Der Mangel an Krankenwärtern und Dienern nimmt zu

Während des 25., 26. und 27., welche Todeskämpfe und welche Leiden! Die durch die Hitze, den Staub, den Mangel an Wasser und Pflege verschlimmerten Wunden wurden immer schmerzhafter, die mephitischen Dünste vergifteten die Luft, trotz den lobenswerten Bestrebungen der Militärverwaltung, die in Lazarette verwandelten Lokalitäten in gutem Stande zu erhalten; der zunehmende Mangel an Gehilfen, Krankenwärtern und Dienern wurde immer mehr fühlbar, denn die nach Castiglione kommenden Konvois brachten von Viertelstunde zu Viertelstunde immer noch neue Abteilungen von Verwundeten. So groß auch die Tätigkeit war, welche ein Oberchirurg und zwei bis drei Personen entwickelten, welche die regelmäßigen Transporte nach Brescia mit von Ochsen gezogenen Wagen organisierten, so groß auch der Eifer der Bewohner von Brescia, welche mit Wagen herbeikamen, um Kranke und Verwundete abzuholen und denen man besonders die Offiziere anvertraute, so waren doch der abgehenden Transporte weniger, als der ankommenden, und die Überfüllung nahm immer mehr zu.

Auf den Steinplatten der Spitäler und Kirchen von Castiglione waren neben einander Leute aller Nationen, Franzosen und Araber, deutsche und Slaven niedergelegt worden; manche einstweilen in die Ecke einer Kapelle untergebrachten Leute hatten nicht mehr die Kraft sich zu bewegen, oder konnten in diesem engen Raum sich nicht rühren. Flüche, Lästerworte und Geschrei hallten in den heiligen Räumen wieder. ,,Ach! mein Herr, wie leide ich!“ sagten einige dieser Unglücklichen zu mir, „man gibt uns auf; man läßt uns elend sterben, und doch haben wir uns ja wacker geschlagen!“ Trotz den Mühen, die sie ausgestanden, trotz den schlaflosen Nächten konnten sie jetzt keiner Ruhe genießen; in ihrer Verzweiflung riefen sie die Hilfe eines Arztes an, oder schlugen wild um sich, bis der Starrkrampf und der Tod ihrem Leiden ein Ende machte. Einige Soldaten, welche glaubten, daß das auf ihre bereits in Eiterung übergegangenen Wunden gegossene kalte Wasser Würmer hervorbringe, wollten sich ihre Verbände nicht mehr anfeuchten lassen; andern, welche in den Feldlazaretten verbunden worden waren, wurde seit ihrem gezwungenen Aufenthalte in Castiglione der Verband nicht mehr gewechselt, und war durch die Stöße auf dem Wege so zusammengepresst worden, daß sie jetzt eine wahre Marter auszustehen hatten. Ihr Antlitz war von Mücken bedeckt, welche an ihren Wunden saugten; ihre Blicke schweiften nach allen Seiten umher, ohne eine Antwort zu erhalten; Mantel, Hemd, Fleisch und Blut bildeten bei ihnen eine schaudererregende Mischung, in welcher sich die Würmer eingefressen hatten. Viele erschraken vor dem Gedanken, von diesen Wurmen zernagt zu werden, in dem Glauben, daß dieselben aus ihrem Körper kämen, indessen sie doch durch die Mückenschwärme, welche die Luft erfüllten, hervorgebracht worden waren. Hier sah man einen vollkommen unkenntlich gewordenen Soldaten, dessen Zunge unverhältnismäßig aus seinem zerrissenen und zerschmetterten Munde hervorhing; er versuchte, sich zu erheben; ich benetzte mit frischem Wasser seine ausgetrockneten Lippen und seine verhärtete Zunge, nahm dann eine Hand voll Charpie, die ich in einem Kübel, den man mir nachtrug, netzte, und legte dann dieselbe in die unförmliche Öffnung, welche den Mund ersetzte. Dort war ein anderer Unglücklicher, dem ein Teil des Gesichtes von einem Säbel weggehauen worden war, er war ohne Nase, Lippen und Kinn; in der Unmöglichkeit zu sprechen und halb erblindet gab er Zeichen mit der Hand, und durch diese ergreifende Pantomime, welche von gurgelnden Tönen begleitet war, zog er unsere Aufmerksamkeit auf sich; ich gab ihm zu trinken und ließ auf sein blutendes Gesicht einige Tropfen frisches Wasser träufeln. Ein Dritter, mit weitgeöffneter Hirnschale, sank sterbend zusammen, in dessen sein Hirn über die Steinplatten der Kirche floß; seine Unglücksgefährten stießen ihn mit den Füßen auf die Seite, weil er die Massage störte, ich schützte ihn in seinem letzten Todeskampfe und umhüllte sein armes Haupt, das sich noch schwach bewegte, mit meinem Taschentuche.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)