Abschnitt 3

In der Hausflur saß eine alte Hausfrau mit hellblauen, gläsernen Augen, und verspann Ziegenhaare; sie sah uns mit keinem Blicke an, fragte nichts, sprach nichts, sondern zündete auf des Mannes Geheiß ein Feuer an, um Eier und Kaffee für uns zu rüsten. Es fand sich ferner ein stattliches, blondes Mädchen, mit festen weiß und rothen Backen und festen weißen Armen, aber sie war eben so still und todt, nicht klosterstill, eine Stille, in der etwas begraben oder verborgen liegt, nein, ich möchte sagen: elementarisch still, als wenn der Schöpfungsfunke noch niemals da gewesen wäre. Diese weiblichen Wesen zogen wie gelbe Schatten hin und her, und der Uhrmacher, welcher moderne Forderungen an sie stellte, wie er im Wirthshause zu machen gewohnt war, Forderungen nach Wurst und Sauerkraut, nach einer Flasche Doppelbier, nach Salat und Apfelmus, sah' wie ein Skandal daneben aus.

Wie auf dem großen Schiffe war nur Pökelfleisch zu haben, dies Ruden ist auch ein mitten im Meere stationirtes Schiff, was sich mit seinen nothwendigen Ranzionen stets auf längere Zeit von Wolgast her versehen muß.


Item, ich saß mit dem Uhrmacher im kleinen Stübchen, und wir schnitten eben in's Pökelfleisch, der Kleine bekam allmählig sein Kourage wieder, da er Land unter sich fühlte, er nannte das Meer eine schlechte Tabagie, die er in seinem Leben nicht mehr besuchen würde – da stürzten ein Paar polternde Windrücke an die kleinen Fenster, der Uhrmacher sah mich wie ein Sünder an, und sein offner Mund wagte nicht, in's Pökelfleisch zu beißen, die Thür ward aufgerissen, und Störte stürzte wie ein Räuber herein, dem die Polizei auf der Ferse ist. Fort, fort, schrie er, wenn wir die Schiffe wiedersehen wollten, es bräche ein Orkan los. –

Ich fühlte gar keinen Beruf, selbigen Orkan in allen Nüancen auf unserm Schooner zu genießen, da ich diesen Genuß ohne weitere Unbequemlichkeit eben auch auf Ruden haben könnte. Aber der Uhrmacher konnte vor lauter Angst nicht eilig genug hinein kommen, ich kann doch nicht meinen Frack und meine gestreiften Hosen im Stiche lassen, rief er verzweiflungsreich, und stürzte davon, Pökelfleisch und Ruhe im Stiche lassend.

Mein sanfter Wirth, der gute Zöllner, sah kopfschüttelnd zu, und führte mich hinaus auf seine kleine Sandwarte, um mir den Aufruhr des Meeres zu zeigen, den blonden Weibern vorüber, die sich nicht im Geringsten darum kümmerten.

Die abgeschiedne gar so einfache, reizlose Existenz verdichtet sich über gewöhnlichen Menschen zu einem förmlichen Stumpfsinn, die rauhe, unproduktive Natur kommt mit keiner selbstständigen Zeitigung zu Hilfe, dergleichen dumpf hingehende, erstarrte Wesen mögen eine öftere Schattirung des Nordens sein.

Des Nordens – puff! diese kleine Schönheit Rügens weckte mir wieder den alten Glauben, die alte Antipathie auf: der Norden ist traurig, und es ist eine geschickte Uebereinkunft zum Besten der Nordländer, eine Phrasenverschwörung, von der Schönheit und Tüchtigkeit des Nordens zu reden. Es mag den Leuten gut und nöthig sein, auch dieser dürftigen Natur einen Reiz anzudichten, und diesen charakteristischen Reiz, den alles Wirkliche und Selbstständige hat, für etwas Absolutes auszugeben, Gott gebe, daß er ihnen nie zerstört werde.

Was ist Schönheit ohne Farbe, ohne voll und reich aufgehende Form? Bleich ist Luft und Himmel, wenn sie nicht grau sind, nur der magere Baum gedeiht mager, die Existenz ist ein steter Kampf – wo der Mensch lebt, ohne daß er zu schützen, zu sorgen braucht, wo er Alles vergessen kann, da ist eine schöne Erde, wo von außen die Anregung zur Freude kommt, nicht von innen hinausgebracht werden muß, da ist wirkliches, elastisches Leben.

Gott beschütze Euren Flanell, Eure Oefen und Ueberschuhe, all' Eure Mittel gegen erfrorene Ohren und Rheumatismus.

Die Dunkelheit fiel nieder auf das schwarze Meer, das mit donnerndem Geheule seine Wogenberge schleuderte, und den Schaum sprühte über die kleine Sandinsel; der Zöllner ging zurück und ich empfand ungestört die schwere Einsamkeit, welche ein tosendes Element bedrängte. Wer denken will und ahnen und kombiniren, der stelle sich Nachts auf einen kleinen, unsichern Sandhaufen mitten im Meere, wenn alle die Wasser in ihrer Entsetzlichkeit losgelassen sind, der trockene Sandfleck erscheint wie eine zufällige Laune des Meeres, die jeden Augenblick zurückgenommen sein könnte, unter dem elementarischen, alles Menschliche wie ein Nichts zerstörenden Lärmen, der eine Armee verschlingt, ohne daß ein deutlicher Klageton durch den Sturm bräche, unter dem Gebrülle eines bewußtlosen ungeheuern Stoffes schrumpft man zusammen, und die Seele verkümmert zu einem kleinen Lichtlein, was die niedrigste Welle auslöscht.

Nun erwachte dazu der Donner des Himmels, und fiel wie ein erschreckendes Paukengedröhn in das Gebrause, die Blitze kreuzten nicht zickzack und einzeln die schwarze Luft, sondern stürzten sich breit wie Feuerwolken in's Meer, über die weite See brannte fast ununterbrochen ein zuckender blaurother Feuerschein, und das vor Zorn gischende und schäumende Wasser sah wie ein besiegter Feind in diesem Lichte aus. Man glaubte überhaupt leicht, Feuer komme aus der Oberwelt, Wasser gehöre in die Unterwelt – wie einen schwarzen Punkt erblickt' ich zuweilen den kleinen Schooner, den das Meer auf und nieder schleuderte, den der Anker kaum halten mochte, und dahin hatte sich der kleine Uhrmacher gerettet, um einen Frack und ein Paar gestreifte Hosen bei der Hand zu haben.

Wie oft stürzen sich die Leute in größere Gefahr, um einer kleineren Angst zu entgehn, wie oft gebiert die Angst den Muth, oder die bornirte Liebe des Besitzes! –

– Ich saß darauf bei'm Zöllner in der Stube, die Blitze leuchteten uns, und der treuherzige Mann erzählte mir sein Leben – reise an den Nordpol, wenn Du einem Menschen begegnest, wird er Protektion brauchen können. Der Mann hat ein schlimmes Geschäft, er muß mit den Lootsen hinaus, wenn Schiffe kommen, um ihre Waare zu vermerken, und er wünschte manchen kleinen Wunsch, wie er jedem Menschen auch außer der Weihnachtszeit das Leben fristet, und ich war aus Berlin, dem preußischen Rom, von wo die Statthalter in die Provinzen gehn und die Zöllner besoldet werden. Ich hatte aber nur einen großen Chef, den er nicht kannte, und der ihm nichts helfen konnte, das Publikum. Dennoch erzählte er mir gutmüthig weiter, besonders vom Treiben auf der Ostsee, als die Franzosenzeit gewesen, von Diesem und jenem.

Die Weiber lebten in einem andern Winkel des Hauses wie eine gute Art Hausgeflügel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen