Erste Gedanken zur Gründung einer humanitären Gesellschaft

Die Gesellschaften dieser Art würden, einmal konstituiert und permanent eingesetzt, während den Zeiten des Friedens wohl keine bestimmte Tätigkeit haben*), allein sie wären dann für den Fall eines Krieges vollständig organisiert; sie sollten auf alle Fälle in den Ländern, in denen sie bestehen, auf das Wohlwollen der Landesfürsten zählen können und bei Kriegsfällen von den Monarchen der kriegführenden Mächte die nötige Erlaubnis erhalten und alle möglichen Erleichterungen finden, um ihre Aufgabe nach Kräften erfüllen zu können. Diese Gesellschaften sollten deshalb in Bezug auf ihre innere Organisation in jedem Lande als Mitglieder des leitenden oberen Komitees Männer in sich aufnehmen, welche durch ihre achtungswerten Eigenschaften allgemein geschätzt sind. Die Komitees hätten dann einen Aufruf ergehen zu lassen an alle Personen, welche, von den Gefühlen der wahren Philanthropie durchdrungen, in dem geeigneten Augenblicke bereit wären, sich dieser Aufgabe zu widmen, und diese Aufgabe würde bestehen: 1) in Übereinstimmung mit den Militärverwaltungen, d. h. mit ihrer Unterstützung und im Notfalle unter ihrer Leitung, die nötige Hilfe und Pflege auf dem Schlachtfelde selbst während des Gefechtes den Verwundeten angedeihen zu lassen; alsdann 2) diese Pflege der Verwundeten bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung in den Spitälern fortzusetzen. Eine so ganz natürliche Hingebung findet sich weit häufiger, als man glaubt, und manche Personen, wenn sie einmal sicher sind, nützlich sein zu können, und überzeugt, durch die Ermutigung und die von der obersten Verwaltung gewährte Erleichterung, jetzt besser etwas Gutes tun zu können, würden nun sicherlich und selbst auf ihre eigenen soften herbeikommen, um während kurzer Zeit eine so ungemein philanthropische Aufgabe zu erfüllen. In diesem für so egoistisch und kaltherzig verschrieenen Jahrhunderte, welche Anziehungskraft müsste es nicht für edle und gefühlvolle Herzen, für ritterliche Charaktere haben, den gleichen Gefahren wie die Kriger zu trotzen, und dabei eine ganz freiwillige Mission des Friedens, der Tröstung und der Selbstverleugnung zu erfüllen!

*) Diese Gesellschaften könnten übrigens selbst bei epidemischen Krankheiten oder bei Unglücksfällen, wie Überschwemmungen und Feuersbrünsten, große Dienste leisten; der philanthropische Zweck, aus dem sie hervorgegangen wären, ließe sie überhaupt bei allen Gelegenheiten wirksam sein, wo ihre Tätigkeit Nutzen bringen könnte.


Die Beispiele der Geschichte beweisen, daß es durchaus nichts Grillenhaftes ist, auf solche Hingebungen zu zählen, und um hier nur deren zwei bis drei zu erwähnen, so wird man sich wohl des Erzbischofes von Mailand erinnern, des heil. Carolo Borromeo, welcher aus seiner Diözese nach dieser Stadt kam, als die Pest von 1576 in derselben hauste und, ohne die Ansteckung zu fürchten, den Einwohnern Hilfe leistete und sie zu ermutigen suchte. Und wurde sein Beispiel nicht im Jahre 1627 von Frederico Borromeo nachgeahmt? Wurde nicht Bischof Belzunce von Castel-Moron berühmt durch seine heroische Hingebung, welche er bei den Verheerungen dieser grausamen Landplage in den Jahren 1720 und 1721 in Marseille an den Tag legte? Hat nicht ein John Howard Europa durchreist, um die Gefängnisse, Lazarette und Spitäler zu besuchen? Die Schwester Marthe von Besançon war ja auch in den Jahren 1813 bis 1815 dafür bekannt, daß sie die Verwundeten der alliierten sowie die der französischen Armee verband; und vor ihr hatte sich eine andere Klosterfrau, die Schwester Barbara Schyner, im Jahre 1799 in Freiburg ausgezeichnet durch die Pflege der Verwundeten der feindlichen Armee und derjenigen der Armee ihres Vaterlandes.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)