Tabakgeschenke werden in den Spitälern verteilt

Mehrere Tage hinter einander teilte ich Tabak, Pfeifen und Zigarren in den Kirchen und Spitälern aus, wo der Geruch des von etlichen hundert Menschen gerauchten Tabaks sehr nützliche Dienste leistete gegen die giftigen Ausdünstungen, welche der Aufenthalt so vieler Kranken in diesen von drückender Hitze erfüllten Lokalitäten verursachte. Der in Brescia vorrätige Tabak war sehr bald aufgezehrt, und man war gezwungen, solchen von Mailand kommen zu lassen. Das Tabakrauchen war auch fast das einzige Mittel, welches die Besorgnisse der Verwundeten vor einer Amputation verminderte; an Mehreren wurde die Operation vorgenommen, während sie die Pfeife im Munde hatten, und Viele starben, während sie rauchten.

Ein achtbarer Bewohner von Brescia, Herr Carlo Broghetti, führte mich mit äußerster Zuvorkommenheit in seinem Wagen von einem Spital der Stadt zum andern und half mir meine Tabakgeschenke verteilen, welche von den Kaufleuten in Tausenden von kleinen Tüten zurecht gemacht worden waren; diese Tüten wurden von freiwilligen Soldaten in großen Körben hinter uns hergetragen. Überall war ich wohl aufgenommen. Nur ein lombardischer Arzt, Graf Calini, wollte nicht gestatten, daß in dem seiner Leitung anvertrauten Militärspital von San Luca die Zigarrengeschenke ausgeteilt würden, während alle andern Ärzte im Gegenteil sich darüber ebenso erkenntlich zeigten, als die Kranken selbst. Dieser kleine Anstand schreckte mich übrigens nicht ab, und ich darf wohl sagen, daß dies das einzige Hindernis und die einzige, wenn auch unbedeutende Schwierigkeit war, die mir begegnete; bis dahin war ich nirgends auf einen Widerstand dieser Art gestoßen und, was noch mehr erstaunen mag, ich war nicht ein einziges Mal genötigt, meinen Paß oder meine Empfehlungen von Generalen an andere Generale vorzuweisen, und meine Brieftasche war von derartigen Briefen angefüllt. *) Ich hielt mich deshalb dadurch nicht für geschlagen, und noch an demselben Nachmittage gelang es mir nach einem neuen Versuche in San Luca eine Menge Zigarren an die wackeren Kranken auszuteilen, welche ich unschuldigerweise die Qualen des Tantalus hatte erdulden lassen. Als sie mich zurückkommen sahen, stießen sie Ausrufe der Freude und des Vergnügens aus.


*) Manentlich von dem durch sein gutes und leutseliges Wesen und durch seine ausgezeichneten militärischen Eigenschaften so bekannten General Marquis von Beaufort d'Hautpoul. Er war Chef des Generalstabs in dem Armeecorps, welches die Toskana besetzt hatte. Seitdem stand er als Oberkommandant an der Spitze der syrischen Expedition. — General de Beaufort ist der Neffe des verstorbenen Grafen de Budé, welcher Mitglied des Zentralrates des Aix-Departements war und im Juli 1862 in Genf starb, von Allen, die ihn kannten, tief betrauert.

Während meiner Wanderungen begab ich mich auch in eine Reihe von Zimmern in dem zweiten Stocke eines ausgedehnten Klosters, eine Art von Labyrinth, dessen Erdgeschoss und erster Stock mit Verwundeten angefüllt waren; in einem dieser obern Zimmer fand ich 4 oder 5 in Fieber liegende Verwundete, in einem andern 10 bis 15, in einem dritten etwa 20, alle in Betten untergebracht, allein ohne daß man sie aufmerksam gepflegt hätte; sie beklagten sich auf das Bitterste, daß sie während mehrerer Stunden keinen Krankenwärter gesehen hätten und baten mich auf das Inbrünstigste, ich möchte ihnen ein wenig Fleischbrühe reichen lassen, anstatt des eiskalten Wassers, das ihnen bis dahin als Getränke gedient habe. Am äußersten Ende eines sehr langen Korridors in einem Vollständig abgelegenen Zimmer starb, gänzlich allein gelassen und hingestreift auf seinem elenden Bette, ein junger Versagliere, der vom Wundfieber befallen war. Obschon er noch vollkommen bei Leben schien und die Augen weit offen hatte, so war er doch nicht mehr im Staude, die an ihn gerichteten Worte zu verstehen, und wohl aus diesem Grunde hatte man ihn sich selbst überlassen. Viele französische Soldaten baten mich, an ihre Verwandten zu schreiben, Andere wollten, daß ich an ihren Hauptmann, der in ihren Augen ihre abwesende Familie ersetzte, ihre Briefe richtete. Im Spital San Clemenzia widmete sich eine Dame von Brescia, die Gräfin Bronna, mit der Selbstverleugnung einer Heiligen der Sorge der Amputierten; die französischen Soldaten sprachen mit wirksicher Begeisterung von dieser Frau, welche sich auch durch die Ekel erregendsten Szenen nicht zurückhalten ließ. „Sono madre,“ sagte sie mit wirklich ergreifender Einfachheit. „Ich bin Mutter,“ — mit diesem einen Worte ist in der Tat ihre mütterliche Sorgfalt vollständig gezeichnet.

In den Straßen wurde ich 5 bis 6 Mal hinter einander von Einwohnern der Stadt angesprochen, ich solle zu ihnen kommen und ihnen hei den verwundeten Kommandanten, Hauptleuten oder Lieutenants, welche sie in ihren Häusern aufgenommen hatten und auf das Sorgfältigste verpflegten, als Dolmetscher dienen, da sie die mit ihrer Sprache nicht bekannten Gäste nicht zu verstehen im Stande seien. Einer dieser Verwundeten war unruhig und aufgeregt darüber, daß man ihn nicht verstand, zum großen Leidwesen der ganzen Familie, welche ihn mit den Gefühlen des Mitleides umstand und sich über die üble Laune des Kranken grämte, während ihn Fieber und heftige Schmerzen heimsuchten. In einem anderen Hause lag ein Offizier, dem ein italienischer Arzt Ader lassen wollte und der, in dem Glauben, daß man ihn zu amputieren beabsichtige, mit aller Kraft Widerstand leistete und durch seine Aufregung das Übel nur noch verschlimmerte; die beruhigenden und aufklärenden Worte in der Muttersprache waren bei diesen bedauerlichen Verwechslungen allein im Stande, die Invaliden von Solferino zu beruhigen. Mit welcher Sanftmut und Geduld suchten die Bewohner von Brescia diejenigen zu pflegen, welche herbeigekommen waren, um sie und ihr Vaterland von dem fremden Joche zu befreien! Es erfüllte sie mit wirklichem Kummer, wenn ihr kranker Gast dem Tode erlag. Wie rührend war es, ganze, auf diese Weise improvisierte Familien längs der langen Zypressenanlage des St. Johanntors bis zum Kirchhofe dem Sarge eines französischen Offiziers folgen zu sehen, der ihr Gast seit wenigen Tagen gewesen, dessen Namen sie vielleicht nicht einmal kannten, und den sie jetzt wie einen Freund, wie einen Verwandten, wie einen Sohn beweinten!

Die in den Spitälern sterbenden Soldaten wurden während der Nacht beerdigt, allein man schrieb vorher, und dies zwar in den meisten Fällen, ihren Familiennamen und ihre Ordnungsnummer auf, was vorher in Castiglione nicht geschehen war.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)