Ein literarisches Festgeschenk aus Russland

Der Universität Jena bei Gelegenheit ihres dreihundertjährigen Jubelfestes
Autor: Prutz, Robert (1816-1872) deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Publizist, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz (1816-1872) deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Publizist. 9. Jahrgang 1859 Januar-Juni.
Wie die Zeitungen seinerzeit meldeten, befand sich unter den zahlreichen Ehrengeschenken, welche der Universität Jena bei Gelegenheit ihres dreihundertjährigen Jubelfestes überreicht worden, auch eine literarische Festgabe der kaiserlichen Bibliothek zu Petersburg. Eine derartige Gabe aus einem Reiche, das mir eben nicht gewohnt sind, uns als den Sitz einer besonders geistigen Aufklärung zu denken, dargebracht einer deutschen Hochschule, die in Deutschland selbst so mancherlei Angriffe hat erdulden müssen wegen der Beharrlichkeit und Treue, mit welcher sie mitten in einer Zeit geistiger Erschlaffung und Verfinsterung fortwandelt auf den Bahnen der Freiheit und das große Erbe, das unsere klassische Epoche ihr hinterlassen hat, unausgesetzt zu erhalten und zu vermehren trachtet — konnte natürlich nicht umhin, die öffentliche Aufmerksamkeit zu beschäftigen. Durch die zuvorkommende Güte des auch in Deutschland bekannten Hrn. N. von Gretsch sind wir gegenwärtig in dem Besitz der prächtig ausgestatteten, nur in geringer Anzahl gedruckten Schrift und halten wir es somit für eine zwiefache Pflicht, sowohl gegen die kaiserliche Bibliothek zu Petersburg wie gegen die Universität Jena, hier mit einigen Worten darauf zurückzukommen. Das Schriftchen führt den Titel: „Ein Beitrag zur deutschen Literatur aus Russland. Der Universität Jena bei Gelegenheit ihres dreihundertjährigen Stiftungsfestes übersandt von der Petersburger kaiserlichen öffentlichen Bibliothek“ (Petersburg 1858). Es wird darin eine Reihe von Briefen mitgeteilt, welche Lavater im Jahre 1798 an die Kaiserin Maria Feodorowna, Gemahlin Kaiser Pauls I. von Russland, gerichtet und, die, von den bisherigen Biographen Lavaters ungekannt, in der Bibliothek des großfürstlichen Schlosses zu Pawlowsk, wo Kaiser Paul seine glücklichsten Jahre verlebte und das späterhin der Lieblingsaufenthalt seiner Witwe wurde, aufbewahrt werden. Lavater, zu jener Zeit bekanntlich der geistige Ratgeber aller empfindsamen Seelen und namentlich aller Hochgestellten, wie denn der Pietismus, dieses Kind der Armut und der Entsagung, von jeher eine merkwürdige Hinneigung zu den Großen und Vornehmen dieser Welt gehabt hat, war 1782 dem damaligen Großfürsten Paul und seiner Gemahlin bei Gelegenheit einer Schweizerreise, welche dieselben unter dem Namen eines Grafen und einer Gräfin du Nord machten, persönlich bekannt geworden. Diese Bekanntschaft setzte sich in einer Reihe von Briefen fort, welche Lavater an seine erlauchte Gönnerin richten durfte und in denen er, nach seiner bekannten Art, allerhand religiöse und moralische Fragen behandelte. Heutzutage ist es leicht, über diese Art und Weise die Achseln zu zucken und auch das kann zugestanden werden, dass bei diesen Briefwechseleien mancherlei bewusste und unbewusste Schöntuerei mit unterlief. Allein die Tatsache, dass eine der höchstgestellten Frauen der Erde, eine Kaiserin von Russland sich von einem reformierten Prediger in der Schweiz Briefe schreiben lässt über Gott und Unsterblichkeit und Heil der Seele, und das alles zum Teil zu derselben Zeit, da ihre Vorgängerin auf dem Throne, die „große“ Katharina, Briefe wechselte mit Voltaire, Diderot und den übrigen Stimmführern der französischen Aufklärung — dies Faktum dünkt uns denn doch nicht nur von hohem Kulturhistorischen Interesse, sondern es gereicht auch jener Zeit zur Ehre, besonders wenn wir es mit gewissen Zuständen der Gegenwart vergleichen. Wie intim übrigens Lavaters Verbindung mit Marie Feodorowna war und wie fest er auf die Gunst seiner kaiserlichen Freundin rechnen durfte, das geht auch daraus hervor, dass er ihr in den Jahren 1796 —1800 seinen vollständigen physiognomischen Apparat, jene Tausende von Zeichnungen, Skizzen, Entwürfen übersandte, die er zum Zweck seiner Physiognomik zusammengebracht hatte: ein Besitztum, von dem er sich gewiss nicht gern trennte und das er nur wohlwollenden Händen überliefern konnte. Diese Sammlungen befinden sich noch gegenwärtig in der Bibliothek zu Pawlowsk; in der Einleitung zu dem vorliegenden Schriftchen wird ein ausführlicher und wohlgeschriebener Bericht darüber abgestattet, der mancherlei Interessantes zur nähern Kenntnis Lavaters und seiner Epoche enthält und auf den wir daher alle Freunde und Kenner unserer Literaturgeschichte aufmerksam machen. Einen Teil eben dieser Sammlung nun bilden die hier mitgeteilten, von dem Oberbibliothekar Dr. Rudolf Münzlow erst kürzlich entdeckten Briefe oder vielmehr, um mit den Worten der Einleitung zu sprechen, „dieser kleine spiritualistische Roman in Briefform, der den Zweck hat, den Zustand der Seele nach dem Tode anschaulich zu machen“. Es war dies auch einer von den sentimentalen Sprüchen jenes Zeitalters, nicht zufrieden mit dem Gedanken der Unsterblichkeit selbst, sich auch noch den Kopf zu zerbrechen über das Wo und Wie derselben; es ist damals viel Missbrauch mit diesem Thema getrieben worden, die Idee der Unsterblichkeit, so anregend, so ermutigend, so begeisternd, hat vielfach dazu dienen müssen, die übliche Sentimentalität und Schwachherzigkeit zu befördern und es gehörten so kräftige und innerlichst gesunde Naturen dazu wie Goethe, um sich dieser unfruchtbaren Grübeleien ein für allemal kräftig zu entschlagen. Schon Wieland hatte 40 Jahre früher poetische „Briefe Verstorbener an hinterlassene Freunde“ geschrieben; in ähnlicher Weise nimmt Lavater hier an, „dass eine abgeschiedene Seele einem auserwählten, lichtfähigen Menschen ihre Gedanken einflößt und auf solche Weise an einen hinterlassenen Freund Briefe schreiben lässt, die diesen über ihren Zustand belehren“. Auf den Inhalt der Briefe im einzelnen einzugehen, würde sich nicht verlohnen, da sie nichts Neues enthalten; es ist die bekannte Lavater'sche Schwebelei, das kokette Sichwiegen in nichtigen, wesenlosen Vorstellungen, das aber freilich — beeilen wir uns hinzuzusetzen — verglichen mit den magnetischen Hellsehereien, dem Geisterklopfen und anderem Unfug unserer Tage, sich noch immer wie die lauterste Philosophie ansieht. Dagegen wollen wir hier schließlich die Worte mitteilen, mit denen in der von dem Direktor der kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu Petersburg Baron von Korff, Mitglied des Reichrats und Staatssekretär, unterzeichneten Widmung der Universität Jena und der deutschen Bildung überhaupt gedacht wird; die Universität Jena wird bezeichnet als „eine der tätigsten Werkstätten des deutschen Geistes, des Geistes, dessen Spuren überall sichtbar sind, wo die Wissenschaft gepflegt wird und dessen unvergängliche Denkmale auch in dem literarischen Institute, in dessen Namen hier geredet wird, längst den verdienten Ehrenplatz einnehmen“. R. P.