Zweites Kapitel - Von Mailand nach Florenz.

Mailand. - Die Villa reale. - Erinnerungen an Vater Radetzky und sein Hauptquartier. - Ballet in der Scala. - Der Courier nach Genua. - Räubergeschichten. - Eine Regennacht. - Das Meer!! - Genua. - Guardia civica. - Straßenlieder. - Die italienischen Seedampfer und ihre Versprechungen. - Sonntag in Livorno. - Ankunft in Florenz.




Mailand hatte ich seit den wichtigen Ereignissen des Jahrs 1849 nicht mehr gesehen; damals war alles voll Militär, in den Straßen begegnete man auf Schritt und Tritt Offizieren jeder Waffengattung, wogegen die Bürger sich mehr bei sich und zu Hause hielten. Heute fand ich das ganz anders, fast nur auf den Wachen und Posten sah man österreichische Soldaten, und man konnte durch mehrere Straßen gehen, ehe man einem Offizier in weißer Uniform begegnete, wogegen mir der sonstige Straßenverkehr lebhaft und geräuschvoll, wie in frühern Zeiten erschien. Gewiß ist daß das wahnsinnige und verbrecherische Unternehmen des 6. Februar 1853 nichts weiter zurückgelassen hat als eine tiefe Entrüstung der ganzen Bevölkerung gegen die Anstifter desselben, die, wie schon so oft, hinter den Coulissen spielten, und selbst ungesehen, ihre armen verblendeten Acteurs nach mißlungenem Attentat ihrem traurigen, wenn auch verdienten Schicksal überließen. Eine Vorsichtsmaßregel gegen abermalige Überfälle einzelner Individuen auf die kaiserlichen Wachen besteht darin, daß man die Posten vor dem Gewehr mit eisernen Gittern umgeben hat, hinter welche sich im Nothfall die ganze Wache zurückziehen kann; eine Einrichtung, die auch in Paris schon seit vielen Jahren besteht. Das einzige militärische Schauspiel, welches man in diesem Augenblick in Mailand sehen konnte, bestand täglich um 1 Uhr in dem Aufziehen der Wache vor der kaiserlichen Burg, wobei eine der vortrefflichen Musikbanden auf dem Domplatze spielte. Zahlreiche Menschenmassen fanden sich meistens dabei ein und lauschten mit sichtlichem Behagen den mächtigen Klängen, die, an dem kolossalen Dom wiederhallend, über den weiten Platz dahinbrausten.

Einer meiner ersten Gänge war nach der Villa reale, dem damaligen Hauptquartier des Feldmarschalls, wo ich so viel angenehmes, ja großes erfahren und gesehen. Lebhaft erinnere ich mich jener Zeit, als ich den Corso hinabging und nun links auf den mit Bäumen besetzten Platz einbog, der an den Garten des Palastes gränzt und sich bis zum Eingang desselben erstreckt. Wie lebhaft war es damals hier, welches Gewühl von Offizieren aller Waffen, zu Pferd, zu Fuß und zu Wagen, die aus dem Hauptquartier kamen und dorthin gingen; Freunde und Bekannte aus entfernten Garnisonen, die sich lange nicht gesehen und sich nun eilig im Vorübergehen ein freundliches Wort zuriefen oder flüchtig die Hand schüttelten – auf Wiedersehen morgen, übermorgen – draußen wenn's losgeht – t'schau – leb wohl – und dahin eilten alsdann die jugendlich kräftigen Gestalten, um sich vielleicht wenige Zeit nachher mit dem Orden geschmückt wiederzusehen – oder auch vielleicht nie wieder. Dort unter den Bäumen hielten beständig Ordonanzen, Husaren oder Stabsdragoner hoch zu Pferde, oder abgesessen sich an den Sattel lehnend; und wenn man näher zur Villa reale kam, wie lebendig und bewegt wurde es da, wie ritt und ging es ab und zu! Am Eingangsthor sah man meistens die hohen Gestalten der Grenadiere mit den schwarzen Bärenmützen über den ernsten braunen Gesichtern; Gewehr im Arm schritten sie auf und ab, oder saßen neben einander auf hölzernen Bänken am Thor. Mittags spielte stets eine Musikbande im Hof, und dabei gab man seinem militärischen Freunde ein Rendezvous, man plauderte mit einander, man lachte, man spazierte auf und ab lustig und guter Dinge, bis sich hinten im Hof die gewisse Thür öffnete, und der kleine Mann heraustrat, die Hände auf dem Rücken, etwas vorn übergebeugt mit dem so lieben und freundlichen Angesicht; da schwiegen plötzlich alle Gespräche, die Lustwandelnden standen still, die Gruppen lösten sich auf, und jeder Säbel, ehrerbietig an die Seite genommen, stieß klirrend auf das Pflaster, und in jeder Brust regte sich ein eigenes Gefühl: es war, als müsse man den alten Marschall, so oft er erscheine, mit einem lauten jubelnden Lebehoch empfangen.

Das alles dachte ich, als ich vom Corso auf jenen Platz mit den Bäumen einbog, der jetzt so lautlos und ohne Leben dalag; ein leiser Lufthauch rauschte durch die Blätter und schien mit mir von vergangenen Zeiten plaudern zu wollen. Außer mir ging niemand unter den Bäumen; das Ohr vernahm nicht mehr das Wiehern eines Pferdes, nicht mehr das Klirren eines Säbels – kein freundliches Begrüßungswort – alles, alles still und einsam. Vor dem Thore des Palastes schlenderte ein einzelner Wachtposten auf und ab, im Hofe brütete die Sonne, und war hier nichts zu erwecken als ein melancholisches Echo der eigenen Schritte; die Thüren waren verschlossen, die Fenster verhängt, und erst nach langem Suchen gelang es mir, einen Portier aufzufinden, der mich gähnend versicherte, das Innere der Villa sei verschlossen und er habe keine Erlaubniß, die Zimmer zu öffnen. So war es mir also nicht vergönnt, jene Gemächer noch einmal zu betreten, wo ich das Glück hatte, dem Marschall vorgestellt zu werden, wo ich die Generale Heß und Schönhals kennen gelernt hatte, wo ich durch meinen edlen und lieben Freund, den unvergeßlichen Grafen Gustav Neipperg, den leider der Tod hinweggerafft, eingeführt wurde – wo wir so heiter dinirten, und wo Adjutanten und Ordonanzen, die jungen tapfern Kiebitze des Marschalls, ihr heiteres Wesen trieben. Ja nicht einmal hineinblicken durfte ich in die untern Räume, wo sich die Kanzleien befanden, aus denen ich so manchen unsterblichen Bericht schrieb, wo Oberst Eberhardt den freundlichsten Wirth machte, und wo uns der Erstürmer der Villa rotunda, der tapfere General v. Reischach, den höllischen Proteus erklärte. Sie sind vor der Hand dahin jene Zeiten, und ich empfand es an diesem Morgen recht schmerzlich, von all den lieben Bekannten und Freunden, die einstens hier beisammen, nun weit auseinander zerstreut leben, nicht einen einzigen mehr zu finden. Wem aber von allen diese Zeilen zu Gesicht kommen, der möge sie als einen herzlichen Gruß von mir annehmen und als ein Zeichen daß ich der damaligen Tage stets in Freundschaft und Dankbarkeit gedenke.

Nur der Eintritt in den Garten der Villa reale wurde mir gestattet, und ich machte mir das traurige Vergnügen, eine Viertelstunde in den jetzt so einsamen Gängen herumzuspazieren. Auch auf dieser Seite des Palastes waren Laden und Thüren fest verschlossen, und an den Zimmern des Marschalls hingen die weiß und gelben Vorhänge vor den Fenstern herab. Dort stand er so gern und schaute hinab auf den grünen Rasenplatz vor der breiten Treppe, auf die ruhige Fläche des kleinen Sees mit seiner Insel und seinem Tempel. Damals kam das Frühjahr, über Nacht waren die Knospen aufgesprungen, und die kahlen Äste von gestern zeigten sich heute zart und frisch belaubt – jetzt war es auch hier Herbst geworden, Bäume und Büsche hatten sich gelb und roth gefärbt, und schon bedeckten herabgefallene Blätter den Boden, obgleich die Sonne wie an jenem Tage glänzend und klar auf Palast und Garten herniedersah. Glücklicherweise entdeckte ich hier noch zu guter Letzt ein paar alte Bekannte, doch war es unmöglich, sich mit ihnen zu verständigen: zwei große Schwäne nämlich, die schon zu jener Zeit hier gehaust, schwammen heute noch eben so stolz und schweigsam auf den Fluthen des Sees umher; sie hatten ihre Köpfe hoch erhoben und würdigten meinen freundlichen Zuruf keines Blicks.

Von Mailand weiß ich in der That sonst nicht viel zu berichten; nur will ich mir noch erlauben ein paar Worte über die Scala zu sagen, wo ich einer Aufführung von Oper und Ballet beiwohnte. Das weite unermeßliche Haus ist im Innern etwas restaurirt worden, und erscheint glänzend und prachtvoll wie immer; es ist eigentlich zu groß in allen seinen Verhältnissen, denn wenn man sich nicht nahe bei der Bühne befindet, so geht für den Zuschauer nicht allein alle Mimik verloren, die namentlich zum Verständniß eines Ballets so nothwendig ist, sondern die Figuren der Darsteller schrumpfen scheinbar so zusammen, daß man sich oftmals der Idee nicht erwehren kann, man habe es mit sehr künstlichen Marionetten zu thun.

Das Parterre war am heutigen Abend recht gut besetzt, die Sitze desselben fast alle besetzt, und in dem weiter zurückgelegenen übergroßen Stehplatz wogte eine große Menschenmasse wie gewöhnlich hin und her; man kam, man ging; hier wird geplaudert, dort gelacht; an dieser Seite sprechen einige laut und ungenirt über Sänger und Sängerinnen, während an einer andern Stelle sich eine Gruppe mit nicht leiserer Stimme über die Ereignisse des Tages unterhält; auch die Melodien der Oper werden von einzelnen Enthusiasten mitgesungen, wogegen andere durch ein kräftiges Zischen zur Stille auffordern, um selbst gleich darauf die Aufmerksamkeit ihrer Nachbarn durch ein überlautes bene oder bravo auf sich zu ziehen.

Zuweilen werden diese Ausrufungen von andern durch Händeklatschen begleitet, noch öfter aber rufen sie ein wahres Hohngelächter hervor: so summt und wogt es im Parterre durch einander, und wenn man die Augen von der Bühne ab und fest darauf hinwendet, so könnte man glauben, man befinde sich auf der Gallerie irgend einer Börse oder sonst eines Ortes des öffentlichen Verkehrs. Auch die Logen fand ich besetzter als in den früheren Jahren, und wenn auch noch hie und da in den ersten Rängen manche schwarze Lücke klafft, so glänzen doch wieder von allen Seiten die schönen Augen der Mailänderinnen, elegante Toiletten und weiße Arme und Schultern hervor unter Spitzen, künstlichen Blumen und Brillanten. Auch hier wird viel geplaudert und gelacht, Lippen und Fächer sind in der emsigsten Bewegung, und dieß allgemeine Leben ist um so verschiedenartiger und blendender, als die Aufmerksamkeit aller nicht nach der Bühne gerichtet ist, sondern jede Loge einen kleinen gesellschaftlichen Kreis bildet, der für sich handelt, denkt und plaudert. Bekanntlich sind ja in allen italienischen Theatern die Logen durch feste Wände von einander getrennt, man befindet sich wie in einem kleinen Salon. Drei höchstens vier Personen haben in einer schon großen Loge kaum Platz an der Brüstung, die andern sitzen nebeneinander auf den kleinen Divans an den Wänden, und nur, wenn etwas besonderes auf der Bühne vorgeht, drängt sich alles vor, um hinauszuschauen; woher es denn oft kommt, daß das Haus, welches jetzt von unten gesehen ziemlich leer erscheint, im nächsten Augenblick Tausende von Gesichtern zeigt, die sich überall neugierig hervordrängen. Es gehört hier in Italien sehr zum guten Ton, die Logen der Häuser, wo man eingeführt ist, wenn auch nur auf kurze Zeit, doch fleißig zu besuchen, und es wird für eben so unhöflich gehalten, sich hier längere Zeit nicht sehen zu lassen, als wenn man es vernachlässigte die gewöhnlichen Besuche im Hause selbst zu machen.

Plötzlich aber ändert die Musik Tempo und Tonart; es tritt ein beliebter Sänger, eine geschätzte Sängerin auf, und alles Gespräch verstummt. Lautlose Stille liegt über dem ganzen Hause, worin das Parterre mit gutem Beispiel vorangeht; die Damen in den Logen beugen sich über die Brüstung, Augen und Lippen sind regungslos, selbst das cokette Spiel mit dem Fächer hört auf. Man kann sich denken, daß der Künstler, für diese allgemeine Aufmerksamkeit dankbar, sein möglichstes thut; er singt vortrefflich und überschüttet das Publikum mit den weichen italienischen Melodien, die, hier gesungen, so zu Herzen gehen. Er ist sich seines Sieges im Voraus bewußt und steigert sich deßhalb zur höchsten Kraft und Anstrengung – jetzt hat er geendet, und ein wüthender Beifallssturm bricht los; man tobt, man schreit, man ist außer sich; das Parterre leistet das Übermögliche im Spectakelmachen; jede Dame in ihrer Loge hört von den anwesenden Herren mit einer wahren Wonne die entzückten Ausrufungen über den Sänger, als wären das ebenso viele Komplimente über sie selbst und ihre schönen Augen. Aber nun ist das Feuerwerk verpufft, und die sprühenden Raketen von so eben lassen die Nacht um so finsterer erscheinen; alles wendet sich zu seinen Nachbarn, und mag weiter auf der Bühne geschehen was da will, niemand schenkt dem ferner die geringste Aufmerksamkeit.

Man gab am heutigen Abend Ernani, Verdi's alte ausgesungene Oper, mit ziemlich mittelmäßigen Kräften, wie überhaupt die gegenwärtige Stagione, was den Gesang anbelangt, ziemlich schlecht bestellt ist. Der erste Act ging denn auch ziemlich spurlos vorüber, und das Publikum that, als geschehe auf der Bühne gar nichts; die meisten Zuschauer schienen nur des Ballets wegen gekommen zu sein, und als die Musik desselben anfing, wurde es schon bedeutend stiller im Hause. Die Ballete der Scala waren von jeher berühmt, sowohl wegen ihrer Composition mehr aber noch wegen der Pracht der Decorationen, der Costüme des zahlreichen und gut eingeübten Balletchors und der großen Tänzerinnen, welche in Mailand ihren Ruf begründeten. Früher konnte hier keine Stagione glänzend sein ohne Namen wie der der Taglione, der Elßler, der Cerito oder wie sie alle heißen mögen. Das heutige Ballet hieß » Un fallo – Ein Fehltritt«; es war eine venetianische Geschichte, deren Knoten sich auf einem prachtvollen Maskenball schürzt, wo nämlich ein reicher und edler Venezianer, der dieses Fest in seinem Palast veranstaltet, nach demselben von einem falschen Freund auf die Gallerie geführt wird, wo er sieht, wie seine dem Libretto nach übrigens tugendhafte Frau einem Liebhaber, den sie abgewiesen, ein Andenken dieser traurigen Stunde gibt; seine Wuth erwacht, und es ist wahrhaft grauenhaft mit anzusehen, wie er nach dem Tact der Musik mit verzerrten Zügen in gräßlichster Eifersucht über die Bühne schreitet. Einige sechzig Tänzer und Tänzerinnen im Hintergrunde verwundern sich à tempo darüber und während die Männer zu gleicher Zeit die Hände erheben und mit dem Kopf wackeln, was in der Balletsprache heißen soll: »etwas fürchterliches geschah«, tanzen die Damen sehr ausdrucksvoll: »laßt uns eilen, die Herrin zu benachrichtigen«. Darauf folgt im zweiten Act eine häusliche Scene mit Händeringen und Thränen von Seite der Frau, sowie vielem Fußgestampfe von Seite des Gemahls, worauf sich letzterer im dritten Act entschließt, der Sache ein kurzes Ende zu machen, indem er seinen Nebenbuhler erdolcht; unglücklicherweise aber hält ein leichtsinniger armer Teufel in derselben Straße ein Rendezvous, stolpert, als er nach Hause gehen will, über den Ermordeten und wird ergriffen und eingesteckt. Vierter Act: großes Gericht im Saal des Dogenpalastes mit außerordentlicher Pracht; der unglückliche junge Mensch wird zum Tode verurtheilt, sein Richter, jener venezianische Nobile, der wirkliche Mörder, hilft den Unglücklichen verdammen; da erscheint der falsche Freund aus dem ersten Act wieder, und während hinten die Rathsherren und Gerichtsbeisitzer viel mit ihren Armen und Beinen umherschlenkern, sagt jener vorn zum Nobile: Du – nimm Dich – in Acht – meine Augen – sahen daß Du – ihn erdolchtest – rette ihn – oder mich soll der Teufel holen wenn ich Deinen Collegen nicht alles erzähle. Der Verbrecher stürzt zerknirscht von der Bühne, und im fünften Act sehen wir eine ländliche Scene, vielleicht der öffentliche Garten bei Venedig, wo das ganze Balletchor sich bemüht, tanzend seinen Schmerz an den Tag zu legen, daß der arme junge Mensch, den sie alle kennen, verurtheilt ist – Paukenwirbel und Trompetengeschmetter – da erscheint nicht der Henker oder sein Opfer, sondern – um durchs Angenehme das Traurige zu versüßen, die liebliche Maywood, eine der graziösesten Tänzerinnen, welche es in diesem Augenblick gibt, und tanzt ein so reizendes pas de deux, daß man die Augen schließen möchte und sie lange nicht mehr öffnen. Im sechsten Act endlich sind wir während der Nacht auf der Piazzetta, eine der prachtvollsten Decorationen die ich lange gesehen. Weit hinten leuchtet das Meer im Mondschein, glänzend erhellte Gondeln fahren vorüber, während der Dogenpalast und die Procurazien im Licht Tausender von Lampen strahlen. Der arme Verbrecher wird zum Tod geführt, aber hinter ihm her kommt das bekannte weiße Tuch, hundertzwanzig Arme und Beine tanzen Gnade! Gnade! man stürzt einander in die Arme, die Geliebte des jungen Menschen, die wir vom Rendezvous her kennen, wird herbeigeführt – ungeheurer Jubel; das kolossale Orchester der Scala wird noch unterstützt von einem zahlreichen Musikchor auf der Bühne, bacchantische Lust schallt rings umher, die Bewegungen der Tänzerinnen werden in ihrer Herzensfreude immer wilder und ausschweifender, und, um mich eines bekannten Ausdrucks zu bedienen, sieht man, ehe der Vorhang fällt, bei einer letzten verzweifelten Anstrengung nichts als Himmel und Tricot.

Es gibt gewisse Zeitungen, die sich ein Vergnügen daraus zu machen scheinen, ihren Lesern einen möglichst schlechten Begriff von der Sicherheit italienischer Landstraßen beizubringen; namentlich erzählt man viel von Räubereien in der Lombardei, ja ähnlichen Sachen, die sich dicht vor den Thoren Mailands zugetragen. Ich hatte mir einige dergleichen Facta gemerkt, um mich an Ort und Stelle darnach zu erkundigen, fand aber fast alles übertrieben, und die größte Räubergeschichte schrumpfte, in der Nähe besehen, zu einem unbedeutenden Ereigniß zusammen. Auch über die Straße von Mailand nach Genua wurde mir schon zu Hause in dieser Richtung manch übles gesagt, und auch hier sollte eine Stunde nach dem Ave Maria, also bei anbrechender Dunkelheit, manch unheimliches vorgefallen sein. Doch wußte in Mailand auch davon niemand ein Wort, und man versicherte mich, Diligencen und Couriere seien seit undenklichen Zeiten nicht mehr belästigt worden.

Um von hier nach Genua zu gelangen kann man sich dieser beiden Transportmittel bedienen; die Diligencen gehen etwas langsamer, kosten dafür auch weniger, doch sind die Wagen nicht so bequem wie die des Couriers, welcher sich eine kaiserl. königl. österreichische und königl. sardinische Anstalt nennt, auch die Wappen beider Reiche prakticabel mit sich führt; denn wenn man den Ticino überschritten hat, verschwindet der Doppeladler vom Wagenschlag und das weiße Kreuz nimmt seine Stelle ein. Man muß die Plätze für den Courier ein paar Tage vorher bestellen, da der Zudrang von Reisenden beständig sehr groß ist, und hier, wie in ganz Italien, keine Beiwagen gegeben werden. Der Courier hat im Coupé außer dem Platz für den Conducteur noch zwei andere, und im Innern acht Plätze, drei vorwärts, drei rückwärts, und zwei Sessel, Poldrone genannt, an den Wagenschlägen.

An dem Tag, wo wir abfuhren, war der Courier ebenfalls vollständig besetzt und schwer mit Gepäck beladen, auch außerdem beschwert mit einigen dreißig umfangreichen Geldpaketen; eine herrliche Gelegenheit für irgend einen Räuberchef, wenn ein solcher dagewesen wäre oder es gewußt hätte, in dem Fall aber auch vielleicht für uns ein gutes Ableitungsmittel.

Sämmtliche Eilwagen werden hier in Italien immer noch, wie auch bei uns in frühern Zeiten, vom Sattel aus geführt, dazu hat jedes paar Pferde seinen Postillon, weßhalb es auch nie sehr rasch vorwärts geht; die Sattelpferde können bei dem Zug nicht viel mitwirken, da jedes genug an dem langbeinigen Schlingel zu schleppen hat, der, die Arme hin- und herwerfend, auf dem Sattel sitzt und bei jeder Veranlassung, namentlich in den Städten, unsinnig mit seiner Peitsche knallt. Durch die schönen und glatten Straßen Mailands fuhren wir ziemlich rasch und freuten uns, daß der Courier auf diese Art im Stand sein werde, seine Fahrzeit nach Genua von 16 Stunden einzuhalten. Kaum aber hatten wir das Thor hinter uns, so verfiel er in ein sehr langsames Tempo, und der Conducteur sprach achselzuckend von der Strada cattiva. Es ist das ein Lieblingswort der italienischen Postillone, und ich hab' es hören müssen bei schönem und schlechtem Weg, bei Schmutz oder Staub, bei Regen und Sonnenschein. Die Straße war allerdings von dem vielen Regen der vergangenen Woche etwas durchweicht, doch hätten sich daraus z. B. die fünf kräftigen Pferde der ehemaligen französischen Mallepost nichts gemacht, hier aber hatten wir sechs italienische Rosse, schwache Thiere, von dürftigem Körper, mit mangelhaftem Geschirr.

Die Straße nach Pavia ist schön, breit, aber langweilig; sie läuft beständig an dem Ufer des Canals hin, welcher den Ticino mit dem Po verbindet, und auf welchem man hie und da eines der flachen schwarzen Boote sieht, die uns, von Pferden oder Maulthieren gezogen, begegnen oder in den zahlreichen Schleußen auf- und absteigen. Rechts und links ist die Aussicht auf das flache Land durch Bäume und Rebengewinde verdeckt, und nur zuweilen blickt man auf die endlosen Felder hinaus, sieht dort ebenfalls endlose Baumreihen, tiefe Wassergräben oder junge Reisfelder, deren frisches Grün aus dem schlammigen und nassen Boden, der zu seinem Wachsthum nothwendig ist, eben erst hervorgebrochen ist.

In Pavia erwachten wieder Kriegserinnerungen auf das lebhafteste in mir, als wir durch die engen steilen Straßen gegen den Ticino hinabfuhren. Dort auf dem Balcon jenes Eckhauses stand der Marschall und ließ die Truppen bei sich vorüberdefiliren, unten im Hause in dem großen Thorbogen standen wir fast den ganzen Tag des zwanzigsten Märzen, und wechselten mit den lustig Vorüberziehenden Gruß und Handschlag. Drunten auf dem Fluß behauptete die alte steinerne Brücke heute wieder die Herrschaft allein. Gott weiß, wie ihre beiden leichten Schwestern von damals sich jetzt befinden, und in welch finsterm Magazin die armen Pontons nun träumen mögen von jenen schönen Tagen, wo sie stolz darauf waren die österreichische Armee tragen zu dürfen, die unter Jubelruf und beim Klang der Musik an das jenseitige Ufer zog. In Gravellona ist die piemontesische Gränze und dort wurden unsere Effekten auf eine, ich muß gestehen, sehr nachsichtige und höfliche Art durchsucht. Auf dem Postschein, den man in Mailand für den Courier erhält, steht die Bemerkung: »Der Wagen halte weder zum Souper noch zum Diner, wonach sich der Reisende zu richten habe«, was wir denn auch wie alle übrigen Passagiere gethan, und uns mit kalter Küche versehen hatten, die wir in dem Dämmerlicht des sinkenden, sehr regnerischen Tages verzehrten. Wir hatten dazu alle Muße, denn der Courier – Gott möge ihm diesen prahlerischen Namen vergeben! – schlich trotz unserer sechs Pferde und trotz dem Geschrei und Peitschengeknall unserer Rosselenker im langsamsten Schritt durch tiefen Sand und Schmutz dahin. Ein Mailänder, der mit uns im Wagen war, gab uns die wenig trostreiche Versicherung: wir würden, anstatt am andern Morgen um 8 Uhr, nicht vor Mittag oder wohl gar erst im Laufe des Nachmittags in Genua ankommen, und der Mann hatte sehr wahr gesprochen. Zuweilen wurden die Pferde zu einem gelinden Trabe aufgemuntert, verfielen aber bald darauf wieder in ihren Schneckengang; der Wagen war offenbar für den schlechten Weg zu schwer beladen, dazu saßen wir ziemlich dicht zusammengepreßt; meine beiden kleinen Kinder, denen ich am Boden von Nachtsäcken und Mänteln ein nothdürftiges Lager hergerichtet, erhoben zuweilen ein Klagegeschrei, und meinten schlaftrunken, ihr Bett sei zu kurz und stände ja nicht einmal stille, weßhalb die Fahrt eine recht unerquickliche war.

Bei völliger Nacht und dichtem Regen erreichten wir den Po, der mit seinen ohnedieß flachen und melancholischen Sandufern dergleichen Zugaben nicht braucht, um trübselig und verdrießlich auszusehen; weißlichgrau wie ein Nebelstreif floß er unter der knarrenden und ächzenden Schiffbrücke dahin, und schien uns obendrein liebgewonnen zu haben und festhalten zu wollen, denn am andern Ufer angekommen, klemmte er die Räder unseres Wagens so fest in seinem tiefen Sand ein, daß uns die müden Pferde nicht mehr von der Stelle brachten, und wir erst durch die kräftige Hand der Brückenmannschaft wieder flott werden konnten. Der Weg wurde von Station zu Station schlechter; hinter Tortona kamen wir in eine wahre Felspartie, denn das Gestein, womit man hier die Chaussee beschüttet hatte, konnte man nicht anders nennen: da lagen über faustdicke Kiesel und Steinbrocken schuhhoch über einander, und wenn wir zwölf der stärksten Pferde vor dem Wagen gehabt hätten, sie wären nicht im Stande gewesen, den schwerbeladenen Courier anders als im Schritt vorwärts zu schleppen. Glücklicherweise hat man auf der größten Strecke dieses Weges keine Berge zu passiren, und so kamen wir denn freilich statt um Mitternacht doch schon Morgens um 4 Uhr nach Novi. Hier trennte sich einer unserer Reisegesellschaft, obgleich er wie wir bis Genua eingeschrieben war, von uns, und den Grund zu diesem Verfahren erfuhr ich erst den andern Mittag. In Novi nämlich kreuzt die Eisenbahn von Turin nach Genua die Straße von Mailand; klugerweise blieb jener Herr hier zurück, legte sich wahrscheinlich ins Bett, schlief bis den andern Morgen um 9 Uhr, während wir fort und fort durch Morast und Schlamm geschüttelt wurden, und erreichte mit dem ersten Zug zur selben Zeit wie wir Bussala, den vorläufigen Endpunkt der Genueser Bahn, wo er zahlreiche Omnibusse fand, die ihn noch vor uns ans Ziel der Reise brachten. Aber

Mit Geduld und Zeit
Wird aus einem Maulbeerblatt ein Kleid

sagte mir einmal ein würdiger Freund, der viel im Leben erfahren, und ich fand diesen Grundsatz selbst auf unsere Fahrt, die über alle Beschreibung mühselig und langweilig war, anwendbar. Mit dem Grauen des Morgens wurde es freilich insoweit noch schlimmer, als wir bei Arquata in die Berge kamen und noch langsamer aufwärts kletterten; abwärts ging es jetzt zuweilen im Trabe, doch war alsdann das Knirschen der Räder auf der fast bodenlosen Kieselunterlage wahrhaft nervenerschütternd; dazu verfolgten uns schon gleich nach Mitternacht schwere Gewitter, die sich mit unaufhörlichen Blitzen und fürchterlichen Regen über der Straße entluden. Unser umsichtiger Conducteur hatte vielleicht auf das himmlische Leuchten gerechnet, denn seine irdische Wagenlaterne war ihm aus Mangel an Öl oder wegen sonstiger schlechter Beschaffenheit schon hinter Novi fast ausgegangen, und glimmte nur noch so trübselig fort, daß sie bei der stockfinstern Nacht kaum im Stande war, den Rücken des Postillons an der Deichsel und die Schweife seiner Pferde zu beleuchten. In Arquata wurde uns erlaubt, ein kleines Frühstück zu uns zu nehmen; doch war Kaffeehaus, Wirth, Geschirr und alles vollkommen zu der ganzen bisherigen Reise passend: der Wirth, ein alter Mann, hatte gewiß noch nie so viele Gäste auf einmal zu bedienen gehabt und fühlte sich dieser Aufgabe auch so wenig gewachsen, daß er sich in eine Ecke zurückzog und uns die ganze Wirthschaft überließ. Da sein Vorrath an Milch sehr gering war und das Ganze »zum Eintunken« in einigen harten Zwiebacken bestand, so trennten wir uns bald und schmerzlos von diesem ungastlichen Hause und stiegen wieder in unsern Wagen, Damen und Kinder vermittelst einer Treppe, denn die schlammbedeckte Hauptstraße des Orts erschien für zartere Füße grundlos.

Durch den Apenninen-Paß der Vocchetta führt eine prächtig angelegte Straße, die auch für uns in so weit besser zu befahren war, als man noch keine Kieselhaufen darauf ausgebreitet hatte. Doch sandt' uns der Himmel beständig neue Gewitter, deren Donner in den Bergen fürchterlich wiederhallte; der Regen, der dabei in Strömen floß, überfluthete hie und da die Straße, und stürzte, angesammelt auf allen Seiten, in schäumenden Wasserfällen von den Bergwänden herab. Dazu hingen die Wolken tief hernieder aufs Gebirg, und nach jedem Gewittersturm rieselte der Regen wohl noch eine gute Stunde sanft, aber unaufhörlich hinab, weßhalb wir den Wagen meistens verschlossen halten mußten. So keuchten die Pferde mit uns in die Berge dahin, und wir hatten gerade wieder einmal ein recht saftiges Stück Weg zu passiren, als plötzlich neben uns auf der mit der Straße fast in gleicher Höhe liegenden Eisenbahn der Zug von Novi leicht bei uns vorüberrollte; es verursachte uns dieser Anblick ein recht peinliches Gefühl, da wir, so langsam und beschwerlich vorwärts kommend, den hübschen und eleganten Convoi sahen, wie die leichten zierlichen Räder seiner Wagen auf den glatten Schienen so mühelos dahin glitten.

Die Eisenbahn von Turin nach Genua war ihrer größern Strecke nach bereits fertig und verband erstgenannte Stadt über Alessandria und Novi mit Bussala, einem kleinen Ort von welchem aus man Genua in etwa 4 Stunden mittelst Eilwagen und Omnibus erreicht. Wenn auch diese Bahn von der Hauptstadt des Landes aus bis nach Novi nicht viele Terrainschwierigkeiten zu überwinden hatte, so braucht es dagegen in Wahrheit kolossale Arbeiten, um durch die Schluchten und Berge des obengenannten Apenninenpasses zu dringen. Man kann diese Strecke Weges mit ihren vielen Brücken, Tunnels, Curven und Einschnitten der uns bekannten von Aachen nach Lüttich an die Seite stellen; auch hier war eine Schwierigkeit nach der andern zu überwinden, und wenn man das oftmals ganz von Felsen eingeschlossene Thal sieht, durch welches die Bahn sich einen Weg suchen mußte, so begreift man nicht, wie sie sich herauswinden würde; bei einer Biegung der Chaussee sieht man sie nun aber ebenfalls wenden, gerade auf die Landstraße zukommen und unter derselben verschwinden nachdem sie das Thal des reißenden Bergwassers auf einem kolossalen Viadukt leicht und gewandt überschritten. Jenseits setzt sie nun ihren Weg in einem engern Seitenthal auf die gleiche Art fort, bald an den Felsen hingleitend, bald über einen hohen Damm ziehend, und nachdem sie sich der Landstraße abermals in einem großen Bogen genähert, scheint sie es absichtlich vermeiden zu wollen, unsern Weg abermals zu durchkreuzen, und bricht durch eine Felsenwand durch, worauf sie für längere Zeit unsern Blicken entschwindet. Was man so oberflächlich von dem Bahnkörper sieht, ist außerordentlich solid, ja elegant gebaut; die Viaducte und Brücken sind aus Backsteinen mit Krönung und Verzierungen von grauem Sandstein, in Formen und Farbe angenehm und freundlich für das Auge.

Vor Ronco hatten wir nochmals einen ziemlichen Kampf mit der Straße zu bestehen; begegnende Fuhrleute sagten uns, weiter oberhalb habe der Regen die Chaussee zerrissen, und es sei für unsern schweren Wagen unmöglich, dort zu passiren. Da wir aber wußten, daß man hier zu Lande in dergleichen Dingen gern übertreibt, so fuhren wir getrosten Muthes weiter und erreichten in kurzer Zeit jene Strecke. Dort waren schon eine Menge Menschen beschäftigt, die Straße, welche allerdings sehr gelitten hatte, wieder auszubessern, und wir kamen denn auch glücklich hinüber, wobei der Wagen übrigens stark hin und her schwankte, und wir in etwas bedenkliche Nähe mit dem Rand der Chaussee kamen, die hier in einer Höhe von über 100 Fuß neben dem Flußbett hinzieht. Bei Bussala trafen wir eine große Menge Eilwagen und Omnibusse, welche sich anschickten, die Passagiere der Eisenbahn nach Genua zu bringen. Auch von hier ist der Bahnkörper bereits beendigt und größtentheils mit Schienen belegt; wie man mir sagte, soll die ganze Strecke von Turin nach Genua, respective S. Pier' d'Arena, einer Vorstadt Genuas, schon zu Anfang des nächsten Jahres eröffnet werden. Bei Ponte Decimo hielt man gerade Probefahrten mit ein paar Locomotiven, was die Verwunderung eines großen Theils der Einwohnerschaft in hohem Grad erregte, ja einige Weiber und ein paar Duzend Kinder sprangen schreiend davon, als die Locomotive zischend und brausend anfing, sich in Bewegung zu setzen. Hier im Thal des oft sehr reißenden Flusses Polcevera fiel es mir auf, daß der hohe Damm der Eisenbahn aus lauter Flußkieseln zusammengeschüttet war, und ich kann mir nicht gut denken, wie derselbe bei nothwendig mangelnder Vegetation haltbar und sicher wird.

Bei heiterm Himmel sieht man schon auf der Höhe zwischen Bussala und Ponte decimo das Meer vor sich liegen – tiefblau, weit hinaus heller werdend und sich scheinbar mit dem Himmel vermischend; heut aber lagen dichte Nebelmassen an den Rändern des Gebirgs und versperrten alle Aussicht. Erst in San Pierr' d'Arena sah ich sie wieder die liebe gewaltige Fluth, nach der ich schon seit Stunden sehnsüchtig ausgeschaut. Die See schien verdrießlich, und ihre im Wiederschein des trüben Himmels gelblich grau gefärbten Wogen bewegten sich unmuthig hin und her, flogen bald in die Höhe, sanken bald tief hinab und stürmten zuweilen in einem Anfall von Wuth gegen das felsige Ufer, daß Wasser und Schaum hoch emporspritzte.

Wie unser Reisegefährte vorausgesagt, war es denn auch 1 Uhr geworden, ehe wir den Posthof in Genua erreichten, und es thut mir wahrhaftig leid, daß ich über meine diesmalige Fahrt von Mailand hieher nichts besseres zu berichten im Stande bin, denn ich habe diese an sich so schöne Straße schon einigemal rasch und angenehm durchzogen, und habe zu ihrer Rechtfertigung gerne gesagt, daß nur das Zusammentreffen verschiedener für den Reisenden so verdrießlicher Umstände, als schlechtes Wetter und in Folge desselben der grundlose Boden, an unserer langen und langweiligen Fahrt schuld war. Sobald die Eisenbahn bis Genua eröffnet sein wird, thut man übrigens, um nach Mailand zu gehen, viel besser sie bis Novarra zu benutzen – eine Fahrt von etwa sechs Stunden, um von dort in 4 Stunden die Hauptstadt der Lombardei zu erreichen.

Wenn man heut über die Straßen von Genua wandelt, so findet man in dem Leben auf denselben, in der Beweglichkeit der Massen, in dem regen öffentlichen Verkehr gegen früher durchaus keine Veränderung; wie ehemals sind die engen finstern, alle vom Hafen aufwärts steigenden Gassen mit ihren himmelhohen dunkeln Häusern angefüllt mit Menschen, Lastthieren und Wagen, die sich in einer ewigen Unruhe begegnen, folgen, drängen und stoßen. Übrigens macht man hier wenig Umstände mit einander, und wer nicht Augen und Ohren offen hat, der kann leicht von einem dahereilenden Sackträger überrannt werden, oder unsanft auf die Seite gedrückt von einem Zug Maulesel, die oft zu sechs bis acht vor einen zweiräderigen schweren Karren gespannt, mit vielem Geschrei und tüchtigen Peitschenhieben vorwärts getrieben werden. Handel und Wandel der, wie in allen italienischen Städten, auch hier offen auf der Straße betrieben wird, verengt dieselben noch mehr, und trägt mit dem Geschrei der Verkäufer, dem Rasseln der Räder, dem Klopfen der Hämmer sein Gehöriges zu dem großartigen Spectakel bei, das den Spaziergänger ganz verwirrt machen kann. Dabei entströmt jeder Bude, jeder Werkstatt ein eigenthümlicher Duft, und all diese Gerüche zusammengenommen bilden einen unaussprechlichen Parfüm, der nur den italienischen Städten eigen ist, und in welchem verbranntes schlechtes Fett sowie verdorbene Früchte einen Hauptbestandtheil zu bilden scheinen.

Die höher gelegenen und vornehmern Straßen, die Strada balbi, Strada nuova und nuovissima, bilden zu dem Leben der tiefer gelegenen Stadtviertel einen starken Contrast; hier sieht man wenig von der Bewegung der Volksmasse, selten rollt eine der wenigen Equipagen Genuas über dieß glatte und schöne Pflaster, nur einzelne Spaziergänger sieht man hier, und das sind meistens Fremde, die betrachtend vor einem der riesenhaften Paläste stehen, aus denen namentlich die Strada balbi fast ganz besteht. Hier herrschte früher der reiche Genueser Adel, und wenn die Nachkommen desselben auch noch heute dort wohnen, so begnügen sie sich mit einer einzigen Zimmerreihe, und haben größtentheils weder Lust noch Mittel, Säle, Treppen und Höfe ihrer Paläste, wie früher, mit zahlreichen Gästen und glänzender Dienerschaft zu beleben.

In der Strada nuova herrscht ein etwas regerer Verkehr als in der Strada balbi, denn hierdurch geht der Weg zu den einzigen und wunderschönen Spaziergängen Genuas, der Acqua sola, einem reizenden hochgelegenen Punkt, von welchem man die ganze Stadt, den Hafen mit seinen Leuchtthürmen und zahlreichen Schiffen, sowie das Meer weit hinaus überblickt. Kein Fremder, der hieher kommt, sollte es versäumen, die an diesen Spaziergang gränzende und noch etwas höher gelegene Villa Negri zu besuchen, deren freundlicher Besitzer jedem den Eintritt gern gestattet. Leider hatten auch hier die Regengüsse der vergangenen Woche arg gehaust und die auf Terrassen gelegenen Gärten stark mitgenommen; namentlich war ein heimliches Plätzchen, wo man aus dem Norden kommend die ersten Palmen im Freien wachsen sieht, sehr beschädigt und einer dieser stolzen Bäume selbst zu Boden gerissen und zerschmettert.

Genua wird immer noch als eine leicht erregbare, stolze und unzufriedene Stadt geschildert, die heut noch vor allen andern am lebhaftesten ihre traurigen Erinnerungen aus den Jahren 1848 und 49 bewahrt. Für den oberflächlichen Beschauer mag es schwer sein, hierüber zu urtheilen, doch muß ich gestehen, daß mir einiges, was ich hier sah und hörte, seltsam auffiel. So wird der Nachtdienst an einigen Posten noch immer von der Guardia civica versehen, die, im gewöhnlichen bürgerlichen Anzug oft mit einer Soldatenmütze auf dem Kopf, Gewehr im Arm mit großer Würde und Selbstzufriedenheit auf- und abspazierte; ferner ziehen am Tag, meistens aber des Abends, Bänkelsänger durch die Straßen, gewöhnlich ein Mann und eine Frau, er mit einer Violine, sie mit einer Guitarre versehen, und klimpern und präludiren so lange, bis sich ein ziemlicher Volkshaufe um sie versammelt; dann geht ihr Spiel in eine melancholische Melodie über, bei welcher der Mann die Stimme der Frau secundirt, und sie singen die Strophe eines Liedes, welches sie alsdann gedruckt zum Verkauf anbieten. Welchen Inhalts aber diese Gesänge sind, kann man aus einer kleinen Probe entnehmen, die ich hier mittheile; ich mußte das lange unter meinem Fenster mit anhören, und meine Leser können sich denken, daß es mir ein eigenthümliches Gefühl verursachte, als sie sangen – »Der Versagliere zieht in den Krieg«:

Per combatter gli Allemani,
Che vantavan farci a brani;
Ignorando la sua sorte
Se inconstrasse o no la morte.
Giunto in Italia
E con mano sicura
Batte i Tedeschi
Senza nissuna paura.

Fast täglich hat man hier in Genua Gelegenheit zur See nach Livorno zu fahren; außer der englisch-orientalischen Gesellschaft, welche seit kurzer Zeit zweimal den Monat ihre großen schnellen Schiffe von Neapel nach Marseille gehend hier anlegen läßt, gehen fast jeden Tag die Fahrzeuge zweier andern Gesellschaften, die der sardinischen Compagnie, mit guten, ziemlich großen Schiffen, sowie die kleinen und schwachen Dampfer eines andern Vereins. Obgleich die Fahrten auf den letztern etwas billiger sind, so werden sie doch von Fremden nur mit seltenen Ausnahmen benutzt, und man wartet lieber einen Tag, um mit den Dampfbooten der sardinischen Compagnie gehen zu können. Der Preis von hier nach Livorno ist für eine Person auf der ersten Classe 40 Francs, was für eine einzige Nacht ziemlich viel ist; indessen lassen die Agenten auf dem Bureau, namentlich wenn man mit Familie reist, mit sich handeln und gern von der ganzen Summe 10 Procent und auch noch mehr nach; doch muß man dieß Verfahren kennen und fest darauf bestehen. Für den Preis von 40 Francs ist die Beköstigung einbegriffen; doch will das nicht viel heißen, denn die meisten Reisenden essen am Land, und legen sich gleich bei der Abfahrt auf Sopha und Betten, um der Seekrankheit zu entgehen. Wer aber trotz dem Schaukeln des Meers seinen guten Appetit behält, und gern ein solides Nachtessen zu sich nimmt, auch am andern Morgen Kaffee mit Milch nicht verschmäht, ohne noch extra hierfür bezahlen zu müssen, der verlasse sich nicht auf die gedruckten Anpreisungen dieser italienischen Gesellschaften, sondern erkundige sich im Detail, was man zu erhalten und was man nicht zu erhalten hat. So las man z. B. auf den gedruckten Zetteln der sardinischen Compagnie: »Il passeggiere di 1a e 2a classe gode d'un completo trattamento, 1a classe vino compreso«, und als man uns auf dem Schiff hatte, bewies uns der Ristoratore, daß dieser vollständige Lebensunterhalt für den Tag aus einem einmaligen und sehr geringen Essen bestehe, »denn«, sagt er pfiffig lächelnd und die Achseln bis an die Ohren hinaufziehend, »auf den Fahrbillets der einzelnen Herrschaften stehe es ja nicht anders gedruckt«, und der Italiener hatte Recht; denn im Widerspruch mit jener ersten Anzeige standen dort auf einer Ecke des Papiers die Worte: das Trattamento bestehe aus einem einzigen pranzo.

Unser Schiff war der »Corriere Siciliano«, ein ganz neues im Jahr 1853 erbautes Boot, seine Einrichtungen waren reich und elegant, seine Maschinen kräftig. Es schien nun aber schon einmal auf dieser Reise unsere Bestimmung zu sein, mit den Courieren nicht gut von der Stelle zu kommen. Die Abfahrt dieses Sicilianers war auf 7 Uhr Abends festgesetzt, doch wurde mit dem Einschiffen großer Wagenladungen so spät begonnen, daß wir erst um 11 Uhr aus dem Hafen hinausdampften. Der Conducteur des Schiffs, den einige hierüber zur Rede stellten, schloß sanft lächelnd seine Augen, schnalzte mit der Zunge und sagte darauf achselzuckend: » Che vuole – es ist wahr, wir fahren spät von Genua fort, sind aber binnen 5 bis 6 Stunden in Livorno; dort müssen Sie bis 8 Uhr warten, bis Sie ausschiffen können, und ob Sie nun hier oder dort im Hafen liegen, ist doch ganz gleichgültig – dieß Schiff«, dabei stieß er die Zeigefinger beider Hände zusammen, » è d'una forza straordinaria, und wir kommen viel zu früh an.« Dem war aber nicht so; entweder war die forza nicht straordinaria, oder der Capitän sparte die Kohlen, was ich eher glaube; genug, wir kamen erst um 10 Uhr nach Livorno, und hatten also 11 Stunden gebraucht. Bei der Überfahrt war das Meer ziemlich bewegt: fast alle Damen litten mehr oder minder; doch waren meine beiden kleinen Kinder so glücklich, sich während der ganzen Nacht eines außerordentlich guten Schlafs zu erfreuen. In Livorno ist man schon gewohnt, unendlich lang auf die Erlaubniß der Sanitätsbehörde zum Ausschiffen warten zu müssen; leider war's aber heute Sonntag, die Herren wahrscheinlich noch im Bett oder mit ihrer Toilette beschäftigt, und wir mußten so lange auf dem Schiff und noch dazu ohne Frühstück warten, indem schändlicherweise keine Milch an Bord war, so daß selbst einem Türken die Geduld ausgegangen wäre.

In Livorno waren alle Läden geschlossen, und sonntäglich geputzt strömte eine große Volksmenge durch die langen, breiten, aber einförmigen Straßen, elegante Bürger von Livorno mit ihren Frauen, Handwerker in brauner Sammtjacke, Matrosen der im Hafen liegenden Schiffe, nach dem Rang ihres Fahrzeugs herausgeputzt, die von den Kauffahrern meistens mit dem dunkeln farbig ausgenähten Mantel auf der Schulter, einer rothen Mütze auf dem Kopf; dort die Matrosen eines Kriegsschiffs in sauberer Jacke, mit dem breitumgelegten, reinlichen Hemdkragen, dem schwarzlakirten Hut auf dem Hinterkopf, zu sechs bis acht Arm in Arm. Langsam und faul bei ihnen vorbei schlenderten Griechen und Türken mit dem rothen Fes oder Turban, die lange Pfeife in der Hand, ohne von den andern Spaziergängern erstaunt angesehen zu werden, ebensowenig als dort die drei oder vier Neger in möglichst modischer Kleidung, deren schwarze, glänzende Gesichter so seltsam aus der rothen Halsbinde und zwischen den weißen Hemdkragen hervorschauten, – denn das ist ja etwas alltägliches in der bewegten Hafenstadt.

Von hier nach Florenz fährt man mit der Eisenbahn in vierthalb Stunden. Beim Einsteigen hatte ich noch einen Kampf mit dem Billetausgeber zu bestehen, indem er für meine beiden kleinen Buben wie für zwei Erwachsene bezahlt haben wollte; ein Kerl in einer verblichenen Livree, der dabei stand, sollte Schiedsrichter sein und sprach natürlicherweise für seinen Landsmann; ich aber ruhte nicht eher, bis ich einen höhern Beamten aufgefunden, der denn auch die beiden Kinder mit einem einzigen Billet passiren ließ.

Die Eisenbahn von hier läuft vollkommen eben durch einen Theil der toscanischen Maremmen, ein ziemlich ödes und sehr feuchtes Haideland mit nothdürftiger Cultur; das Auge fliegt gern über sie hinweg nach den schönen malerischen Linien der Apenninen, die in duftiger, weicher Färbung, aber in ihren Formen ernst und gewaltig am Horizont liegen. Gern hätte ich dem schiefen Thurm in Pisa einen Blick geschenkt, doch ist der Bahnhof zu weit von der Stadt entfernt, und man sieht von ihr nichts als einige Häuser, welche durch das Grün der Maulbeerbäume und durch dichte Rebengewinde hellgelb hervorschimmern.

Die Einrichtung der toskanischen Eisenbahn läßt viel zu wünschen übrig; die Wagen der zweiten Classe sind fast wie die der dritten auf den meisten Bahnen Deutschlands, und trotz langer Stationen wird sehr langsam gefahren. Da es schon halb 5 Uhr war, als wir Livorno verließen, so hüllte uns schon bald hinter Pisa eine finstere Nacht in tiefste Dunkelheit; auch hatten wir abermals ein Gewitter mit großartigen Regengüssen, die bis nach Florenz getreu bei uns aushielten. Es war das bei stockdunkler Nacht und sehr spärlicher Beleuchtung eine recht trostlose Ankunft; mit Mühe fand ich für mein vieles Gepäck und für fünf Personen einen elenden Einspänner, der durch uns aber so überladen wurde, daß er bedenklich hin und her schwankte, weßhalb ich es für das Gerathenste hielt, abzusteigen und zu Fuß zu gehen. Der Kutscher that ein Gleiches, und so patschten wir durch den strömenden Regen dahin. Ein dritter, sehr nothwendiger Begleiter unseres Fahrzeugs war ein Mann mit einer Laterne, welcher uns durch die finstern Straßen vorleuchtete, und durch dessen Hülfe es uns nach längerer Zeit endlich möglich wurde, die Hausnummer zu finden, die wir lange vergeblich gesucht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien