Kaiser Napoleon zeigte sich mit seinen Truppen überall

Kaiser Napoleon zeigte sich an diesem Tage überall, wo seine Gegenwart notwendig sein konnte; begleitet von Marschall Vaillant, dem Chef des Generalstabs der Armee, dem Generale Martimprey, dessen erstem Flügeladjutanten, dem Grafen Roguet, dem Grafen Montebello, dem Generale Fleury, dem Prinzen de la Moskova, den Obristen Reille, Robert, seiner ganzen königlichen Leibgarde (maison militaire) und der Schwadron der Centgardes, hatte er fortwährend die Schlacht geleitet, indem er sich stets nach den Punkten begab, wo die hartnäckigsten Hindernisse zu bekämpfen waren, ohne sich um die ihn bedrohenden Gefahren zu bekümmern; auf dem Fenile-Berg wurde dem Baron Larrey, seinem Leibchirurgen, ein Pferd unter dem Leibe erschossen und mehrere Centgardes der Eskorte getötet. Er nahm Besitz von demselben Hause in Cavriana, in welchem sich am gleichen Tage der Kaiser von Österreich aufgehalten hatte, und von hier aus entsendete er eine Depesche an die Kaiserin, in welcher er derselben seinen Sieg verkündigte.

Die kaiserliche Armee lagerte in den Stellungen, welche sie während des Tages erobert hatte; die Garde biwakierte zwischen Solferino und Cavriana, die zwei ersten Corps auf den an Solferino grenzenden Höhen, das dritte in Rebecco, das vierte in Volta.


Guidizzolo wurde bis Abends 10 Uhr von den Österreichern besetzt gehalten, deren Rückzug gedeckt wurde auf dem linken Flügel durch den Feldmarschall von Veigl, auf dem rechten Flügel durch den Feldmarschall Benedek, der, bis spät in die Nacht Herr von Pozzolengo, den Rückmarsch des Grafen Stadion und Clam-Gallas sicherte. Die Brigaden Koller und Gaal, sowie das Regiment Reischach zeichneten sich in sehr ehrenhafter Weise aus. Die Brigaden Brandenstein und Wussin wendeten sich unter der Führung des Prinzen von dessen gegen Volta, von wo aus sie den Übergang der Artillerie über den Mincio durch Borghetto und Valeggio deckten.

Die zersprengten österreichischen Soldaten wurden gesammelt und nach Valeggio geführt; die Straßen waren bedeckt teils mit der Bagage der verschiedenen Corps, teils mit Brückenequipagen und Artillerie-Trains, welche gegenseitig sich überstürzend in aller Eile den Paß von Valeggio zu erreichen suchten; das Train-Material wurde allein nur gerettet durch das schnelle Schlagen der fliegenden Brücken. Die ersten Konvois der leicht Verwundeten rückten zur nämlichen Zeit in Villafranca ein, ihnen folgten andere Konvois mit schwerer verwundeten Soldaten, und während dieser ganzen so traurigen Nacht war der Zudrang an Verwundeten ein ungeheurer; die Ärzte verbanden ihre Wunden, flößten ihnen einige stärkende Lebensmittel ein und schickten sie dann auf der Eisenbahn nach Verona, welches von Verwundeten überfüllt war. Obgleich jedoch die Armee auf ihrem Rückzuge alle Verwundeten, welche die Armeefuhrwerke und die requirierten Wagen führen konnten, mit sich nahm, wie viele Unglückliche mußten noch in ihrem Blute gebadet auf dem weiten blutgedrängten Schlachtfelde zurückbleiben!

Gegen das Ende des Tages und mit Einbruch der Dunkelheit, welche ihre geheimnisvollen Schleier über dieses Blutfeld breitete, irrte so mancher französische Offizier oder Soldat da und dort, um einen Kameraden, einen Landsmann, einen Freund zu suchen; fand er einen Bekannten, so kniete er bei ihm nieder, suchte ihn wieder zu beleben, drückte ihm die Hand, stillte sein Blut oder umwickelte das zerschmetterte Glied, allein er vermochte nicht für die armen Leidenden sich Wasser zu verschaffen. Wie viele Tränen sind an diesem düsteren Abende geflossen, wo jede falsche Eigenliebe, wo jede menschliche Ehrsucht geschwunden war!

Während des Kampfes waren überall Feldlazarett in den Landgütern, Häusern, den Kirchen und Klöstern der Nachbarschaft oder selbst unter dem Schatten der Bäume im Freien errichtet worden; hier wurde den verwundeten Offizieren während des Morgens eine Art Verband angelegt, und nach ihnen den Unteroffizieren und Soldaten; alle französischen Chirurge zeigten eine unermüdliche Hingebung und gönnten sich während vierundzwanzig Stunden auch nicht einen Augenblick Ruhe; zwei von ihnen, bei dem unter Dr. Mery, dem Chef-Arzt der Garde, stehenden Feldlazarett hatten so viele Glieder abzunehmen und Verbände anzulegen, daß sie vor Ermattung bewusstlos zusammensanken; bei einem anderen Lazarette war einer ihrer Kollegen gezwungen, seine erschlafften Arme von zwei Soldaten stützen zu lassen, damit er seine Funktionen verrichten könne.

Während einer Schlacht pflegt man ein rotes Fahnentuch*) auf einer Anhöhe aufzustecken, um den Verbandplatz für die Verwundeten und die Feldlazarette der im Kampfe stehenden Regimenter zu bezeichnen und durch ein stillschweigendes gegenseitiges Übereinkommen wird nach diesen Punkten nicht geschossen; dennoch aber reichen auch oft die Bomben bis dahin, ohne weder die Administrativbeamten und das ärztliche Personal, noch auch die für die Kranken und Vermundeten mit Brot, Wein und Fleisch für Brühen beladene Wagen zu schonen. Die Soldaten, welche noch gehen konnten, begaben sich selbst zu diesen Lazaretten, die anderen, vom Blutverluste oder von langer Entbehrung geschwächt, wurden mittelst Sänften oder Tragbahren dahin gebracht.

*) Die Hospitäler tragen eine schwarze Fahne.

Auf dieser so ausgedehnten und zugleich so unebenen Landstrecke, von mehr als 20 Kilometers Länge, und nach einer so großartigen zerstörenden Umwandlung konnten Soldaten, Offiziere und Generale nur unvollkommen den Ausgang aller gelieferten Gefechte und Kämpfe wissen, und während des Kämpfens selbst konnten sie kaum erkennen, was neben ihnen vorging. Diese Unkenntnis war in der österreichischen Armee um so bedenklicher bei der Verwirrung in den Befehlen und dem Mangel einer zusammengreifenden, wohl geleiteten Aktion.

Die Höhen, welche sich von Castiglione bis Volta hinziehen, erglänzten in Tausenden von Feuern, welche man mit Trümmern von zerschmetterten österreichischen Munitionswagen und mit den von den Kugeln oder dem Gewitter abgerissenen Ästen nährte; die Soldaten trockneten an diesen Feuern ihre durchnässten Kleider und schliefen dann ermattet auf dem Gesteine und dem Boden ein; allein die Kräftigeren ruhten noch nicht, sie suchten nach Wasser, um ihre Suppe oder ihren Kaffee zu kochen, denn sie hatten ja diesen ganzen Tag nicht nur der Ruhe, sondern auch der Nahrung entbehrt.

Welche herzzerreißende Episoden, welche traurige Enthüllungen, welche schmerzliche Täuschungen! Ganze Bataillone sind ohne Lebensmittel, und Kompanien, welche man die Tornister hatte ablegen lassen, entbehren auch des Nötigsten; bei andern fehlt das Wasser, und der Durst ist so groß, daß man zu kotigen und schlammigen, mit geronnenem Blute gemischten Pfützen seine Zuflucht nimmt. Husaren, welche zwischen 10 und 11 Uhr Nachts nach dem Biwak zurückkamen, weil sie ausgeschickt worden waren, um aus weite Entfernung Holz und Wasser zur Zubereitung des Kaffees zu holen, hatten so viele Sterbende auf ihrem Wege gefunden, die sie um einen Trunk baten, daß sie fast alle ihre Kessel leerten, um eine Pflicht der Menschlichkeit zu erfüllen. Indes konnten sie endlich ihren Kaffee bereiten, allein kaum war er fertig, so vernahm man Schüsse in der Ferne, und man rüstete sich zum Aufbruch; die Husaren warfen sich aufs Roß und sprengten nach der Gegend, wo die Schüsse fielen, ohne daß sie Zeit hatten, ihren Kaffee zu trinken, der im Getümmel umgeschüttet wurde. Bald erfuhr man, daß die gefallenen Schüsse, in denen man einen drohenden feindlichen Angriff vermutete, von den französischen Vorposten herrührten, deren Vedetten auf ihre eigenen Leute feuerten, die ebenfalls Holz und Wasser suchten, und die man für Österreicher gehalten hatte. Nach diesem Alarm kehrten die Reiter erschöpft zurück und warfen sich beim Biwak nieder, um die noch übrigen Stunden der Nacht hier zu schlafen. Auch bei ihrem Rückritte hatten sie zahlreiche Verwundete getroffen, welche sie um Wasser anflehten. Ein Tyroler lag unweit von ihrem Biwak, fortwährend um einen Trunk Wassers bittend, allein sie hatten selbst keines mehr und konnten sein Verlangen nicht erfüllen; des andern Morgens fand man ihn tot, mit schaumbedeckten Lippen und den Mund voll Erde; sein angeschwollenes Gesicht war grün und schwarz; bis zum Morgen lag er in den furchtbarsten Zuckungen und die Nägel seiner krampfhaft geschlossenen Hände waren gebogen.

In der Stille der Nacht hörte man klagen, Angst und Schmerzensschreie, herzzerreißende Hilferufe: wer wäre im Stande, alle die Todeskämpfe dieser schrecklichen Nacht zu beschreiben!



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)