Ein ungedruckter Brief Schillers

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 1ter Jahrgang 1851. Januar-Juni.
Autor: Kahlert, August Dr. (1807-1864) deutscher Dichter, Literaturhistoriker und Musikkritiker, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Briefe, Schiller, Goethe, Garve, Vermutungen, Glaubensbekenntnis
Der nachfolgende Brief Schillers, dessen Echtheit nicht allein durch den Inhalt, sondern auch durch die Beschaffenheit der Schriftzüge unzweifelhaft gemacht wird, kam vor etwa zehn Jahren in Breslau zum Vorschein, indem er nebst ganz anderen unbedeutenden Papieren einem Beamten der hiesigen K. Universitätsbibliothek für dieselbe zum Kaufe angeboten wurde. Da die Bibliothek Autographen nicht sammelt, so wurde der Brief von jenem Beamten persönlich erworben, und mir für meine Privatsammlung freundlichst geschenkt. Wie der Verkäufer in seinen Besitz gekommen, noch, wo das Blatt bisher aufbewahrt wurde, ist nicht zu ermitteln gewesen. So viel ich bisher, aller Nachforschungen ungeachtet, festzustellen vermocht habe, ist er nirgends abgedruckt, womit, da die Anzahl deutscher Zeitblätter, worin dergleichen enthalten sein kann, allzugroß ist, noch immer keine Gewissheit ausgesprochen werden soll. Der Inhalt ist jedoch so interessant, dass ich ihn hier, mit Beibehaltung der Art der Rechtschreibung, genau mitteile. Am Schluss möge mir erlaubt sein, meine Vermutung, an wen er gerichtet sein kann, zu äußern.

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Jena, den 25. Jenn. 94.
Hier, mein vortrefflicher Freund erhalten Sie das 1ste Stück unsrer Horen. Möchte der Innhalt desselben Ihrer Aufmerksamkeit nicht unwerth sehn. Die Briefe über die aesthetische Erziehung des Menschen haben mich zum Verfasser und sind der Anfang eines größern Ganzen, davon aber noch mehrere Fortsetzungen in dieser Zeitschrift erscheinen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn das politische Glaubensbekenntniß, das ich in dieser ersten Lieferung meiner Briefe, ablege, auf irgend eine Art mit dem Ihrigen übereinstimmte.
In Ihrem letzten Briefe, für den ich Ihnen herzlich danke, machten Sie gegen den Gebrauch des Wortes: aesthetisch einige Einwendungen. Auch ich liebe es nicht, dem nichtgelehrten Leser das Verständnis einer Schrift, welche philosophische Wahrheiten popular machen soll, durch Einmischung von Kunstwörtern zu erschweren. Wenn aber der Zusammenhang der Sätze diese Kunstwörter erklärt, ja, wenn man denselben ihre Erklärung ausführlich beyfügt, wie ich in solchen Fällen immer beobachte, so halte ich es für einen Gewinn, solche Worte allmählig mehr in Umlauf zu bringen, weil dadurch die Bestimmtheit im Denken nothwendig befördert werden muss. Unsre Sprache hat, soviel mir bekannt ist, kein Wort, welches die Beziehung eines Gegenstandes auf das feinere Empfindungs Vermögen, bezeichnet, da schön, erhaben, angenehm u. s. f. bloße Arten davon sind. Da nun die Ausdrücke moralisch und physisch ohne Bedenken von der Erziehung gebraucht werden, und durch diese beyden Begriffe diejenige Erziehungsart, die sich mit der Ausbildung des feineren Gefühlsvermögens beschäftiget, noch keinesweges ausgedrückt ist, so hielt ich für erlaubt, ja, für nöthig, einer aesthetischen Erziehung zu erwähnen. Mit dem Umgang ist es eben so: ich nenne den Umgang moralisch, wenn er auf solche Verhältnisse der Menschen mit Menschen geht, die sich durch Pflichten bestimmen lassen; ich nenne ihn physisch, wo ihm bloß das natürliche Bedürfnis Gesetze gibt; ich nenne ihn aesthetisch, wo sich die Menschen bloß als Erscheinungen gegeneinander verhalten, und wo nur auf den Eindruck, den sie auf den Schönheitssinn machen, geachtet wird.
Mir tut leid, dass es mir nicht gelungen ist, Sie zu einer Schrift aufzumuntern, welche den Schriftsteller und seine Verhältnisse behandelt. Ich hielte diesen Gegenstand auch schon deswegen für desto wichtiger, da es ein ganz eigenthümliches Unterscheidungs Zeichen der neuern Welt von der Alten ist, den größten Teil ihrer Ausbildung auf diesem Wege zu erhalten. Aus dem ganz eigenen Umstand, dass der Schriftsteller gleichsam unsichtbar und aus der Ferne auf einen Leser wirkt, dass ihm der Vorteil abgeht, mit dem lebendigen Ausdruck der Rede und dem accompagnement der Gesten auf das Gemüth zu wirken, dass er sich immer nur durch abstrakte Zeichen, also durch den Verstand an das Gefühl wendet, dass er aber den Verteil hat. seinem Leser eben deswegen eine größere Gemüthsfreyheit zu lassen, als im lebendigen Umgang möglich ist, u. s. f. Aus Allem diesem scheinen mir ganz eigene Regeln hervorzugehen, die eine nähere Entwickelung verdienten. Bei dem Sprechenden mischt sich das Individuum schon mehr in die Sache, und darf sich mehr darein mischen. Von dem Schreibenden wird die Sache weit strenger gefordert. Nun giebt es aber ein Mittel der Sache nichts zu vergeben und dennoch durch Mitteilung seiner Individualität den Vortrag zu beseelen. Auf dieses Mittel nun wünschte ich die Aufmerksamkeit vorzüglich gerichtet zu sehen.
Leben Sie wohl, mein verehrter Freund. Möchte Ihre Gesundheit sich stärken und keine körperliche Störung Ihren heitren und ruhigen Geist in seiner schönen Thätigkeit unterbrechen. Ganz der Ihrige Schiller.
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Es sei nunmehr erlaubt, eine Vermutung über den unbekannten Adressaten des mitgeteilten Briefes, (bei dessen Beginn Schiller sich augenscheinlich verschrieben hat, da er 94 statt 95 schrieb, und doch wie aus vielen seiner längst gedruckten, im Januar 1795 an Goethe, Jacobi, Körner geschriebenen Briefen hervorgeht, die ersten Exemplare der „Horen“ nicht früher fertig waren), hier auszusprechen. Ich vermute nämlich, dass er an Christian Garve gerichtet war, und stütze mich dabei auf folgende Gründe.
Aus Schillers Briefe an Goethe v. 14. Juni 1794 geht hervor, dass er Garve zur Mitarbeiterschaft an dem neuen Journal eingeladen hatte, aus dem an Jacobi v. 24. August 1794, dass dieser bereits zugesagt habe. Indessen schreibt Garve an Weiße (s. Briefe von G. an W. Breslau 1802, Bd. II., S. 186) „Schiller, der mich auch unter die Mitarbeiter seiner Horen gesetzt hat, scheint dabei mehr auf seine Anfrage als auf meine Antwort gesehen zu haben. Diese war eher eine Entschuldigung als eine Zusage.“ Ferner würde die Zumutung, eine Abhandlung über die Natur des Schriftstellers zu schreiben, an Garve ganz passend gewesen sein, da dieser selbst nichts Andres als „Schriftsteller“ jemals sein wollte, und solche Spezialuntersuchungen sehr liebte, und gründlich, klar, wenn auch weitschweifig behandelte. Auch die Erwähnung des körperlichen Leidens, sowie des „ruhigen Geistes“ würde mit Garves Umständen und Wesen übereinstimmen. Dass der Brief überhaupt an einen breslauischen Gelehrten gerichtet gewesen, ist deshalb, weil er in Breslau zum Vorschein gekommen, fast wahrscheinlich; legt man aber hierauf einiges Gewicht, so könnte es nur Garve sein, da von den damals in Breslau lebenden Schriftstellern: Manso, Fülleborn, Bürde usw. nicht ein Einziger in Schillers Programm zu den Horen als Mitarbeiter genannt ist. Möge man indessen diese Konjektur nachsichtig aufnehmen, und, wenn es möglich ist, durch bessere Gründe als die meinigen widerlegen.

Kahlert, August Dr. (1807-1864) deutscher Dichter, Literaturhistoriker und Musikkritiker

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Schiller, Friedrich (1759-1805) Dichter, Philosoph und Historiker

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Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) Dichter und Universalgelehrter

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