Abschnitt 2

Der tiefe Schatten des schönen Parks mit allerlei schönen Baulichkeiten geht noch weit hinüber zum Thiergarten, wo schöne Hirsche in bequemer Gefangenschaft ihr Leben verträumen.

Diese ganze Anlage ist noch ziemlich jung: es war ein Wald, in welchem das Putbusser Steinhaus lag; daraus ist ein Schloß gewachsen, der Wald ist zum Park gelichtet worden, erst im Jahr 1810 ist der Ort Putbus angelegt worden. Und jetzt bewegt man sich unter diesen Bäumen, als sei man in Alt-England auf dem müßigen, reichgepflegten Boden eines Millionenlords, welcher Wald und Meer zu seinem Behagen nöthige. Auch der innere Raum des Schlosses soll angemessen, geschmackvoll und reich ausgestattet sein; wir hatten die Stunde nicht getroffen, wo es zu sehen ist, und so nöthig und passend solche Einrichtung mit Bildern, Büchern und Kunstwerken natürlich ist, ich beklage es selten, wenn ich den Anblick verliere. Die Vorstellung füllt mir's genügend aus, und ich habe nicht den störenden, ungerechten, aber natürlichen Einwurf zurückzuweisen, daß ich dieß da und dort, wo die Mittel und die Absicht größer waren, vollständiger gesehen habe.


Historisch-charakteristisches trifft da immer noch am eindrücklichsten: ein glücklich gewordenes Ensemble solcher Oertlichkeit mahnt am nachhaltigsten an historische Figuren, historische Momente, in denen eine Schöpfung versucht worden ist, oder an die sich eine knüpfet.

Ein kleines Gebetbuch Philipps II. ruht in diesem behaglichen Putbusser Schlosse, eine Beute Wrangel's. Die violetten Pergamentblätter mit kostbaren Miniaturgemälden, mit goldnen, weißen, rothen und schwarzen Buchstaben, auf denen einst das harte Auge betend geruht hatte, liegen hier in Frieden, nur die Neugier fällt zuweilen auf sie. Und ihre Charaktere haben einst den Schlüssel zu Himmel und Hölle gehabt. – Auch eine Gipsmaske vom Antlitze des erschossenen Schwedenkönigs Karl XII. mit der Kugelwunde am rechten Schlafe schläft hier ihre gespenstige Existenz.

Ich ließ mir das erzählen, und blieb still auf dem prächtigen Rasenabhange, grün, wie England in meinem Sinne ruht, auf diesem prächtigen Aussichtspunkte liegen, dachte an die Welt, die so Vieles versucht, und an den Tag, der mit seiner goldnen Sonne unpartheiisch darüber hingeht, an die Welt, die nach all den Andeutungen zunächst kommen könnte, und sang, und klagte und hoffte in meinem Herzen – was finden wir? Ein kleines Wort, das Wort heißt »Weiter!«, weiter! riefen sie, nach dem Fürstenhofe! Das ist ein Wirthshaus, da wollen wir Beefsteak essen.

Nach der Saison hat dieses weiße Städtchen in seiner Leere etwas Verstorbenes, man hört seine Tritte schallen, man zählt die Leute – ich kaufte mir für zwei Silbergroschen einen Eichenstab, und schritt sammt meinen Gefährten aus dem offenen Oertchen hinaus, nach dem Walde zu, um gegen Bergen zu gelangen.

So wie man den Menschen handlicher bekommt, wenn man erst weiß, ob er von Jugend auf Hofrath oder Kanzleiinspektor gewesen ist, ob er niemals Anlage zu Polizeiwidrigem, zu Eigenem bewiesen hat, ob er in Liebe oder Haß befangen war, so verständigt man sich auch erst mit der Auffassung eines Landes, wenn man einen Blick in dessen Geschichte werfen kann.

Da hat man nun hier große Noth! Was ist wendisch, was ist germanisch auf Rügen?' Das hat schon heiße Mühe gekostet, wenn's irgend angeht, entscheid ich's nicht, das getraue ich mir zu versprechen; was soll ich mir um der alten Wenden halber Ungelegenheiten machen, der ich um der neuen halber schon genug habe? Ruhe und Genuß meiner Reise ist durch diese Unzulänglichkeit unserer Historiker sehr gestört worden.

Natürlich ist Rügen den Klassikern bekannt gewesen, sie haben sich nur nicht die Mühe genommen, dafür einen Namen auszusuchen, und man begnügt sich nicht mit dem Bernsteinlande der Römer, womit diese den grauen Norden abfinden, sondern auch die Phönizier müssen da gewesen sein.

Da wir nun aus Phönizien alle möglichen Vermuthungen und sehr wenig Bücher gezogen haben, so ist es besonders der Insel Rügen wegen sehr zu bedauern, daß der Hannöversche Sanchuniathon abortirt worden ist. Das war nämlich der Versuch, in einem nicht existirenden Kloster Oportos ein Manuscript aufgefunden zu haben, der Versuch hat sein Möglichstes gethan, Hannover hat aber kein Glück mit Oporto; wir sind auf dem alten Punkte mit Rügen und den Aufklärungen durch die Phönizier.

Etwa dreißig Jahre nach Karl dem Großen soll die Insel in einer wirklichen Urkunde zum ersten Male erwähnt sein, das genügt für unsern Zweck. Man hat sie früher Reidgodland und Raneninsel geheißen, wie denn Ranen überhaupt ein alter, beliebter Ausdruck für Rügener ist, und ähnlich klingende und nicht minder wohlklingende, nach Fischthran schmeckende Namen, wie »Ratze« ein Fürst, Bog, Bialbog, Czernebog, die Namen diverser Götter auf einen sehr kräftigen Geschmack deuten. Die alten Römer nannten es, wie sie, glaube ich, mit den meisten Inseln thaten, Rö oder Roe. Der Name Rugia kommt später vor, und wechselt auch noch mannigfalt; kein Mensch weiß, ob er von den germanischen Rugiern herrührt, von denen uns in Tertia erzählt worden ist, daß sie mit den Herulern beliebte Soldaten in Rom gewesen, und durch ihren Führer, Herrn Odoaker, das weströmische Reich gestürzt haben.

Kurz, es sind mir wenig Forschungen auf meiner Durchreise gelungen, und ich folge zumeist dem Herrn von Schönholz, welcher unter der bescheidenen Chiffre Fr. v. Sch. und unter steter Verehrung der Insel das neuste und beste Reisehandbuch über Rügen herausgegeben hat. Außerdem habe ich auch das dicke Buch des Herrn Pastor Grämbke gelesen, welches zum Theil auch die Quelle des Herrn v. Schönholz und ein sehr dankeswerthes, mit Pastorenfleiß und reicher Kenntniß gearbeitetes Werk ist.

Die Ranen waren denn also unverschämte Seeräuber, die mit Mecklenburgern, Pommern und Dänen in steten Kriegen lagen, und eine Zeit lang auch vom Christenthum und Dänemark, besonders von Kanut dem Großen unterjocht wurden. Bekanntlich war die Nordküste Deutschlands am widerspenstigsten und feindseligsten gegen das Christenthum, da gab's viel Schlachten und Blutvergießen, das in uninteressanter Weise durch einander geht, die Kraft der Insel bricht, deutsche Einwanderungen nöthig macht, und so am Ende den wendischen Schlag vermischt. Man erzählt sogar detaillirt romantisch, daß die letzte Wendin auf Rügen, die noch wendisch gesprochen habe, Madame oder Mamsell Gülzin, im Jahr 1804 verstorben sei.

Item, Rügen war eine pommerische Provinz geworden.

Die alten rügenschen Wenden genießen einen schlechten Ruf, sie gelten für grausam und räuberisch, dem Fraß und Soff ergeben; ihre Sprache soll sich noch ziemlich rein bei den Cassuben in Hinterpommern erhalten haben. Eine Gattung derselben findet man noch in einzelnen Strichen der Lausitz, wo sanftgebildete Reisende noch heute vor diesen heidnischen Lauten erschrecken. Gegen den eingelernten blondblauen Begriff der Germanen werden uns auch diese Wenden blond mit blauen Augen geschildert. Man möchte sagen, die nordische Luft erzeuge in ihrer Schärfe und Herbe solche blasse Farben, lasse satter Gefärbtes nicht zu, denn der lichte Charakter geht noch heute durch, die preußische Armee aus den alten nördlichen Provinzen ist beinahe ganz blond, und erinnert in Deutschland damit zum stärksten an die alten Germanen. Freilich sind unterdessen die Haarschneider erfunden worden, die Todfeinde geschichtlicher Sitte; ferner Holstein, Dänemark, England sprechen im Ganzen noch heut für den lichten Charakter; aber Schweden mit seinen dunklen Köpfen, mit seinem durch Schönheit berühmten brünetten Menschenschlage macht alle Regel zu Schanden, wenn man selbst für die dunklen Irländer zugäbe, daß sie ein ursprünglich südlicher Schlag seien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen