Abschnitt 1

Es war in der ersten Hälfte des Monats September, auf dem Felde erntete man in dieser nördlichen Gegend noch, die Sonne schien noch ganz flanellartig warm, als wir dem großen, weißen Badehause zuschritten. Es hat ein sehr stattliches, mit Säulen geschmücktes Ansehn, und weckt große Erwartungen. Die Siebenbürgner fanden es leichtsinnig, in einem unbekannten Meere zu baden, und ließen uns allein durch den Eichenwald nach dem Strande schreiten. Tafeln an den Bäumen, Inschriften auf Inschriften, wo die Damen gehen und die Herrn gehen sollten, bekundeten uns, in welch ein civilisirtes Ländchen wir gekommen seien, wo anständiger Scham gehuldigt, im passenden Falle auch ein Casino und eine Partie Boston zu finden sei. Der junge Sachse seufzte, alte, wendische Zustände wären ihm lieber, Opferfeste Czernebogs, keine Inschriften mit römischen Lettern »Weg für Herren« »Weg für Damen« wären ihm erwünschter gewesen, da er in vielen Dingen den Weg selber suchen wollte, und es ihm auf eine kleine Verirrung durchaus nicht ankam.

Unten am Meeresstrande ist ein artiger Blick zwischen dem Vilm und der schrägüber liegenden Küste hinaus auf's Meer geöffnet, und man sieht weit draußen auf der Wasserfläche die Thürme von Greifswald schimmern. Für jeden armen Studenten ein sättigender Anblick, denn es fallen ihm Stipendia und gebratene Häringe ein, deren Auswahl in Greifswald zu haben ist, und zwar die beste Auswahl von der Welt: man kann nämlich wählen was man will, man bekommt immer Beides, kein Stipendium ohne Häring, kein Häring ohne Stipendium. Jedem gebildeten Topographen ist bekannt, daß man sonst in Greifswald am Thore angehalten und gefragt wurde, ob man ein Stipendium nehmen wolle, nur unter dieser Bedingung war der Eintritt gestattet. Das Abschaffen der Thorsperre mag auch diese Zudringlichkeit gemildert haben; im Correspondenten sah ich zwar, daß sie in Hamburg noch existirt, die Thorsperre nämlich, nicht etwa die Zudringlichkeit, weil aber dort keine Universität ist, mag wohl mit den Einpassirenden ein andres Abkommen getroffen sein.


Angesichts jener Stipendienstadt, wo trotz Häring und Stipendium immer so wenig Studenten gewesen sind, daß die Professoren äußerst ökonomisch mit ihnen umgehen mußten, um lesen zu können, wo auch der mathematische Grundsatz erfunden worden ist »Drei machen ein Collegium,« Angesichts dieser edlen Stadt stürzten wir uns in's Meer. Ich kann es mir wohl denken, daß diese Thürme, welche man bei gutem Wetter und mit guten Augen am Horizonte sieht, dem Seebade von Putbus nachtheilig geworden sind: es hat etwas schamverletzendes, von Thürmen im Stande der Unschuld betrachtet zu werden. Wie leicht können Studenten, die nächst den Referendarien und Damen des Serails die meiste Zeit übrig haben, tubusbewaffnet auf diesen Thürmen erscheinen, und das größte Unglück anrichten!

Sonst ist das stille Meer, das heißt die stille Ostsee daran schuld, daß dies Seebad nicht so gesucht wird. Einmal nämlich ist die Bucht überall vom Lande eingeschlossen und nur nach Süden zu theilweise offen, die Südwinde sind ferner an sich seltner und immer schwächer und kommen obenein vom Lande, vom friedlichen Greifswald her – es fehlt also ganz und gar an Wellenschlag, diesem geheimnisvollen, über alles gesuchten Etwas eines Seebades, die Oberfläche des Wassers ist glatt wie ein Teich. Daß die Entfernung von Putbus eine halbe Stunde weit ist, mag auch hinderlich sein, selbst wenn man zugiebt, daß die See von guter Familie ist, und mehr als jedes andere Wasser nur mit wohlhabenden Leuten verkehrte.

Man hat wegen des mangelnden Wellenschlages vorgeschlagen, und ich glaube, auch versucht, an der Ostküste, an der sogenannten Granitz, wie dieser waldige Theil der Insel genannt wird, ein Seebad einzurichten, indessen paßt aller übrige Zuschnitt, der mit großem Aufwande für Putbus geschehen ist, nicht dafür. Wer mag es dem Fürsten von Putbus verargen, daß er nicht die außerordentlichen Opfer, welche er mit großartigster Liberalität für Putbus gebracht hat, in ihren Ergebnissen vernichte, und seine artige Residenz dadurch veröde? Denn Putbus würde verödet, wenn man an der Granitz eine Saison veranstaltete. Es hat sich denn nun so gestellt, daß Putbus ein heitrer Sommeraufenthalt ohne besonders nachdrückliche Rücksicht für das Seebad geworden ist: die begüterte Welt dieser nördlichen Striche, vorzüglich Neuvorpommerns und Mecklenburgs kommt in großer Zahl mit Equipagen, schönen Pferden und blanken Friedrichsdor's nach Putbus, ergötzt sich am gegenseitigem Verkehr, an der Aussicht, am Park, an Partieen, am Faro, an einem kleinen, artigen Theater. Dobberan und Putbus theilen sich in die reichere Badewelt dieses westlicheren Ostseestrichs. Wie dort der regierende Fürst seine Goldstücke der Bank nicht vorenthielt oder hält, so erfreut der hiesige besitzende die Table d'hôte mit seiner Person, und seine Gemahlin thut ein Gleiches. Mit einer solchen halben Officialität halten diese Herrschaften das Badeleben in einem lebhaften Schwunge und verleihen ihm für viele Besucher einen familiaren Reiz.

Daß die Insel preußisch ist, und der Fürst von Putbus, wie Pückler, ein gefürsteter Graf, der als Privateigenthum einen großen Theil des Ländchens besitzt, bemerke ich für oberflächliche Statistiker.

Als wir nach dem Badehause zurückkamen, waren die Siebenbürgner mit ihrer Leibeswäsche noch nicht fertig. Zu unserm Erstaunen fanden wir in dem imponirenden Gebäude nur einen ganz kleinen Salon, und gar keine Wirthschaft, da diese nur für die Saison besteht, und um die Septemberzeit aller Badebesuch die Insel schon verlassen hat. Das ist charakteristisch für das eigentliche Bademoment: in den andern Ostseebädern ist der Septemberanfang wegen frischen, bewegten Meeres noch sehr beliebt.

Ueber die Zweckmäßigkeit solcher Bauart, links und rechts von dem kleinen Saale viereckige, halbdunkle Plätzchen übrig zu lassen, die von Mauern eingesperrt waren, und auf welchen Grasgestrüpp wuchert, hab' ich mich nicht so schnell unterrichten können. Man fängt es sonst einfacher an, wenn man nur einen kleinen Saal haben will.

In dem großen, stillen Gebäude kam endlich ein Mädchen zum Vorschein, was sich eben den Haarzopf aufsteckte, und in flüchtiger, sinnlicher Persönlichkeit etwas von Flämmchen aus Immermanns Epigruen hatte.

Die stille Abgelegenheit des weißen Hauses, das stille Innere hätte einen ganz hübschen Hintergrund abgegeben, fremd und unerwartet ein zärtliches sinniges Auge zu finden, von der Welt und ihrem Geräusch zu erzählen und den Abend mit solcher Einsamkeit auf sich herabsinken zu lassen. Ich weiß nicht mehr genau, ob der Sachse auch so dachte, der Siebenbürgner im Barte hatte Grundsätze.

Eine mächtige Anhöhe hinauf, zwischen Feldern führt der Weg nach Putbus, was mit seinen weißen Häusern wie eine Theaterdekoration herunter leuchtet. Wir traten sogleich in den Park- und Schloßbereich, der sich an den Hügellehnen hinzieht; es war ein milder sonniger Tag des Frühherbstes, die Luft war still, unter den schönen großen Bäumen war es still, das stattliche Schloß war ebenfalls still, die Besitzer saßen bei Tafel, alle Entréen und Wege waren fein und rein, dick und behaglich lehnte der bordirte Portier am Schloßeingange, und ein großer, neben ihm ruhender Hund blinzelte uns schläfrig an; sammtgrün lockte von der Seite ein schöner Grasabhang, auf welchem das Gewächshaus steht, und von wo das Auge sanft hinabgeleitet wird auf Strand und Meer – aller Reiz vornehmer reicher Existenz, welche sich auch die Natur zu poetischer Lockung bilden kann; alle Ruhe und Behaglichkeit einer schönen, sorgenlosen Erde wehte uns an mit weichem Hauche, wir legten uns auf den Rasen und träumten von Gottes Stille, von schönen Versen, von treuen Augen, von weichen streichelnden Händen, von sanfter Musik, besonders von den elegischen Anfängen des verstorbenen Bellini.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen