Ein guter Schütze

Autor: Ueberlieferung
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Gustav Adolf war von München nach Nürnberg gezogen und hatte sich dort verschanzt. Sein großer Feind Albrecht von Wallenstein, der Friedländer, kam von Böhmen her mit einem großen Heer und setzte sich nicht weit von der Stadt entfernt, auf einem Hügel, die ›Alte Veste‹ genannt, mit seinem Heer fest und war nicht mehr zu vertreiben. Monatelang standen sich die beiden großen Heere gegenüber und taten sich Schaden, wo sie konnten. Bei Doos, zwischen Nürnberg und Fürth, war eine große Brückenschanze, die war von der Nürnberger Bürgerwehr besetzt. Dort standen auch ein paar Kanonen, die mit großen Kugeln hinüberschossen zur Alten Veste. Ein besonders guter ›Grobschütze‹ war der Konstabler Beizleuter.

Einmal um die Mittagszeit, als die Alte Veste besonders schön beleuchtet vor den Nürnberger Soldaten stand, suchte Beizleuter mit seinem Fernrohr den ganzen Berg vor ihm ab, ob er nicht den Wallenstein, den Führer der Feinde, selber irgendwo entdecken könnte. Er war bekannt dafür, daß er seine Kanone auf den Mann einrichten und dann treffen konnte. Den Feldherrn Wallenstein aber konnte er nie zum Schuß kriegen. Wie er so suchte mit seinem Rohr, da sieht er plötzlich Wallenstein mit seinen Herren Obersten oben an der Spitze des Hügels um einen steinernen Tisch sitzen.

Schüsseln wurden aufgetragen und die Herren tafelten dort nach Herzenslust. Beizleuter nahm einen Papierstreifen und schrieb darauf ›Des Friedländer Kopf‹, klebte ihn auf eine dreißigpfündige Kanonenkugel, steckte die in das Kanonenrohr, zielte, bis er den Wallenstein genau auf dem Korn hatte, nahm dann seinen Luntenstock und ließ es Krachen. Als er sein Fernrohr zur Hand nahm, sah er, daß die Herren drüben alle vom Tisch aufgesprungen waren, daß aber die Kugel nicht mitten ins Ziel getroffen hatte. Ärgerlich ging er, da sein Dienst zu Ende war, nach Haus. Beizleuter war nicht lange zu Hause. Da kam ein Bote vom Rat, der ihn kommen ließ. Dort wurde ihm mitgeteilt, das von Wallenstein aus dem Lager auf der Alten Veste ein Schreiben gekommen sei. Der Generalissimus wolle den Grobschützen gerne kennenlernen, der ihm heute den Löffel fast aus dem Mund geschossen habe. Der Rat solle ihn morgen früh um neun an die Lagerlinie bei der Alten Veste schicken. Wallenstein wolle ihn dort bei der großen Linie persönlich erwarten!

Weil aber der Rat fürchtete, daß der Wallensteiner den Nürnberger auf diese Weise ihren besten Konstabler wegschnappen wolle, beriet man, was man tun könnte. Schließlich hieß man den Meisterschützen einen groben Bauernkittel anziehen und gab ihm einen Brief des Rates an Wallenstein mit, in dem stand, daß der Rat für den Konstabler eine Bürgschaft verlange; sonst wolle man den Wunsch des Generalissimus gerne entgegenkommen.

Der Friedänder stand schon vor der festgesetzten Zeit an der großen Linie und wartete. Als er den Mann im Bauernkittel kommen sah statt des erwarteten Konstablers, war er schon ärgerlich. Er riß das Schreiben auf und sagte dann als er es gelesen hatte, zu dem Offizier, der ihn begleitete: »So geht als Geisel mit. Heut nachmittag um drei Uhr will ich noch einmal an derselben Stelle auf den Schützen warten!«

Die beiden, der Offizier und der Mann im Bauernkittel, machten sich also auf den Weg. Unterwegs kamen sie ins Plaudern und der Offizier sagte, daß er selber den Teufelskerl kennenlernen möchte, der seine Kugel nur um Haaresbreite an des Friedländer Kopf vorbeigejagt hätte. Bald kamen sie an die Nürnberger Linie, wo der Oberst Leubelfing beide in Empfang nahm. Als er durch den Offizier hörte was Wallenstein aufgetragen hatte, sagte er zu ihm:

»Ihr könnet gleich wieder umkehren, eine Bürgschaft ist nicht mehr nötig. Der Wunsch Wallenstein ist schon erfüllt; denn der Bote hier im groben Bauernkittel war der gute Kanonier«