Über den Transport der Verwundeten im Felde

Mitgeteilt von Herrn Dr. Louis Appia,

ehemaligen Präsidenten der medizinischen Gesellschaft in Genf, Mitglied der medizinischen Akademie und der Gesellschaften von Turin, Neapel, Kopenhagen, Marseille, Lyon, Bordeaux usw.;


Ritter des St. Moritz- und Lazarus-Ordens.

Der Zweck dieser Mitteilung ist, die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand zu lenken, dessen Wichtigkeit und Dringlichkeit der Feldzüge in Italien dargelegt hat, nämlich: auf die Amputationen im Allgemeinen und auf die anzuwendenden Mittel, um die Zahl der Amputationen zu vermindern, ohne das Leben der Vermundeten zu gefährden.

In einem Werke: „Le Chirurgien à l'ambulance“ , habe ich versucht, zu beweisen, daß die Versuche, bei Schenkel- und Beinbrüchen die betreffenden Glieder zu erhalten, nur in wenig Fällen eine Heilung zulassen, und zwar nur in dem Verhältnisse von 35:100, und daß bei den sogleich vorgenommenen Amputationen im Vergleiche zu den erst später erfolgenden die ersteren einen annähernden Vorteil von 73: 52 darbieten. Ohne die Wichtigkeit solcher Zahlenverhältnisse bei Beobachtungen dieser Art überschätzen zu wollen, glaube ich doch, daß die Amputation mehr Möglichkeit des Gelingens darbietet, wenn sie alsogleich vorgenommen werden kann. Man wird aber zugeben, daß die Folgen eines solchen chirurgischen Systems sehr bedenklich sind. Durch die Vermehrung der Zahl der Verstümmelten wächst auch die Zahl der für die menschliche Gesellschaft nutzlosen oder wenig nützlichen Individuen an, und werden auch die Finanzen durch die gezwungene Unterhaltung dieser Armee von Invaliden schwer belastet.

Dem ernsten Dilemma gegenüber, entweder 1) etliche Glieder zu erhalten, aber viele Leben auf das Spiel zu setzen, oder 2) eine große Zahl von Leben zu erhalten, aber dadurch viele Invaliden zu schaffen, — ist es wohl natürlich, die Frage aufzuwerfen, ob es kein Mittel gebe, um die eine dieser Gefahren zu vermindern, ohne die andere zu Vermehren.

Die Bemühungen der Chirurgen können sich sowohl der Art der Behandlung der Wunde zuwenden, als auch auf Anlegung des ersten Verbandes und auf den Transport der Verwundeten sich beziehen. Der eine dieser Punkte fällt mit allen Fragen über die Behandlung der durch Feuerwaffen hervorgebrachten Wunden im Allgemeinen zusammen, und diesen Gegenstand haben wir hier nicht weiter in Betracht zu ziehen.

Allein ist es in Beziehung auf den Transport nicht augenscheinlich, daß derselbe einen unmittelbaren Einfluß auf die Erhaltung des Verwundeten und des Verletzten Gliedes hat? Was waren nicht oft die traurigen Folgen eines langen Transportes auf holperigen Wegen in schlecht konstruierten Wagen und bei unvollständig angelegten Verbänden! Die ergreifenden Darstellungen von „Eine Erinnerung an Solferino“ bieten uns davon einen bedauernswürdigen Beweis.

Wird der Apparat für Knochenbrüche, von welchem ich hier eine Beschreibung geben will, in den verschiedenen Armeen irgend eine allgemeine Anwendung finden? Wir wissen es nicht, allein auf alle Fälle haben die obersten militärischen Sanitätsräte von Paris und Turin ihn in den Militärspitälern geprüft, und er wurde auch in der spanischen Armee während des marokkanischen Krieges beim Transporte der Verwundeten angewendet.

Der Apparat besteht aus 6 oder 8 Kissen in Wurstform, von einer Breite von 7 und einer Länge von 70 Zentimeter; diese Kissen sind an den Seiten miteinander verbunden, so daß sie ein Ganzes bilden. Sie werden von einer großen viereckigen Leinwand umhüllt, an welcher fünf kleine Schienen oder Brettchen befestigt sind.

Der mittelst schmaler lederner Riemen zusammengeschnallte Apparat umhüllt das ganze verletzte Glied und hält es unbeweglich fest.

Die bissen können von einfacher Leinwand und mit Rosshaar oder mit Heu ausgefüllt sein. Man kann sie auch aus Kautschuk machen, und sie in diesem Falle durch kleine an ihren Endpunkten angebrachte Hahnen mit Luft füllen.

Der wichtigste Teil an diesem Apparate ist die lange Schiene, d. h. dasjenige der 5 Brettchen, welches unter dem Gliede dasselbe seiner ganzen Länge nach zu stützen hat und deshalb doppelt so lang sein muß als die Übrigen.

Durch einen sehr einfachen Mechanismus ist es mir gelungen, eine Schiene herzustellen, die man willkürlich verlängern und in dieser Verlängerung fast unbiegsam machen kann. Zu diesem Zwecke besteht diese Schiene aus zwei Teilen von gleicher Länge, welche über einander geschoben werden können. Auf diese Weise genügt es, vor Anbringung des Apparates die innere Schiene vorzuschieben, damit die betreffende Schiene die wünschbare Länge für das zu stützende verwundete Glied erhält.

Um jedes Schwanken des Fußes nach einer oder der anderen Seite zu verhindern, ist an dem Endpunkte der langen Schiene eine Holzsohle angebracht, welche an den Fuß geschoben und mit Riemen da festgeschnallt wird. Sobald der Apparat an das Bein angelegt ist, wird jede Bewegung unmöglich; es bleibt dann nur noch übrig, das gesunde Glied an das kranke an zwei Stellen zu befestigen, und der Transport kann ohne Gefahr vorgenommen werden.

In Beziehung auf diesen Transport kommt es natürlich auf den Sitz und auf die Gefährlichkeit der Verwundung an, so wie auf die Distanz, welche man zurückzulegen hat.

Das Tragen in freier Hand ist immer schwierig, und kann nicht auf lange Strecken angewendet werden; es sind dazu mindestens zwei Träger notwendig. Da jedoch ihre Hände leicht ausgleiten und sich trennen können, so muß man durch ein sehr einfaches Mittel diesem vorbeugen. Man dreht ein Taschentuch in Strickform zusammen, knüpft die zwei Enden fest an einander, und nachdem man den auf diese Weise angefertigten Strick zu einer oo gekreuzt, werden, die Hände hineingeschoben und fassen sich unter der Kreuzung. Auf diese Weise ist jedes Ausgleiten unmöglich, und der Transport kann ohne Gefahr auf eine so weite Strecke vor sich gehen, als die Kraft der Arme es erlaubt.

Bei Knochenbrüchen, vorzüglich der unteren Gliedmaßen, muß man es vermeiden, den Transport vorzunehmen, ohne daß ein vorläufiger Verband angelegt wurde. Es ist in diesen Fällen immer besser, den Verwundeten zuerst an einen Platz zu bringen, wo er gegen die Geschosse gesichert ist und seinen Transport so lange zu verschieben, bis man das Nötige hat, um den ersten festen Verband anzulegen.

Der Transport mit der Tragbahre ist immer dem mit freier Hand vorzuziehen; er sichert dem Körper eine größere Unbeweglichkeit, und derselbe fühlt dabei weit weniger die Bewegungen der Träger.

Eine sehr einfache und sehr solide Tragbahre kann dadurch hergestellt werden, daß man 2 bis 3 und selbst 4 Hemden an einander knüpft, und sie dann kreuzweise über zwei Gewehre oder noch besser um zwei hölzerne Stangen, oder kleine 10 bis 12 Fuß lange Baumstämme befestigt. Auch eine Strickleiter kann als gute Tagbahre verwendet werden.

Eine Regel, welche ich hier noch zum Schlusse beifügen möchte, ist die, daß man nie die Wegschaffung oder den Transport eines Verwundeten vornimmt, ohne sich vorher mit den übrigen Trägern verständigt zu haben. Es ist gerade hier der Moment, wo der Intelligente Umsicht, schnellen Überblick und festen Willen zeigen kann, und sich die notwendige Autorität erringt.

Der seit dem Krimkriege so allgemein bekannte Namen der Miss Nightingale veranlaßt uns, einige Zeilen hieher zu setzen, welche dieselbe über den Gegenstand, der in diesem Buche behandelt ist, schrieb:


Claydon, Buckinghamshire, Jan. 14.1803.

„Miss Nightingale read attentively and with great interest the horrible account of the battles written by Monsieur Henry Dunant, she says it is only too faithful a representation.

„She entertains no doubt with regard to Monsieur Dunant's proposal . . . .“


Claydon Buckinghamshire, den 14. Januar 1863.

Miss Nightingale hat mit ebensoviel Aufmerksamkeit als Interesse die von Herrn Henry Dunant gegebene Erzählung der schrecklichen Schlachten gelesen, sie sieht in dem Ganzen ein nur allzu treues Bild der Wirklichkeit.

Sie hegt keinen Zweifel in Beziehung auf das Ziel, welches der Verfasser dabei verfolgt




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)