Sechstes Kapitel - Von Marseille nach Barcelona.

Abreise von Marseille. - Schlechte Einkäufe. - Hafenleben. - Der Cid auf stiller See. - Neue Reisegefährten. - Mondnacht auf dem Meere. - Barceloneta. - Barcelona. - Mauthquälereien. - Die Fonda del Oriente. - Spanische Briefausgabe. - Eine Trauerfeierlichkeit. - Bergartillerie. - Neue Straßen. - Die Kathedrale. - Straßenleben. - Das Militairspital. - El Paseo nuevo. - Der Garten des Gouverneurs. - Auf der Rambla. - Der neue Marktplatz. - Die alte Stadt. - Bilderläden und einfache Buchhandlungen. - Fleißige Hunde. - Der große Friedhof. - Der Monjuich. - Abends am Hafen. - Theater. - Spanische Tänzerinnen.




Wie in einigen anderen Seestädten findet man auch an der Börse von Marseille einen Anschlag, der besagt, welche Schiffe ankommen sollen, angekommen sind oder abgehen. Es ist das eine sehr angenehme Einrichtung, und der Reisende kann seine Abreise danach projectiren. Wir sagen: projectiren, denn es ist immer noch ein großer Unterschied zwischen der angezeigten Abfahrtszeit eines Schiffes und der wirklich erfolgten Abfahrt. Doch ist hier die Differenz nie groß, und man geht in diesem Punkte sehr gnädig mit den Passagieren um, wogegen wir später in Spanien die traurige Erfahrung machten, daß auf heute angezeigte Schiffe erst in vierzehn Tagen oder drei Wochen eintrafen, wie es uns z. B. in Barcelona erging.

Auf den vierten December war der »Cid« annoncirt, ein, wie man uns sagte, recht gutes spanisches Schiff. Mir war es nicht unlieb, Spanien unter der Ägide des tapfern Campeador zu betreten, weßhalb ich mich denn auch mit meinem Reisegefährten auf das Dampfboot-Bureau begab, um Plätze zu nehmen und einige Procente der Überfahrtspreise herunterzuhandeln. Leider ist dieses Handeln an der ganzen spanischen Küste Mode, und wer darin etwas leisten kann, soll manchmal außerordentlich billig fahren.

Vergeblich forschten wir am Tage vor der Abfahrt noch auf allen Bahnzügen und ankommenden Diligencen, die von Paris kamen, nach unserem Baumeister Leins, der vor dem ersten December nicht erschienen war, wie er versprochen, sich aber, wie ich zufällig erfahren, in der Hauptstadt Frankreichs umher bewegte – er kam nicht, weßhalb wir Briefe und Adressen nach Barcelona für ihn zurückließen und uns am vierten December mit unseren sämmtlichen Habseligkeiten auf das Dampfboot begaben. Auch waren wir beide, Horschelt und ich, recht froh, endlich Marseille verlassen zu können; es ist hier ein sehr theures Pflaster, und obendrein hatte der Maler alle Ursache, mit Marseille unzufrieden zu sein: hatte man ihm doch für theures Geld sehr schlechte Farben verkauft, und als er sich ein ledernes Riemenwerk machen ließ, um Mappe und Farbenkasten darin zu tragen, war dieses Ding so unpraktisch gemacht, daß das Eingeschnallte schon nach wenigen Schritten herausrutschte. Doch da man suchen muß, jedem Ding eine praktische Bedeutung abzugewinnen, so wurde das Riemenwerk sorgfältig aufgehoben und diente später als Freßkorb, indem wir es den Maulthieren mit Heu gefüllt umhängten. Auch einen soliden Feldstuhl hatte sich Horschelt angeschafft, der ihn aber am ersten Tage des Gebrauches fast ins Unglück gebracht hätte; denn als er auf einer steilen Klippe am Meer zeichnend saß, brach der hintere Fuß dieses Möbels, und Horschelt wäre um ein Haar in die Fluthen hinabgerollt.

Die Abfahrt des Cid war auf acht Uhr Morgens festgestellt: als wir aber eine halbe Stunde früher an Bord ruderten, stiegen erst ganz leise Rauchwolken aus dem Schornstein auf, das Verdeck wurde jetzt erst gewaschen, der Kellner machte seine Morgen-Toilette, und vom Capitän und den übrigen Passagieren war noch keine Spur zu sehen. Das Schiff lag ziemlich am Ende des Hafens und war rings von andern Fahrzeugen umgeben, wodurch es nicht an amüsanten und lebendigen Scenen fehlte. Hier wurde aus-, dort eingeladen, zu unserer Rechten ein Schiff in den Hafen hineinbugsirt, links eines zum Auslaufen fertig gemacht. Dazu waren die Segel schon halb herabgelassen und schlugen leicht gegen den Mast, am Pavillon war die Flagge aufgezogen, und die Matrosen in ihren rothen und blauen Hemden hatten ein langes Tau erfaßt, vermittelst dessen sie das Schiff langsam vorwärts bewegten. Dann riefen sie ihr gewöhnliches: Oho – i! oder sangen auch wohl eine lustige Melodie, wozu sie den Tact mit den Füßen trampelten, während sie vorwärts strebten.

Endlich gegen halb neun Uhr ließ sich unser Capitän blicken, nach und nach kamen einige Passagiere, aber sehr wenige, dann wurde der Anker gehoben, der Schornstein begann dichte und schwarze Rauchwolken auszuspeien, die Schiffsmannschaft beschäftigte sich eifrig damit, Ballen, Fässer und Koffer in den Raum hinabzustauen, dann fingen die Räder langsam an zu schlagen, und wir trieben fast unmerklich durch das Gewühl der Schiffer dem Ausgang des Hafens zu.

Es war ein prächtiger und klarer Tag; die Inseln vor dem Hafen von Marseille sowie Château d'If lagen da mit ihren gelben Felsen hell im glänzenden Sonnenlichte wie vergoldet; das Gestade zu unserer Rechten hatte eine etwas dunklere Färbung und verlor sich vor uns in einem bläulichen Streifen nach der spanischen Küste zu. Ich erinnere mich nicht, ein ruhigeres Meer gesehen zu haben, der Ausdruck »wie ein Spiegel« paßte heute vollkommen hieher; auch nicht die mindeste Bewegung war auf dem Verdecke zu spüren. Der Cid glitt so ruhig dahin, wie ein Dampfer auf dem Rheine, und man hätte wirklich an eine Flußfahrt glauben können, wenn man rechts und links die Berge und Felsen betrachtete, die Schlösser und Ruinen und rückwärts Marseille, die mächtige Stadt mit den grünen Höhen, die es überragten, und mit dem Mastenwald zu seinen Füßen.

Bald aber ließen wir alles das hinter uns, die letzte der Inseln blieb zurück, das zerklüftete Gestade gegen Toulon mit seinen zackigen, sonderbaren Felsen schien nach und nach flach und weich zu werden und verschwamm endlich zu einer langen farblosen Linie. Am längsten konnten wir die weißen Mauern des Château d'If erkennen und gaben ihm noch manchen Gruß zur Bestellung auf an Frankreich und Italien, die es ausrichten konnte durch eines der vielen Schiffe, die täglich bei ihm vorüberfuhren. Auch unserer armen Landsleute von der Fremdenlegion gedachten wir, die dort oben auf den Mauern saßen und gewiß sehnsüchtig dem Cid nachblickten.

Jetzt lag zu unserer Linken das weite, gewaltige Meer, ohne Wellen, ja fast ohne Schwingung, eine tiefblaue Fläche, die das Sonnenlicht strahlend zurückwarf; zu unserer Rechten behielten wir das Ufer in Sicht, welches mit seinen malerischen kühnen Felsenbildungen, seinen scharf ein- und ausspringenden Winkeln, seinen Weinbergen, Dörfern und Schlössern die beiden großen Nachbarstaaten verbindet. Wie schon bemerkt, hatten wir wenig Passagiere; uns interessirten eigentlich nur zwei Herren, die sich ebenfalls auf dem Hinterdeck befanden und, wie mir schien, geläufig Englisch zusammensprachen. Gleich Anfangs aber war ich überzeugt, daß sie keine Engländer seien, namentlich der Eine, der etwas außerordentlich Gutmüthiges und Deutsches in seinem ganzen Wesen zeigte. Ich hatte mich auch nicht geirrt, denn als ich die Kajüte hinabstieg, mich dort ans Clavier setzte und ein deutsches Lied spielte, kamen Beide zu mir und baten mich in unserer theuren Muttersprache, das Lied noch einmal zu spielen. Beide Herren waren Kaufleute, seit langen Jahren in England etablirt, Herr Weinberg, ein Hamburger, Herr Erichsen, ein Däne, der übrigens auch ganz geläufig Deutsch sprach. Ich habe dieses Zusammentreffen, sowie die Namen der beiden Herren erwähnt, weil wir in Spanien längere Zeit zusammen reisten und weil beide Herren beständig für uns sehr angenehme und liebenswürdige Reisegefährten waren.

Unsere Meerfahrt ging in ihrer Gesellschaft so unterhaltend wie möglich vor sich; wir frühstückten, rauchten, spielten Domino, dinirten, befanden uns aber trotz allem dem die meiste Zeit auf dem Verdeck, um dem schönen Lauf der Ufer, wenn auch von fern, folgen zu können. Dort war Port Vendre mit seinen alten maurischen Thürmen und dem Fort St. Helena; bald waren wir gegenüber dem Dorfe Bagnols, wo ein scharfer Gebirgseinschnitt die französisch-spanische Gränze bezeichnet. In später Nachmittagsstunde sah man auch die Bucht von Rosas mit ihren vielen Ortschaften und der alten trotzigen Araber-Burg, überragt von den schneebedeckten Häuptern der Pyrenäen, hinter denen bald darauf die Sonne prächtig niedersank.

Als es endlich Nacht geworden war, saßen wir in der Kajüte zusammen, erzählten gegenseitig von unserem vergangenen Leben und brauten einen kräftigen Punsch, bei dem wir uns so lange unterhielten, bis die Kajüten-Uhr Eilf schlug und unsere Bekannten ihre Betten aufsuchten. Horschelt und ich stiegen auf das Verdeck hinauf und erfreuten uns dort noch längere Zeit an der prachtvollen, wahrhaft blendenden Mondnacht. Wohl nie sah ich eine größere Klarheit des Himmels und der See; dabei hatte letztere, von dem weißen Mondlicht übergossen, etwas unnennbar Erhabenes, ja Geheimnißvolles. Wie still und feierlich hob und senkte sich das Wasser, jedoch fast unmerklich, so, als wage es kaum zu athmen unter dem süßen Kuß des strahlenden Gestirns. Gewöhnlich wird die nächtliche Ruhe der See durch den Schlag der Wellen unterbrochen, die im Mondlicht vielfach strahlend und glänzend ebenfalls ihr Reizendes haben wie das Schlagen der Räder und das Stöhnen und Seufzen des Schiffes und der Maschine. Heute Nacht aber glitten wir so ohne alle Bewegung dahin, völlig gespensterhaft; die Wimpel hingen schlaff an den Masten herunter, kein Lufthauch bewegte die Taue, ja die Schatten, welche dieselben auf das Verdeck warfen, zitterten nicht einmal. Vorn im Schiffe saßen die Matrosen in leisem Gespräch beisammen, und der Steuermann hinten schien unbeweglich: das Steuerruder folgte dem leisesten Drucke der Hand.

Es war eine unvergeßliche Nacht, eine Nacht, in der man oft unwillkürlich und lauschend stehen blieb, als müsse man jetzt den Gesang der Sirenen und Meerjungfern vernehmen, und als müsse man sie sehen, wie sie langsam aus der Tiefe aufstiegen, gelockt von dem weißen Mondlichte, um den schlafenden Wellen zu singen und zu spielen. Aber es kam nichts dergleichen; nur derbe irdische Gestalten unterbrachen zuweilen den Lauf meiner Phantasie: der Kellner, der jetzt schlaftrunken über das Verdeck stolperte, oder der Capitän mit brennender Cigarre, der leise mit dem Steuermann sprach, dann in das erhellte Compaßhäuschen blickte und hierauf mit uns eine spanische Konversation anfing, die uns aber leider vollkommen spanisch vorkam. Das mochte er auch einsehen und zog sich daher bald wieder von uns zurück. Zuweilen drehte sich das Schiff ein wenig, aber so leicht und geräuschlos, daß man, in den Mond blickend, hätte glauben können, dieser spaziere zu seinem Vergnügen ein wenig um uns herum.

Jetzt verkündete vorn am Schiffe der Klang der Glocke die zweite Wache und dann war Alles wieder still wie zuvor. – Und war ich denn wirklich so weit von der Heimath, befand ich mich wirklich auf dem Cid und schwamm an den herrlichen Gestaden Spaniens? Ich konnte das oftmals selbst nicht glauben und trat dann zum Steuermanne hin, um ihn zu fragen, wann wir ankämen. Es war das ein Franzose und deßhalb verstand ich ihn, als er mir zur Antwort gab: »Wenn die See ruhig bleibt, werden wir gegen acht Uhr Barcelona erreichen – Barcelona, eine sehr schöne Stadt«, fügte er hinzu. – Also doch! In solchen Augenblicken fiel mir immer das Lied Alfred de Musset's ein, welches Freiligrath so schön übersetzt hat:

Wer, der auf Barcelona's Gasse
Mein andalusisch Mädchen sah,
Wer sah sie stehn auf der Terrasse?
's ist meine Löwin, meine blasse
Marquesa d'Amangui ja! –

Ich konnte es zwar damals nicht recht begreifen, warum es gerade ein andalusisches Mädchen sein sollte, die auf den Gassen von Barcelona solche Wirkung hervorbrachte. Später aber begriff ich es vollkommen.

Der Tag kam schön und klar herauf, ein würdiger Sohn der vergangenen herrlichen Nacht. Auf der See bin ich immer sehr frühzeitig, und so betrat ich denn auch heute schon das Verdeck gleich nach dem gähnenden Kellner, der auf meine Frage nach den Gestaden Spaniens auf einen schon ziemlich deutlichen Landstreifen vor uns zeigte. Zu erkennen war da freilich so gut wie gar nichts; die Formen der Küste waren noch sehr unregelmäßig und wechselten ab mit hellen und dunklen Stellen. Eine der letzteren sollte Barcelona sein und die bedeutende Spitze daneben, die schon etwas klarer aus dem Wasserdunste hervorsah, der Monjuich. Es ist für mich immer ein höchst angenehmes Gefühl, so einem mir gänzlich fremden Lande zuzusteuern; man macht sich allerlei Phantasien von der Lage einer Stadt, die sich derselben dann beim Näherkommen öfters anpassen, so daß man meint, man habe sich dieselbe so und nicht anders vorgestellt.

Die Stille des Meeres hatte sich nicht geändert. Der Cid arbeitete wacker darauf los, und wie die Küste vor uns höher und höher aufstieg, so wurde sie auch deutlicher, und bald konnten wir genau unterscheiden, wo kleine Buchten ins Land hineingingen und wo die Felswände ins Meer vorsprangen und sich schnell aus demselben erhoben. Dieses war namentlich bei dem Monjuich der der Fall, der in seiner imposanten Gestalt herausfordernd allein an der Küste zu stehen schien, ein trotziger Wächter, dessen Kanonen rings umher Alles beherrschen und an dessen Fuß sanft hingeschmiegt Barcelona liegt, über welche Stadt er schützend oder drohend seine eiserne Hand ausstreckt.

Hohe Gebirge erheben sich nicht hinter Barcelona, und der Horizont ist nur begränzt von einer unbedeutenden Bergkette, schön gezackt in dunkelvioletter Färbung. Hinter derselben, rechts vom Monjuich, aber weit ins Land hinein, bemerkte man an dem klaren Morgen ziemlich deutlich einen einzelnen Bergkegel von seltsamer, sonderbar ausgezackter Gestalt – Monserrat, den heiligen Berg, dem wir ebenfalls einen Besuch zugedacht; bei unserem Näherkommen sank er langsam hinter die vor ihm liegende Bergkette, wogegen der Monjuich immer höher und stolzer emporstieg. Bald konnte man schon die Festungswerke droben erkennen, so wie den Weg, der hinauf führt – ein hellerer Streifen auf dem gelben Sandstein, bald über den nackten Felsen im Zickzack hinlaufend, bald rechts und links mit grünen Hecken besetzt.

Jetzt lag auch der Hafen deutlich vor uns, der, begränzt durch die hohen Ufermauern, von den Häusern der Stadt nicht viel sehen läßt. Die Einfahrt in denselben, namentlich wenn man von Marseille kommt, stimmt die Erwartungen des Reisenden sehr herab; dort das Gewühl der großen Stadt, welches am Hafen am lebhaftesten ist, die hohen Häuser, dicht an die Quais gebaut, im Hafen-Bassin selbst Hunderte von Fahrzeugen aller Nationen, worunter oft ein Dutzend Dampfer in einer Reihe, Alles voll Leben und Bewegung; hier eine stille Wasserfläche, ein fast todter Hafen mit wenigen unbedeutenden Schiffen, die wie schlafend an den Ankerketten liegen, fast gar kein Verkehr zwischen ihnen und dem Lande. Zwei kleine Dampfer in der Mitte des Hafens waren alles, was auf eine Communication mit dem Auslande deutete, rings am Strande dagegen eine unzählige Menge Schifferbarken in der bekannten malerischen Unordnung, dabei aber in Allem ihre Armuth zur Schau tragend; hinter ihnen ein sandiger Strand und dann erst bis auf die schon genannten Hafenmauern zur Linken unbedeutende Uferbauten, hinter welchen man die graue Festungsmauer sah und kleine, niedrige Häuser.

So war der Anblick des Hafens von Barcelona. Glücklicherweise brauchten wir nicht lange auf Erlaubniß zu warten, um das Land betreten zu können; wir vertrauten uns mit unserem Gepäck einem Nachen an und wurden von zwei Kerlen in zerlumpten braunen Mänteln ans Ufer gerudert. Dort hatte sich ein artiges Gesindel versammelt, um uns in Empfang zu nehmen; Strauchdiebe aller Art in abgerissenen kurzen Hosen, nackten Beinen, schmierigen Jacken, was aber alles von der blutrothen Manta verdeckt wurde, welche weithin leuchtet und den Burschen das Aussehen von Scharfrichtern gab, die mit uns schleunigst fertig machen würden; dazu paßten auch ihre wilden Bewegungen und der Ausdruck ihrer unrasirten Gesichter.

Von uns Vieren, die wir nun ans Land stiegen, der Maler nämlich, Herr Erichsen und Herr Weinberg, sowie ich, wußte Keiner sich im Spanischen auch nur halbwegs vernünftig auszudrücken. Herr Weinberg, der ein Vocabulaire in der Hand schwang, radebrechte freilich aus demselben allerlei seltsam klingende Phrasen, welche aber den Cataloniern eben so wenig verständlich schienen, als unser ehrliches Deutsch. So standen wir denn ziemlich rathlos da, und wenn uns auch pantomimisch allerlei Hülfsleistungen angeboten wurden, so ließ uns doch gerade die Verschiedenheit derselben zu keinem Entschlusse kommen. Der Eine wies uns auf unsere Fragen nach Barcelona hierhin, der Andere dorthin; eine Partie wollte unsere Koffer auf die Schultern laden, die andere auf einen Karren werfen, und ein paar Zollsoldaten schienen den Wunsch zu hegen, sie in einem der dunklen Gewölbe deponirt zu sehen, die sich in der Ufermauer befinden. Und dabei lärmten die Kerle über alle Gebühr, drängten sich uns auf den Leib und rochen nach Knoblauch, daß es zum Erbarmen war. Ich glaube, sie wären noch unsertwegen in Händel gerathen, wenn nicht in diesem Augenblicke ein Retter erschienen wäre, ein wohlgekleideter Mann nämlich, der sich uns in ganz gutem Französisch als Lohnbedienter der Fonda del Oriente, des Gasthofes, den wir aufsuchen wollten, dargestellt hätte. Ihm überließen wir denn auch gleich die Sorge für unser Gepäck, welches er auf einen großen Karren laden ließ, dem wir folgten.

Es ging aufwärts das Ufer hinan durch einen halb zerstörten Thorbogen, dann kamen wir auf einen weiten öden Platz, der einstens zum Schiffswerfte für kleinere Fahrzeuge gedient haben mochte; jetzt lagen da unbrauchbare Schiffsplanken, altes Tauwerk, rostige Anker, auch hier und da ein Haufe Ballen oder Fässer, durch Strohmatten gegen die Sonne geschützt. Dieser Platz war auf der der See gegenüber liegenden Seite mit einer langen Reihe niedriger Häuser besetzt, alle von gleicher Bauart und gleicher Höhe. Viele waren roth angestrichen, und die zahlreichen weißen Fenstereinfassungen hätten dem Anblick etwas Heimathliches gegeben, wenn nicht jedes dieser Fenster mit einem kleinen eisernen Balcon versehen gewesen wäre, welcher uns erinnerte, daß wir endlich in Spanien waren. Es war eine kleine Stadt, die vor uns lag, aber mit unscheinbaren Häusern, so ärmlich aussehend, daß wir uns schüchtern fragten: Soll das Barcelona sein? Worauf uns übrigens der Lohnbediente zu unserem Trost mit einem sanften Lächeln sagte: Das ist nur die Vorstadt Barceloneta; dieselbe ist übrigens nicht unbedeutend, neuer als die große Stadt, und ihre Straßen laufen ganz gerade und durchschneiden einander rechtwinkelig. Hier ist das Fischer- und Matrosenviertel, es gibt hier viele Kneipen und viele Tabakläden, dazwischen Gewölbe mit bunten Schifferhemden und rothen Mantas, welche Farbe für dieses Kleidungsstück hier in Katalonien Mode zu sein scheint.

Die Straßen sahen recht öde und leer aus, eben so die Häuser; die meisten Fenster waren verschlossen, zum Theil auch nur mit weißen Gardinen verhängt, und nur hie und da lehnte eine weibliche Gestalt an dem Balcongeländer, mit vollen Körperformen, blassem Gesicht und sehr schwarzen Haaren, die mit silbernen Nadeln aufgeputzt waren.

Barceloneta, zwischen 1755 und 1775 durch den Marquis de la Mina gegründet, ist sehr lang gestreckt, und wir brauchten eine gute Viertelstunde, ehe wir die Gräben und Mauern der wohlbefestigten großen Stadt erreichten. Das Thor, welchem wir uns näherten, hatte uns schon von Weitem, sehr hell von der schmutzigen Häusermasse, an der wir vorbeikamen, abstechend, durch seine seltsame Formenbildung und die Prätension seiner ganzen Anordnung, die ein ganz modernes Bauwerk verrieth, besonders interessirt; die zwei Thorbogen neben einander, der eine zur Ein-, der andere zur Ausfahrt bestimmt, schienen die völlig geschlossene Kreisform zu haben, eingespannt zwischen einen Wald von griechisch-dorischen Säulen, und bei näherer Betrachtung zeigte es sich auch fast so, denn aus der untern Hälfte der Kreise war nur ein so großes Stück ausgeschnitten, um eine ebene Schwelle zu erhalten. Der Aufwand an reichen Architekturformen und die Präcision der Ausführung wären einer besseren Gesammtanordnung werth gewesen.

