Abschnitt 1

In stiller, durch keinen Applaus beleidigter Pracht leuchteten noch die Sterne, als ich zum Strande hinabschritt, um mich dem Meere anzuvertrauen. Die Luft war ruhig, um so unruhiger war Ulrich, Erich's Beten hatte nichts geholfen: wir puhsteten uns langsam aus der Bucht heran hinter den Vilm, und hofften auf die Zukunft, was bekanntlich die Menschen immer thun, wenn sie nichts Besseres thun wollen oder können. Drei Viertheile der kouranten Hoffnung sind nichts als wackre Trägheit, die Wenigsten hoffen mit Kraft und Nachdruck, nachdem sie das Ihrige gethan, um dafür berechtigt zu sein.

Außer den beiden Schiffern und mir fand sich noch ein kleines Männchen im Schiffe vor, das war ein Uhrmacher, der einen grün karirten Schlafrock und ein grün gesticktes Mützchen trug. Der Schlafrock war sehr lang, länger als der Uhrmacher, und ganz zugeknöpft; vorn auf den Beinen hatte er zwei Taschen, in welchen sich stets die Hände des kleinen Mannes aufhielten, wenn er sie nicht nothwendig zum Feuerschlagen oder zum Schneuzen brauchte. Denn er rauchte Tabak und hatte den Schnupfen. Als wir abfuhren, nahm er zärtlich Abschied von einem kleinen Hunde und beiläufig von einer Frauensperson, die allem Ermessen nach seine junge Ehehälfte war, dann sang er ein aufrührerisches Lied mit einigen irrthümlichen Ausdrücken, producirte starke Rauchwolken, und versprach den Schiffern Wind zu machen, kurz er war sehr guter Dinge, und außerdem aus Potsdam gebürtig. Dies sagte er mir nebenher, und in Putbus sei er jetzt etablirt, wo es ihm sehr fidel gehe. In diesem Augenblicke mache er eine Besuchsreise, und zwar diesmal zu Schiffe, weil sich's damit schneller abmachen ließe; zu Lande sei er schon weit herum gewesen in der Welt, in Crossen unweit der schlesischen Grenze, und in Torgau bei Leipzig.


Ich machte ihn aufmerksam, daß es vielleicht sehr langsam ging, weil wir schlechten Wind hätten, und daß es auf der See auch gefährlich werden könnte. –

Pah – larifai, ich habe Viel mitgemacht und immer Glück gehabt, ich trinke Abends meine drei Boddellen Bier, und spüre nichts – das ist paperlapap mit der See. –

Ulrich lächelte zum ersten Male.

Des kleinen Uhrmachers Stimmung hielt auch nicht lange an, es kamen einige Windstöße, das Schifflein schwankte, und das Tabakrauchen des Uhrmachers wurde blöder, kopfschüttelnd wurde endlich gar die Pfeife bei Seit gestellt, und unter steter Versicherung, daß ihm dergleichen unerklärlich sei, stolperte der erblassende Held bei Seite und that das Gebräuchliche.

Die Windstöße waren den Schiffern eben noch bedenklicher, Ulrich kratzte sich in den Haaren, und der alte Erich zog seine schwarze Pelzmütze tief über die Ohren, faltete die groben Hände und bewegte die Lippen wie ein Italiener, welcher eiligst etwas von der Frau von Loretto zu wünschen hat. Die Besorgniß wurde denn auch schnell wahr – klatsch fiel das Segel zusammen, und wedelte passiv um den Mastbaum, wir hatten totale Windstille, und lagen unbeweglich auf einem Flecke. Die Sonne schien mild und warm, der grün belaubte Vilm, das weiße Putbus sahen unverrückt auf uns her, wir waren noch mitten im Rügenschen Busen, und es war bereits Mittags. Der Uhrmacher war todt, die Schiffer krochen in die kleine Kajüte, um Kartoffeln zu kochen, das Schöpsenfleisch, was sie aus Rügen mitgenommen hatten, sollte noch nicht angegriffen werden, ich saß in stiller Mittagseinsamkeit auf dem Vordertheil des Schooners, und sah in's dunkle Wasser hinab: Geheimnißvoll lockte es mit seiner Tiefe, all die Geschichten von Wasserfeen summten wie singende Mittagswärme in meinem Kopfe, bis die Kleider fielen, ich sprang hinab in das lockende Element.

Aber ach, es gibt keine Feen mehr, wenigstens mochten sie nichts mit einem Reisenden zu thun haben, der beim Haloren schwimmen gelernt hatte. Heutiges Tages muß man ersaufen, um mit den Wassergöttern in Berührung zu kommen.

Als Ulrich meines Treibens inne wurde, erhob er ein groß Geschrei und lief nach einem Taue – »wenn der Wind sich erhebt, sind sie verloren, Herr, wir erreichen Sie gar nicht, oder nicht eher, als bis Ihnen Hören und Sehen und Schwimmen vergangen ist. –«

Man kann auf offenem Meere auch bei Grabes-Windstille nicht ohne Tau baden, ohne das Aeußerste zu riskiren. Die Wellen und kleine Strömungen schaukelten uns nach der Küste von Mönchgut hin, ein Frauenzimmer saß am Strande, und winkte mit einer dunklen Flagge – Gott steh uns bei, Unglück über Unglück, das ist die alte Fretten, die auf ihren versoffenen Liebsten wartet, heiliger Jakob, habe ein Einsehn mit uns!

Erich bewegte noch lebhafter die trocknen Lippen, und ich erhielt mit Mühe die nöthige Auskunft. Die alte Fretten nämlich war vor vielen Jahren ein sehr schönes Mädchen gewesen, und hatte einen Liebsten gehabt, der sich durch Geschicklichkeit und Wildheit vor allen Mönchgutern ausgezeichnet. Weil er aber in seiner Wildheit tolle Streiche machte, und zu viel Branntwein trank, so waren die Eltern des schönen Mädchens gegen die Heurath, und nöthigten die arme Tochter, ihre Schürze auszuhängen, um die Freite anzukündigen. Um dieselbe Zeit war der wilde Liebste auf einer Fahrt nach Bornholm begriffen, und konnte nicht am Hause vorübergehn – so wurde denn der kleine Fretten ihr Mann, der ein stilles, manierliches Ansehn hatte, aber ein Schleicher und Duckmäuser war. Von da an sei es schon mit dem Mädchen nicht recht richtig gewesen, und wie nun gar die Nachricht eingetroffen, daß der wilde Hans auf der See zu Grunde gegangen, da habe sie kein vernünftig Wort mehr geredet.

Das ist dreißig Jahre her, setzte Erich hinzu, ich ging gerade damals zum ersten mal 'naus in die spanische See, und so oft ich wieder nach Rügen komme, und 's scheint die Sonne, da seh ich die Fretten, die mit Ihrer Schürze winkt, und das bringt mir jedesmal Unglück, der Teufel hol' die – Gott verzeih mir die Sünde, und schenk uns en Betchen (Bischen) Nordohst!

Erich wurde wieder andächtig, und wirklich wachte auch der Wind ein Wenig auf, und wir trieben wieder in die See hinaus.

Die alte Fretten mit ihrer traurigen Flagge war aber noch lange zu sehn – 's geht eben mit Liebe und Heurath unter den patriarchalischen Mönchgutern um kein Haar besser, wie bei den ersten, besten Geheimenraths, man will die Kinder mit Gewalt gut unterbringen, und läßt zwei Armeen gegen einander operiren, Verstand und Herz, wo die letztere nicht die kleinste Waffe hat, um die erstere einen Ritz tief zu verwunden. Die Natur hilft sich dann auch hier gewaltsam, und nimmt dem besiegten Theile auch das Restchen Verstand noch, was Bewußtsein der Niederlage bringen könnte, der Blödsinn rettet wie der Tod, er ist ein böses Gewissen für gewaltsame Eltern.

Arme Fretten, der Hans liegt tief, und Du siehst obenein nach einer falschen Seite, da drüben vom andern Strande aus geht's nach Bornholm.

Gott sei Dank, nun sehen wir die alte Fretten nicht mehr, sagte Erich, und der Wind – pft, pft.

Die Schiffer loben niemals den Wind, um ihn nicht zu erschrecken. Der Wind war etwas lebendiger geworden, aber freilich noch kontrair, wie sie's nennen. Man glaubt indessen nicht, wie ökonomisch und geschickt der Seehfahrer allen Wind zu benützen versteht, er wirft die Segel rechts und links und manövrirt so geschickt damit, bis er den kleinen oft einzigen Punkt gefangen hat, der nach seiner Richtung treibt, er schneidet ihn scharf zu seinem Besten wie mit einem Messer.

Es geht mit den Schifffahrtsangelegenheiten wie mit der Liebe; alle Beschreibung hilft wenig oder nicht zur Kenntniß, die flüchtigste eigene Betheiligung darin hilft mehr als die Lektüre von zwanzig Büchern. Wie viel Seeromane hat man lesen müssen, wo oft das Schicksal der Helden von Backbord- oder Steuerbordseite, von Bramsegel oder Topsegel abhängt, man überläßt das dem Autor, der es verstehen muß.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen