Aufruf zur Bildung von internationalen Hilfsorganisation

Ist es endlich nicht in einer Zeit, in welcher man so viel von Fortschritt und Zivilisation spricht und in welcher die Kriege einmal nicht immer vermieden werden können, ist es da nicht dringend notwendig. Alles zu tun, um den Schrecken derselben zuvorzukommen, oder diese mindestens so viel wie möglich zu mildern, und zwar nicht allein auf den Schlachtfeldern, sondern auch und namentlich in den Spitälern während der so langen und schmerzensreichen Wochen, welche die Unglücklichen dort zuzubringen haben?

Um dieses Werk zur Ausführung zu bringen, ist ein hoher Grad von Hingebung von Seiten einer gewissen Anzahl von Personen nötig*), aber sicherlich wurde es bei dieser Gelegenheit an den notwendigen Geldmitteln nicht fehlen. In Kriegszeiten wird wohl jeder seine, wenn auch noch so kleine Gabe darbieten, sobald von Seiten der Komitees die betreffenden Aufforderungen an ihn gelangen; die Völker bleiben nicht kalt und gleichgültig, sobald die Söhne des Landes sich schlagen; das Blut, das bei den Gefechten vergossen wird, es ist ja dasselbe, welches in den Adern der ganzen Nation fließt. Es wäre darum kein Hindernis irgend welcher Art zu fürchten, das den Fortgang der vorgeschlagenen Unternehmung stören könnte. Die Schwierigkeit liegt nicht da, sondern es handelt sich nur darum, ein solches Werk auf ernsthafte Weise Vorzubereiten und zu sehen, wie man diese Gesellschaften zusammensetzen könnte**).


*) Auf alle Fälle bedarf es zur Bildung der Komitees nur des guten Willens von Seiten einiger achtbarer Männer, welche bei irgend welcher Beharrlichkeit durchaus nicht berufen sein würden, sich selbst auf außerordentliche Weise zu betätigen. — Man hätte Cadres nötig, welche, gleichsam im Verborgenen, eine Art Generalstab bildeten, unter der Leitung großherziger Philanthropen, welche, stets bereit zum Handeln, während des Friedens, ohne sich aufzulösen, mehr oder minder untätig blieben. — Die in verschiedenen Gegenden und in verschiedenen Örtlichkeiten organisierten Komitees würden wohl, wenn auch von einander unabhängig, sich doch mit einander zu verständigen und in Verbindung zu setzen wissen, sobald irgend ein Krieg auszubrechen drohte.

**) „.... Man muss durch so ergreifende Beispiele, wie diejenigen „welche Sie erzählen, erkannt haben,“ so schrieb mir unter dem 19. Okt. 1862 der verehrte General Dufonr, „was der Ruhm auf den Schlachtfeldern an Martern und Tränen kostet. Man läßt stich nur zu oft verleiten, die glänzenden Seiten eines Krieges zu sehen, und die Augen vor „den traurigen Folgen desselben zu verschließen ... Es ist gut,“ setzt der berühmte General der schweizerischen Eidgenossenschaft hinzu, „die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Frage der Humanität zu lenken, und dazu „scheint mir Ihre Schrift ganz besonders geeignet. Eine aufmerksame „und sorgfältige Prüfung vermag mit Hilfe der Philanthropen aller Länder die Lösung derselben herbeizuführen...“


Wenn die furchtbaren Zerstörungsmittel, über welche die Volker in diesem Augenblicke verfügen, auch für die Zukunft die Dauer der Kriege verringern, so scheint uns doch, dass die Schlachten dadurch auch um so mörderischer werden; und in einem Jahrhunderte, in welchem das Unerwartete eine so große Rolle spielt, können da nicht von der einen oder andern Seite auf die plötzlichste und unerwartetste Weise Kriege entstehen? — Liegt nicht in dieser Überzeugung allein Grund genug, um sich nicht überraschen zu lassen?


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Erinnerung an Solferino (1859)