Abschnitt 2

Wir kamen bei dem steten Südwinde wenig von der Stelle, und konnten namentlich die Meeresfluth zwischen Ruden und der Oie nicht gewinnen, sondern wurden immer noch westlich von Ruden getrieben. Darüber verging die Zeit, es war später Nachmittag, und ich hatte nichts zu essen, Erich wollte durchaus noch nicht an's Kochen des Schöpsenfleisches gehn, und eröffnete mit der Besorgniß, daß es uns noch nöthiger sein werde, die traurigste Perspektive. Der kleine Uhrmacher, welcher kleinlaut geworden war, fühlte keinen Beruf, mir von einem Paket kalter und zerbröckelter Beefsteaks mitzutheilen, die er bei sich führte, und von den er üblen Appetites wegen nur wenig genießen konnte. Ich bot große Summen für ein Brot, aber das Geld hatte wenig Werth bei der drohenden Hungersgefahr, es ward mir nur schnittweise die karge Nahrung zugestanden, und das Verhältniß wurde unbequem. Ein Bäcker- oder Fleischladen in der Nähe wäre mir viel erwünschter gewesen, als Erichs's Erzählung von der spanischen See, mit der er mich bei Gelegenheit des Hungers regalirte. Wenn man den Fuß hinein steckte, berichtete er, so klebte ein Teller voll Salz dran, das in einer Minute am Sonnenschein getrocknet war.

Zur Hungersnoth gesellte sich bald auch andre Noth: der Wind erhob sich voll und ruckweise bald von dieser, bald von jener Seite, der Uhrmacher seufzte aus der Kajüte vernehmlich, denn der Schooner machte sehr störsame, fatale Bewegungen, Erich mußte die Segel bald hierhin, bald dorthin werfen, der lange, magre Alte mit der kurzen Jacke machte ein kläglich Gesicht, und seine Lippen fingen während der heftigen Arbeit das alte Geschäft an, selbst Ulrich sah sich unruhig und besorgt nach dem aufsteigenden Meere um.


Ulrich war der Besitzer des Schooners, bewies sich aber in aller folgenden Fährlichkeit kaltblütiger und gefaßter als Erich, der zweimal reicher Schiffsherr gewesen war, und zweimal allen Besitz verloren hatte, so daß er jetzt gelegentliche Matrosendienste verrichten mußte. Das zweite Mal war ihm während der Kontinentalsperre sein Fahrzeug, aus der spanischen See kommend – den Meerbusen von Biscaya nannte er so – von den Engländern genommen worden, er nannte deßhalb diese stolze Nation nicht anders als »Spitzbuben«. Der Gebrannte scheut das Feuer; obwohl keine Engländer in der Nähe und in dieser Weise nichts zu fürchten war, zeigte er doch lebhafte Besorgnis vor dem herannahenden Sturme, und der heilige Jacob oder Jago, wie er variirte, den er sich aus der spanischen See angewöhnt hatte, fiel hundertmal von seinen Lippen. –

Auf einem so unsichern Elemente, wie das Meer ist, blüht der Aberglaube, wie der niemals ausbleibt, wo man ganz dem Glück und Zufall preisgegeben ist. Waghalsige Krieger, Spieler, Schiffer werden diese freie Poesie der Götterwelt nie aussterben lassen; auch diese nüchternen, protestantischen Nordländer haben ihr gut Theil: Erich hatte heimischen und auswärtigen durcheinander, um seine Reisen nicht zu vergessen; der ernste Ulrich hatte auch seinen, und verwies mir's ernstlich, wenn ich den Wind schelten wollte. Wenigstens sollte ich es leise thun; ich stärkte mich statt am Schöpsenfleische an einem verwandten Irländischen Bull, über den auch Ulrich lachte, obwohl er ihn in seiner Weise eben ganz und gar kopirte und mich darauf gebracht hatte: ein Irländer treibt Schweine nach Cork und es begegnet ihm ein Bekannter; geht's nach Cork? fragt dieser – nein, nach Limerik! schreit der Treiber, und leise setzt er hinzu: Freilich geht's nach Cork, aber wenn ich's diesen eigensinnigen Rackern sage, so gehen sie schon darum nach Limerik.

Und die Winde haben doch wohl noch feinere Ohren als Schweine.

Sie wurden immer unbändiger, die Schwenkung links hinüber nach Swinemünde zu gewinnen, ward ganz unmöglich, und es wurde Schiffsrath gehalten, woran nur der Uhrmacher als stimmunfähig ausgeschlossen blieb, ob wir blos die Schutzseite von Ruden, oder die Bucht von Wolgast suchen sollten, um dem stets ungestümer heraufwühlenden Sturme auszuweichen.

Der Nahrungsmittel wegen stimmte ich für Wolgast, und Erich, um sein Schöpsenfleisch zu sparen, stimmte mir halb unentschlossen bei, aber der Wind kam mit Courierpferden, wir mußten Hals über Kopf das nähere Ruden zu gewinnen suchen. Die Aussicht auf Speis' und Trank fiel dadurch freilich unter Null, und ich war nicht besonders auf das unwirthliche Meer zu sprechen: ein Boot nämlich besaßen wir nicht, und der Schooner konnte, auch wenn wir das Eiland glücklich erreichten, nicht bis dicht an den Strand, weil dafür das Fahrwasser nicht ausreichte.

Lange schon hatten wir ein kleines Fahrzeug in der Ferne kämpfen sehn, jetzt ward es deutlicher, wir erkannten einen Logger, und sahen, daß er ebenfalls den dürftigen Schutz unter dem Ruden suchen möchte. Die Schiffer kennen sich mit ihren luft- und wasserklaren Augen auf außerordentliche Strecken, und wie die Fuhrleute einander am weißen Vorderfuß des Pferdes, am schnellem oder langsamem Vorrücken unterscheiden, so wissen diese auf dem Meere alle kleinen Bewegungsnüancen der Fahrzeuge, ob es flach oder tief segelt, wie sich's im Winde hält und dergleichen, kurz Ulrich erkannte den Logger genau, eh' ich die Umrisse ordentlich zusammensetzen konnte. 's ist der lüderliche Störte, sagte er mir zum Trost, er lungert nach Seegras herum, und der hat ein Boot, was Sie landen kann.

Die ärmeren Leser mögen sich der unsanften Seegrasmatratzen erinnern, welche eigentlich für Klosterzellen erfunden sind, wo man das Fleisch kasteit. Die Bekanntschaft derselben ist am Mannigfaltigsten in der Berliner Hausvoigtei zu machen, wo sie in allen Spielarten von Berg und Thal vorkommen, und mit Gestöhn und Fluchen vertraut sind. Die Heimath dieser Aschenbrödel, welche so verkannt und gemißhandelt werden, sah ich vor mir, Störte war einer von den merkwürdigen Schlafsorgern vom nordöstlichen Deutschland. Tief in's Binnenland dringt diese Seegraserfindung nicht. –

Aber das gab noch Wogen und Sprühregen und Arbeit, eh' wir dem Logger unser Verlangen zurufen konnten. Sieht man die rohesten Fuhrleute bei schlimmem Wege und schlimmem Wetter aufopfernd gefällig gegen den Hilfsbedürftigen, dem ein Riemen gerissen, die Deichsel zerbrochen oder so etwas Hinderliches begegnet ist, sieht man diese Gattung, welche aus Wagenpech und Stricken zusammengeknetet scheint, bei solcher Gelegenheit wirklich ein eigentliches Objekt respektiren, eines kleinen Opfers fähig, so kann man dies in noch viel bedeutenderer Art bei Schiffern finden. Ihr gemeinschaftlicher Feind ist noch größer, sie sind mir in diesem Punkte wie eine Ordenskorporation vorgekommen, die sich zuversichtlich gegenseits in Anspruch nimmt, und gegenseits diese Ansprüche erfüllt. Ulrich und Störte schienen keine besondern Freunde zu sein, aber Störte setzte auf den durch Wind und Gebrause kümmerlich zu ihm dringenden Ruf ungesäumt sein kleines Boot aus, nachdem der Anker des Loggers gefaßt hatte, und arbeitete sich mit seinem kleinen Burschen wogauf, wogab mühselig zu uns heran. –

Harriadden, der Seeräuberkönig, Störtebeck, der rügensche Rinaldini, vielleicht ein Ahnherr Störte's, konnten nicht seeräubermäßiger aussehn, als dieser verwilderte Schiffer mit zerwühlten, groben Gesichtszügen und dem braunen Tabaksmaule. Die Schiffer riefen sich einige Plattdeutsche, nicht eben tröstliche Notizen über Meer und Sturm zu, der kleine Uhrmacher, welcher in seiner Kajütenangst Land gewittert hatte und vorgekrochen war, wurde mit in Störte's nassen Kahn gewälzt, wo ein nasses Brett die einzige trockne Stelle war, und so ging's dem Strande zu.

Ruden, ein kleines, steriles Eiland, an der breitesten Stelle etwa wie drei Berliner Straßen breit, ist eine ganz unfruchtbare, baumlose Dünenbank, auf welcher sich, zu unserm Glück, mehrere Menschen angesiedelt haben. Das sind eigentlich keine Menschen, sondern Lootsen, die nur ihres Amtes wegen, nicht weil es ihnen ein besonders romantisches Vergnügen macht, hier wohnen. Sie haben die Schiffe in die Häfen von Peenemünde, Wolgast, auch wohl noch weiter hinüber zu führen, und mitten unter ihnen ist zugleich ein Zollposten – zum Zöllner und Sünder dieser Kolonie, als der Hauptnotabilität, welcher zunächst ein Stück Fleisch zugetraut werden konnte, wateten wir durch den Dünensand.

Lieber, biblischer Patriarchalismus, den ich mir in diesen sechs Lootsenhäusern vorgestellt hatte, wie charakteristisch begrüßtest Du mich bei diesem Zöllner, der kein Sünder, sondern ein gutmütiger, braver Mann war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen