Der Morgen nach der Schlacht

Die ersten Sonnenstrahlen des 25. beleuchteten eines der furchtbarsten Schauspiele, das sich dem Auge darzubieten vermag. Überall war das Schlachtfeld mit Menschen- und Pferdeleichen bedeckt; auf den Straßen, in den Gräben, Bächen, Gebüschen, auf den Wiesen, überall lagen Tote umher, und die Umgebung von Solferino war im wahren Sinne des Wortes damit übersät. Die Felder waren verwüstet, Frucht und Mais niedergetreten, die Garten- und Feldeinfassungen zusammengerissen, die Wiesen durchfurcht, und überall sah man größere und kleinere Blutlachen. Die Ortschaften waren verlassen und zeigten überall Spuren der Gewehrchargen, der Stückkugeln, Raketen, der Bomben und Granaten: die Mauern sind zerrissen, von Kugeln durchbohrt, welche weite Brechen öffneten; die Häuser sind durchschossen, in ihren Fundamenten erschüttert zeigen ihre Mauern weite Risse; die seit einem Zeitraume von nahe an 20 Stunden versteckten und geflüchteten Bewohner beginnen nach und nach die Keller zu verlassen, in welche sie sich, ohne Licht und Lebensmittel mitzunehmen, eingesperrt hatten; ihr verstörtes Aussehen zeigt von dem Schrecken, den sie ausgestanden. In der Umgebung von Solferino und besonders bei dem Kirchhofe des Ortes lagen massenweise Gewehre, Patrontaschen, Gamaschen, Tschako's, Dienstmützen, Käppis, Gürtel, kurz alle Arten von Monturstücken umher, darunter selbst zerfetzte und blutbefleckte Kleidungsstücke und zertrümmerte Waffen.

Die Unglücklichen, welche während des Tages aufgeladen wurden, waren bleich, eingefallen, vollkommen erschöpft: die Einen, und insbesondere die arg Verstümmelten, schauten scheinbar stumpfsinnig drein, sie verstanden nicht, was man zu ihnen sagte, ihre Augen blickten stier ihre Retter an, aber dennoch zeigten sie sich nicht unempfindlich für ihre Schmerzen; Andere waren unruhig, ihr ganzes Nervensystem zeigte sich erschüttert und sie zuckten konvulsivisch zusammen; diejenigen mit offenen Wunden, bei denen bereits die Entzündung um sich gegriffen, waren wütend vor Schmerz; sie verlangten, daß man ihren Leiden durch einen schnellen Tod ein Ende mache, und mit verzerrtem Antlitze wanden sie sich im letzten Todeskampfe.


Wieder an andern Stellen lagen Unglückliche, welche nicht allein von Kugeln und Bombenstücken getroffen, sondern deren Glieder auch noch von den Rädern der Geschütze, welche über sie hinwegfuhren, zerschmettert oder weggerissen worden waren. Der Anprall der zylindrischen Kugeln zersplitterte die Knochen nach allen Seiten hin, so daß die dadurch verursachte Wunde stets sehr gefährlich wurde; allein auch die Bombenstücke und die konischen Kugeln verursachten solche schmerzhafte Knochenzerschmetterungen und große innere Verletzungen. Splitter jeder Art, Knochenstücke, Teile von Kleidern, der Ausrüstung oder der Fußbekleidung, Erde und Stücke Blei machten die Wunden gefährlicher durch den geübten Reiz und Vermehrten dadurch die Dualen der Verwundeten.

Derjenige, welcher diesen ausgedehnten Schauplatz des Kampfes vom vorigen Tage durchwanderte, traf auf jedem Schritte und inmitten einer Verwirrung ohne Gleichen unaussprechliche Verzweiflung und Elend in allen Gestalten.

Ganze Regimenter hatten die Tornister abgelegt und bei ganzen Bataillonen war der Inhalt derselben verschwunden. Lombardische Bauern und algerische Jäger hatten genommen, was ihnen in die Hände fiel; so waren die Jäger und Schützen der Garde, welche ihre Tornister bei Castiglione abgelegt hatten, um leichter zur Unterstützung der Division Forey gegen Solferino vordringen zu können, und die, immer stürmend bis zum Abende, bei Cavriana biwakiert hatten, des andern Tages in aller Frühe zurückgeeilt, um ihre Tornister zu holen, allein diese waren leer, man hatte sie während der Nacht ausgeplündert. Der Verlust war für diese Leute sehr empfindlich, da ihr Weißzeug und ihre Uniformstücke beschmutzt, abgenützt und zerrissen waren und sie außer ihren militärischen Effekten auch noch ihrer bescheidenen Ersparnisse, die ihr ganzes Vermögen ausmachten, und so manchen Gegenstandes beraubt waren, der sie an ihre Verwandten, ihr Vaterland erinnerte und der von einer Mutter, einer Schwester oder einer Braut kam. An vielen Stellen wurden die Toten von den Dieben völlig entkleidet, die selbst die Verwundeten, bei vollem Bewußtsein, nicht verschonten; besonders hatten es die lombardischen Bauern auf die Fußbekleidungen abgesehen, die sie den Verwundeten unbarmherzig von den geschwollenen Füßen rissen.

Neben diesen bedauernswürdigen Auftritten boten sich aber auch wieder feierliche, ergreifende Szenen dem Auge dar. Da suchte der alte General Le Breton umherirrend seinen Schwiegersohn, den verwundeten General Douay, indessen er seine Tochter, dessen Gattin, etliche Meilen hinter sich, im Gewirre des Lagerlebens und in der ängstlichsten Erwartung zurückgelassen. Dort lag der Leichnam des Obrist-Lieutenant de Neuchèze, der, als er seinen Chef, den Obrist Vaubert de Genlis schwer verwundet vom Pferde sinken sah, in dem nämlichen Augenblicke von einer Kugel ins Herz getroffen wurde, als er herbeisprengte, um das Kommando zu übernehmen. Unweit davon lag Obrist de Genlis selbst im hitzigsten Wundfieber, während man ihm den ersten Verband anlegte; in seiner Nähe nahm man dem Unterlieutenant Selve de Sarrau von der reitenden Artillerie, der erst vor einem Monate die Militärschule von St. Cyr verlassen hatte, den rechten Arm ab. Dort lag ein armer Sergeant-Major der Vincenner Jäger, dem beide Beine durchschossen worden; ich sah ihn später noch im Hospital von Brescia, dann wieder in einem Eisenbahnwagen, als ich von Mailand nach Turin fuhr; aber er starb in Folge seiner Wunden, als er den Mont Cents passierte. Lieutenant de Guiseul, den man tot glaubte, wurde an derselben Stelle noch lebend gefunden, wo er mit der Fahne im Arm zusammenstürzte. Nahe dabei und fast inmitten eines ganzen Haufens toter österreichischer Lanziers und Jäger, Turcos und Zuaven, lag in seiner eleganten orientalischen Uniform der Leichnam eines muselmännischen Offiziers, des Lieutenants der algierischen Jäger Larbi den Lagdar, dessen sonnverbranntes, gebräuntes Gesicht auf der von einer Wunde zerrissenen Brust eines illyrischen Hauptmanns mit blendendweißer Casake ruhte; alle diese aufgeschichteten menschlichen Überreste verbreiteten einen widerlichen Blutgeruch. Obrist de Maleville, der so ruhmvoll bei der Casa Nova verwundet wurde, stieß hier den legten Seufzer aus; dort begrub man den Kommandanten de Pongibaud, welcher während der Nacht den Geist aufgegeben, und fand an einer andern Stelle den jungen Grafen de St. Paer, der erst seit einer Woche sich den Grad eines Bataillonschefs erkämpft hatte. Hier war es auch, wo der wackere Unterlieutenant Fournier von den Gardejägern, am vorhergehenden Tage schwer verwundet, mit 20 Jahren seine militärische Laufbahn beschloß: mit 10 Jahren als freiwilliger eintretend, ward er mit 11 Jahren Korporal und mit 18 Unterlieutenant, hatte bereits zwei Feldzüge in Afrika mitgemacht, sowie den Krimkrieg, woselbst er bei der Belagerung von Sebastopol verwundet wurde*). Bei Solferino sollte auch der letzte Sprössling einer der glorreichsten Familien des ersten Kaiserreiches fallen, in der Person des Obrist-Lieutenants Junot, Herzog von Abrantes und Generalstabs-Chef des Generals de Failly.

*) Unterlieutenant Jean-François Fournier wurde den 6.Februar 1839 in Metz geboren, ließ sich dann als Freiwilliger den 4.Juni 1849 in die Fremdenlegion anwerben und kam nach Algier; den 6.April 1850 wurde er Korporal, den 1.April 1851 Sergeant, den 11.Juli 1852 Sergeant-Fourier, 1854 Sergeant-Major; den Krim-Feldzug machte er in den Jahren 1855 und 1856 als Adjutant mit, war den 20.Nov. 1855 zum Unterlieutenant im 42. Linien-Regiment ernannt worden, von welchem er im gleichen Grade den 13.Oktober 1856 zum 2.Regimente der kaiserlichen Jäger versetzt wurde. Den 24.Juni tödlich verwundet, starb er den 25.

Der Wassermangel nahm immer mehr überhand, die Gräben waren ausgetrocknet, die Soldaten fanden meistens nur ein ungesundes und morastiges Getränk zur Stillung ihres Durstes, und an allen Stellen, wo sich ein Brunnen befand, wurden Schildwachen aufgestellt mit scharf geladenen Gewehren, weil man das Wasser für die Kranken erhalten wollte; bei Cavriana wurden in einem Sumpfe mit stinkig gewordenem Wasser während 2 Tagen 20,000 Artillerie- und Kavalleriepferde getränkt. Diejenigen reiterlosen Pferde, welche verwundet während der ganzen Nacht umherliefen, schleppten sich jetzt zu den Gruppen ihrer Genossen, gleich als ob sie von ihnen Hilfe verlangen wollten; man tötete sie jeweilen mit einem Schusse. Ein solch edles Tier, in herrlichem Schmucke, kam auch zu einem französischen Detachement; der Mantelsack, welcher noch fest auf dem Sattel angeschnallt war, enthielt Briefe und sonstige Gegenstände, welche erkennen ließen, daß das Pferd dem wackern Prinzen von Isenburg gehöre; man suchte nun unter den Toten und fand auch endlich den österreichischen Prinzen verwundet und bewusstlos von dem Blutverluste; allein den Bemühungen der französischen Chirurgen gelang es, ihn in's Leben zurückzurufen, so daß er zu seiner Familie zurückkehren konnte, als diese bereits, da sie ohne Nachricht von ihm geblieben war, Trauer angelegt hatte.

Bei manchen toten Soldaten bemerkte man den Ausdruck der Ruhe auf dem Antlitze, es waren jene, welche auf den ersten Schuß tot zusammensanken; allein eine große Zahl trug die Spuren des Todeskampfes, mit starr ausgestreckten Gliedern, den Körper mit bleifarbenen Flecken bedeckt, die Hände in die Erde gebohrt, den Schnurrbart borstig aufgerichtet, ein finsteres Lächeln um den Mund mit krampfhaft zusammengepressten Zähnen.

Man verwendete drei Tage und drei Nächte, um die Toten, welche auf dem Schlachtfelde liegen geblieben waren, zu begraben*); allein auf dieser weiten Strecke waren manche Leute in den Gräben, in den Ackerfurchen verborgen oder versteckt in Gebüschen und anderen Terrainunebenheiten und konnten erst später aufgefunden werden und alle diese Leichname, wie die gefallenen Pferde, hatten die Luft mit giftigen Dünsten geschwängert.

*) Drei Wochen nach dem 24.Juni 1859 fand man noch auf mehreren Punkten des Schlachtfeldes tote Soldaten von beiden Armeen. — Die Behauptung, daß der 25.Juni genügt habe, um alle Verwundeten wegzuführen und aufzunehmen, ist vollständig falsch.

In der französischen Armee wurde eine gewisse Anzahl Leute per Compagnie bestimmt, um die Toten zu suchen und zu begraben und gewöhnlich taten dies die Leute des gleichen Corps für ihre Waffengefährten; sie schrieben sich die Ordnungsnummer der Effekten jedes getöteten Mannes auf und legten dann mit Hilfe der dafür bezahlten lombarbischen Bauern den Leichnam mit seinen Kleidern in eine gemeinschaftliche Grube.

Unglücklicherweise darf wohl angenommen werden, daß bei der Hast, mit welcher diese Arbeit vollführt wurde, und bei der Sorglosigkeit oder groben Nachlässigkeit mancher dieser Bauern auch hin und wieder ein Lebender mit den Toten begraben wurde. Die Orden, das Geld, Uhren, Briefe und Papiere, welche man bei den Offizieren fand, wurden den Toten abgenommen und später an ihre Familien gesendet; allein bei einer solchen Menge von Leichnamen, wie sie hier begraben wurden, war es wohl nicht immer möglich, diese Aufgabe getreulich zu erfüllen.

Ein Sohn, der Liebling seiner Eltern, den eine zärtliche Mutter während einer langen Reihe von Jahren aufgezogen und gepflegt, über besten geringstes Unwohlsein sie sich erschreckt; ein schmucker Offizier, von seiner Familie geliebt, der grau und Kinder zu Hause gelassen; ein junger Soldat, der beim Abmarsche ins Feld seine Braut verließ, oder wie wohl ein jeder eine Mutter, Schwestern, einen alten Vater daheim hatte, — da liegt er nun im Kote, im Staube und in seinem Blute gebadet; sein männlich schönes Antlitz ist unkenntlich, der feindliche Säbel oder die Kartätschkugel haben es nicht verschont: er leidet und er stirbt; und sein Leib, der Gegenstand so langer Pflege, —jetzt geschwärzt, angeschwollen, zerstümmelt, wird da, wie er ist, in eine kaum ordentlich gegrabene Grube geworfen, nur mit einigen Schaufeln Kalk und Erde bedeckt, und die Raubvögel schonen seiner Hände und Füße nicht, welche beim Abspülen der Erde, ob in der Ebene oder auf dem Abhange, herausschauen aus dem Grabe; man wird wohl wieder kommen, Erbe aufschütten, vielleicht ein hölzernes Kreuz aufrichten, aber das wird Alles sein!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)