Die Verschickung der Verwundeten in andere Spitäler

Von Castiglione sollten die Verwundeten nach den Spitälern von Brescia, Cremona, Bergamo und Mailand gebracht werden, um endlich hier eine regelmäßigere Pflege zu finden und die nötigen Amputationen zu erdulden. Da jedoch die Österreicher bei ihrem Rückmarsche alle Fuhrwerke der Bewohner mit Gewalt requiriert hatten, und die Transportmittel der Franzosen im Verhältnisse der Menge Verwundeter nicht ausreichen konnten, so mußten sie 2-3 Tage warten, ehe man sie nur nach Castiglione bringen konnte, das mit Verwundeten bereits überfüllt war*).

*) Das 6 Meilen östlich von Brescia gelegene Castiglione delle Stiviere zählt 5300 Seelen. Vorwärts desselben hatte, den 5.August 1796 und zwei Tage nach der einnähme dieser Stadt durch General Augereau, General Bonaparte einen entscheidenden Sieg über den österreichischen Feldmarschall Wurmser erfochten, ebenfalls ganz in der Nähe, an der Chiese, gewann den 19. April 1706 der Herzog von Bendorne die Schlacht von Calcinato über den Marschall von Reventlow, der in Abwesenheit des Prinzen Eugen die Kaiserlichen befehligte.


Diese ganze Stadt verwandelte sich sowohl für die Franzosen als auch für die Österreicher in ein weites improvisiertes Spital; schon während des Freitags war hier das Lazarett für das Hauptquartier aufgeschlagen worden, Charpie-Kisten wurden geöffnet, Verbandapparate und chirurgische Instrumente zurecht gestellt; die Einwohner gaben alles, was sie an Bettdecken, Leinwand, Strohsäcken und Matratzen entbehren konnten. Das Spital von Castiglione, die Kirche, das Kloster und die Kaserne von San Luigi, die Kapuzinerkirche, die Gendarmeriekaserne, sowie die Kirchen Maggiore, San Giuseppe und Santa Rosalia wurden mit Verwundeten angefüllt, die dichtgedrängt neben einander nur auf Stroh zu liegen kamen; man mußte nun auch auf den Straßen, in den Höfen und auf den Plätzen Stroh legen und hier überdeckte man die Lagerstätten mit Brettern oder spannte Tücher aus, um die von allen Seiten ankommenden Verwundeten gegen die Sonnenstrahlen zu schützen. Auch die Privathäuser füllten sich bald mit Verwundeten, Offiziere und Soldaten wurden von den vermöglicheren Eigentümern aufgenommen, welche ihr Möglichstes taten, um ihnen Linderung zu verschaffen; die einen suchten eifrig in den Straßen nach einem Arzte für ihre Gäste, andere verlangten, daß man doch die Leichname aus ihren Häusern wegtrage, die sie selbst nicht im Stande waren wegzuschaffen. Nach Castiglione wurden auch die Generäle Ladmirault, Dieu und Auger, die Obristen Broutta, Brincourt und andere höhere Offiziere gebracht, welche von dem gewandten Dr. Bertherand gepflegt wurden, der von Freitag Morgen an fortwährend mit Amputationen in San Luigi beschäftigt war. Zwei andere Oberchirurgen, die Doktoren Leuret und Haspel, zwei italienische Ärzte und die Gehilfen Riolacci und Lobstein hatten während 2 Tagen Verbände angelegt und setzten ihre mühsame Arbeit noch während der Nacht fort. Der Artillerie-General Auger, welcher zuerst nach der Casa Morino gebracht worden war, woselbst sich das Feldlazarett des Hauptquartiers von dem Corps des Marschalls Mac-Mahon befand, zu dem er gehörte, wurde dann nach Castiglione geführt; diesem ausgezeichneten Offiziere war die linke Schulter durch eine Kugel zerschmettert, welche während 24 Stunden in den Muskeln der Achselhöhle sitzen blieb; er starb den 29. an den folgen der Operation, welche die Ausziehung der Kugel verursachte, nachdem schon der Brand eingetreten war.

Während des Samstages waren die Konvois der Vermundeten in so großer Zahl angekommen, daß das Personal der Militärverwaltung, die Einwohner und die in Castiglione gelassene Truppenabteilung durchaus nicht hinreichten, um die notwendigen Dienste zu versehen. Jetzt begannen noch weit traurigere Auftritte, wenn gleich anderer Art, als am vorhergehenden Tage; es waren wohl Wasser und Lebensmittel vorhanden, allein die Verwundeten starben dennoch an Hunger und Durst, es war genug Charpie da, allein es fehlte an Händen, um die Wunden damit zu verbinden; der größte Teil der Ärzte hatte sich nach Cavriana begeben müssen, und es fehlte überdies noch an Krankenwärtern und an dienendem Personale. Man mußte deshalb wohl oder übel einen freiwilligen Krankendienst organisieren, was jedoch inmitten dieser Unordnungen sehr schwer war, und bei dem panischen Schrecken der Einwohner noch schwerer wurde; denn der traurige Zustand der Verwundeten hatte auf dieselben einen so erschütternden Eindruck geübt, daß die Verwirrung noch zunahm.

Dieser Schrecken wurde durch einen in der Tat unbedeutenden Vorfall noch vermehrt. Je nachdem jedes Corps der französischen Armee sich wieder gebildet und Stellung genommen hatte, wurden am Tage nach der Schlacht die Gefangenen-Transporte durch Castiglione und Montechiaro nach Brescia geführt. Eine dieser von Husaren eskortierten Abteilungen näherte sich gegen Nachmittag auf dem Wege von Cavriana nach Castiglione dieser letzteren Stadt und schon von Weitem hielten sie törichter Weise die Einwohner für die in Masse anrückende österreichische Armee.

Trotz der Abgeschmacktheit dieser von den Bauern, den gedungenen Führern der Bagagewagen und den kleinen ambulanten, den Truppen im Felde regelmäßig folgenden Krämern herumgebotenen Nachricht schenkten die Einwohner der Stadt dem Gerüchte dennoch Glauben, als diese Leute mit ängstlicher Eile ankamen. Die Häuser wurden geschlossen, von den Bewohnern verrammelt, so gut es ging, man verbrannte die dreifarbigen Fahnen, die die Fenster schmückten und verbarg sich dann in Kellern und auf Speichern; viele flohen über die Felder mit ihren Frauen und Kindern, in dem sie alles Kostbare mit sich nahmen; wieder andere weniger furchtsame blieben zu Hause, allein sie nahmen die ersten besten österreichischen Verwundeten, die ihnen in die Hände fielen, oder die sie auf den Straßen finden konnten, bei sich auf, um sie nun plötzlich mit aller Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit zu behandeln. In den Straßen und auf den Wegen, welche mit Wagen voll Verwundeten und mit Lebensmittelkonvois für die Armee bedeckt waren, wurden Fourgons mitfortgerissen, Pferde flohen nach allen Richtungen unter den Schreckensrufen und unter dem Wutgeschrei der Führer, Bagagewagen wurden umgeworfen, ganze Ladungen von Biskuit in die Straßengräben geschleudert. Die immer mehr erschreckenden Fuhrleute spannten ihre Pferde aus, und flohen mit ihnen in gestrecktem Laufe auf der Straße nach Montechiaro und Brescia, indem sie auf dem ganzen Wege die Schreckensnachricht verbreiteten, Lebensmittel und Brotwagen, welche die Stadtbehörde von Brescia regelmäßig in das alliierte Lager sendete, mit sich fortrissen, Verwundete überfuhren, welche sie vergebens um Aufnahme flehten und jetzt voll Verzweiflung ihren Verband wegrissen, schwankend die Kirchen verließen, auf den Straßen sich fortzuschleppen suchten, ohne zu wissen, wie weit sie noch gehen könnten.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)