher Werth gelegt sei – in dem Worte Muth liegt eine ganze Welt, eine Welt des Willens, der Fähigkeit und schöpferischen Kraft. Zugestanden, daß diese moralische Thätigkeit, welche mit dem Namen Muth benannt wird, oft nur der Instinkt eines starken Körpers, oft wirklich nur ein materielles Häuflein Sehnen und Muskeln sei; zugestanden, daß zwei Drittheile der Muthigen nur darum vorwärts gehen, weil sie durch die Nebenleute, die Redensarten, die Terminologie des Lebens so gewöhnt worden sind; zugestanden also, daß der Muth großen Theils eine Sache des Körpers und eine des Herkommens, der Sitte ist – läge darin ein Vorwurf? Ist unser Leib nicht ein Bedingendes für das Außerordentliche selbst, was ein Mensch leisten kann? und wo hört er auf, wo fängt er an, wo stehen die weißen Grenzfarben des reinen Geistes? Eine schlechte Leber, eine verstopfte Milz, welche Gedanken und Gefühlsrichtungen können sie in Bewegung setzen, wenn sie sich bei einem sonst gewaltigen Menschen und mit diesem an einem gewaltigen Ort vorfinden! Werdet Ihr deßhalb das Recht haben, eine welthistorische Epoche leber- oder milzkrank zu nennen, weil diese körperlichen Organe auf den Urheber der Epoche einen starken Einfluß geäußert? Alle Leute, die an der Leber leiden, zum Beispiel, sind leicht grillig, hypochondrisch, in diesem übeln Zustande gehen sie allen Dingen mehr an die Spitze, die Anfänge, auf diese Weise erfinden sie – ist das Verdienst des Erfinders geringer, weil er durch Leberkrankheit dazu gekommen ist? Eine frische Lunge und Leber unterstützen den Muth, das ist wahr, wer Beides schlecht hat, wird doppelten Aufwand nöthig haben, um eben so viel Muth zu gewinnen – thut dies der Absolutheit des Muthes etwas? Gewiß nicht – bei Beurtheilung der Personen mögen wir darauf Rücksicht nehmen, der Muth an sich bleibt uns ein außerordentliches Moment, und seine Zeitigung im Menschen bleibt etwas Nothwendiges und Verdienstliches. Was haben wir denn ursprünglich? Anlagen. Alles muß gelernt werden, und auch der Muth läßt sich lernen. In jedem Helden steckt ein Hundsfott; daß der nie zum Vorschein komme, ist eben Sache des Helden. –
Daß Herkommen und Sitte ein Theil des Muthes sind, ist gewiß wahr. Verschiedene Völkerschaften haben sehr verschiedene Aeußerungen des Muths, was diesen für Feigheit gilt, ist es Anderen nicht – ist der Muth darum ein Geringeres, weil er ein Uebereinkommen menschlicher Gemeinschaftlichkeit ist? ruht nicht in Sitten und Gebräuchen das Wesentlichste gemeinschaftlicher Seele?
Eine tiefe Bedeutung liegt darin, daß ihr bei den ordinairsten Menschen, welche nicht durch Nahrungssorgen entmannt sind, allen Bezug der Achtung und des Werthes auf den Muth koncentrirt findet, daß der Muth beim einfachsten Mädchen zuerst und am sichersten die Liebe zum Manne weckt.
Die Oesterreicher haben seit einiger Zeit die Erlaubniß, in Deutschland die Berliner Universität besuchen zu dürfen. Von dort bekommen sie denn auch wohl die Erlaubniß zu kleinen Reisen in Preußen; wenn nun diese zum Beispiele in die Nähe von Hamburg führen, so ist wohl auch bei einem Siebenbürgner das Verlangen natürlich, und nicht so ganz strafwürdig, Hamburg zu sehen, besonders wenn sich der Siebenbürgner so innig seiner Unbedeutendheit und des bloßen Verlangens bewußt ist, den Jungfernstieg betrachten zu wollen, und einmal Austern in der Nähe zu sehn. Der Bärtige hielt aber diesen Wunsch für unmoralisch und frevelhaft, weil er die österreichische Studienfreiheit kompromittiren könne.
Die Nothwendigkeit eines Passes hat nur dies Bedenken, daß guterzogene Menschen am Ende noch weniger und noch papierner werden können als ein Paß.
Mein Heimathsstolz ward durch das Schicksal eines andern Reisegenossen sehr verletzt; ich halte es aber doch für meine Schuldigkeit, nicht darüber hinwegzugehn: ein kleiner Breslauer nämlich, mit einem kleinen blauen Röckchen angethan, ward viel gehänselt, er trug unter dem kleinen Röckchen einen kleinen Ueberfluß auf dem Rücken, fror immerwährend, und rauchte trotz Seebeschwerden unermüdet aus einer kleinen Pfeife Tabak. Sein Accent war mit all den kleinen, behenden Breslau'schen Worten eingefleischt schlesisch, und weil er alle Maasstäbe von der Breslauer Oder und den Breslauer Bierbrauern hernahm, übrigens auch in stetem Frost und Tabakrauchen nicht den kleinsten Reisegenuß dokumentirte, so war er wirklich wie ein kleiner Ableger des Dr. Syntax, eine komische Figur; ein Reisender quand même , der unter allerlei Unbehaglichkeit doch reis'te, obwohl er nicht das geringste Vergnügen davon hatte, dem es anzusehen war, wie er von den Reizen seiner großen Reise erzählen und rühmen werde, sobald er erst wieder das warme Stübchen »auf der Hummorei« in Breslau erreicht hätte. Gott schütze die Reisenden, die um jeden Preis reisen, sie haben's nöthig.
Steig aus der Nacht,
O Hermannsschlacht!
Sein schlankerer, jüngerer Landsmann war etwas frischer, und offenbar ein muthigeres Naturell, aber auch wie die tugendhaften Französinnen auf der einen Seite, und wie die leichtsinnigen auf der andern: jusqu'à un certain point, eine Redensart bekanntlich, ohne welche es in Frankreich keine Unterhaltung, keine Tugend, keine Liebenswürdigkeit, kein Gesetz, keinen Geist, und in Siebenbürgen keine Courage giebt. Wie verkümmertes Haidekraut blühte mir auf Ulrichs Schooner und im weiteren Verlauf der Reise siebenbürgische Nationalität entgegen. Zwischen Armuth, öde, barbarische Nachbarschaft, straffes Regiment von außen und eigne Schwäche eingewürgt, machte mir das Bild dieses Ländchen den traurigsten Eindruck.
Eine Nationalität, die aus den fremdartigsten Elementen zusammengewürfelt ist, und ihre Ehrenstandarte so mit verliert, um welche sich Stolz und Muth stets wieder zusammenfindet, wird immer einschrumpfen in kleine, niedrige Bezügnisse, vor allen Dingen das kleine Bischen Leben und das nothdürftige tägliche Brod zu erhalten suchen. Von Ausgleichung der Nationalität kann immer erst die Rede sein, wenn die edlen und hohen Beziehungen, das stolze innere Lebenselement erst sicher gestellt sind. Unsre Landsleute, Tuchmacher und Krautpflanzer, welche in die siebenbürgischen Berge eingewandert sind, und dort als Sachsen und Schwaben ihre Plätzchen gefunden, haben sicher reichlich dazu beigetragen mit ihren Nothdurftsanforderungen, die Atmosphäre jenes Landes abzuschwächen.
Von ihnen stammte auch der Ostseebramarbas, und das Obige fand eine traurige Bestätigung darin, daß ein Paar Ungarn auf dem Schiffe waren, und zornig die Frage zurückwiesen, ob sie auch Siebenbürgner seien – Sind wir Ungarn, ächte Ungarn sagten sie, stolz sich aufrichtend im schwersten Seejammer. Der Bramarbas flüsterte uns zu, daß diese Ungarn, unter denen oft der Schweinehirt ein Edelmann sei, sich immer übermüthig appart hielten – dabei sah er sich aber ängstlich um, ob ihn der kranke Ungar etwa am Kragen packe.
Alles Mögliche bei Seite gesetzt, bewiesen die Ungarn offenbar einen vollen inneren Kern neben diesem holen, muthlosen Gesellen.
Es darf nicht in Verwunderung setzen, daß auf ein scheinbar so Alltägliches, wie der ordinaire Muth, solcher Werth gelegt sei – in dem Worte Muth liegt eine ganze Welt, eine Welt des Willens, der Fähigkeit und schöpferischen Kraft. Zugestanden, daß diese moralische Thätigkeit, welche mit dem Namen Muth benannt wird, oft nur der Instinkt eines starken Körpers, oft wirklich nur ein materielles Häuflein Sehnen und Muskeln sei; zugestanden, daß zwei Drittheile der Muthigen nur darum vorwärts gehen, weil sie durch die Nebenleute, die Redensarten, die Terminologie des Lebens so gewöhnt worden sind; zugestanden also, daß der Muth großen Theils eine Sache des Körpers und eine des Herkommens, der Sitte ist – läge darin ein Vorwurf? Ist unser Leib nicht ein Bedingendes für das Außerordentliche selbst, was ein Mensch leisten kann? und wo hört er auf, wo fängt er an, wo stehen die weißen Grenzfarben des reinen Geistes? Eine schlechte Leber, eine verstopfte Milz, welche Gedanken und Gefühlsrichtungen können sie in Bewegung setzen, wenn sie sich bei einem sonst gewaltigen Menschen und mit diesem an einem gewaltigen Ort vorfinden! Werdet Ihr deßhalb das Recht haben, eine welthistorische Epoche leber- oder milzkrank zu nennen, weil diese körperlichen Organe auf den Urheber der Epoche einen starken Einfluß geäußert? Alle Leute, die an der Leber leiden, zum Beispiel, sind leicht grillig, hypochondrisch, in diesem übeln Zustande gehen sie allen Dingen mehr an die Spitze, die Anfänge, auf diese Weise erfinden sie – ist das Verdienst des Erfinders geringer, weil er durch Leberkrankheit dazu gekommen ist? Eine frische Lunge und Leber unterstützen den Muth, das ist wahr, wer Beides schlecht hat, wird doppelten Aufwand nöthig haben, um eben so viel Muth zu gewinnen – thut dies der Absolutheit des Muthes etwas? Gewiß nicht – bei Beurtheilung der Personen mögen wir darauf Rücksicht nehmen, der Muth an sich bleibt uns ein außerordentliches Moment, und seine Zeitigung im Menschen bleibt etwas Nothwendiges und Verdienstliches. Was haben wir denn ursprünglich? Anlagen. Alles muß gelernt werden, und auch der Muth läßt sich lernen. In jedem Helden steckt ein Hundsfott; daß der nie zum Vorschein komme, ist eben Sache des Helden. –
Daß Herkommen und Sitte ein Theil des Muthes sind, ist gewiß wahr. Verschiedene Völkerschaften haben sehr verschiedene Aeußerungen des Muths, was diesen für Feigheit gilt, ist es Anderen nicht – ist der Muth darum ein Geringeres, weil er ein Uebereinkommen menschlicher Gemeinschaftlichkeit ist? ruht nicht in Sitten und Gebräuchen das Wesentlichste gemeinschaftlicher Seele?
Eine tiefe Bedeutung liegt darin, daß ihr bei den ordinairsten Menschen, welche nicht durch Nahrungssorgen entmannt sind, allen Bezug der Achtung und des Werthes auf den Muth koncentrirt findet, daß der Muth beim einfachsten Mädchen zuerst und am sichersten die Liebe zum Manne weckt.
Die Oesterreicher haben seit einiger Zeit die Erlaubniß, in Deutschland die Berliner Universität besuchen zu dürfen. Von dort bekommen sie denn auch wohl die Erlaubniß zu kleinen Reisen in Preußen; wenn nun diese zum Beispiele in die Nähe von Hamburg führen, so ist wohl auch bei einem Siebenbürgner das Verlangen natürlich, und nicht so ganz strafwürdig, Hamburg zu sehen, besonders wenn sich der Siebenbürgner so innig seiner Unbedeutendheit und des bloßen Verlangens bewußt ist, den Jungfernstieg betrachten zu wollen, und einmal Austern in der Nähe zu sehn. Der Bärtige hielt aber diesen Wunsch für unmoralisch und frevelhaft, weil er die österreichische Studienfreiheit kompromittiren könne.
Die Nothwendigkeit eines Passes hat nur dies Bedenken, daß guterzogene Menschen am Ende noch weniger und noch papierner werden können als ein Paß.
Mein Heimathsstolz ward durch das Schicksal eines andern Reisegenossen sehr verletzt; ich halte es aber doch für meine Schuldigkeit, nicht darüber hinwegzugehn: ein kleiner Breslauer nämlich, mit einem kleinen blauen Röckchen angethan, ward viel gehänselt, er trug unter dem kleinen Röckchen einen kleinen Ueberfluß auf dem Rücken, fror immerwährend, und rauchte trotz Seebeschwerden unermüdet aus einer kleinen Pfeife Tabak. Sein Accent war mit all den kleinen, behenden Breslau'schen Worten eingefleischt schlesisch, und weil er alle Maasstäbe von der Breslauer Oder und den Breslauer Bierbrauern hernahm, übrigens auch in stetem Frost und Tabakrauchen nicht den kleinsten Reisegenuß dokumentirte, so war er wirklich wie ein kleiner Ableger des Dr. Syntax, eine komische Figur; ein Reisender quand même , der unter allerlei Unbehaglichkeit doch reis'te, obwohl er nicht das geringste Vergnügen davon hatte, dem es anzusehen war, wie er von den Reizen seiner großen Reise erzählen und rühmen werde, sobald er erst wieder das warme Stübchen »auf der Hummorei« in Breslau erreicht hätte. Gott schütze die Reisenden, die um jeden Preis reisen, sie haben's nöthig.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen