Fortsetzung - Von Marseille nach Barcelona.

Je mehr man sich vom Mittelpunkte der Stadt entfernt, desto seltener werden die glänzenden Magazine, und man kommt nun in Gassen, wo Sattel- und Riemenzeug aller Art verkauft wird, Fuhrmannspeitschen, Hüte und Manta's von der gröbsten Sorte. Hier glaubt man sich oft, was Leben und Verkehr anbelangt, in einer Gasse von Damascus oder Kairo zu befinden; denn der Schuhmacher sitzt mit seinen Gesellen auf der Gasse, der Schneider flickt Röcke unter Gottes freiem Himmel und die Obstverkäuferin nebenan hat hier wie im Oriente die gleichen Früchte ausgestellt: Orangen, Citronen, Granatäpfel, Datteln und Feigen. Was übrigens in ganz Barcelona, und leider nicht auf angenehme Art an den Orient erinnert, das ist der gänzliche Mangel aller Dachrinnenröhren, um das Regenwasser auf den Boden zu leiten, weßhalb denn bei Regenwetter das himmlische Wasser auf beiden Seiten der Straße von den Dächern herab wie aus unzähligen Gießkannen niederschießt.

Quer über die enge Gasse ist hier ebenfalls wie in vielen orientalischen Städten eine alte Matte gespannt, um die Sonnenstrahlen abzuhalten, und wenn man dort jene beiden Gestalten aus der Gegend von Sitgas und Tarragona betrachtet, nach Art der Beduinen in langem weißem Mantel, um den Kopf ein buntfarbenes Tuch, mit den gebräunten Gesichtern, den blitzenden Augen und dem schwarzen Barte – Einer hält, um die Täuschung vollständig zu machen, da er ein Viehtreiber ist, eine lange Lanze in der Hand, – so könnte man glauben, es seien Araber aus der Wüste von Gizzeh. In diesem Stadtviertel sieht man auch kleine heimliche Kneipen; nach der Straße zu weit offen, zeigen sie dem Blick ein oft finsteres und schmieriges Gemach mit grob gezimmerten Tischen und Bänken; an der Decke hängt der Weinvorrath in gegerbten Häuten von Ziegen und Schweinen; Hals und Pfoten sind zugebunden und die Körper sehen unförmlich geschwollen aus. Der Wein soll sich in ihnen recht gut halten, bekommt aber einen Beigeschmack, der für eine Zunge, die nicht daran gewohnt, sehr unangenehm ist. Die Öffnung vor diesen Kneipen ist häufig mit einer Matte überhängt, aus dem Inneren dringen zuweilen Guitarrenklänge hervor, und als Wirthshauszeichen oder Schild hängt draußen eine brennende Lunte, deren sich auch die Vorüberwandelnden zum Anzünden ihrer Cigarren bedienen.


Natürlicher Weise gibt es auch hier in Barcelona Straßen, welche nicht von dem eben erwähnten Verkehr berührt werden, wo Beamte oder große Kaufleute wohnen, wo man weder Boutiken noch Magazine sieht. Hier sind meistens stattliche aber finstere Gebäude, vier bis fünf Stockwerke hoch, und man kann oft eine lange Strecke wandeln, ehe man ein menschliches Wesen sieht; hier oder dort lehnt wohl eine Mädchengestalt an einem der Balcons, und unten am Thore sitzt vielleicht ein Bettelweib, welches mit stummer Geberde die Hand ausstreckt, wenn der Spaziergänger einen Augenblick stehen bleibt. Und trotz der Öde und Stille dieser Straßen bleibt man hier gern an einzelnen Häusern stehen und schaut zuweilen in die kleinen reizenden Höfe hinein. Freilich sind diese meistens durch eiserne Gitter verschlossen, welche aber doch den Blick nicht abhalten können, der entzückt bemerkt, wie der Hof mit Marmorplatten bedeckt ist und wie ein Springbrunnen seine klaren Strahlen emporschleudert mitten zwischen die Zweige der Orangen und Citronen hinein. Auch Höfe mit alter und ernster Architektur bemerkt man hier, mit stolz gewölbtem Eingange, mit Säulen, welche Arcaden tragen, und mit einer prächtigen Treppe im Hintergrunde, die, quer an dem Hause aufsteigend, gewundene Säulenschafte zeigt, reich verzierte Capitäle und schwere Steingeländer, auf welchen zierliche Bildwerke ausgehauen sind – Gestalten aus dem alten Testamente oder Neptun mit seinen Seepferden und Tritonen. Oft, wenn ich allein auf den Straßen strich, hörte ich aus einem dieser Höfe ein leichtes Hüsteln und war angenehm überrascht, unseren Baumeister zu finden, der sich da zeichnend und Cigarren rauchend stundenlang amüsirte. Für ihn, so wie für den Maler war auch in den Straßen von Barcelona genug zu finden, und wenn nicht gerade immens eine schöne Architektur an Gebäuden oder Höfen, so oft nur der Blick in einen langen dunklen Gang, an dessen Ende durch eine schmale Thüre im scharfen Contrast Licht und Sonnenglanz hereindrang, eine roh zusammen gezimmerte Veranda beleuchtend oder eine kleine gewundene Treppe, die versteckt und geheimnißvoll in den oberen Stock führte.

Eine riesenhafte Palme, die wir bei unserem Umherstreifen zwischen Häuserlücken hervorragen sahen mit weit ausgebreiteten Blättern – ein Anblick, der mich mächtig anzog, denn Palmen sind mir immer noch eine liebe Erinnerung an Syrien und Ägypten –, führte uns in ein altes ehemaliges Kloster, das jetzt zu einem Militärspital eingerichtet wird – ein lieber, reizender Platz. Von außen durch hohe, geschwärzte Mauern dem Blicke der Vorübergehenden entzogen, besitzt dieses Kloster einen vollkommen erhaltenen Kreuzgang von zierlichen gothischen Arcaden, mit Säulen von erstaunlicher Dünne und niedlich mit Blätterwerk ausgemeißelten Knäufen, der in seiner einfachen Schönheit, in seiner Ruhe und Stille im länglichen Viereck einen kleinen Garten umgibt, wie man nichts Poetischeres sehen kann; die Säulen sind so fein, daß man kaum zu glauben vermöchte, die darauf ruhenden Spitzbogen könnten sich halten, wenn nicht an den vier Ecken kräftige, flache Strebbogen in der Richtung der Diagonale die Bogenstellungen mit den dicken Umfassungswänden rückwärts verspannen würden und so im Vereine mit der vieltheiligen Balkendecke, die über dem Gange liegt, den beruhigenden Eindruck einer genügenden Festigkeit erweckten. Lorbern und Orangen bilden dichte Gruppen in demselben, unter welchen sich kleine Steinbänke befinden, von denen einige noch besonders gegen die Sonne geschützt sind, indem man sie mit Veranden bedeckte, die höchst einfach aus Lattenwerk und Weinlaub bestanden und ganz willkürlich hier und dort an den Zweigen der Bäume festgemacht waren. Gebüsche und Bänke umgaben einen kleinen freien Platz in der Mitte des Gartens, wo sich der unentbehrliche Springbrunnen befand, hier aber mit einem klaren Wasserstrahle versehen, der hoch hinaufgeschleudert wurde und mit schwarzen, ernsten Cypressen zu wetteifern schien, welche den Brunnen und das dazu gehörige Steinbassin umstanden. Die gothischen Arcaden des Kreuzganges standen doppelt über einander, und obgleich die obere Reihe zugemauert war, sah man doch deutlich Säulen, Bogen und Capitäle. Der Campanile der Klosterkirche oder eigentlich der Glockenstuhl – denn er besteht nur aus einer einzelnen mit Bogen durchbrochenen Mauer, die auf der Wand des Kreuzganges ruht – schaut, von der Sonne beschienen, freundlich zwischen den Cypressen durch den Hof herein, und die in seinem Bogen schwebenden Glocken feiern jetzt wohl für lange Zeit, da keine Mönche mehr da sind, die ihrem Rufe folgen.

Die Gestalt dieser Kreuzgänge ist eine unendlich glückliche und gut gewählte; es spaziert sich so angenehm darin umher, und was in einem Parke die verschlungenen Wege sind, das sind hier die Ecken des Ganges, welche das Einerlei eines langen Spazierganges wohlthuend unterbrechen. Dabei waren die Mönche vor Sonne und Regen geschützt, und die Umgebung, die sie hier hatten, unterstützte sie bereitwillig in ihren mannigfachen Betrachtungen. Der heitere Blick, welcher gern auf dem Laub und den Blüthen des Gartens, auf den von der Sonne beschienenen Blumen und dem glitzernden Wasserstrahl verweilte, wurde ernst und düster, wenn er sich alsdann auf die Steinplatten des Bodens niedersenkte oder auf die Wände des Kreuzganges, wo eine lange Reihe von Namen derer eingehauen war, die einstens hier gewandelt, ebenfalls umgeben von Blüthenduft und Sonnenglanz.

Dieses Kloster liegt dicht an der südöstlichen Stadtmauer, und wenn man dieser folgt, so kommt man in ein ärmliches Stadtviertel, welches aber nicht uninteressant ist. Die engen Gassen laufen hier eigensinnig durch einander, finster und schmutzig, zuweilen durch kleine Plätze unterbrochen, wo Häuser niedergerissen wurden, deren Formen man noch deutlich erkennt an den Mauern der stehen gebliebenen, gerade wie die Überbleibsel eines Schwalbennestes, das man von der Mauer herabgestoßen. Auch recht feuchte Winkel gibt es hier, welche sich wuchernde Pflanzen zu Nutze gemacht haben, die, hoch auf dem Dache entsprossen, längs den grauen Mauern herabgekrochen sind. Hier und da erblickt man auch einen freundlichen Balcon, neben dem sich eine mächtige Weinrebe hinaufschlingt, deren Ranken oben, durch Latten oder Pfähle unterstützt, ein weit vorspringendes Schattendach bilden. So umherschauend, und bald hier, bald dort stehen bleibend, kommen wir auf einen breiten, mit doppelten Baumreihen bepflanzten Spaziergang, el Paseo Nuevo, der parallel mit der Rambla läuft, gegen diese aber sehr einsam und öde liegt; er ist zu sehr vom Mittelpunkt der Stadt entfernt, um von der eleganten Welt benutzt zu werden. Doch scheint sich hier die jüngere Generation oder vielmehr die Bonnen und Wärterinnen derselben ein Rendezvous zu geben; denn wie z. B. im Garten der Tuilerien zu Paris auf einer Stelle, die wegen ihrer sonnigen Lage la petite Provence heißt, sieht man auch hier eine große Anzahl geputzter Kinder, die sich unter den Bäumen umhertummeln und allerlei Spiele treiben. Ich kann hier nicht eine eigenthümliche Kopfbedeckung der kleinsten dieser Kinder, welche anfangen laufen zu lernen, unerwähnt lassen. Es sind das Fallhüte von Stroh geflochten, die wie ein Turban aussehen, und dem Kopfe beim Niederstürzen eine elastische Unterlage geben. Die kleinen Spanierinnen mit sehr großen und glänzenden Augen tanzen im Kreise, während die jungen Dons exerciren und Soldaten spielen; denn in dieser Richtung sehen sie hier treffliche Vorbilder; dieser Spaziergang stößt nämlich an das Glacis der Citadelle, und auf demselben werden die Soldaten abgerichtet, müssen stehen und gehen lernen, rechts- und linksum machen, nach Zählen marschiren, ganz wie bei uns – ein Anblick, der uns denn auch deßhalb so äußerst angenehm an die Heimath erinnerte. Der heutige Tag schien den Tambours gewidmet zu sein, und diese spazierten zu Zweien oder Dreien recht melancholisch auf den Wällen und in den Gräben umher, sich und dem begleitenden Unteroffizier etwas vormusicirend.

Die Citadelle, deren Werke beim Aufstand 1843 theilweise gelitten haben, ist vollkommen wieder hergestellt; man sieht von dem Spazierwege aus deutlich die lang gezackten Linien vor sich liegen, Schießscharten und Geschütze, so wie eine einsame Schildwache. Wir lassen die Citadelle links liegen; ehe wir aber den breiten Weg verlassen, stoßen wir auf einen kleinen melancholischen Garten, mit Mauern und einsamen Gittern eingefaßt, den einstens ein Gouverneur der Citadelle für sich und seine Familie angelegt. Jetzt ist eines seiner Thore dem Publikum geöffnet, durch welches wir denn auch eintreten. Der Garten ist klein und erscheint als eine große Spielerei, wie die Essenz eines großen Parkes: Laubgänge, Alleen en miniature, Seen und Teiche wie Entenpfützen, Hügel, die man fast mit einem guten Schritte übersteigen kann, auf ihnen kleine Pavillons zu anderthalb Personen, und im Verhältniß dazu Marmorstatuen, die alten Götter darstellend, wie sie wohl in ihrer Jugend ausgesehen haben mögen; auch eine kleine Menagerie fehlte nicht, in welcher neben Vögeln einer sehr niedrigen Rangclasse auch ein armer Lämmergeier war, der trübselig auf das gewaltige Meer hinausblickte, welches man hier und da zwischen den Zweigen durchglänzen sieht.

Vom Glacis der Citadelle haben wir nicht weit zur Puerta del Mar mit ihrem großen Platze, über welchen wir hinwegschreiten, bei dem schon erwähnten Caféhause der sieben Thüren vorbei, und auf einer breiten Rampe hinauf zur Muralla del Mar, wo wir dem Gewühl und Geräusch der Stadt, dem Spectakel der Feilen, Meißel und Hämmer, dem Schwirren der Webstühle, dem Rasseln der Maschinen, dem ganzen unendlichen Lärmen des gewerblichen Fleißes, den man an allen Enden der Stadt hört, glücklich entronnen sind, wo das Auge, nicht mehr geblendet von dem buntfarbigen, sich eng durch einander drängenden Menschenstrom, endlich ausruhen kann. Diese Muralla del Mar, eigentlich eine prachtvolle Terrasse, die sich in einer Breite von sechszig Fuß an die Brustwehr der Hafenmauer lehnt, ist eine der angenehmsten Promenaden Barcelonas. Vor uns haben wir den Felsen des Monjuich, zu unserer Linken den Hafen, Rhede und Strand, letzteren mit seinem eigenthümlichen Leben, weiter hinaus Barceloneta und vor uns ein unermeßliches Stück des mittelländischen Meeres; rückwärts aber liegen in der Tiefe lange Reihen von Gebäuden und Palästen, Haus an Haus, von der Terrasse durch eine Straße getrennt, über die nur einige Mal, wie z. B. an der Wohnung des Gouverneurs, Brücken in das zweite Stockwerk führen.

Wie ich schon früher bemerkte, stoßen diese Hafenmauern mit der Rambla unter einem rechten Winkel zusammen. In diesem Winkel liegt das starke Fort Atarazanas, welches auf diese Art die beiden Hauptspaziergänge Barcelonas dominirt und mit seinen Kanonen bestreichen kann. Man sieht, daß hier das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden ist. An diesem Ende und dem anderen entgegengesetzten, bei dem Café der sieben Thüren, führen gewaltige Rampen von der Höhe der Terrassen hinunter auf das Niveau der übrigen Straßen, und ist der Anblick des Menschengewühls, zumal bei der aufziehenden Parade, auf diesen schiefen Flächen ein außerordentlich lebendiger.

An Sonntagen, wie heute, in der kälteren Jahreszeit namentlich, zwischen zwei und vier Uhr, ist nun die Rambla, die von genanntem Fort eine gute Viertelstunde lang in gerader Linie zur Puerta Isabella II. hinaufführt, mit Wagen, Reitern und Fußgängern besäet. Für letztere ist der mittlere, mit Bäumen bepflanzte Weg, die anderen bewegen sich rechts und links von diesem auf der gepflasterten Straße längs den Häusern. Alles, was sehen oder gesehen sein will, oder was Ansprüche auf elegante Toiletten und Schönheit macht, findet sich hier auf der Rambla zusammen. Das Auge ist geblendet von dem buntfarbigen Strome, der plaudernd und lachend auf und ab wogt, der Körper aber bald ermüdet von dem ewigen Ausweichen, von dem langsamen Gehen und von dem beständigen Durchwinden zwischen dieser gedrängten Menschenmasse. Namentlich das weibliche Geschlecht ist hier stark vertreten, um gewählte Toiletten oder auch oft sehr geschmacklose Anzüge zur Schau zu tragen. Die Barceloneserinnen sind nicht wegen ihrer Schönheit berühmt: etwas derb, wohl voll und üppig, dabei aber steif, ohne die eleganten Formen ihrer südlichen Landsmänninnen, scheinen sie die ihnen mangelnde Grazie durch die bunten, auffallenden Farben ihrer Gewänder ersetzen zu wollen. Neben sehr bescheidenen und gewählten Anzügen sah ich hier andere, so aus schreienden Farben zusammengesetzt, daß sie dem Auge ordentlich wehe thaten. Glücklicherweise mindert die schwarze Mantille, wenigstens von oben herab, manchen auffallenden Anzug; doch haben auch schon Viele diese allerliebste Landestracht bei Seite gelegt und prangen in Hüten, die einstens in Paris Mode waren und stark mit wehenden Federn und bunten Bändern aufgeputzt sind. Drei Dinge findet man übrigens auch am Kopfe einer Barceloneserin selten unschön, das sind Zähne, Augen und Haare, wogegen leider bei Vielen auf der Oberlippe ein dunkles Bärtchen bemerkbar ist, dessen sich bei uns mancher junge Offizier nicht zu schämen hätte. Die Mädchen aus dem Bürgerstande sieht man häufig in einem Kleiderschnitte, den man fast einen altdeutschen nennen könnte, wenigstens findet man bei uns auf alten Bildern denselben Spenzer, knapp die Taille umschließend, mit kurzen, engen Ärmeln, die mit Spitzen oder weißen Manchetten eingefaßt sind – eine Tracht, sehr kleidsam, die auch seit einiger Zeit bei unseren Damen wieder Mode zu werden anfängt.

Die jungen spanischen Elegants sind einfacher gekleidet, thun aber schon ein Übermögliches in der Farbe der Cravaten und Handschuhe. Paletot und Frack haben übrigens kein ausschließendes Recht auf die Rambla, und es ist sehr angenehm, auch die Nationaltracht mit kurzer Jacke, weißen Gamaschen, spitzem Hut und farbiger Manta stark vertreten zu sehen. Dabei stehen die Träger der letzteren, was anständiges Benehmen anbelangt, hinter den Ersteren nicht zurück; ja, man könnte die meisten unter ihnen für vornehme Leute halten, die sich zu ihrem Vergnügen so costümirt haben; gewandt und anständig führen sie ihre Damen, bleiben eben so bei Begegnenden stehen, schauen lachend einem hübschen Mädchen nach, und führen ihre Papiercigarren eben so coquet zum Munde, wie der Elegant in seinen Glacéhandschuhen die Puros.

Für eine so große volkreiche Stadt wie Barcelona – sie hat ungefähr 350,000 Menschen – sieht man wenige und fast gar keine eleganten Equipagen, was wohl daher kommen mag, daß ein leichtes schönes Fuhrwerk nur in den breiten Straßen der Stadt zu gebrauchen ist, aber nicht zu Ausflügen in die Umgegend. Denn kaum hat man die Thore der Stadt hinter sich, so fängt das spanische Straßen-Elend an, und man geräth in fußtiefe Löcher und Geleise, wo leichte Achsen und Räder in kurzer Zeit zusammenbrechen müssen. Deßhalb bemerkt man viele und gute Reiter und die jungen Leute von Barcelona lieben es, sich auf der Rambla vor ihren Schönen auf raschen Pferden sehen zu lassen. Diese sind meistens von andalusischer Race, also arabischer Herkunft, fast alle dunkelbraun oder schwarz mit außerordentlich starken Mähnen und lang herabwallendem Schweife.

Auch in der Woche ist die Rambla fast so belebt wie an Sonn- und Festtagen; wenn es alsdann der eigentlichen Spaziergänger weniger sind, so ist dagegen der gewerbliche Verkehr größer und Käufer und Verkäufer gehen eilfertig mit einander dahin. Die Bewohner der umliegenden Dörfer lassen sich alsdann auch häufiger in den Straßen Ferdinands VII. und auf der Rambla erblicken; dort betrachten sie die glänzenden Magazine, hier die ansehnlichen Gebäude der großen Theater und Gasthöfe. Eine eigenthümliche Zusammenkunft bemerkte ich öfters hier, Morgens früh nämlich eine bedeutende Anzahl Weißputzer, die mit ihren langen Stangen auf der Schulter wie zum Appel zusammen zu treten schienen und sich gleich darauf nach allen Seiten zerstreuten.

Um einen neuen schönen Marktplatz für Barcelona zu gewinnen, hat man ungefähr gegenüber der Straße Ferdinand's VII. eine Menge alter Häuser zusammengerissen und den Raum, wo diese standen, sowie die Höfe derselben zu einem ziemlich großen Ganzen vereinigt. So ist es ein stattlicher viereckiger Platz geworden, rings von neuen prächtigen Häusern umgeben, welche im unteren Stocke eine um den ganzen Platz hinlaufende geräumige Halle von schlanken Steinsäulen haben, in der sich kleine Läden ebenfalls für die täglichen Lebensbedürfnisse, befinden. Die Produkte aber, welche von Tag zu Tag wechseln: Fleisch, Fische, Gemüse, Früchte aller Art, befinden sich auf dem Platze selbst, wo jeder Stand für sich recht zierlich geordnet ist, und alle regelmäßig aufgestellt, unter sich breite Gänge bildend, die sich rechtwinkelig durchschneiden und den Verkehr bequem und angenehm machen. Die meisten dieser Stände sind von oben durch graue Leinwand oder Matten gegen die Sonne geschützt, und der ganze Markt hat namentlich durch die stattliche Umgebung etwas Großartiges und sieht bei Abend, wo der Ein- und Verkauf recht lebhaft geht, von vielen Lichtchen erhellt, recht freundlich aus.

Dieser Marktplatz, östlich von der Rambla, gehört zur alten Stadt, die sich auffallend von den Theilen, welche wir vorhin durchwanderten, unterscheidet. Hier sind die Häuser noch dunkler, noch höher, und in den meisten Straßen so eng beisammenstehend, daß man sich in einigen ohne große Mühe von einem Balcon zum andern die Hand reichen könnte. Diese Balcone geben überhaupt diesen Häuserfronten mit unzähligen Fenstern ein ganz eigenes Ansehen, jedes derselben ist damit versehen, alle haben fast das gleiche schwarze eiserne Gitter, wodurch der Anblick hier über alle Beschreibung monoton wird. Dabei ist in diesem Theile der Stadt wenig Verkehr, man kann ganze Straßen durchwandern, ohne etwas Anderes zu sehen, als die trübseligen, hohen, dunklen Mauern mit verschlossenen Fenstern, und an einem derselben hier oder dort ein verkümmertes Geranium, auf der Straße ein paar Hunde, eine vorüberspringende Katze und zusammengekauert Bettler beiderlei Geschlechts. Wenn es hoch kommt, begegnen wir vielleicht einem mageren Pferde, mit Fäßchen beladen und von seinem Eigenthümer geführt, der mit gellender Stimme den allervortrefflichsten Essig anpreist. Die Monotonie der Straßen der alten Stadt rührt auch wohl von den vielen Klöstern her, die sich ehemals hier befanden, und wenn man auch ihr Inneres vollkommen umänderte, so nahm man doch dem äußeren nicht sein finsteres und abschreckendes Aussehen.

Hier wohnen niedere Beamte, kleine Handwerker, Wäscherinnen. Letztere sieht man häufig bei ihrem Geschäfte, wenn man zu einem der finsteren Thorwege hineinblickt; dabei befindet sich im Hofe ein breites Steinbassin mit einem einfachen Brunnen, der seinen Wasserstrahl hineingießt, und ringsumher eine Anzahl Weiber, welche die Wäsche mit Hölzern und ihren Fäusten auf der Steineinfassung bearbeiten. Etwas, das diesem Stadttheile einiges Leben verleiht, sind die vielen Omnibus und Diligencen, die von hier aus nach der Umgegend, nach Saragossa, Madrid, Tarragona und Valencia fahren. Fast alle passieren das Thor, welches nach Sarria hinausführt, ein altes finsteres Gewölbe mit einer halbverfallenen malerischen Brücke und vernachlässigten Glaciseinschnitten. Dort rasselt gerade einer dieser Marterkasten bei uns vorüber, mit acht Maulthieren bespannt, deren Geschirr mit Messingstücken und kleinen Glocken bedeckt ist, die unaufhörlich klingeln und klimpern. Schon innerhalb des Thores und der Stadtmauer ist Weg und Pflaster so entsetzlich schlecht, daß der Wagen wie betrunken hin und hertaumelt; auch muß er eine Zeit lang warten, bis eine Menge Lastkarren, die vor ihm sind, die schmale Passage endlich befreit haben. Vor der Brücke nimmt ihn gleich eine dichte Staubwolke in Empfang und entzieht ihn bald unseren Blicken. Wir lassen ihn für heute gern ziehen, denn in kurzer Zeit werden auch wir dort eingezwängt sein, immer noch früh genug für ein solches Vergnügen.

Übrigens fehlt es auch diesem Stadttheile nicht ganz an Läden, doch sind es meistens Obst- und Victualienhändler, kleine Bilderläden oder ambulante Musikalienhandlungen. Die beiden letzteren haben mir manche Viertelstunde gekostet, denn ich konnte selten bei ihnen vorübergehen, ohne die ausgehängten Kunstschätze bewundert zu haben. Natürlich sind sie für die unteren Volksclassen berechnet, und die Bilder, eigentlich Bilderbogen, behandeln Gegenstände, welche dem spanischen Volkscharakter am meisten anpassen. Da sind Don Quixote und Sancho Pansa, verschiedentlich während ihrer Irrfahrten aufgefaßt, nach unseren Begriffen furchtbar carikirt, mit passenden Unterschriften versehen; ferner blutige Räubergeschichten mit einer wahren Verschwendung von brennenden Farben, hier ein Gefecht zwischen Räubern und Guardias Civiles, wobei die ersteren Sieger bleiben, dort die Beraubung einer herrschaftlichen Kutsche oder großes Würfelspiel der ganzen Bande um vollbusige Weiber, die auf den Knieen liegen und Schonung zu erflehen scheinen. Die Musikalienhandlung ist ein sehr einfaches Etablissement und besteht aus einem Stuhle, auf dem der Eigenthümer sitzt, und mehreren Schnüren an der Mauer eines Hauses, woran die betreffenden Musikalien aufgereiht sind. Hier spielen Stierfechterromanzen, Geschichten von verwegenen Contrebandisten, ebenfalls verdrießliche Abenteuer eines Corregidors mit einer schönen Müllerin, so wie Don Juan's Thaten und Ende eine Hauptrolle. Für einige Realen kaufte ich mir hier eine ganze Sammlung von Volksliedern.

Diese neue lange Wanderung hat mich indessen müde und hungrig gemacht. Es ist fünf Uhr, und ich begebe mich zurück nach der Fonda del Oriente. Im Hofe derselben finde ich meine beiden Reisegefährten; der Baumeister studirt an großen Placaten die Abfahrt der Dampfschiffe, während Horschelt eine der oben erwähnten Diligencen skizzirt, die eben zum Abfahren bereit steht. Die Maulthiere sind ungeduldig und treten hin und her, und einem, das sich gar ungeberdig anläßt, hat der Delantero seine Manta um den Kopf gewickelt, wodurch es geblendet wird und ruhig steht. Ich trete einen Augenblick in die große Küche des Hauses, die sehr reinlich ist und an deren Thür unser vortrefflicher Maurice steht, umgeben von einem halben Duzend fetter Hunde, unter deren Beihülfe das Diner bereitet wurde; sie müssen nämlich vermittelst eines Tretrades sämmtliche Braten drehen, und damit, wenn sie vielleicht bei dem süßen Duft in hungrige Träumereien verfallen und stillstehen, dieses von den betreffenden Küchenjungen augenblicklich bemerkt wird, ist oben an der Decke eine Glocke angebracht, welche, durch einen sinnreichen Mechanismus bewegt, alsbald anfängt zu klingeln, sobald Hund und Rad stillstehen.

Jetzt läutet Maurice an der großen Glocke des Hauses; in diesem Augenblick sind auch sämmtliche Passagiere in die Diligence eingezwängt worden, der Delantero schwingt sich auf, reißt zu gleicher Zeit dem unartigen Maulthiere die Manta vom Kopfe weg und, während wir zum Diner hinaufsteigen, rasen die acht Maulthiere wie toll zu dem engen Hofe hinaus. So ist das Reiseleben und nach einiger Zeit werden auch wir mit Neuangekommenen die Rollen gewechselt haben.

Wenn man uns von den interessantesten Sehenswürdigkeiten außerhalb der Stadt sprach, so hatte man immer in erster Reihe des Friedhofes erwähnt, der einzig in seiner Art sei und seines Gleichen nicht in Spanien, ja nicht in der ganzen übrigen Welt haben solle. Wir dachten dabei an Anlagen, wie z. B. Père la Chaise, prächtig wie dieser berühmte Friedhof gelegen, vielleicht mit einer weiten Aussicht aufs Meer. Eines schönen Nachmittags beschlossen Baumeister Leins und ich denselben aufzusuchen. Wir gingen zur Puerta del Mar hinaus und kamen gleich vor der Stadt in einen breiten, mit einer vierfachen Baumallee bepflanzten Weg, welcher der Beschreibung nach auf den Kirchhof führen mußte. Den Bahnhof der Eisenbahnroute nach Matarò, sowie den Stierplatz ließen wir rechts liegen und schritten auf dem fast schnurgeraden Wege fort, welcher sich ungefähr tausend Schritte vor der Stadt plötzlich, aber nur an einer Stelle, auf ein Drittel verengt, weil er hier durch das Glacis der Festung führt und Behufs der Zoll- und Thorabgaben mit einem Palissadenthor gesperrt werden kann.

Von dem Thore der Stadt hatten wir eine kleine halbe Stunde zu gehen, um den Kirchhof zu erreichen, dessen Mauern und Eingangspforte wir übrigens schon längere Zeit am Ende der Allee vor uns sahen. Sie schien aus gelben Sandsteinen gebaut und blickte hell und schimmernd zwischen Lorbeerbüschen hervor. Rechts und links von dem großen Gitter, welches den Eingang verschloß, befanden sich kleine Gebäude, ägyptisch verziert; man muß es wohl so heißen, denn neben den bekannten, sich nach oben verjüngenden Formen waren gleich wieder welche von einem anderen Styl, kurz, ein sonderbares Gemisch von ernst sein sollenden Formen. Obgleich wir das Meer zur Rechten hatten, sahen wir es doch nur zuweilen, da hier niedrige Dünen sind, die es dem Blicke entziehen; doch bot die Stadt zu unserer Linken von hier aus einen wahrhaft prächtigen Anblick. Man sieht sie langgestreckt mit ihren großen Häusermassen in dem Thale liegen, welches von Ausläufern der Pyrenäen gebildet wird, die Barcelona im Halbkreis umgeben. Von hier aus erkennt man auch die fabrikreiche Stadt; denn über den glatten Dächern und Terrassen erblickt man zahlreiche Dampfschornsteine, deren schwarzer Rauch die sonst so reine und klare Luft etwas verfinstert. Von Weitem gesehen, hat Barcelona eine gelbliche Sandsteinfärbung, welche sich namentlich im Strahl der Sonne warm und glänzend ausnimmt; über den Häusermassen ragen zahlreiche Kirchen heraus, vor allen aber die majestätische Masse der Kathedrale mit ihren beiden hohen durchbrochenen schwarzen Thürmen, welche ziemlich genau den Mittelpunkt der Stadt anzeigen.

Doch sind wir am Thore des Friedhofes und stehen verwundert über den seltsamen Anblick, der sich uns darbietet. Wir schauen in das Innere und suchen vergeblich einen Friedhof nach unseren Begriffen. Da ist weder Rasen, Baum, Strauch, noch Monument, Kreuz, vor allen Dingen aber kein Grab zu sehen; es liegt vielmehr eine kleine Stadt vor uns, in deren Hauptstraße wir überrascht hineinschauen; ja, eine förmliche Straße, aus Gebäuden von vielleicht sechzehn Fuß Höhe gebildet, die, aneinander stoßend, auf beiden Seiten eine lange Linie bilden, nur unterbrochen durch Querstraßen, welche die, in der wir wandern, rechtwinkelig durchschneiden. Sämmtliche Gebäude haben nach Art der großen Fabriketablissements unzählige Öffnungen in regelmäßigen Linien, eine neben der anderen – Fenster könnte man sie nennen, doch haben sie nicht viel über dritthalb Schuh im Quadrat und sind statt des Glases mit Marmorplatten versehen, deren Inschrift uns die Bedeutung dieser Zellen vollkommen klar macht. Denn die goldenen oder auch blos eingegrabenen Buchstaben auf schwarzem oder dunkelgrauem Grunde erzählen uns, wer hier liegt, wann er geboren, wann er gestorben.

Der Kirchhof von Barcelona ist eine Stadt der Todten, deren Gebäude aus dicken Mauern, fast geformt wie Bienenzellen, bestehen, in welche man die Särge wagerecht hineinschiebt und dann die Öffnung mit der oben erwähnten Tafel verschließt, wodurch blos das Kopfende des Sargbehälters im Äußeren zum Vorschein kommt. Wie man uns versicherte, hat die Luft hier die merkwürdige Eigenschaft, die Körper der Verstorbenen in wenigen Jahren auszutrocknen, was sie zu Stande bringt, ohne dadurch eine schlechte Atmosphäre zu erzeugen. Hier in diesen seltsamen Straßen merkt man wenigstens nichts davon, daß man zwischen Tausenden von Todten umherwandelt, von denen doch ein großer Theil hier schon Jahre lang so gut wie in freier Luft wohnt, nur durch eine dünne Marmortafel von uns geschieden. Wie viele Grabstätten hier sind, bin ich nicht im Stande anzugeben, denn es sind ihrer unzählige, und ich muß den Begriff einer Stadt der Todten festhalten. Wir biegen rechts in eine Seitenstraße und haben vor uns eine gleiche lange, lange Linie von Gräbern; wir wenden uns links und finden kurze Zeit nachher abermals eine andere lange Straße, die unseren Weg durchschneidet. Auch Neubauten sehen wir: hier wurden noch mehrere Stockwerke aufgesetzt, dort errichtete man ein ganzes Stadtviertel für neue Ankömmlinge. Da konnten wir ganz gut auch die Constructionsweise sehen; sämmtliche Grabkammern sind aus Backsteinen errichtet und auch mit Backsteinen in flachem Kreissegmentbogen überwölbt, jedoch so, daß die wagerechten wie die senkrechten Scheidewände nicht mehr als die Dicke eines einzigen Backsteines haben.

Auch zwischen den bewohnten Zellen sah man hier und da ganze Reihen leer stehen und geöffnet, woher ich vermuthe, daß es den Einwohnern von Barcelona frei stehe, sich Straße und Nummer auszusuchen, wo sie nach ihrem Tode ruhen wollen. Begreiflicher Weise hat jedes Tafel- oder Mauernquadrat einen freien Raum in seiner Mitte, der als Garten angelegt ist, auch Kreuze und Monumente hat, die man aber beim allgemeinen Überblick nicht sieht und erst gewahr wird, wenn man an dem zugehörigen Eisenthor vorüber kommt. Hier befinden sich große gemeinschaftliche Gräber, in welche nach einer Reihe von Jahren die Überreste aller derer zusammengelegt werden, die eine eigene Grabzelle für ewige Zeiten nicht bezahlen konnten oder wollten; dieselben sind schön mit Cypressen umpflanzt, und man sagte uns, die Gebeine werden darin mit einem Übergusse von Kalk versehen. Anfänglich verursachte es uns ein eigenthümliches Gefühl, in diesen stillen, öden Straßen umherzuwandeln, und man liest schüchtern die Namen derer, die hier ruhen; bald aber hatten wir uns mit dieser Begräbnißart befreundet und fanden es für die Überlebenden bei Weitem angenehmer, ihre Angehörigen so in der freien Luft aufgestellt zu wissen, statt sieben Fuß tief unter dem feuchten Rasen in der traurigen Grube, so weit entfernt von Sonnenlicht und Mondenschein. Man darf sich jedoch nicht denken, daß der Anblick ein allzu monotoner sei; die Kreuzungen von zwei Straßen sind meist benutzt, um Monumente wichtiger Personen nicht allein in ihrer Mitte aufzustellen, sondern auch die einspringenden Winkel je auf den vier Ecken sind mit solchen Denkmalen ausgefüllt, häufig mit Eisengittern umgeben und oft von wahrhaft edler künstlerischer Anordnung. Dem Haupteingang gegenüber am Ende der großen Mittelstraße ist in erhöhter Lage eine Capelle erbaut, die der ganzen Anlage eine höhere Würde verleiht. Die Straßen selbst sind weit, vortrefflich gepflastert und geplattet, und die Reinlichkeit und Ordnung eine musterhafte. Hierbei kann ich ein Denkmal nicht unerwähnt lassen, welches sich dicht am Eingänge des Friedhofes befindet. Es stellt eine vielleicht zehn Fuß hohe Pyramide von weißem Marmor vor, auf deren Untersatze sich auf zwei Medaillons der Kopf eines Mannes und der einer Frau befinden; es ist dieses ein sehr in Liebe erglühtes Ehepaar, welches am Tage seiner Hochzeit dieses Monument errichten ließ, um der staunenden Mitwelt zu verkünden, daß Beide auch nach ihrem Tode ungetrennt bleiben wollen. Die Sache kam indessen anders; denn schon im ersten Jahre nach ihrer Verbindung fielen Streitigkeiten so ernster Art vor, daß sie bald darauf eine förmliche Scheidung herbeiführten. Daß unter diesen Umständen die Gruft unter dem Denkmale nicht benutzt werden wird, versteht sich wohl von selbst. Auch sollen sich die Betheiligten, welche beide noch leben, bereits andere Ruhestätten an zwei entgegengesetzten Enden des Kirchhofes ausgesucht haben.

Wenige Spaziergänger trafen wir auf unserer Wanderung durch die stillen Straßen, nur hie und da fanden wir Jemanden beschäftigt, einen Immortellenkranz an einer der Marmortafeln aufzuhängen. Zufälliger Weise aber wurde es uns vergönnt, ehe wir den Kirchhof verließen, noch einem Begräbnisse beizuwohnen, und zwar dem eines deutschen Landsmannes. Da wir in Begleitung desselben ein paar Bekannte sahen, so schlossen wir uns ebenfalls an. Die Beisetzung geschieht auf sehr einfache Art: der Sarg wird von einigen Leuten auf einer hohen Treppenleiter emporgetragen und in die Zelle geschoben; danach wird die Platte mit der Inschrift befestigt, und Alles ist vorüber. Die Bekannten, denen wir uns angeschlossen, der Schweizer Consul, so wie sein Associé, Herr Müller aus Köln, die überhaupt für uns von großer Freundlichkeit waren, boten uns einen Platz in ihrem Wagen an und luden uns zu gleicher Zeit zu einer Besichtigung des Monjuich ein, zu welchem Zwecke sich Herr Müller eine Erlaubnißkarte verschafft hatte. Eine solche zu erhalten ist nicht mehr so schwierig wie früher, doch bedarf es immer noch gewisser Formalitäten, um zur Besichtigung dieses Zwing-Barcelona zugelassen zu werden.

Wir fuhren nach der Stadt zurück und durch dieselbe bis zur Puerta San Antonio. Rechts von dieser führt längs der Stadtmauer der Weg nach Madrid, wir aber fuhren gerade aus bis an den Fuß des Monjuich – Mons Jovis der Römer – der sich unmittelbar vor der Stadt erhebt. Der Weg hinauf, den wir zu Fuß zurücklegten, ist sehr malerisch und abwechselnd; zur Linken hatten wir das Meer, das seine Wellen taktmäßig zwischen die felsigen Gestade warf und so eine leichte Brandung verursachte. Umschauend sah man das uralte Thor, zu welchem wir hinausgegangen, aus dunklen Steinen erbaut, mit Epheu bekleidet, welches sich um die morschen Balken geschlungen hatte, die noch von ehedem aus dem Gemäuer hervorragten und die dazu dienten, die Zugbrücke aufzuziehen, aber augenscheinlich lange nicht mehr benutzt worden waren.

Der Weg zum Monjuich – der Breite nach eine Fahrstraße – geht im Zickzack aufwärts, wodurch wir jetzt eine Aussicht auf die blaue unendliche Flut des Meeres hatten, gleich darauf die Stadt und das weite Gebiet des Llobregat zu unseren Füßen sahen, dann auf die Dörfer der Umgegend: Garcia mit seinen Fabriken und Schornsteinen, Sanz, Sarria, zwischen Gärten liegend, auf San Gervasio und San Andrea. Alle diese Ortschaften sind durch Baumgruppen, Alleen und jetzt noch grünende Felder mit einander verbunden und geben auf diese Art der weiten Ebene ein freundliches Aussehen. Den Platz zwischen den Stadtmauern und dem Fuße des Monjuich bedecken Gemüsegärten, und hier grünte ebenfalls Alles trotz der späten Jahreszeit. Sonderbar nehmen sich zwischen den Kohl- und Salatfeldern die Bewässerungsanstalten aus, die sich noch aus der Maurenzeit herschreiben, jedenfalls mit ihrem Paternosterwerk und mit großen Steinbassins orientalischen Ursprunges sind. In der willkürlichen phantastischen Zusammenstellung der einfachen Bedachung durch Stangen und Bretter, um welche sich die Rebe geschlungen, so wie in den alten gezahnten Triebrädern boten sie treffliche Studien für unseren Maler, der sie auch fleißig benutzte und halbe Tage lang zeichnend auf den Felsen des Monjuich saß.

Langsam stiegen wir den Berg hinan, der einige Hundert Schuh über dem Meer fast ganz kahl ist, röthlich-gelbe zerklüftete Felsenmassen zeigt, über welche man den Weg mühsam geebnet. Einige Abwechselung gewähren uns seine Einfassungen von riesenhaften Aloen und großen Cactus. Während man an den unteren Abhängen des Berges hinaufklettert, ist man nicht im Bereiche der Batterien; bei dem letzten Viertel des Weges aber, während dessen die Straße ziemlich gerade und steil aufwärts führt, sieht man die Geschütze der Außenwerke drohend auf sich gerichtet und begreift bei diesem Anblick wohl, daß es noch niemals gelungen ist, den Monjuich im Sturm zu nehmen, um so weniger, da auch die Anlegung von Breschebatterieen hier unmöglich ist. Der Monjuich ist bis auf den heutigen Tag eine jungfräuliche Festung geblieben; denn wenn er auch schon einige Male im Lauf der Zeiten in andere Hände übergegangen ist, so geschah das doch nur durch Vertrag oder Verrath, wie z. B. während der Unabhängigkeitskriege als General Duchesme, der als Alliirter nach Spanien kam, eine Parade dazu benutzte, um die harmlosen Spanier zu überrumpeln und sich in Besitz der Feste zu setzen.

Der Monjuich ist eine Festung, denn das Wort »Schloß« oder »Fort« gibt einen viel zu schwachen Begriff von seinen Werken. Diese haben wenigstens eine starke halbe Stunde im Umkreis und nach der Landseite drei oder, wenn man die obere Plattform mitrechnet, vier Vertheidigungslinien. Nach der Seeseite, wo der Felsen steil und zerklüftet hinunterfällt, ist nur ein einziger Wall, der aber zur vollständigen Sicherheit mehr als genügt. Dazu sind alle Werke größtentheils aus Quadern und sehr solid gebaut. Besonders schön construirt sind die Batteriefronten an der westlichen Abdachung des Berges, die sie bestreichen können, und obgleich alle durch geheime Ausfallsthüren verbunden sind, ist doch jede Schanze von der anderen unabhängig und kann sie beschützen, aber auch zerstören. Aus einem Bombardement würde sich die Festung gar nichts machen, denn sie hat luftige, geräumige und vor allen Dingen sehr trockene Kasematten, welche eine Besatzung von 3000 Mann Soldaten ganz bequem beherbergen können.

Jetzt zur Friedenszeit sind diese riesenhaften Gewölbe vermittelst Bretterboden durchschoren und dienen als Caserne. Alle Räumlichkeiten des Monjuich sind gut und reinlich erhalten, die Lagerstätten der Soldaten einfach, aber genügend, und die Küchen groß und geräumig; dabei fehlt es nicht an einer kleinen Capelle, so wie an einem Club oder Café für die Offiziere, wo sich ein Lesecabinet, eine Bibliothek und ein Billard befinden. Wie schon bemerkt, wurde der Monjuich niemals durch Waffengewalt bezwungen, und man versichert, daß die Festung nur durch Aushungern oder Verrath der Besatzung genommen werden könne. Gegen den Wassermangel sorgt eine große Cisterne, welche in den Felsen gehauen ist, durch Regenzufluß gespeist wird und gutes Wasser genug enthalten soll, um die ganze Besatzung reichlich damit zu versehen.

Die Aussicht auf der oberen, sehr weiten Plattform, die den inneren quadratischen Hof umgibt, ist großartig und reizend. Vor sich hat man die gewaltige Meerflut, zur Linken Barcelona mit den vielen Dörfern, die es umgeben, und der reichen Ebene, begränzt von Gebirgen in schönen Formen, die, mit anderen Thälern und neuen Ketten untermischt, rückwärts immer mehr ansteigen und sich endlich am Horizont mit dem gewaltigen Zuge der Pyrenäen vereinigen. Rückwärts sieht man in das hügelige Land, welches hier einen anderen, minder großartigen Charakter hat. Doch sind da die Berge grüner bewachsen, gekrönt mit kleinen Dörfern, einzelnen Kirchen und den Ruinen alter Schlösser; in den Thälern glänzen kleine Seen, und ein gelber Streifen durch das grüne Land zeigt eine kurze Strecke die Straßen nach Madrid und Valencia.

Es dämmerte schon, als wir nach Barcelona zurückkehrten. Um diese Zeit entfaltet der Spaziergang auf der Hafenmauer, wenigstens nach meinem Geschmack, seine ganze Schönheit. Dunkel liegen die Schiffe am Fuße derselben, hier und da glänzt ein Licht aus den Kajütenfenstern; das Meer, welches leise über den Strand hinspült, glänzt phosphorisch, und sein bei Tage weißer Schaum spritzt silberglänzende Sterne auf den Sand; dazu strahlt das Mondlicht auf den dunklen Fluten, und wo ein Boot durch den Hafen fährt, wo die Ruderschläge das Wasser beunruhigen, da scheint es in lauter Flammen zu tanzen. Die Fischer haben ihr Tageswerk vollendet, hier und da hat eine Familie derselben im Freien ihr Feuer angezündet, und die rothe Gluth überstrahlt die ernsten Züge der Männer und glänzt in den verlangenden Augen der Kinder, die nach den Fischen schmachten, welche in der Pfanne braten. Rings um den Hafen her flammen nach und nach die Gaslichter auf, und da die Candelaber nah am Wasser stehen, so spiegeln sich die weißen Flämmchen in demselben ab und bilden zitternde Punkte auf den dunklen Wellen. Aus den Schenken am Ufer tönt Gesang und Guitarrenklang; ein Spaziergänger der dir begegnet, bittet dich um Feuer für seine Cigarre, und wenn du am Ende des Weges angekommen bist, so beeilst du dich, wieder umzukehren; denn der spanische Soldat, der hier auf Posten steht und der dich am Tage vielleicht unbehelligt läßt, fällt das Bayonnet und ruft dir sein lautes: »Halt! wer da?« entgegen. Dieses geschieht jedoch nur in der Nähe des Arsenals, der übrige lange Spaziergang ist völlig zur Verfügung des nächtlichen Wanderers; man kann sogar die Schießscharten hinaufsteigen, sich über die Brüstung lehnen und wird nicht gestört, wenn man auch stundenlang hier verweilt, um die Blicke über das nächtliche Meer hinschweifen zu lassen, der Gegend zu, wo die theure Heimath liegt.

Abends ist die Rambla meistens belebt. Wir hatten während unseres Aufenthaltes ein unvergleichlich schönes Wetter: ziemlich heiß am Tage und nicht kühl in den ersten Stunden der Nacht. Der lange Spaziergang ist jetzt durch eine Menge von Gaslichtern erhellt, von denen sich namentlich große Candelaber in der Mitte der Allee prächtig ausnehmen. Diese haben sechs Arme, jeder mit mehreren Flammen, und so glaubt man aus der Entfernung, wo man die dunklen Träger nicht sieht, es hingen große Kronleuchter an unsichtbaren Schnüren zwischen den Baumreihen. Wir hatten das Glück, einem Feste beizuwohnen, wo die Rambla in einem wahren Lichtmeer strahlte, wo auf verschiedenen Punkten Musikchöre aufgestellt waren, welche unter dem Zudrang vieler Tausend Spaziergänger sehr oft die Volkshymne spielten und diese sowie Donizetti'sche und Verdi'sche Melodieen mit ungleich größerer Präcision, als vor einigen Tagen die Märsche bei der Trauerfeierlichkeit.

Bei diesen nächtlichen Promenaden bekommt man auch hier schon einen kleinen Begriff von dem lebhaften spanischen Volkscharakter. Wie das dahinwandelt, wenn die Musik eine lustige Polka spielt, wie das durch einander wogt, lacht und plaudert! Dabei sind die Fächer in einer beständigen Bewegung, und die Mantille verhüllt jetzt ein blitzendes Auge, das wenige Secunden darauf einen vorüberwandelnden Bekannten ziemlich herausfordernd anschaut. An diesem Abende waren die öffentlichen Gebäude an der Rambla illuminirt und fast taghell, und bis zur Puerta Isabella hinauf, in deren Nähe die großen Bäume aufhören und durch dichte Oleanderbüsche ersetzt werden, war Alles bei der rauschenden Musik voll Leben, Lust und Lichterglanz, namentlich in der Nähe der Kaffeehäuser und Theater, wo die Menge immerfort aus- und einströmte.

Was die ersteren anbelangt, so findet man sie, namentlich in Erinnerung an die prächtigen französischen Etablissements dieser Art, einfach, ja oft ärmlich. Die Locale sind eng und finster, ohne großen Luxus eingerichtet und ebenso möblirt. Statt der Dame de Comptoir, welche in einem französischen Café die Honneurs macht, sitzt hier der oftmals schmierige Eigenthümer auf einer Erhöhung an der Thüre, die, statt wie dort mit Blumen-Bouquets und prächtigen Aufsätzen decorirt, hier ein halbes Duzend Liqueurflaschen enthält. Die Kellner haben sich nach dem Muster ihres Herrn gebildet, und von der reinlichen weißen Schürze und dito Halsbinde ist hier keine Spur zu sehen. Dabei befleißigt sich weder Herr noch Kellner einer übertriebenen Höflichkeit, und wenn man Geld wechseln läßt oder herausbekommt, so hat man gewöhnlich Schaden, indem man häufig alte abgenutzte Realen bekommt, die derselbe Kellner, der sie Einem gegeben, am andern Morgen nicht wieder annimmt. Dagegen aber haben die Fremden den Vorzug, daß sie andere Preise bezahlen dürfen als die Einheimischen, und was mich z.B. acht Realen kostete, wurde vielleicht dem neben mir sitzenden Spanier für sechs servirt.

In den meisten dieser Kaffeehäuser ist der Kaffee mittelmäßig, dagegen die Chocolade vortrefflich. Echt spanisch und nicht unangenehm ist eine Art Zuckerwasser, die häufig getrunken wird, da das Wasser in Barcelona wie in allen Küstenstädten nicht besonders gut ist. Man verlangt eine Zucarilla und erhält eine schuhlange Stange harten Schaumzuckers von vielleicht zwei Zoll Dicke, die mit Fleur d'Orange versetzt ist und augenblicklich schmelzend zusammensinkt, sobald man sie ins Wasser stellt. Fremden ist ein solches Zuckerwasser, namentlich zur warmen Jahreszeit, Morgens vor dem Frühstücke zu empfehlen.

Barcelona hat zwei Theater, das Theater Principal und das Theater del Liceo. Letzteres ist das größte in ganz Spanien und neben der Mailänder Scala vielleicht das geräumigste von ganz Europa. Es hat ebenfalls sechs Logenreihen und ist reich, geschmackvoll, mit blendender Pracht decorirt; die Behandlung der Prosceniumsloge ist von vieler Eleganz und sehr schönen Proportionen. Leider blendet aber diese Pracht nur von Weitem und wenn man sich die Sachen näher betrachtet, so findet man die meisten Ornamente gemalt und die schweren goldenen Verzierungen von Papiermaché gemacht, die z. B. an den Logenbrüstungen traurig eingesunken sind, wo sich zufälliger Weise eine schwere Hand darauf stützte.

Wir wohnten hier einer Vorstellung bei, wie es hieß, zum Besten des Volkes, d. h. mit sehr herabgesetzten Eintrittspreisen. Es wurde eine Zauberposse gegeben voll des schon hundertmal gesehenen Zauberspucks, wandelnder Statuen, verschwindender Tische und menschlicher Körpertheile, die zum Kamin herabfallen und vom Harlekin zusammengefügt werden. Später sahen wir Rigoletto, ausgeführt von mittelmäßigen Sängern, die aber von einem guten Orchester unterstützt wurden. Ein Ballet, das darauf folgte, war nicht der Rede werth. Das Publikum ist an einem solchen Beneficeabend kaum noch ein gemischtes zu nennen; überall machte sich die rothe Mütze und die bunte Manta breit, Orangen- und Zwiebelduft wechselten mit einander ab, und in den Zwischenacten drang der Geruch unzähliger Papiercigarren aus dem Corridor in die Logen und stieg sogar aus dem Parterre zu uns herauf. Ein deutscher Intendant würde, was diesen Punkt anbelangt, fast allen Theatervorstellungen in ganz Spanien mit entsetzt zusammengeschlagenen Händen beiwohnen. Denn wenn es z. B. in dem königlichen Theater von Madrid seltener vorkommt, daß Jemand mit der brennenden Cigarre den Zuschauerraum betritt, so sind doch auch da die Gänge selbst um den ersten Rang, wo der höchste Adel des Landes und die fremden Gesandten im Zwischenact spazieren gehen, wo man die reichsten Toiletten, Spitzen und Brillanten sieht, so mit Rauch angefüllt, daß einem oft im wahren Sinne des Wortes das Athmen erschwert wird.

Das andere Theater Barcelonas, obgleich es Theatro Principal heißt, steht der Größe nach weit hinter dem ersten zurück, ist auch nicht mit so schreiender Pracht, dafür aber feiner und eleganter eingerichtet, und hier findet sich die gute Gesellschaft zusammen. Es hat vier Logenreihen, ist weiß mit Gold decorirt, und in seiner Einrichtung und Ausschmückung, sowie in seiner Größe gleicht es auffallend dem königlichen Theater in Stuttgart. Wir sahen eine spanische Komödie. Die Acteurs schienen nicht besonders zu sein, auch füllte sich das Theater erst am Schlusse des Stücks, dem ein Ballet folgte, das auch uns für die Langeweile während der ersten Vorstellung vollkommen entschädigte. Wir sahen hier zum ersten Mal einen echt spanischen Tanz auf dem Theater in seiner ganzen liebenswürdigen und wilden Natürlichkeit. Die Costüme hierbei sind öfters valencianisch, größtentheils aber andalusisch. Aber es ist keine Verkleidung oder Maskerade für Tänzer oder Tänzerinnen; meistens sind sie ja aus dem glücklichen Lande jenseits der Sierra Morena, und die Tracht, in der sie hier auftreten, ist ja dieselbe, die sie von Kindheit an getragen, der Tanz, den sie ausführen, derselbe, den sie zu Hause oder auf der Straße oder bei einer Landpartie an den reizenden Ufern des Xenil hundertmal gesehen und selbst mitgetanzt. Auch scheinen sie heute Abend keine Vorstellung zu geben, sondern einzig und allein zu ihrem Vergnügen umher zu wirbeln. Vielleicht sechszehn Paare bilden den Chor, schön gewachsene junge Leute, vortrefflich angezogen, und reizende Mädchen, gewiß keine über achtzehn Jahre alt – prächtige Gestalten. Und welche Köpfe, welche Haare, Augen und Zähne! Lauter Pepita's! nur daß die letzte dieser Chortänzerinnen wohl besser zu tanzen verstand, als die schöne Sennora de Oliva. Etwas Unvergleichliches liegt in der Art, wie diese Andalusierinnen ihre zierlichen Köpfchen zu tragen und zu wenden wissen, und unbeschreiblich ist dabei ihr Augen- und Fächerspiel. Doch die Musik beginnt, und zu gleicher Zeit fallen zweiunddreißig Paar Castagnetten so haarscharf im Tacte ein, daß man nur einen einzigen knatternden und dröhnenden Schlag hört. Und das bleibt sich immer gleich so! mögen sie die Musik in langsamem Tempo mit einzelnen Schlägen accompagniren, oder mögen die Castagnetten wirbeln und schmettern, man fühlt, daß diese Bewegung, welche die Töne hervorbringt, vom Herzen kommt oder vielmehr von dem heißen Blute angegeben wird und gerade so und nicht anders sein darf. Dieses Geknatter der Castagnetten beim spanischen Tanze ist hier selbst eine Art Musik, und ich möchte lieber die begleitenden Instrumente, als diese frischen lustigen Klänge vermissen.

Bei dem Tanze athmet jedes Paar Lust und Freude, es scheint nichts Gelerntes, man glaubt, Tänzer und Tänzerinnen seien entzückt, tanzen zu dürfen. Die Augen blitzen, die Wangen glühen, und zwischen den geöffneten frischen Lippen hervor schimmern die herrlichsten Zähne; dazu glänzen die bunten Farben der Costüme in Sammt, Atlas und Seide, bedeckt mit Gold- und Silberstickereien, wahrhaft blendend durch einander, und obgleich die Musik immer toller wird, scheint der Tact doch noch zu langsam zu sein für die beständig vorwärts strebenden Bewegungen der wilden und ausgelassenen Tänzerinnen. Jetzt schwingen sie sich in unbeschreiblichen Gruppen durch einander, jetzt öffnen sie einen Platz zwischen sich, und während sie einige Secunden ausruhen, tanzt eine Solotänzerin. Doch da das Publikum bei ihrem Anblicke so ruhig bleibt, so merken wir gleich, daß es nicht Sennora Minutena, der dießjährige Liebling der Barceloneser, ist.

Endlich erscheint aber auch diese im Hintergrund der Bühne, und das Publikum klatscht ihr wüthenden Beifall entgegen. Die Tänzerin ist ein ganz junges Mädchen, vielleicht noch nicht Achtzehn, aber wie ruhig steht sie da bei dem Beifallssturme, der sie begrüßt! Sie wiegt ihr Köpfchen hin und her, sie umfaßt ihre schlanke Taille mit den Händen, biegt sich rechts und links durch, die Musik beginnt wieder, und sie kommt nun langsam vorgeschritten, scheinbar ohne alle Prätention, aber coquet zum Davonlaufen. Bei jedem Schritte, den sie macht, hebt sie ihren Fuß wagerecht in die Höhe und lächelt dabei ganz unbefangen. So schreitet sie vor bis zu den Lampen, und als nun ein neuer Spektakel losbricht, bleibt sie ruhig stehen und läßt die großen glänzenden Augen wie verwundert durch das Haus hinlaufen. Das dauert aber nur eine Secunde, dann senkt sie neckisch ihren Kopf, als wollte sie sagen: Ah! ihr habt mich doch nur zum Besten! wendet sich um und flieht nach dem Hintergrunde zurück, gefolgt von Blumensträußen und Kränzen und dem allgemeinen Rufe, noch einmal vorzukommen. Das thut sie denn auch lachend wie vorher und als sie wieder vorn steht und abermals in das Haus schaut, hebt sie leicht ihr Röckchen auf, einen Schoß bildend, der auch in der nächsten Secunde mit Blumen angefüllt ist. Jetzt endlich beginnt sie ihren Tanz, reizend, wie ich nie etwas gesehen, und unmöglich zu beschreiben. Sie tanzte die Madrilenna, und ein liebenswürdigeres, coquetteres Aufheben ihres Tanzröckchens, wobei sie ihre Wade zeigte, ein naiveres Erschrecken über die Wespe, welche in ihre Unterkleider geschlüpft ist, und die sie erst nach langem Schütteln herausbrachte und dann so keck mit der Spitze des kleinen Fußes auf die Stelle hinsprang, um das schädliche Insect, welches aber begreiflicher Weise nicht existirte, zu vernichten, konnte man nicht sehen.

Leider war ihr Tanz bald zu Ende, und nach ihrem Auftreten erschienen die schönen und blühenden Chortänzerinnen matt und farblos. Und ehe noch der Vorhang fiel, erhob sich schon ein großer Theil des Publikums, um nach Hause zu gehen. Es ist etwas Eigenthümliches um diese spanischen Tänze; man kann, was die Ballete des übrigen Europa anbelangt, vollkommen blasirt sein, die glänzenden Ballete von Paris, Mailand und Berlin bieten einem nichts Neues mehr; man gähnt bei den herrlichsten Decorationen, man gähnt bei den verschlungensten Touren, und ist nicht unzufrieden, wenn der Vorhang fällt, hütet sich aber vor allen Dingen, zwei Mal denselben Tanz zu sehen. Hier aber erblickt man gern jeden Tag dasselbe; bezaubert von dieser Frische und Natürlichkeit, ist man wieder Anfänger geworden, man kann es nicht erwarten, bis sich der Vorhang erhebt, und bedauert es unendlich, wenn die neidische Gardine uns so bald wieder von dem lustigen tollen Volke da oben trennt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien