Ein merkwürdiger Baum. Der Baobab oder Affenbrotbaum

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Arriens, Carl (1869-1930) deutscher Maler und Illustrator https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Arriens, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Baobab oder Affenbrotbaum, Afrika, Indien, Südamerika, Regenzeit, Früchte, Der dickste unter den lebenden Bäumen,
Zu den sonderbarsten Bäumen der Erde gehört der Baobab oder Affenbrotbaum, den inan in vielen Gegenden des tropischen Afrikas, aber auch in Indien und Südamerika findet. In jugendlichem Zustand ist seine Erscheinung allerdings nicht auffallend, erst in hohem Alter erreicht der Baum einen Stammesumfang, wie ihn kein anderer Baum aufzuweisen hat. Wie der bis 155 Meter hohe australische Eukalyptus der höchste, so ist der Baobab der dickste unter den lebenden Bäumen der Erde, erreicht doch sein Stamm einen Umfang von bis zu 48 Meter. Adansonia digitata haben ihn die Botaniker genannt, weil seine schönen, grünen, langgestielten Blätter ihrer Form nach mit den gespreizten Fingern einer Hand verglichen werden; er wird zu den Bombazeen gezählt. Dichtes grünes Laub ziert ihn in der Regenzeit; während der Monate Oktober bis Mai sieht man ihn winterkahl, und dann bieten seine im September reif werdenden, fast kopfgroßen grünen Früchte, die an halbmeterlangen Strippen noch von den Zweigen herabhängen, einen eigenartigen Anblick, besonders, wenn man sie wie Glocken im Winde hin und her schwingen sieht.

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Im Mai fängt der kahle Baum an auszuschlagen, und nach kaum vierzehn Tagen hat sich eine hellgrüne Laubkrone entwickelt. Im Juni erscheinen leuchtend weiße Blüten, die einen prachtvollen Anblick gewähren. Die Früchte bilden ovale, am freien Ende etwas mehr zugespitzte Kapseln, ihre harte, mit graugrünem Flaum bedeckte Schale umschließt ein rötlichweißes, durch zehn bis zwölf feste, netzartig verflochtene, faserige Scheidewände geteiltes, zahlreiche harte, nierenförmige Samenkerne enthaltendes Fruchtfleisch, auf das Eichhörnchen und Affen sehr erpicht sind. Daher der Name Affenbrotbaum. Auch Kinder naschen gern von dem Fruchtmark; dieses und die Blätter des Baumes sind als Speisezutaten und Arzneimittel geschätzt. In getrocknetem Zustand mehlartig und leicht zerreiblich, hat das Fruchtfleisch einen süßsäuerlichen aromatischen Geschmack und gibt mit Wasser angerührt ein erfrischendes und bei fieberhaften Erkrankungen zuträgliches Getränk. Die Frucht wird deshalb in den Hütten der Eingeborenen für die trockene Zeit aufbewahrt. Aus den würzigen Blättern pflegen die Frauen eine beliebte, spinatartige Beigabe zu dem üblichen Hirsebrei, der das Brot der Eingeborenen bildet, herzustellen. Die Samen werden im Ostsudan geröstet und als Kaffee-Ersatz genommen.

Der Baobab ist ein ausgesprochener Steppenbaum und auch kein eigentlich wilder Baum, obgleich er häufig wild wächst und der Mensch ihn nicht durch Kultur verändert hat. Wo er aber wächst, ist er fast immer durch Menschen angepflanzt, und wo man ihn in der Wildnis trifft, steht er der Wahrscheinlichkeit nach da als Zeuge irgendeiner längst verschollenen menschlichen Siedlung. Im Mossilande am oberen Niger bestehen ganze Kreisanpflanzungen dieser dort Sirra, im Haußagebiet Kuka genannten Riesenbäume, die meist etwas erhöhten Zentren lassen sich als Plätze uralter Stadtansiedlungen nachweisen. Alte, noch bestehende Städte haben sämtlich noch Anpflanzungen dieser Bäume. Das bunte Gewühl eines sudanesischen Marktgetriebes muss man sich um den Riesenstamm eines solchen einzelnstehenden Baumes herum vorstellen. Von den dicken Ästen spähen die schwarzen Geier nach den Abfällen der Fleischstände, die feinen Zweige der Krone aber sind häufig behängt mit Tausenden von Nestern stargroßer, kanariengelber Webervögel, die rauschend ein und aus fliegen und ein ohrenbetäubendes Gezwitscher hoch über dem durcheinander schnatternden Marktvolk anstellen. Solche großen alten Bäume sehen ehrwürdig aus und gelten auch als heilig. Der an Markttagen ihren Stamm berührende Verfolgte genoss in früheren Zeiten Asylrecht, niemand durfte ihn wegzerren oder verletzen.

In manchen Gegenden pflegt man die Rinde des Baumes in Höhe von einigen Fuß von der Wurzel gleichmäßig ringsherum abzuschaben. Durch Wucherung der korkbildenden Schicht entsteht da, wo die Abschabung aufhört, eine ringförmige Verdickung. Man verfolgt dabei eine doppelte Absicht, nämlich die Ziegen vom Benagen der Rinde abzuhalten und die Lehmgänge der Termiten, die das Holz zerstören, leichter auf dem Hellen, rindenlosen Untergrund wahrnehmen zu können. Der Stamm des Baobabs neigt zu launenhaftem Wuchs. Nicht selten teilt er sich über dem Boden in zwei oder drei gleich große Stämme. In mächtigen Windungen kriechen seine Wurzeln über den Erdboden hin. Wenn die wuchtigen Stämme, wie es wohl vorkommt, umsinken, treiben sie Seitenwurzeln in die Erde und grünen, andere neigen sich mit der Krone zur Erde, und wieder andere streben schräg in die Höhe und verjüngen sich von der Wurzel bis zur Krone wie eine frisch ausschlagende Tulpenzwiebel. In mäßiger Höhe, wo sich der an der Wurzel besonders dicke Stamm verjüngt, zweigen gewaltige Äste ab. Bald aufwärts, bald niederwärts sich biegend, sind sie fast in ihrem ganzen Verlauf gleichmäßig rund und glatt und nur an einzelnen Stellen mit knorrig knolligen Auswüchsen versehen. Unter der glatten Rinde liegt eine feine Korkschicht von rötlich-violetter, ins Hellgrau-rote spielender Tönung, weshalb der Baum im Ostsudan den arabischen Namen EI Hamrah — die Rote — erhalten hat. Die fünfblättrigen, schneeweißen Blüten haben umgerollte Zipfel und sind von schwach käseartigem Geruch. Aus der Unmasse verwachsener Staubgefäße ragt der lange Griffel hervor. Bei starken Regenfällen fallen die Blüten massenhaft samt ihren Fruchtständen ab. Der Bast und das leichte weiße und weiche Holz dienen zu mancherlei Dingen. Der oft hohle Stamm wird von den Eingeborenen gelegentlich als Ziegenstall oder als Unterkunft benützt. Das Innere der Bäume gewährt manchmal, wie Dr. R. Hartmann im „Globus“ berichtet, den Eindruck einer Grotte, in welcher die knorrigen und knolligen Gebilde des Holzes den Formen der Stalaktiten in Tropfsteinhöhlen vergleichbar sind. Einen merkwürdigen Baum hat der Reisende in Innersenaar gesehen. In kleinen Stammes Höhlungen, besonders zwischen den Ästen, sammelt sich nicht selten schönes klares, kühles Regenwasser an, dessen sich die Eingeborenen zum Trinken bedienen. Dieser Umstand wird es wohl sein, der die Bewohner des Ostsudans veranlasst, den Baum in eigenartiger Weise nutzbar zu machen, indem man den lebenden Baum zu einem Brunnen zurechtmacht. Besonders in Darfor wachsen lichte Waldbestände des Baumes, der dort zwar nicht die riesigen Ausmaße wie in Bornu oder am Niger erreicht. Immerhin sind die künstlich ausgehöhlten Stämme so stark, dass sie bis zu hundert Kamelladungen, jede zu vier Zentner gerechnet, zu fassen vermögen. Oberhalb der Gabelung eines Hauptastes wird zunächst ein Loch herausgestemmt, so weit, dass später ein Mensch hindurch kann. Dann wird die Öffnung allmählich erweitert und der ganze Stamm bis an die Wurzel ausgehöhlt. Die Wandung lässt man in einer Stärke von ungefähr einem Drittelmeter stehen und bringt dann Stufen darin an; zuletzt wird die ganze Innenfläche mit Teer ausgestrichen, und der Baum grünt und wächst weiter. In der folgenden Regenzeit legt der Besitzer nun eine Erdmulde an, die rings um den Baum gegraben wird, um das Regenwasser wie in einem Becken zu sammeln, aus dem man es mittels lederner Eimer in den Baumbrunnen hinaufbefördert. Das Wasser wird später klar und rein und hält sich kühl. Solche Brunnen bilden einen Besitz, der sich vererbt und seinem Eigentümer beständig Zinsen trägt, denn wenn in der trockenen Zeit die Karawanen durchziehen, sind diese auf das Wasser angewiesen.

Wie alt der Affenbrotbaum wird, zeigt das Beispiel jenes Baumriesen, den Adanson in Westafrika am Kap Verde sah und beschrieb. Als der berühmte Botaniker 1750 diesen Baum maß, hatte er einen Durchmesser von dreißig Fust, also ungefähr zehn Meter. Dreihundert Jahre früher hatten englische Seefahrer eine Inschrift in den Stamm geritzt. Diese Inschrift fand Adanson wieder, nachdem er dreihundert Holzfaserschichten entfernt hatte. Danach berechnete der Forscher das Alter dieses Baumriesen auf ungefähr 5150 Jahre.

Auch noch als Grab dienen die Baobabbäume den Menschen. Besonders im oberen Nigergebiet sind solche Baumgräber häufig. Die Bäume sind zum Teil künstlich zu solchen lebendigen Särgen hergerichtet und etwa in Mannshöhe mit einer Eingangsöffnung versehen. An manchen Plätzen des Westsudans werden vielfach auch heute noch solche Baumhöhlen zur Bestattung künstlich angelegt.

Bestattung im Baobabbaum
Der Baobab als Plauderstübchen der Alten.
Lebende Baobabbäume als Brunnen.
Ein Baobab in Rhodesia.
Markt unter einem Riesenbaobab

Affenbrotbaum, Bestattung im Baobab

Affenbrotbaum, Bestattung im Baobab

Affenbrotbaum, der Baobab als Plauderstübchen der Alten

Affenbrotbaum, der Baobab als Plauderstübchen der Alten

Affenbrotbaum, lebende Baobabbäume als Brunnen_

Affenbrotbaum, lebende Baobabbäume als Brunnen_

Affenbrotbaum, lebende Baobabbäume als Brunnen

Affenbrotbaum, lebende Baobabbäume als Brunnen

Affenbrotbaum, Ein Baobab in Rhodesia

Affenbrotbaum, Ein Baobab in Rhodesia

Affenbrotbaum, Markt unter einem Riesenbaobab

Affenbrotbaum, Markt unter einem Riesenbaobab