Hinter dieser Puerta del Mar sah es auch nun gleich ganz anders und großstädtisch aus. Vor uns hatten wir einen weiten, wohlgepflasterten Platz, in dessen Mitte man eben irgend ein Denkmal aufzurichten im Begriffe stand, dessen ansehnlicher, würfelförmiger Unterbau bereits fertig war. Auf einer Seite des Platzes befinden sich vier- bis fünfstöckige Häuser, neben diesen die sehr gering aussehende Lonja oder Börse, links ein großes Gebäude mit Arcaden, unter welchen sich, beiläufig gesagt, ein Kaffeehaus befindet, das »Zu den sieben Thüren« heißt. Dieses besagte die Inschrift auf der gleichen Anzahl Eingänge in sieben verschiedenen Sprachen, worunter sich auch eine deutsche befindet. Es ist dieß der Palast eines Amerikaners, in welchem nach den Bürgerkriegen Espartero wohnte, als sich der Hof damals hier befand, und der Balcon des Siegesherzogs war dem der beiden Königinnen gerade gegenüber, denn rechts am Platze ist der königliche Palast, ein rothes Gebäude in einem mittelalterlich sein sollenden Style; doch sind die theilweise sehr geschmacklosen Verzierungen nur gemalt. Es ist darin eine Nachahmung des Dogenpalastes zu Venedig versucht worden, aber blos der Schein statt des Wesens; die fingirten Incrustationen bunter Marmorplatten, die halb gothischen, halb arabischen Einzelheiten und die ausgezackte hölzerne Mauerkrönung geben dem Ganzen ein sehr barockes Aussehen. Hübsch nahm sich nur der im Hauptstockwerke auf die ganze Hauslänge sich erstreckende verglaste Balcon aus, eine in dieser Ausdehnung uns noch ganz neue Sache, die wir erst mehr im Süden des Landes in vielerlei mannigfaltigen Arten wiederfinden sollten. Unmöglich kann ich hier noch zwei Schilderhäuser unerwähnt lassen, blau und weiß angestrichen, in Zeltform, da ich nicht leicht etwas Plumperes der Art gesehen habe.

Neben dem Palast ist das Mauthgebäude, wohin unser Karren dirigirt wurde. So viel Unangenehmes man mir auch schon über die spanische Mauth gesagt, so fand ich doch, daß die Barceloneser besser sei als ihr Ruf; die Leute behandelten uns recht artig, ließen freilich unsere Koffer öffnen, begnügten sich aber damit, mit der linken Hand nur leicht auf den Kleidungsstücken umherzufahren, wogegen die Rechte, wie ich nicht läugnen darf, eine vielsagende Bewegung machte, die ich denn auch durch Hineingleitenlassen einer Peseta alsbald ausglich. Diese Visitationen in Spanien, abgesehen von hier, wo wir von Frankreich kommend die Landesgränze betraten, sind nicht genug zu rügen und für den Reisenden wahrhaft empörend. Jedes miserable Nest glaubt das Recht zu haben, den müden und hungrigen Reisenden unter dem Thore festzuhalten und Geld von ihm zu erpressen; denn nur das ist die Absicht. Bei unseren späteren Touren zu Pferde brauchte nur Einer vorauszureiten und einfach seine Börse hervorzuziehen, so verlangte man nicht einmal, daß das Maulthier abgepackt wurde, sondern ließ uns nach Spendung einiger Peseten (die Peseta ist vier Realen, gleich einem französischen Franc) ruhig weiter ziehen.

Nachdem wir mit der Mauth fertig waren, folgten wir abermals dem Lohnbedienten; er hieß Maurice, und ich kann ihn jedem meiner Leser, der zufällig nach Barcelona kommt, bestens empfehlen. Von dem freien Platze geriethen wir gleich in das Gewühl der Stadt, das in den sehr engen Straßen, die mit vier- bis fünfstöckigen Häusern besetzt sind, in einigen Vierteln wahrhaft betäubend ist. Heute war es Sonntag, und die hellen und tiefen Glockenstimmen der vielen Kirchen riefen die Andächtigen zur Messe. Maurice, der den Karren führte, eilte indessen so schnell vorwärts, daß wir beständig nach ihm zu sehen hatten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Und so mußten wir denn ziemlich theilnahmlos an der bunten, uns begegnenden Menschenmenge vorübereilen, welche in ihren Costümen viel Neues für uns darbot, namentlich die bunten Mantos, welche die Männer über ihre Schultern hängen hatten, die seltsam geformten catalonischen Hüte von schwarzem Filz mit ziemlich breitem Rande, oben sich verengend, vor allem aber die zahlreichen Schaaren des weiblichen Geschlechts mit der reizenden Mantilla, Blumen im Haar, scharf gezeichneten Augenbrauen und glänzenden Augen.

Nach ziemlich langem Marsche kamen wir endlich auf eine breite Straße nach Art der Pariser Boulevards, eben so wie diese mit Bäumen besetzt – die Rambla, der Hauptspaziergang der Barceloneser, welcher die Stadt in zwei ungleiche Hälften theilt, ihr öffentlicher Garten, ihr Alles in dieser Hinsicht. Hier befinden sich die Theater, die vorzüglichsten Kaffeehäuser und die ersten Gasthöfe, unter ihnen die Fonda del Oriente, uns als der beste bezeichnet, wo wir unsere Einkehr hielten. Monsieur Maurice sorgte auch hier aufs beste für uns, und bald waren wir vier auf dem ersten Stock installirt; H. und ich hatten ein gemeinschaftliches großes Zimmer, an welches zwei Schlafkabinette stießen; der Fußboden war mit guten Teppichen bedeckt. Dazu hatten wir uns mit dem Oberkellner über Frühstück und Diner verständigt und sollten für Alles zusammen Jeder täglich 30 Realen zahlen, ungefähr 3 Fl. 30 Kr., was keine übertriebene Forderung war.

Wenn ich eine fremde Stadt betrete, ist es für mich ein wahres Vergnügen, ohne Ziel und Zweck in den Straßen umher zu streichen, mich bald hierhin, bald dorthin wendend, wobei ich es dem Zufall überlasse, mich zu führen, wohin es ihm beliebt. Natürlich dauert eine solche Promenade immer mehrere Stunden, denn ich flanire in aller Beharrlichkeit umher, betrachte mir Menschen, Häuser, Straßen und Magazine. Dadurch bekomme ich einen frischen, ursprünglichen Totaleindruck, der sich mir später nicht mehr verwischt, und der auch nach langer Zeit in dem inzwischen schon verschwimmenden Bilde einer Stadt in meinem Gedächtniß wie ein heller Streifen zurückbleibt. Auch hier in Barcelona hatten wir kaum unsere Schiffstoilette etwas corrigirt, so betraten wir die Rambla und folgten dem Strome der Spaziergänger, gleichviel, wohin er uns treiben würde; doch hatten wir nur wenige Schritte gethan, als wir schräg unserem Gasthofe gegenüber den Correo, die Post, bemerkten, wohin wir uns wandten, um nach Postrestante-Briefen für uns zu forschen. Was diese betrifft, so hat man in ganz Spanien ein eigenthümliches Verfahren für die Ausgabe derselben. In einem Vorplatze der Post findet man nämlich große Listen angeklebt, worauf, mit einer fortlaufenden Nummer versehen, die Adressen aller Briefe aufgeschrieben sind, welche postrestante einliefen. Selbstverständlich sind diese Listen in den größeren Städten, wie hier in Barcelona, sehr zahlreich, und man hat große Mühe, seinen eigenen, meistens arg verstümmelten Namen aus den Hunderten der anderen heraus zu finden. Da man alsdann am Postschalter nur die Nummer anzugeben braucht, unter welcher der Brief auf der Liste vorgemerkt ist, um ihn zu erhalten, so kann man sich denken, daß hiedurch mancher Mißbrauch geschieht; denn jeder Unbefugte kann ohne irgend welche Legitimation eine beliebige Nummer fordern und erhält vielleicht meinen Brief, was auch häufig genug vorkommen soll, weßhalb Fremde viel besser daran thun, ihre Briefe an irgend einen Banquier adressiren zu lassen oder an den Consul ihrer Nation, welche sich meistens ein Vergnügen daraus machen, ihren Landsleuten auf diese Art behülflich zu sein.

Obgleich es für die allgemeine Promenade auf der Rambla noch ziemlich früh war – erst eilf Uhr Vormittags –, so war doch eine ansehnliche Menschenmenge da, welche etwas zu erwarten schien. Ohne zu wissen, um was es sich handle, warteten wir ebenfalls und vernahmen bald die Klänge eines Militärmusikcorps, welches sich auf dem Spaziergange gegen uns herbewegte. Doch habe ich nicht leicht etwas Erbärmlicheres gehört, als diese Musik. Obgleich die große Trommel so wie ein paar Becken ihr Möglichstes thaten, einigen Tact in dieses Musikcorps zu bringen, so konnten sie doch damit nicht zu Stande kommen, und jeder der Musici schien nicht blos eine andere Tact- und Tonart, sondern auch sogar seine eigene Melodie zu spielen. Und das Ganze klang immer toller, je näher das Musikcorps an uns heran kam. Jetzt defilirten sie bei uns vorbei; die Leute sahen gar nicht schlecht aus, waren auch gut uniformirt und marschirten mit der größten Ostentation vorüber, denn sie nahmen die ganze Breite der Rambla ein, und um dieß zu bewerkstelligen, hatte jeder Musicant zwischen sich und dem Nebenmann einen Zwischenraum von wenigstens drei Schuh – ein wahrer Horreur für ein preußisches Herz, dem die »Fühlung« beim Marsch zur zweiten Natur geworden ist.

Hinter dem Musikcorps kamen ein paar Bataillone Infanterie. Die Leute sahen gut aus, und ihre sauberen Uniformen hatten etwas vom französischen Schnitte an sich; nur waren die Farben heller und bunter, man sah viel Roth und Gelb. Ihre Fahnen waren mit schwarzem Flor umwickelt; das muß etwas zu bedeuten haben, eben so die einzelnen Kanonenschüsse, die sich vom Monjuich herab vernehmen ließen, sobald die Truppe die Rambla betrat. Natürlich nahmen wir unsere Spazierstöcke hoch in den Arm und marschirten, in Erinnerung an unsere Jugendzeit, im Schritte neben dem Musikcorps her, welches sich am Ende der Rambla vor einer kleinen Kirche aufstellte, deren Façade mit schwarzem Tuch beschlagen war. Ein General der Garnison war gestorben, und ihm galten diese Trauerfeierlichkeiten. Eine große Menschenmenge umflutete die Kirche, doch bemerkten wir, daß nur Wenigen der Eintritt gestattet wurde. Auch wir traten in den Vorhof und wandten uns in französischer Sprache und mit der Bitte an einen Offizier, uns den Eintritt erlauben zu wollen. Obgleich uns der Spanier gewiß nicht verstand, so schien er doch unseren Wunsch zu errathen und ließ uns mit einer freundlichen Handbewegung und einigen höflichen Worten passiren.

Überhaupt ist Höflichkeit und ein sehr zuvorkommendes Betragen gegen Fremde ein schöner Zug im spanischen Charakter. Mit der größten Bereitwilligkeit erhält man auf seine Fragen jederzeit die beste Antwort, und wenn man selbst sehr schlecht Spanisch spricht, so bemüht sich der Angeredete, den Sinn dessen, was man ihm sagen will, zu verstehen, und hilft gern mit einem erklärenden Worte. Das ist so in allen Schichten der Gesellschaft; der Arbeiter hilft einem bereitwillig irgend ein Haus aufsuchen, und es ist mir später öfter passirt, daß aufs eleganteste gekleidete Herren mehrere Straßen mit mir gingen, um irgend Jemanden zu suchen, den wir oft erst nach vielem Fragen in einem Hinterhause fanden. Dann schied der freundliche Führer, meistens mit einem freundlichen Händedruck und dem bekannten »a la disposicion de usted«, was so viel heißt, als: ich bin auch später ganz zu Ihrer Verfügung.

Wir traten also in die Kirche, die ebenfalls mit schwarzem Tuche ausgeschlagen und angefüllt war von Offizieren aller Waffen und Grade. Die Fenster waren dicht verhängt, und es brannten in dem Kirchenschiff und dem Chor eine unzählige Menge von Wachskerzen, deren rothe, wehende Flammen die bunten Uniformen und das viele Gold und Silber an denselben mit düsteren Streiflichtern beleuchteten, was einen eigenthümlichen Effect machte, der noch erhöht wurde durch die melancholischen Klänge einer Trauermusik, die, unterstützt von einer Sängerschaar, im Chor aufgestellt war. Dazu donnerten zuweilen die Kanonen vom Monjuich dumpf herüber und es ertönten die Gebete der Priester. Auf einem hohen Katafalk in der Mitte des Kirchenschiffes lag der Verstorbene unter einer weit herabfallenden schwarzen Sammtdecke, die mit Silber gestickt war und deren vier Ecken je von einem Unteroffizier gehalten wurden, welche regungslos wie Statuen an ihrem Posten aushalten mußten, weßhalb sie aber auch häufig abgelöst wurden.

Als die Trauerfeierlichkeiten bis zu einem gewissen Grade gediehen waren, dessen Bedeutung ich übrigens nicht anzugeben vermag, wo das Musik- und Sängercorps in der Kirche eigentlich viel zu laut für den kleinen Raum derselben einsetzte, ertönte auch die Musik draußen auf der Rambla, und zwischen den dumpfen Kanonenschüssen von der Festung herab krachten die Geschütze jetzt in unmittelbarer Nähe von der Kirche, was mich veranlaßte, diese zu verlassen, um zum ersten Male dem Feuern einer spanischen Batterie zuzusehen. So sehr uns Anfangs das Feuern mitten in der Stadt überraschte, so wurden wir doch alsbald gewahr, daß den Barcelonesen dieß keineswegs ungewohnt war, und beim Umschauen sahen wir am Ende der Rambla als Schlußpunkt der Muralla del Mar eine hohe Bastei über den Platz hereinragen, aus deren Scharten man die Rambla der Länge nach nordwestlich bestreichen kann, und von wo aus etwaige Volksaufläufe kräftig zerstreut werden können, auch wohl schon zerstreut worden sind.

Es war Bergartillerie, die sich auf einem kleinen Platze neben der Rambla aufgestellt hatte, für mich von besonderem Interesse, da ich dieselbe bisher noch nie manövriren sah. Es sind kleine Geschütze, die dreipfündige Vollkugeln und Granaten schießen; die Laffette ruht auf Rädern, hat aber keine Protze, da sich der Munitionskarren auf dem Rücken eines Maulthieres befindet, welches rückwärts aufgestellt wird. Die Fortbewegung des Geschützes geschieht vermittelst zweier anderen Maulthiere; beide haben Packsättel, wovon jeder mit Packtaschen und dergleichen einen Centner wiegt. Ein Maulthier trägt die Laffette – Corunna, ein Gewicht von zwei Centnern, das andere das metallene Rohr, Pieza, von gleichem Gewichte. Die Munition im zweiten Kasten besteht aus sechs Granatwürfen und zwei Kartätschenladungen und wiegt circa 1? Centner. Die Bedienungsmannschaft jedes Geschützes besteht aus acht Leuten, drei, welche die Maulthiere führen, und drei, welche bedienen, mit zwei Mann Reserve.

Bei der großen Last, welche die Maulthiere tragen müssen, sind diese sehr ausgesucht und waren hier vortrefflich im Stande; sie werden nicht vor dem sechsten Jahre genommen und sind mit einzelnen Ausnahmen bis zum sechszehnten und achtzehnten Jahr im Dienste. Eigenthümlicher Weise nimmt man nur dunkelfarbene Maulthiere zur Bergartillerie, indem man aus Erfahrung wissen will, daß die hellfarbenen nicht so kräftig seien; man wählt kurze, gedrungene Thiere mit starker Brust und Hals, rundem Rücken und kurzen festen Beinen. Das schwarze Geschirr ist so einfach wie möglich, das Kopfzeug besteht aus einer Trense und der Hufbeschlag ist ohne Stollen; dabei werden diese Maulthiere im Gegensatz zu allen übrigen, welche man in Spanien sieht, nicht geschoren. So viel ich bei dem heutigen Schießen nur mit der Manövercartouche bemerken konnte, bedienen die Leute ihre Geschütze rasch und pünktlich. Ob irgend ein anderer Staat Bergartillerie in dieser Art besitzt, weiß ich nicht genau, doch ist sie für das gebirgige Spanien gewiß von großem Nutzen; man kann sie fast wie die Raketenbatterien verwenden, denn das bepackte Maulthier ist ja im Stande, auf dem schmalsten Pfade sehr steile Berggipfel zu erklettern. Dabei soll ihr Marsch außerordentlich schnell sein, so daß Infanterie auf längere Zeit nicht folgen kann. Die Bergbatterie that noch einige Schüsse, dann wurden Rohr und Laffette, wie schon bemerkt, jedes getrennt, auf die sehr feurigen Maulthiere gehoben, ich sah' ein paar, die schwer beladen, kaum zu halten waren, obgleich ihre Nasen durch tüchtige Knebel aufs stärkste zusammengedrückt waren, und an diesem Knebel wurden sie geführt.

Der Trauergottesdienst ging jetzt zu Ende, die Kirche entleerte sich, und die Truppen marschirten ab unter einem Trommelschlag, so langsam, so melancholisch und schläfrig, wie ich bis jetzt nichts Ähnliches gehört; doch war derselbe nicht gedämpft, wie gewöhnlich bei Trauermärschen, und ich hörte das gleiche Tempo später, öfters auch beim Exerciren. Nachdem sich die ganze Menschenmenge verlaufen, nahmen wir unseren Spaziergang wieder auf.

Für einen Fremden wäre es sehr schwer, sich in den Straßen von Barcelona zurecht zu finden, wenn man nicht, wie z. B. in Paris die Seine oder die Boulevards, auch hier zwei große Linien hätte, auf welche man beim Umherstreifen immer wieder zurückkommt, die Muralla del Mar, so wie die Rambla. Die letztere bildet mit der ersteren einen rechten Winkel und scheidet die Stadt in zwei ungleiche Hälften, von denen die gegen den Monjuich zu das alte, die gegen die Citadelle hin das neue Barcelona genannt werden könnte. Letzteres ist weit glänzender und belebter; hier reihen sich Läden, Magazine und Gewölbe an einander, und an diesen erkennt man die emporstrebende große Stadt. Die Magazine fangen an, sich nach französischem Schnitt zu formiren, und große helle Spiegelfenster, welche fast die ganze Breite des Hauses einnehmen, lassen eine reiche Auswahl von Waaren aller Art sehen, hier Gold und Silber, dort Krystall und Porcellan, und neben einem Gewölbe voll buntfarbiger Teppiche sieht man kostbare Stoffe in Seide und Sammt, von denen sehr viele in Barcelona selbst erzeugt werden. Der Gewerbefleiß der Catalonier ist bekannt und um so anerkennenswerter, da Barcelona wohl die einzige Stadt Spaniens ist, welche bedeutende Fabriken und Manufacturen hat. Es gibt hier eine Menge Spinnereien, Webereien, Druckereien, die Strumpfwirkerei ist sehr ausgebildet, eben so die Anfertigung von Tressen und Fransen aller Art, so wie grober und feiner Lederarbeiten. Der Verkehr, den dieß in den Straßen hervorruft, ist außerordentlich, und es gibt Stadtviertel, welche sich in dieser Hinsicht mit den belebtesten von Paris messen können. Die eleganten Gewölbe und Magazine, von denen wir vorhin sprachen, befinden sich hauptsächlich in der Straße Ferdinands VII., welche von der Rambla nach dem Constitutionsplatze führt. Früher war dieses nur eine enge Gasse, doch fing man schon vor mehreren Jahren an, sie ansehnlich zu erweitern; und das geschah, um einem längst gefühlten, dringenden Bedürfniß abzuhelfen. Der Constitutionsplatz, sehr hoch gelegen und nicht mehr im nächsten Bereich der Kanonen des Monjuich, war nämlich bei den zahlreichen und blutigen Aufständen, welche die Stadt von jeher beunruhigten, der Herd der Empörung; dort war der Palast der Provincialdeputirten, und auch meistens die Häupter der Aufständischen, welche da ziemlich agitiren konnten, denn wegen der engen Straßen war es unmöglich, mit Kavallerie und Geschütz gegen sie zu operiren. Dort hinein hat man nun durch die neue Straße eine artige Bresche gelegt, sie führt in gerader Linie auf die Rambla und hat eine Breite von ungefähr fünfzig Schuh.

Trotzdem man dort noch immer beschäftigt war, ein vortreffliches Pflaster von breiten Steinplatten, so wie Gasröhren zu legen, welche Arbeiten die Passage erschwerten, so bedienten sich doch die Barceloneser häufig dieser neuen Straße, ja, es war an den glänzenden Magazinen vorbei hier ein beständiges Spazierengehen, so daß man oft Mühe hatte, sich durch den Menschenstrom durchzuwinden.

So vergingen mehrere Tage mit Wanderungen durch die Stadt, die H. und ich theils gemeinsam, theils Jeder allein ausführten, bis wir eines Abends, zum Diner heimkehrend, unseren dritten längst erwarteten Gefährten, den Baumeister Leins, auf der Treppe des Hôtels zu unserer größten Freude uns entgegeneilen sahen. Er war, da in langer Zeit kein Schiff von Marseille nach der spanischen Küste mehr abging, auf dem Landweg über die Pyrenäen zu uns gestoßen, und nachdem er uns ausführlich seine Reiseabenteuer erzählt, unterhielt er uns später, während wir auf der Muralla del Mar unter sternenhellem Himmel und im Wiederschein Tausender von Lichtern der Stadt am Meer uns ergingen, von der überraschenden Schönheit von Toulouse, dessen Gebäude allermeist in gebrannter Erde und zum Theil in höchster Vollkommenheit ausgeführt sind, von den dortigen alten Meisterwerken des Bildhauers und Architekten Bachelier, von dem prächtigen Platze des Capitols, von der St.-Sernin- und Dalbadekirche, und als er uns den riesigen, leider unvollendeten Dom von Narbonne, die originellen alten Bauwerke von Perpignan, und seinen Übergang über die Pyrenäen mit den Mühsalen des Weges über la Junquera und Figueras, Gerona nach Matarò geschildert, mußten wir gestehen, daß, wenn er auch den längeren und beschwerlicheren Weg gewählt, seine Ausbeute doch die Annehmlichkeit unserer Seereise weit aufwog.

Des anderen Morgens gingen wir zusammen auf den Constitutionsplatz zur Besichtigung des dortigen alten Stadttheiles, der uns, je genauer wir die übrige Stadt kennen lernten, durch seine interessanten alten Bauten immer stärker anzog. Die Straße San Fernando durchschneidet denselben, und einander gegenüber erheben sich zwei merkwürdige Gebäude, welche die ganze Länge des Platzes einnehmen: diesseits der oben genannte Palast der Provincialdeputirten, jenseits der Palast des Gouverneurs, auch Udiencia genannt. Beide Gebäude haben zwar moderne Façaden, aber der innere Kern ist alt und noch ganz wohl erhalten.

In dem ersten fesselt den Besucher gleich nach Überschreitung des Hofes die ganz eigenthümliche Art des Abschlusses der Treppe von der Vorhalle. Aus der Übergangszeit des Gothischen in die Renaissance, ist der große Bogen des Treppenaufganges bedeckt mit der reichsten Sculptur; zwei kleine Thüren, zu beiden Seiten mit gothischem freistehendem Maßwerk überwölbt, schließen sich beiderseits in schiefer Stellung an erstere an; Säulenbündel, spiralförmig um die dazwischenstehenden Pfeiler gewunden, ziehen sich bis zum Capital empor und bilden mit dem großen Wappenschild in der Mitte und den Statuen, die daneben stehen, das pikanteste Ensemble, das man sich denken kann. Der große Saal im oberen Stockwerke ist ebenfalls sehr merkwürdig.

Die Udiencia, noch älter, hat im Äußeren noch die dreitheilige Fensterform, mit seinen Marmorsäulchen abgetheilt, so fein, daß man sie mit der Hand umspannen kann, und über jedem das dreifach durchbrochene Kleeblatt. Der Hof im Innern gehört zu dem Kecksten, was in der Architektur je geleistet worden. Das von einer frei im Hofe aufwärts führenden Treppe mit zierlich durchbrochenem Steingeländer zugängliche Hauptstockwerk kehrt eine ringsum laufende Spitzbogenstellung gegen den Hof herein, ebenfalls mit unglaublicher Dünne der Säulchen, die in Gruppen von vier an einander gewachsen, stehen; aber diese Colonnade ist nicht von Grund aus unterstützt, sondern ruht auf einer Anzahl um die ganze Breite des Bogenganges hervorragender Consolen, wodurch sich der Hof im oberen Stockwerk verengt und diese Bauweise noch um so kühner erscheinen läßt, weil über dem Säulengang im Hauptstock sich noch ein schweres, massives drittes Stockwerk befindet. Die Nebenseite dieses Palastes geht auf eine enge finstere Gasse, und der Hof ist von dieser durch eine hohe Mauer abgegränzt, die Chapuy im Moyen-âge archéologique so schön abgebildet hat. Über dem Thor in der Mitte ist der heilige Georg, den Drachen erlegend, in wunderschöner gothischer Einrahmung, und die Mauer mit einem herrlichen Aufsatze von durchbrochener Arbeit mit Fialen und Laubwerk gekrönt. Die Thoröffnung ist mit schweren Thorflügeln aus dunklem Holz verschlossen und übersäet mit großen zugespitzten Nägeln, die drohend in die Straße herausragen. So hat dieser Bau ein durchaus finsteres Ansehen und eine gleichsam trotzige Abgeschlossenheit nach außen.

Diese enge melancholische Gasse weiter verfolgend gehen wir immer zwischen fast schwarzen, massiv gebauten Häusern, die, obgleich sie wenig Luft und Licht haben, doch in den Zeiten ihrer Erbauung von keiner armen Classe der Gesellschaft bewohnt wurden. Blickt man an ihnen hinauf, so sieht man nur einen schmalen Streifen des schönen spanischen Himmels, zu gleicher Zeit aber, wie zierlich, phantastisch und prächtig diese Häuser erbaut sind. Willkürlich ist oft ein Fenster breit, das andere schmal, aber die meisten sind mit Sculpturen versehen, von schlanken zierlichen Säulen getragen und lassen ahnen, daß hinter ihnen ein trauliches Gemach liegt, dem sie Licht und Luft verleihen. Fast alle diese Gebäude haben eine große Ausdehnung und man erräth leicht, daß sie einen Hof und einen kleinen Garten umschließen. Das Ziel findet diese Straße bei der Kathedrale, die uns lange festhielt, und deren Kreuzgang durch ein gastlich geöffnetes Portal uns zum Eintritt einlud.

Dieser Kreuzgang unterscheidet sich wesentlich von denjenigen, die wir bei den alten germanischen Klöstern zu sehen gewohnt sind, welche blos aus einem, den viereckigen Klosterhof umgebenden Spaziergang unter Bogen bestehen; der hiesige aber ist noch überdieß auf drei Seiten von Capellen eingefaßt, so daß jedem Bogen des Kreuzganges eine dahinter liegende Capelle entspricht, welche wie dieser mit zierlichem Sterngewölbe überspannt und mittelst hoher Eisengitter von demselben abgeschlossen ist.

So bildet dieser Kreuzgang gleichsam eine Kirche im Freien, und nicht allein die glücklichen Dimensionen desselben und die edlen Verhältnisse der Pfeiler und Bogen, die Schönheit der Gitter, die kräftige Vegetation des grünen Platzes in der Mitte, so wie der reizende Brunnen in der Ecke machen diesen Ort zu einem der anziehendsten, die es geben kann. Wenn auch an den Altären der Kapellen, die aus den verschiedensten Zeiten herrühren, hier und da sehr ausschweifende Formen vorkommen, so verleiht doch gerade diese Mannigfaltigkeit und diese abwechselnde Färbung der zahlreichen Wand- und Altarbilder und die zum Theil phantastischen Ausschmückungen dem Gesammt-Anblick einen solchen Reichthum, daß man sich nur schwer von diesem schönen und bei allem Ernste doch so freundlichen Hofe trennen kann.

Ich habe der Eisengitter, welche die Kapellen abschließen, erwähnt, und sie verdienen in der That die ganz besondere Aufmerksamkeit des Kunstfreundes; sie sind sämmtlich aus geschmiedetem Eisen, und die einzelnen senkrechten Stäbe derselben, oft zierlich gewunden und cannelirt, endigen oben in Blumenbüschel; aber diese sind von so gewählten Formen und so lieblich mit einem wahrhaft griechischen Gefühl gruppirt, daß sie zu den Meisterstücken mittelalterlicher Metallarbeit gehören.

Der Brunnen, der meist in den Kreuzgängen auf der halben Länge einer der Seiten in den Hof hinausspringend angebracht ist, befindet sich hier in der Ecke, beschattet von einigen hochstämmigen Bäumen; aus der Mitte des größeren unteren Beckens erhebt sich auf einem niederen Untersatz eine zierlich gearbeitete achteckige Schale, aus ihren senkrechten Achteckseiten dicke Wasserstrahlen speiend, und eine kleine niedliche Bronze-Statue eines gewappneten Ritters, wohl des heiligen Georg, bildet die Spitze; das baldachinartig über das Ganze gespannte Gewölbe ist an den Rippen ausgezackt, und diese sind an den Kreuzungen mit hübschen Schildern ornirt. Eine erquickende Kühle verbreitet dieser Brunnen in seiner Umgebung, nach dem man immer wieder umschaut, wenn einen die Betrachtung entfernter Gegenstände von ihm abgezogen.

Ganz in seiner Nähe führt eine herrlich eingerahmte Spitzbogenthür in den südlichen Kreuzarm der Kathedrale. Ein mächtiger, majestätischer Bau! Wie gewaltig wird man, aus dem klaren, sonnigen Hofe tretend, von dem geheimnißvollen Dunkel in diesem weit ausgehöhlten Raume erfaßt! Je tiefer man nach dem Süden kommt, um so mehr verschwindet aus den Kirchen die Lichtmenge, die den nordischen Kirchen des Mittelalters durch ihre vielen schlanken Fenster zugeführt wird; hier sind die Fenster an und für sich schon viel kleiner, und eine große Zahl derselben ist zugemauert, so daß die zahlreichen Kerzen ein wirkliches Bedürfniß sind, da auch den lichtgebenden Öffnungen ein Theil ihrer Kraft entzogen wird durch Glasmalereien, die meistens mit dunklem oder nachgedunkeltem Grunde leuchtende Punkte in Roth, Blau, Grün zeigen, deren Zeichnungen und Ornamente aber schwer zu enträthseln sind.

Nach einigem Verweilen entwirren sich die in der anfänglichen Dunkelheit sich nach oben verlierenden Säulenbündel; das Auge verfolgt die aus ihnen sprossenden Rippen bis zu deren Vereinigung in dem hoch oben schwebenden Gewölbe, und unwiderstehlich fesselt den Beschauer der allmälig klarer hervortretende herrliche Anblick des Chores, dessen schlanke Formen von einem bewundernswerthen Ebenmaße sind und dessen weit und weiter entfernte polygonisch hinter einander weglaufende Bogenreihen im reichsten Spiel von Streiflicht, Halbdunkel und Schlagschatten durch die Vieltheiligkeit und die magische Dämpfung der Helle einen unvergeßlichen Eindruck machen.

Der Hochaltar, umgeben und gekrönt von einem hohen, reich durchbrochenen gothischen Schnitzwerk mit zierlichen Giebeln, ausgefüllt vom feinsten Maßwerk und unterbrochen von unzähligen kleinen Pyramiden, ist an seinen beiden, nach vorn gekehrten Flügeln von zwei auf gewundenen Säulen stehenden vergoldeten Engeln begränzt, die wie die Wächter des Heiligthums glänzend aus der verschwimmenden Dämmerung hervortreten.

Am westlichen Ende beim Haupteingang ist das Mittelschiff durch eine hohe achteckige Kuppel mit kunstvollen Gewölb-Durchdringungen abgeschlossen, eine sonst seltene Anordnung, die aber eine sehr schöne Wirkung macht. Die Orgel der Kathedrale ist ein bedeutendes Werk, prächtig von außen und im Tone von gewaltiger Wirkung. Wir sahen hier zum ersten Mal eine Partie der Pfeifen horizontal in die Kirche hereinragen; ob der Ton hiedurch verstärkt wird, weiß ich nicht anzugeben, aber sie machen einen ganz eigenen Eindruck, denn aus dem Halbdunkel hervor, in dem die Orgel steht, sehen sie aus wie eben so viele blitzende Posaunen, von unsichtbaren Händen gehalten und von unbekanntem Odem geblasen, und ihre tiefen Töne dringen gewiß mit ernster und ergreifender Mahnung herab zu der im Gebete versunkenen Menschheit. Eigenthümlich ist die untere Verzierung der Orgel, welche, aus braunem und vergoldetem Holzschnitzwerk bestehend, in einen Saracenenkopf endigt, der mit langem schwarzem Barte so täuschend gemacht ist, daß man nach dem ersten Anschauen unwillkürlich zurücktritt und, an einen blutigen Scherz früherer Jahrhunderte glaubend, meint, jetzt müssen sich die halbgeöffneten Lippen krampfhaft schließen, jetzt die Augenlider über die blitzenden Augen niederfallen und sich darauf der ganze Kopf mit tiefer erschreckender Blässe überziehen. Etwas Angenehmes hat dieses Saracenenhaupt durchaus nicht, doch hat seine Anwesenheit hier unter der Orgel gewiß irgend einen Grund, den ich aber leider nicht erfahren konnte.

Dem erhabenen Inneren der Kathedrale entspricht aber keineswegs das Äußere der Kirche; in winkelige Gassen versteckt, bietet es sich nirgends zu einem Gesammt-Anblicke dar. Die Thürme sind unbedeutend, und die einem großen Platze zugekehrte westliche Giebelseite ist noch eine unvollendete rohe Mauer, wie an vielen italienischen Kirchen, und dazu noch stellenweise sehr ungeschickt und verschnörkelt bemalt.

Gleich neben der Kathedrale scheint uns ein interessantes Haus, obgleich seine Mauern fast schwarz sind und trotzig in die Höhe ragen, durch den Wechsel der Zeit schon zugänglicher geworden. Seine beiden Flügel sind durch eine Gartenmauer verbunden, über welche ein außerordentlich hoher Orangenbaum herübernickt und sich mit dem grünen Laub und den goldgelben Früchten so gar anmuthig in dieser finsteren Umgebung ausnimmt. Die Thorflügel sind halb geöffnet, und nachdem wir einen Augenblick den zierlichen bronzenen Thürklopfer bewundert – er stellt ein fabelhaftes Thier vor, welches zwischen den Vordertatzen das Wappen des Erbauers trägt – schauen wir in den Hof hinein und erstaunen über die Zierlichkeit desselben, sowie auch über die Melancholie, welche seine theilweise Zerstörung ausspricht. Hier befinden sich mächtige Citronen- und Orangenbäume, die immer noch grünen und blühen, während der Strahl des Springbrunnens in der Mitte des Hofes, der früher so anmuthig zu erzählen wußte, schon längst versiegt ist. Auch die Marmorplatten des Bodens sind hier und da zersprungen, eben so einige von den Säulen, welche eine kleine Halle im Hintergrunde des Hofes trugen. Man sieht auch wohl, daß diese Stelle lang kein menschlicher Fuß mehr betreten, denn Steinbrocken aller Art, Marmorüberreste und herabgefallene Ornamente sind dort zusammengetragen, und zwischen ihnen gingen Schlingpflanzen auf, die sich anmuthig darüber hinranken. Rechts neben dem Thore wand sich eine schlanke Treppe frei in den ersten Stock hinauf, welche auch heute noch von den Bewohnern des Hauses benutzt wurde, denn wir sahen auf den Stufen derselben ein paar hübsche Kinder spielen, welche Orangenblätter abrissen und sich damit bewarfen.

Alle Gebäude in der Nähe des Constitutionsplatzes waren in früheren Zeiten und sind wohl auch jetzt noch die Wohnungen hoher und niederer Geistlichkeit. Für uns, die wir oft hierher spazierten – denn wir fanden hier Jeder in seiner Richtung zu thun: unser Baumeister, indem er Ornamente maß und zeichnete, Horschelt, der eine hübsche Mädchenfigur oder ein paar kecke Gestalten, die an den alten Thorbogen lehnten, in sein Skizzenbuch nöthigte, und mir, der ich diese finsteren Häuser so gern mit Gestalten einer alten, längst vergangenen Zeit bevölkerte – war besonders das Gebäude mit dem seltsamen Thürklopfer von großer Anziehungskraft. Wir nannten es nur das Priesterhaus. Oben statt des Daches hatte es einen Bogengang mit kleinen zierlichen Säulen, und dort genoß man gewiß eine entzückende Aussicht über Land und Meer. In unseren Träumen war es uns oft zu Muthe, als müsse jetzt plötzlich dort oben eine wohlgenährte Gestalt im langen schwarzen Kleide lustwandelnd erscheinen, während zu gleicher Zeit aus einem kleinen zierlichen Fenster im unteren Stocke, das von den Blättern der Orangen dicht beschattet war, leise Lautenklänge und gedämpft ein Lied, von schönen Mädchenlippen gesungen, hervortönte.

Wie treue Wächter umgeben übrigens diese finsteren Häuser den mächtigen Bau des Domes von Barcelona.

Unseren Spaziergang verfolgend, betreten wir die Calle de Escudelleros, wo sich ebenfalls Hunderte von Läden und Magazinen an einander reihen; doch sind hier weniger die glänzenden Gewölbe als in der Straße Ferdinand's VII. Hier kauft die immer ab- und zuströmende Menge Stoffe und Geräthschaften für den täglichen Gebrauch, und während man dort meistens elegante Toiletten, feine Paletots und glänzende Damenroben sieht, bemerkt man hier mehr Gestalten aus dem Volke und die Costüme der ländlichen Bewohner aus der Umgegend von Barcelona. Hier ist das Gewühl belebt durch die über die Schulter geworfene lange Manta, meistens in Roth, Blau oder Grau; auch bemerkt man hier den langen braunen Mantel mit dem kleinen Kragen über die Achsel herab, ein Kleidungsstück, welches die Spanier so gewandt und malerisch umzuwerfen verstehen. Vorherrschend sind die kleinen zugespitzten Hüte, die oftmals verzierte rund geschnittene Jacke, kurze Hosen und weiße Gamaschen. So stehen die Männer in und vor den Gewölben, Papier-Cigarren rauchend, während sie lachend und plaudernd um die verlangten Artikel handeln. Und dazwischen sieht man das weibliche Geschlecht in der unentbehrlichen Mantille, die meistens schwarz und selbst bei der niederen Classe von Spitzen oder Seide und nach der Laune der Besitzerin mehr oder minder phantastisch aufgesteckt ist.

Das Gewühl und der Lärm in diesen Hauptstraßen Barcelonas ist an den Wochentagen wahrhaft betäubend, und dabei sind die Gassen so schmal, daß der Menschenstrom oft kaum den schweren Karren auszuweichen vermag, die, mit Fässern und Kisten beladen, meistens in langen Reihen daherkommen. Doch bemerkt man auch hier den angenehmen Grundzug und Charakter der Spanier, sich gegenseitig mit größter Höflichkeit zu behandeln und sich nicht leicht aus der guten Laune bringen zu lassen. Ein junges Mädchen, an das man unsanft hingestoßen wird und dessen Mantille man zerdrückt, wendet sich um und wird lachend sagen: Das ist ein kleiner Schaden, der durchaus nichts zu bedeuten hat! Sie blitzt uns mit ihren schwarzen Augen an und hüpft davon. Kommt man vielleicht zufällig in verdächtige Berührung mit den Rädern eines Karrens, so sagt der Führer desselben auf die artigste Weise von der Welt: Erweisen Sie mir die Gunst, sich in Acht zu nehmen. Auch das beständige Cigarrenrauchen ist mit daran schuld, daß gänzlich Fremde bei einander stehen bleiben und ein paar Worte zusammen plaudern; hier bittet man um Feuer, dort reicht man selbst die Cigarre einem Fremden zum Anzünden, wobei es häufig vorkommt, daß, wenn dieser sieht, mein Endchen sei bedeutend herabgebrannt, er sich gleich daran macht, mir aus dem Vorrath von Papier und Tabak, den er stets bei sich trägt, eine neue zu drehen. Natürlich schlägt man das niemals ab, der Spanier sagt: a la disposicion de usted, langt nach seinem Hute und entfernt sich freundlich grüßend.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien