Abschnitt 3

Die alten blendend weißen, wie alle nordischen Völker hoch gewachsenen Wenden auf Rügen sollen lange Bärte, und kurze Rücke von Tuch oder Lein, kurze Mäntel, kleine Mützen mit einer Feder getragen haben. Daneben sind die Frauen schlecht bedacht gewesen mit einem langen, grauen Kleide aus Flachs, ohne Aermel – die Weiber haben überhaupt durch die moderne Geschichtsentwicklung das meiste gewonnen; die Weiber und die Kaufleute; die Galanterie des Mittelalters war doch nur Zuckerwerk, und wenn es kein Zuckerwerk gab, da gab's viel Langeweile.

Interessant scheint mir's, daß die alten Ranen ächt nordisch, wo es mehr Nacht als Tag ist, die Zeit nach Nächten und nicht nach Tagen gezählt haben; auch haben sie von dem erfrornen Frühlinge und dem rheumatischen Herbste keine Notiz genommen, sondern nur Sommer und Winter unterschieden. Wenn Einem warm ist, da giebt's Sommer, wenn man friert, Winter. Ihre zwölf Monate haben sie auch viel eigenthümlicher benannt als wir mit unsern romanischen Namen, die uns nichts bedeuten, sie hatten folgende Monate: Winter, Krähen, Tauben, Kukkuks, Birken, Saat, Linden, Getreide, Brunft, Blätterfall, Erdfrost, dürrer Mond. Damit weiß man doch gleich, was in der Natur vorgeht, und mit ein Paar kleinen Geschmacksänderungen wäre die ächteste Poesie in den Kalender eingeführt.


Gegen die Frauen waren diese Wenden keineswegs blöde, sie durften deren drei heurathen, und der Pantoffel war auf Rügen unbekannt: die erkaufte Frau war dem Manne leibeigen, eine Magd, sie durfte nicht mit am Tische essen und mußte dem Manne und seinen Gästen die niedrigsten Dienste verrichten. Nur an den zweiten Frauen entschädigte sich die erste und knechtete sie. Jede Braut sang ein Klagelied, wenn sie das Elternhaus verließ, angeblich, weil sie das heimische Feuer auf dem Heerde unbehütet verlassen müsse, dann stieg sie auf den Wagen, welchen der Bräutigam sandte. Er bewillkommte sie an der Grenze seines Eigenthums mit einem Feuerbrande und einem Trinkgefäß. Jener war Symbol, daß sie nun den neuen Heerd hüten solle, aus diesem durfte sie trinken. Dieß geschah, wenn sie die Wohnung betrat, noch einmal, und darauf wurde ihr das Haar abgeschnitten und der Brautkranz aufgesetzt. Kinder gehörten dem Vater, er machte mit ihnen, was er wollte, nur Söhne erbten gesetzmäßig, mißgestaltete Kinder durfte der Vater tödten, auch Töchter, wenn sich deren zu viel einfanden. Die Erbschaft der Söhne ging nach dem Verdienste im Wettlauf, Laufen war also die erste Tugend und das einträglichste Geschäft.

Die Griewen, oberste Priester, waren Hauptpersonen, sie machten auch die Gesetze, vor denen nichts rettete. Ehebrecher wurden von Hunden zerrissen, Jungfrauenverführer starben in den Flammen, Weiber, die nach dem Manne schlugen, büßten ihre Nase ein, auf Verläumdung stand Stäupung oder Tod, auf Diebstahl Prügel oder Tod durch wilde Hunde, wer den Gastfreund beleidigte, mußte sterben, gegen Mord stand die Blutrache offen.

Man sieht, die Gesetze waren nicht viel weniger als die Drakonischen mit Blut geschrieben, und man konnte leicht zu einem Schaden kommen, der keinen zweiten zuläßt.

Ihre Religion war heidnische Vielgötterei, und hier spielen die Bog's, Bog als Hauptgott, Bialbog als weißer und Gott des Guten, Czernebog als schwarzer und Gott des Bösen ihre Rollen. Dreieinigkeit und persischer Dualismus beisammen. Nun gab's aber noch viel apanagirte Gottheiten, die Vit's, Swantevit, Rugevit, Borevit und Poromur, von denen Swantevit mit sehr gesuchten Eigenschaften der bei Weitem beliebteste und auf Arcona, an der Nordspitze, zu Hause war. Er hatte ein weißes Pferd, welches mit den Priestern die einflußreichste, prophetische Rolle spielte.

Wie sie ihre Todten begruben, interessirt uns indeß am meisten, da hiervon allein noch die Spuren in den verschiedenen Grabmälern übrig sind.

Die Leichname wurden verbrannt, oft in Gesellschaft mit Gesinde und sonstigem Zubehör des Herrn, da die naive Ansicht, wie bei den alten Germanen vorherrschend war, im neuen Leben finge man Geschäfte und Interessen just wieder da an, wo man sie hier gelassen habe. Die Asche ward in eine Urne gethan, und diese auf verschiedene Weise bedeckt, entweder mit Steinblöcken oder mit Erdhaufen. Davon finden sich nun viele Variationen, und dieser Reste sind noch so viele übrig, daß man wie durch einen großen Begräbnisplatz durch diese Insel reis't. Frei liegen die alten Recken in Gottes Welt, das Meer kann oft zu ihnen aufsehen, die Vögel des Himmels umkreisen sie in weiten Bogen, der Wind trägt ihnen ungehindert von allen Seiten Nachrichten und Grüße zu, kein Dorfsschulmeister hat mit dem Tischler seine Lamentationen auf ein schwarzes Täfelchen geschrieben, und den Tod eingeengt in alltägliche Beziehungen, die alten Rügener schlafen frei und groß wie die Elemente.

Daß sich auch bei den Lebenden noch deutliche Zeichen einer uns fremdartigen Nationalität vorfinden sollen, mag ich nicht ohne Weiteres zugeben, noch auch in Abrede stellen, da ich die eigentlichen officiellen Striche der alten Rügener, wo sie sich am deutlichsten erhalten haben sollen, nicht gesehen habe. Dies ist der südliche Theil Rügens, das sogenannte Mönchgut, und es sind einige Inseln, besonders Hiddensö und Ummanz.

Was übrigens dem aus Mittel- und Süddeutschland kommenden Fremdartiges hier entgegentritt, scheint sich nicht allein auf Rügen zu beschränken: es ist entweder ein derbes, biederes halb seemännisches Wesen, was dem Norddeutschen im Allgemeinen eigen sein mag, oder es ist jener Anstrich von Dänemark und Schweden, der sich wie eine Lufttinte bis hierher erstreckt. Besonders von Schweden. Das frühere Schwedisch-Pommern mit Greifswalde, Stralsund und dem anliegenden Striche bietet heut noch mancherlei Sitte und Aeußerung, welche aus der früheren Herrschverbindung übrig geblieben ist.

Rührend ist die aristokratische Absonderung solcher kleinen Inseln, wie Hiddensö und Ummanz: so wie der Neapolitaner und der Pariser stolz auf die übrigen Italiener und Franzosen sieht, so nennen die Ummanzer ihr Inselchen vorzugsweise »das Land«, verkehren ungern mit den Rügenern, und sehen es sehr ungern, wenn einer von ihnen eine Rüg'nerin »friet« (freit). Die Hiddensöer nennen ihre kleine Insel das süße Ländchen, »söte Länneken«, und manche von ihnen kommen ihr Lebtag nicht nach Rügen. Auch die Sprache sondert sich ab als rein seemännisch-plattdeutsch, sie fertigen sich, ganz unabhängig von aller Nachbarwelt, auch ihre Kleidung selber, und sind ein hoch und schlank gewachsener Stamm mit blauen Augen und blonden Haaren. Ganz verschieden von ihnen sind die groß und starkknochigen Mönchguter mit vorherrschend dunklem Haare. Ihr verdorbenes Plattdeutsch wird selbst von den andern Rügener schwer verstanden, sie recken die Worte aus wie die Meereswelle, welche sich breitet: Milch nennen sie Mellek, Kalb – Kallef, der Seehund heißt bei ihnen Sahl, die Gerste – Gaß, die Semmel – Peit, Worte, die nur bei ihnen gekannt sind. Nur schwedische Anklänge finden sich auch hier: Königin heißt bei ihnen auch de Dronning, König – de Köning; ihr eigen Land nennen sie Mönnichgaud.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen