Über die Pflege Bergamo und in Cremona

Alle lombardischen Städte betrachteten es als einen Ehrenpunkt, ihren Teil von Verwundeten aufzunehmen. In Bergamo und in Cremona war die Pflege aufs Beste organisiert und die besonders dazu gebildeten Gesellschaften wurden noch durch die Hilfskomitees der Frauen unterstützt, welche auf das Vollkommenste ihre zahlreichen Kontingente von Kranken pflegten. In einem der Spitäler von Cremona hatte ein italienischer Arzt gesagt: „Wir behalten unsere guten Bissen für die Freunde in der alliierten Armee und werden unseren Feinden nur gerade das Notwendige zukommen lassen, um so schlimmer, wenn sie sterben,“ und er setzte dann, um sich über diese etwas barbarischen Worte zu entschuldigen, hinzu, daß nach den Berichten, welche einige von Verona und Mantua zurückgekommene italienische Soldaten brachten, die Österreicher die Verwundeten der frankosardischen Armee vollständig hilflos ließen. Eine edle Dame von Cremona, die Gräfin ......, welche diese Worte gehört hatte und die mit ganzem Herzen sich der Pflege in den Hospitälern widmete, sprach darüber ihre Missbilligung aus und erklärte, daß sie den Österreichern und den Alliierten vollständig dieselbe Pflege angedeihen lasse und durchaus keinen Unterschied zwischen Freunden und Feinden mache; „denn,“ setzte sie hinzu, „unser Herr Jesus Christus kannte auch keinen Unterschied zwischen den Menschen, sobald es sich darum handelte, ihnen Gutes zu tun.“ Obgleich es nicht unmöglich ist, daß Gefangene der alliierten Armee von den Österreichern anfänglich etwas grob behandelt wurden, so waren doch die obigen Berichte unrichtig oder mindestens übertrieben und die getanen Äußerungen mindestens nicht gerechtfertigt.

Was die französischen Ärzte betrifft, so taten sie Alles, was in ihren Kräften stand, ohne sich um die Nationalität der Vermundeten zu bekümmern, und es war ihnen nur leid, daß sie ihre Arbeitskräfte nicht vervielfältigen konnten. Hören wir hierüber den Dr. Sonrier: „Es erfüllt mich immer wieder mit tiefer Trauer,“ sagte er, „wenn ich an einen Saal von 25 Betten denke, in welchem zu Cremona die am schwersten verwundeten Österreicher lagen. Ich sehe sie noch vor mir diese entstellten erdfarbigen Gesichter mit ihren durch die Erschlaffung und das Einatmen der verpesteten Luft zusammengeschrumpften Wangen, wie sie mit durchdringendem Geschrei als eine letzte Gnade die Abnahme eines Gliedes verlangten, das man noch hatte erhalten wollen, um die Unglücklichen nur einem schauerlicheren Todeskampfe zu überantworten, bei dem wir ohnmächtige Zuschauer sein mußten!“


Der General-Intendant von Brescia, Herr Faraldo, Dr. Gualla, der Direktor der Spitäler dieser Stadt, Dr. Commissetti, Chef-Arzt der sardinischen Armee, und Dr. Carlo Cotta, Sanitätsinspektor der Lombardei, wetteiferten in der Hingebung für die Kranken und Verwundeten, und ihre Namen verdienen auf die ehrenvollste Weise nach dem des berühmten Baron Larrey, dem ärztlichen Chefinspektor der französischen Armee, genannt zu werden. Dr. Jsnard, Oberarzt 1ster Klasse, zeichnete sich durch eine bemerkenswerte Gewandtheit als Arzt und Administrator aus; neben ihm könnten wir noch in Brescia Herrn Thierry de Maugras und eine ganze Reihe mutiger und ausdauernder Chirurgen nennen, welche sich nicht minder verdient machten; denn es ist jedenfalls gewiß, daß wenn jene, welche töten, auf Ruhm Anspruch machen, auch diejenigen einer rühmenden Erwähnung und die Achtung und Erkenntlichkeit ihrer Mitmenschen verdienen, welche, und zwar oft genug mit Gefahr ihres Lebens, heilen. Ein angloamerikanischer Chirurg, Dr. Norman Bettun, Professor der Anatomie in Toronto, im oberen Kanada, kam nur deshalb von Straßburg, um seine Mithilfe jenen ausgezeichneten Männern anzubieten. Von Bologna, Pisa und anderen Städten Italiens waren die Studenten der Medizin herbeigeeilt. Außer den Bewohnern von Brescia hatten auch einige durchreisende Franzosen, Schweizer und Belgier gute Dienste geleistet und sich auf alle mögliche Weise den Kranken angenehm gezeigt; so brachten sie ihnen namentlich Orangen, Sorbet, Kaffee, Limonade und Tabak. Einer von ihnen wechselte einem Kroaten einen Guldenschein, nachdem dieser seit einem Monate alle Leute, welche kamen, um dieselbe Gefälligkeit angegangen hatte, da er mit diesem Papiergelde, dieser bescheidenen, sein ganzes Vermögen ausmachenden Summe in dieser Gestalt keinen Gebrauch machen konnte.

Im San Gaetano-Spitale zeichnete sich besonders ein Franziskaner in seinem Eifer für die Kranken aus und ein junger, wiederhergestellter, piemontesischer Soldat von Nizza diente als Dolmetscher zwischen den Kranken und den lombardischen Ärzten, da er französisch und italienisch sprach und deshalb auch zu diesem Zwecke beibehalten wurde. In Piacenza, dessen drei Spitäler von Privatleuten und Damen, welche den Dienst als Krankenwärter und Krankenwärterinnen versahen, besorgt wurden, war besonders eine dieser Letzteren sehr eifrig, eine junge Dame, deren Familie sie vergebens bat, auf den Dienst in den Spitälern wegen der bösen und ansteckenden Fieber zu verzichten. Sie erfüllte ihre Aufgabe mit solcher Unermüdlichkeit und zeigte dabei eine solche liebenswürdige Güte, daß die Soldaten in ihrer Verehrung non ihr sagten: „Sie macht das Spital zu einem Aufenthalte der Freude.“ — Ach! wie nützlich würden in diesen lombardischen Städten etwa 100 freiwillige, gewandte und geübte Krankenwärter und Krankenwärterinnen gewesen sein! Sie hätten um sich die zerstreuten Hilfskräfte sammeln können, welche überall einer belehrenden Leitung bedurften; denn es fehlte nicht allein für diejenigen, welche Ratschläge und Anleitungen geben konnten, an Zeit, dies zu tun, sondern dem größten Teile der Geübteren gingen auch selbst die notwendigsten Kenntnisse und die Praxis ab, so daß sie nur ihren eigenen guten Willen darbringen konnten, der hier ungenügend und oft genug erfolglos war. Was konnten in der Tat einer so umfangreichen und dringenden Arbeit gegenüber eine Handvoll einzelner Personen tun, wenn sie auch von dem bestem Willen beseelt waren! Und nach acht bis zehn Tagen war auch schon der liebreiche Eifer der Bewohner von Brescia, so ungekünstelt er auch anfangs gewesen, bedeutend abgekühlt; sie fühlten sich ermattet und mit nur wenig Ausnahmen der Sache überdrüssig. Außerdem mußte den minder einsichtsvollen und verständigen Bürgern, welche in die Kirchen oder Spitäler eine für die Kranken ungesunde Nahrung brachten, der Eintritt versagt werden; mehrere, welche recht gerne ein oder zwei Stunden bei den Kranken sich aufgehalten haben würden, verzichteten darauf, sobald sie hiefür einer Erlaubnis bedurften und zu Erlangung derselben umständliche Formalitäten erfüllen sollten; und die Fremden, welche geneigt gewesen wären, sich nützlich zu zeigen, stießen bald auf diese, bald auf jene Weise, auf Hindernisse, welche sie auf ihren Vorsatz verzichten ließen. Allein freiwillige, gutgewählte und fähige Krankenwärter, von durch die Behörden geduldeten und funktionierten Gesellschaften geschickt, hätten ohne Mühe alle diese Schwierigkeiten überwinden und ohne Zweifel viel Gutes tun können.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)