Abschnitt 4

Vor Allem charakteristisch ist ihre Tracht, die noch vom Fürst Ratze herzustammen scheint: Schwarz ist vorherrschend Alles, eine selbstgewebte weite Jacke, zwei Paar Beinkleider über einander, und darüber noch weite Fischerhosen. Die Frauen tragen eine hohe, kegelförmige Mütze, in welcher so viel Zeug steckt, als eine Grisette zur ganzen Bekleidung ihres muntern Körpers braucht; darüber wird noch ein Strohhut gestülpt. »Ehefrauen und Jungfrauen unterscheiden sich durch das Band an der Mütze.« Der Busenlatz ist bei Festkleidern roth und mit Silber oder Goldspitzen besetzt, dieser und die weiße, steif gestärkte Schürze stechen allein vom schwarzen Grundton ab. Wie die Männer ihre Beine, verwahren die Frauen den Busen mit doppelten Tüchern.

In ihren sehr niedrigen Wohnstuben leben sie höchst einfach, meist von Fischen, – wir Binnenleute könnten bezweifeln, daß diese Nahrung für so weitläufige Gestalten ausreiche. Ihre Antipathieen sind das Kalbfleisch und der Putbusser. Jenes essen sie nie, und mit diesem verkehren sie höchst ungern. Sie unterschreiben fast nie ihren Namen, sondern malen statt dessen ein Hauszeichen hin, was ihnen heiliger ist denn Alles.


Fr. v. Schönholz erzählt, daß die Frauenzimmer das Recht haben, den Mann, welcher ihnen gefällt, selbst anzusprechen, »na ehn' utstellen« (nach Einem ausstellen), wie sie's ausdrücken. Dies will mir zu einer originellen Landessitte nur halb passen, welche unsern jungen Dichtern zu einem Gedicht empfohlen werden kann: Wenn ein Mädchen nämlich heurathsfähig ist, so hängt sie ihre Schürze an's Fenster, und darf nur unter den Männern wählen, welche vorübergehn. Sind nun Eltern und Verwandte gegen eine Liebschaft, so wählen sie den Zeitpunkt, wo der Liebste zur See ist, und den Schürzengang nicht mitmachen kann. Da steht nun das arme Mädchen weinend hinter der Schürze und schilt das Meer und hofft, es werde hereintreten in's Land und das Boot des Geliebten im Bereich der Schürze stranden. Weinend kuckt sie aber doch durch die Lücke, ob nicht wenigstens ein leiblicher Stellvertreter gewählt werden könne. Diesen abscheulich modernen Zusatz werden die Dichter weglassen mögen.

Der Hauptfeind Mönchguts ist der Seehund, der zahlreich an der Küste streift. Ist einer in die Netze gebrochen, so gibt's ein Landesaufgebot, ihn zu fangen, Weiber und Männer tanzen am Strande, und singen einen uralten Reigen, ehe sie an den Feind gehen:

Hahl mi den Sahlhund ut'n Stranne
To Lanne!
De hett mi all de Fisch ux fräten,
Hett mi't ganze Nett terräten,
Hahl mi den Sahlhund ut'n Stranne
To Lanne!

Man sieht, es ist wenig Idealistik in dieser Poesie.

Ich habe oft gedankenvoll auf diese Küste hinübergesehen, und den Reiz eines solchen Lebens ohne Kalbfleisch und mit der einzigen Feindschaft gegen den Seehund vorzustellen gesucht – es kommt Alles auf die Frage hinaus: Viel oder wenig Bedürfnisse? Mein Glaube hält es durchweg mit den Bedürfnissen, je mehr, je besser; Herz, Geist und Leib, je mehr sie wollen, desto reicher sind sie mir, denn desto mehr haben sie. Wer viel braucht, entbehrt mehr, aber er hat auch mehr.

Doch will ich Euer Glück nicht antasten, schwarze Mönchguter! Das Essen schmeckt Euch, Eure niedrigen Stuben wärmen Euch zum Behagen, die stille Gewohnheit macht Euch einander lieb und werth, Ihr hofft für's nächste Jahr auf reichen Häringsstrich, und lebt mit drei Interessen des Jahres siebzig Jahre hin und sterbt auch nicht gern.

Aber Alles kommt sicher nicht in gleiche Verhältnisse auf einer andern Welt – des Mönchguters Seele hat ja doch eine ganz andere Geschichte und ist deßhalb eine ganz andere als die des Parisers.

Und so wird der Unterschied fort gehn in andre Welten, und das von der Erde gleich Zusammenkommende wird sich wieder in neue Unterschiede sondern. Das ist die Welt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen