Abschnitt 3

Auf einer Insel des Oceans ist ein heiliger Hain, und es ist nur den Pristern gestattet, den darin stehenden heiligen Wagen zu berühren, welcher mit einem Gewande bedeckt ist. Wenn dieser Priester die Gegenwart der Göttin im Heiligthume wahrnimmt, und darauf ihrem von Kühen gezogenen Wagen nachfolgt, dann gibt es frohe Tage und Feste an den Orten, die ihrer Gegenwart geweiht sind. Kein Krieg wird geführt, keine Waffe erhoben, alle Eisenwehr ist verwahrt, nur dann sind Friede und Ruhe bekannt und geliebt, bis eben der Priester die Göttin, satt vom Umgange mit Sterblichen, dem Tempel wiedergiebt, dann werden Wagen und Gewänder, ja die Gottheit selbst, wenn man dies glauben will, in einem verborgenen See abgewaschen, und derselbe See verschlingt die Sklaven, welche diesen Dienst verrichtet haben.

Also Tacitus, den Herr v. Schönholz einen römischen Heerführer und Schriftsteller nennt, der uns aber nur bekannt ist als ein vorsichtiger Senator, welcher mit Heerführern nichts zu schaffen hatte, sondern, außen demüthig und fügsam gegen die römischen Despoten, nur in der Stille seines Gemaches gegen sie schrieb. Dazu wählte er besonders eine Schilderung Germaniens, weil ihm die Zustände dieses Landes das beste versteckte Paroli gegen die römischen abgaben, und bei dieser Gelegenheit hat er auch vorstehende Mittheilung gemacht, welche auf die Stubnitz in Rügen bezogen wird.


Ist der Herthadienst hier wirklich gefeiert worden, so ginge dies beinahe zweitausend Jahr zurück, und findet sich nicht durch Ausgrabungen ein Dokument, so müssen wir äußere Beweise aufgeben. Der Wall nämlich hat wohl mehrmals gewechselt, er ist nicht einmal ein alter, noch weniger ein uralter Buchenhain, einem bloßen Erdwalle, wie der vorliegende, was kann dem in ein Paar tausend Jahren begegnen, und das Wasser ist stumm.

Uebrigens macht der See einen bei Weitem tieferen und geheimnisvolleren Eindruck in seiner schwarzen, schweigenden Rundung, die mysteriös und todt wie das Alterthum daliegt. Vom Walle gewinnt man auch keinen so heraustretenden Anblick, da die behenden jüngeren Buchen an vielen Orten hinan und hinauf streben.

Die Rügener haben ihn immer den »Borgwall« genannt, darauf ist aber kein Nachdruck zu legen, da sie alles Aehnliche so nennen, deßhalb könnte es immer noch eine Tempelwehr sein, wofür unsre antiquarische Liebhaberei durchaus gestimmt ist. Der innere Raum ist hundert Schritte lang und zweiundvierzig breit, und drängt an einer Seite auch wirklich ein Stück in den Damm, so daß der Raum für einen Tempel damit gegeben sein könnte.

In aller Weise war dies derjenige Ort, welcher uns in seiner absonderlichen Einsamkeit und Originalität zum ersten Male die frivole Anschauung vertrieb, welche uns bei diesen meist kleinen, von Reisebeschreibern sehr übertriebenen Dingen nicht verlassen hatte, der Ort, welcher uns eine sinnende Geschichtsstimmung aufnöthigte, welchen wir ernst und gedankenvoll verließen.

In Sagard, wohin wir jetzt wieder zurückkehrten, verließ ich meine Reisegenossen, und wünschte dem Siebenbürg'ner statt einer glücklichen Reise die beste Courage. Gott sieht aufs Herz, Freund, nicht auf die Orthographie, und ich fuhr nun allein die schmale Haide entlang an der Granitzgrenze hin nach Putbus zurück. Die schmale Haide ist eine etwas breitere Landenge als die Schabe zwischen dem untern Theile des Boddens und dem Meere. Der Kutscher mußte noch ein Stück in die Granitzforsten einlenken, und erquickt von Wald und Luft kam ich gegen Abend in das todesstille, weiße Putbus.

Rasch eilte ich nach dem Stranddorfe hinab, um nach dem Schiffer Ulrich zu fragen, der auf mich gewartet hatte, nach dem Winde, der nicht zu warten pflegt. Ulrich stand auf seinem Schooner, und sah sehr mürrisch aus, er begriff nicht, wie man bei so vortrefflichem Nordost, wie gemacht nach Swinemünde, mehrere Tage lang auf der Insel herumlaufen könne – solch'n Nordost – ohst zu sprechen – krieg ich mein Lebtag nicht wieder.

Es flatterte ein flauer Südwind; dennoch ward beschlossen, am andern Morgen zeitig in See zu gehn. Erich, der zweite Schiffer, welcher dem Besitzer des Schooners, dem kurzstämmigen Ulrich zur Hand war, versprach, den lieben Herrgott die Nacht über fleißig zu bitten.

Beim Abendessen in Putbus fand ich einen hohen, breitschultrigen Herrn, der sehr gesprächig war. Nebenher war er neugierig und offenherzig, und ich wußte bald, daß ich's mit einem Mecklenburg'schen Edelmann zu thun hatte, der die preußische Staatszeitung läse, den Revolutionskrieg in der Champagne mitgemacht und bei dieser Gelegenheit sechs Wochen lang Kleider und Stiefel nicht vom Leibe gekriegt, noch weniger ein Bett gesehen habe, daß er übrigens nicht Erfinder des Schießpulvers noch weniger der Buchdruckerkunst, sonst aber ein wackrer Mann sei. Mit den Zollgesetzen und dem ganzen Laufe der Politik war er unzufrieden, aber das geschah blos der Unterhaltung wegen, sein eigentlich merkwürdiger Mittelpunkt lag darin: er war im Interesse des Adels und des Bestehenden aufgezogen, das war seine ursprüngliche Natur, in den langen Jahren, die er mitgelebt, in den langen Zeitungen, die er mit gelesen, war aber so viel Neues über ihn gerathen, und das Ordinairste hatte sich so harmlos wie eine dichte Masse von Redensart und Folgerung über ihn gelegt, daß sein Gespräch wie eine Guitarre klang, die auf Moll gestimmt und in Dur begleitet wurde. Er schwärmte für's Manifest des Herzogs von Braunschweig und tadelte die jetzigen Regierungen, daß sie Bücher verböten, wie ein Bonapartist, der die Continentalsperre eifrig vertheidigte, seinen Kaffee aber über London bezog und seiner Frau zum Oefteren ostindische Stoffe schenkte.

Diese Unterhaltungspolitiker sind die gefährlichsten Feinde des Bestehenden; der Ernst, auch der verwerfliche, bekräftigt, die Salbaderei, auch die gutmüthige, schwächt.

Wir freuten uns sehr, einander kennen gelernt zu haben – ich heiße von –, und habe die Ehre gehabt, mit Herrn von – ?

Es that mir leid, ihm nicht dienen zu können; wir schieden noch höflicher, als wir angesetzt hatten, und ich fürchte, sein Schlaf ist nicht so gut gewesen als der meinige, denn er hatte sehr viel gegessen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen