Ein deutscher Mann.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1971
Autor: Georg Hagen Dr., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Jürgen Wullenwever, Lübeck, Hanse, Hansa, Wiedertäufer, Lebensumrisse, Volksgeist, Hansestädte, Hansabund, Marx Meyer, Heinrich VIII., Hansen, Dänemark, Schweden, Norwegen,
Nichts ist entmutigender und betrübender für den denkenden Freund der Geschichte, als wenn er, in den Annalen der Geschichte unseres Volkes blätternd, die Bemerkung machen muss, wie viele herrliche Keime der Freiheit, Einheit und Größe unserer Nation in vorigen Zeiten elend zu Grunde gingen, wie oft die edelsten und tüchtigsten Männer, die es am treuesten mit dem Volke und seinen heiligsten und unveräußerlichsten Rechten meinten, ihre hehren schönmenschlichen Versuche mit dem Leben büßen mussten! Einen der uneigennützigsten und gewaltigsten Männer dieser Art, in einer wildbewegten Zeit, wollen wir unseren Lesern diesmal im Bild und in kurzen Lebensumrissen vorführen.

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Es war eine denkwürdige Zeit um die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts in Deutschland, wo der tüchtige, ernste deutsche Volksgeist erwachte und nach allen Seiten hin den Bann zu sprengen drohte, welcher auf den Geistern wie auf den Zuständen lag. Der Bauernkrieg, die Kirchenbesserung und selbst deren Auswüchse: die Wiedertäuferbewegung in Münster, von welcher wir ein ander Mal erzählen werden, waren nur Stöße einer und derselben vulkanischen Gewalt im Volke, welche in dem zerrissenen, zerteilten und sich selbst in seinen Teilen entfremdeten Deutschland als eine instinktmäßige Einheits- und Freiheitsbestrebung lebte und jene Erschütterungen verursachte. Die mächtigste Revolution jener Zeit aber und diejenige, welche die gewaltigsten Folgen hätte haben können, wenn sie nicht so sehr vom deutschen Süden her isoliert geblieben wäre, war die mächtige Bewegung in der deutschen Hansa unter Jürgen Wullenwever, dem Manne von dem wir unseren Lesern hier erzählen wollen. In Lübeck, damals einer der mächtigsten Städte der Hansa, waren noch 1528 Luthers Schriften durch den Henker öffentlich verbrannt worden, weil die Stadtjunker oder Aristokraten im Verein mit der Geistlichkeit in Luthers Bestrebungen die Anfänge einer weitgreifenden Revolution ahnten. Allein das Volk und insbesondere die Handwerker wurden in ihrem Groll gegen die anmaßenden despotischen Stadtjunker bestärkt und angefeuert durch einige einsichtsvolle, kühne und freiheitsliebende Männer, welche aus dem Volke entsprossen waren, namentlich einen Stadtverordneten Jürgen Wullenwever, geboren 1492, der vordem ein armer Kaufmann gewesen, aber von unerbittlichem Ingrimm gegen die Aristokraten der Stadt erfüllt war, weil sie nur an ihren Vorteil dachten und namentlich die Interessen des Hansabundes schmachvoll verrieten. So standen denn im Jahr 1530 die Handwerker und „kleinen Leute“ auf, beschuldigten die Stadtjunker und ihren Anhang im Rat der Bedrückung und Geldverschleuderung und forderten nicht nur Rechnung über den städtischen Haushalt, sondern auch Freigebung der neuen Religion. Der eingeschüchterte Rat bewilligte letztere und gab auch in ersterem Stücke nach. Das lutherisch gesinnte Volk verbot nun seinerseits den katholischen Gottesdienst und ließ seinen Groll so nachhaltig an der städtischen Aristokratie aus, dass der Bürgermeister Nikolaus Brömser die Stadt verließ. Nun vertrieben die Handwerker und kleinen Bürger den ganzen alten Rat, bemächtigten sich des Regiments und setzten den tüchtigsten und begabtesten ihrer Führer, Jürgen Wullenwever, zum Bürgermeister ein, in welcher Stellung dieser kühne Mann zugleich auch gesetzmäßiges Haupt der ganzen Hansa ward. Wullenwever wusste sehr wohl, wie sehr die Hansa an Macht verloren hatte durch die gewissenlose selbstsüchtige Wirtschaft der Aristokratie, und sein Hauptbestreben ging daher zunächst dahin, durch Unterjochung der Dänen und Ausschließung der Niederländer aus der Ostsee, sowie durch die größtmögliche Aufrüttelung der Bürgerschaft der übrigen Hansastädte die verlorene Macht des Hansabundes wieder zu gewinnen und zu befestigen. Ihm zur Seite stand der kühne Ankerschmied Marx Meyer, ein tüchtiger Soldat und treuer Freund des Volks und der Hansa. Sobald Wullenwever zur Macht gelangt war, schloss er zu Hamburg mit den Niederländern einen vierjährigen Waffenstillstand und am 31. Mai 1534 ein Schutzbündnis mit König Heinrich VIII. von England, dem er gegen 10.000 Lstrl. Hilfsgelder die dänische Krone in Aussicht stellte. Hierauf begann er den Krieg gegen Dänemark durch den Grafen Christoph von Oldenburg, der die Truppen der deutschen Hansa führte. In raschem Vorstoß wurde ganz Holstein bis auf die Feste Segeberg erobert; dann schifften sich die Hansen zu Travemünde ein, um auch die dänischen Inseln zu bedrohen. Mittlerweile aber hatte der dänische Adel den Grafen Christian von Holstein beschworen, die dänische Krone anzunehmen, und dieser zog rasch vor die Stadt Lübeck, die von ihren besten Truppen entblößt war, und bedrohte diese. Lübeck ward nun von den Hansen aus Wismar, Stralsund und Rostock entsetzt, deren Bürger Wullenwever zum Sturz der Adelspartei in ihrer Heimat ermuntert und zu Bundesgenossen gewonnen hatte. Auf Seeland erklärten sich die verbündeten Hansen für den gefangenen König Christiern II. von. Dänemark, und daraufhin öffnete ihnen Kopenhagen schon nach wenigen Tagen seine Tore und das Volk erklärte sich für Christiern, während der Adel die Huldigung verweigerte. Nun begann eine erbitterte Verfolgung des Adels, der sich auch auf Schoonen, Fünen und Langeland beeilte, die Huldigung zu leisten. Nur Jütland, das sich für den Herzog Christian von Holstein erklärt hatte, weigerte den Eid der Treue. Christian von Holstein zwang nun Lübeck, das er eng eingeschlossen hatte, zum Friedensschluss, der den Gegnern Wullenwevers sehr willkommen war, denn der Krieg auf den dänischen Inseln und zur See ward trotz der Mithilfe des neugewonnenen Bundesgenossen, des Herzogs Albrecht von Mecklenburg, mit geringem Erfolg geführt, und seit Wullenwever ferne war, gewann die Junkerpartei und Geistlichkeit wieder die Oberhand, und die Bürgerschaft benahm sich feig und lau. Auf einem Hansatag zu Lübeck siegten Wullenwevers beredte Vorstellungen zwar so weit, dass die Fortsetzung des dänischen Kriegs beschlossen wurde, aber er selber musste zu oft abwesend sein, um die Gegner im Schach zu halten, die sich an den Kaiser und Reichstag gewandt hatten. Während einer Reise Wullenwevers nach Mecklenburg zum Herzog Heinrich gelangte an den Rat zu Lübeck ein strenger Erlass des Reichskammergerichts zu Speyer vom 7. Juni 1535, worin der Stadt mit der Reichsacht gedroht ward, sofern sie nicht binnen 45 Tagen die alte aristokratische Verfassung wiederherstelle. Als Wullenwever am 26. August von seiner Reise heimkehrte und Kunde von dem Exekutionsmandat des Reichskammergerichts erhielt, sah er ein, dass er durch die Ränke seiner Gegner verraten war und legte sein Amt als Bürgermeister und Vorstand der Hansa nieder, wollte aber der von ihm vertretenen Sache persönlich zu dienen fortfahren. Im Lande Hadeln, wo er einen Haufen Knechte werben und dem in Kopenhagen belagerten Herzog Albrecht zum Entsatz zuführen wollte, wurde er vom Bischof von Bremen widerrechtlich aufgehoben und dem Herzog Heinrich dem Jüngern von Braunschweig, dem bittersten Feinde des Luthertums, ausgeliefert, der den kühnen Volksführer zu Steinbrück bei Wolfenbüttel in den Kerker warf und vor ein feiles Gericht stellte, und zwar unter den widersinnigsten Anklagen, z. B. er habe Lübeck burgundisch machen, in Lübeck ein Wiedertäuferreich errichten und die drei nordischen Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen erobern wollen, um sich mit seinen Genossen Meyer und Mynter darein zu teilen. Dreimal versuchte man Wullenwever auf der Folter Geständnisse in dieser Richtung abzupressen, aber er leugnete sowohl hier wie in den Briefen an seinen Bruder jede derartige Schuld. Schließlich verurteilte ihn das elende Gericht zur Strafe des Viertheilens, die der Herzog von Braunschweig in die des Schwertes verwandelte, und Wullenweber ward durch den schändlichsten Justizmord am 29. September 1537 enthauptet, sein Körper gevierteilt und aufs Rad geflochten. So endete Einer der edelsten und uneigennützigsten deutschen Männer, mit dessen Tode der Glanz der alten Hansa für immer dahinging.

Jürgen Wullenweber führt die Schiffe der Hanse in den dänischen Krieg

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