Fortsetzung - Nach Gibralta.

Wir hätten Gibraltar gegen acht Uhr Abends erreichen sollen, doch blies uns der Wind schon um Mittag fast gerade entgegen, und obgleich Don Manuel wacker durch die hohen Wogen dampfte, so kamen wir doch so langsam vorwärts, daß es vier Uhr Nachmittags wurde, ehe wir das jetzt wild bewegte Schlachtfeld von Trafalgar erreichten. Ein Schlachtfeld auf dem Lande hat immer irgend etwas, sei es eine Anhöhe, ein Wald, ein Dorf, ein einzelnes Haus, woran die Phantasie anknüpfen und sich leicht die vergangene Zeit zurückzaubern kann. Hier aber schlugen die schmutzig grauen Wogen gerade so an's Ufer, wie an jedem andern Punkte, und ob unter ihnen nun Muscheln und Steine ruhen, oder, wie hier, die Trümmer der spanischen und französischen Seemacht, wer kann das den so gleich bewegten und theilnahmlosen Wellen ansehen? Freilich schimmert dort durch Nebel und Regen ein altersgrauer Maurenthurm auf der Höhe des Gestades, und am Ufer blinkt heller und deutlicher ein neuer, weißer Fanal. Der erstere war gewiß Zeuge der gewaltigen Seeschlacht, welche acht Stunden westlich von hier mit unsäglicher Wuth entflammte, er hörte gewiß das wilde: Rule Britannia der englischen Matrosen; er vernahm vielleicht Kampfgeschrei, gewiß aber das Donnern der Geschütze und das krachende Aufstiegen des spanischen Admiralschiffes. – » England expects every man to do his duty!« Mit diesen einfachen Worten ging der große Nelson auf die feindlichen Flotten los, und es murmeln gewiß heute noch die Wogen in nächtlicher Stunde, wenn sie sich erzählen von dem berühmten Manne mit dem einen Arm.

Lange blickte ich zu dem grauen Maurenthurme empor, der sich, wie wir langsam dahinschwammen, immer dichter in seinen grauen Nebelschleier hüllte, der alles das und noch so viel Anderes gesehen; aber was konnte ihn die Seeschlacht mit ihrem Kanonendonner kümmern: er dachte gewiß an Schwerterklirren und Lanzensausen und blickte sehnsüchtig nach der Küste von Afrika hinüber, die sich vor ihm aufzuthürmen beginnt, seufzend nach einem neuen Taric und seinen tapferen Arabern.


Der Regen und die dichten Wolkenmassen zugleich mit dem sinkenden Tage umgaben uns aber so bald schon mit Dämmerung und Nacht, daß an eine Ankunft in Gibraltar heute nicht mehr zu denken war. Auch schien der Capitän um sein Schiffchen besorgt zu werden, denn trotzdem ihn jede Welle aufs Neue durchnäßte, verließ er seinen erhöhten Standpunkt am Maste keinen Augenblick, bald seine Befehle dem Steuermanne zurufend, bald in den Maschinenraum hinabsprechend, wo immerfort die Ofenthüren klirrten, und wenn diese geöffnet wurden, um neue Kohlen nachzuschieben, eine rothe Gluth hinauf leuchtete, den Kapitän und seinen weißen Pudel scharf bestrahlend. Wir wurden aber auch auf höchst merkwürdige Art herumgeworfen, und es konnte einem Seekundigen wohl die Befürchtung kommen, ob die kleine Nußschale dem gewaltigen Anprallen der Wogen auf längere Zeit widerstehen würde. Vor uns hatten wir Cap Spartel, doch sahen wir nichts von den gewaltigen Bergen dieser äußersten Spitze Afrika's, und Alles, was der Kapitän durch die dichte Finsterniß zu entdecken glaubte, war das unmerkliche Zittern eines Lichtstrahls dort hinaus, vielleicht der Leuchtthurm von Tanger. Obgleich sich das Unwetter mit jeder Viertelstunde steigerte und der Don Manuel sich bald hoch aufbäumend jetzt die Spitzen der Wälle erstieg, um gleich darauf wieder tief hinabzusinken, so schien der Kapitän doch Lust zu haben, seine Fahrt nach Gibraltar nicht zu unterbrechen. Doch kaum hatten wir Cap Plata umschifft, als wir von einem so furchtbaren Wind gefaßt wurden, der uns durch die Meerenge von Gibraltar entgegen kam, daß der kleine brave Dampfer nur mühsam dagegen ankommen konnte. Der Kapitän, der dem Steuermann einige leise Befehle gab, sagte uns im Vorübergehen: »Wenn ich's auch erzwingen will, in dieser schauderhaften Nacht durchzufahren, so riskire ich mein Schiff, und wenn uns wirklich kein Unfall begegnete, so hätten wir doch gar nichts an der Zeit gewonnen, da ich bei dieser Finsterniß doch nicht wage, mit der ganzen Kraft der Maschine vorwärts zu gehen. Ich werde suchen, den Hafen von Tarifa zu erreichen, um dort bis zu Tagesanbruch liegen zu bleiben.«

Er gab hiezu die nöthigen Befehle und that wohl daran, nicht die Fahrt durch die Meerenge zu versuchen. Wie ein Nachen tanzte das Schiffchen zwischen den daher stürmenden Wogen, sich bald rechts, bald links neigend; dabei war es so finster, daß man buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen konnte, und wenn wir vom Hinterdeck aus etwas von Mast und Tauwerk bemerkten, so war das nur in solchen Augenblicken, wo unten die Ofenthüren aufflogen und die rothe Gluth hinausdrang. Dabei traf es sich ein paar Mal, daß zu gleicher Zeit der Röhre neben dem Schornsteine weißer, überflüssiger Dampf entfuhr, der dann röthlich angestrahlt wie ein Blitz auf Augenblicke in der dunkeln Nacht sichtbar ward.

Endlich sahen wir die Leuchtthürme von Tarifa vor uns und Don Manuel machte mühsam eine Wendung, um richtig in die Einfahrt zu kommen. Ziemlich unheimlich war es hier, durch das dumpfe Rollen der Wogen das Donnern der Brandung zu hören, als wir uns dem felsigen Ufer näherten. Wie leicht konnte ein heftigerer Windstoß uns aus dem richtigen Kurse drängen und dann – hatte der alte Engländer vollkommen Recht mit seinem: cette bâteau est trop petite.

Glücklicherweise thaten Kapitän und Schiff ihre Schuldigkeit, und eine halbe Stunde später fühlten wir, wie die Bewegung des Schiffes angenehmer und langsamer wurde, es war gegen das frühere Auf- und Abtanzen nur noch ein gelindes Schaukeln. Gleich darauf rasselte der Anker in die Tiefe. Mehrere der Passagiere waren allerdings der Meinung, wir seien bereits vor Gibraltar angelangt, und vernahmen nun seufzend, daß wir ein Unterkommen im Hafen von Tarifa gefunden. Den Meisten der unglücklichen Seeleidenden war die eingetretene Ruhe indessen erwünscht und viele stiegen aufs Verdeck herauf, um sich umzuschauen und ein bischen frische Luft zu schöpfen. Von einer Aussicht war freilich so gut wie gar keine Rede, nur einige Lichtpunkte zeigten an, wo Tarifa mit seinen alten Mauern und Thürmen lag. Gerne hätte ich die berühmte Veste deutlicher gesehen; denn es ist einer von den Punkten, welche so beredt von altspanischer Tapferkeit erzählen. Hier war es, wo Don Alonzo Perez Guzman Stadt und Burg gegen die Mauren hielt, welche eines Tages den Sohn des Helden bei einem Ausfalle gefangen nahmen, ihn vor die Wälle führten und dem Vater die Wahl ließen, entweder Tarifa zu übergeben oder den Sohn vor seinen Augen enthaupten zu sehen. Der alte spanische Held warf ihnen statt aller Antwort sein eigenes Schwert herab und sagte, man solle damit seines Sohnes Haupt abschlagen, worauf die Mauren die Belagerung aufhoben und Don Alonzo Guzman von seinem König Ferdinand III. den Beinamen: »el bueno« erhielt. Für die Araber ist diese Stelle Spaniens überhaupt eine unheilvolle gewesen, denn zwischen Tarifa und Algesiras am Rio Salado war es, wo Alonzo XI. die Mauren in einer ungeheuren Schlacht schlug. Unter den christlichen Schwertern fielen hier Hunderttausende, die es vorzogen, auf dem Boden zu sterben, der, von ihren Vätern erobert, ihnen nun für immer entrissen wurde.

Leider war die finstere und regnerische Nacht nicht zur Beobachtung geschaffen, und so ungern wir es thaten, mußten wir uns doch endlich entschließen, in die Cajüte hinabzukriechen, obendrein da unser Appetit sich stark meldete. Die beiden Betten, welche wir am vorigen Tage belegt, waren freilich leer geblieben, doch hatte sich gegenüber eine spanische Familie einquartiert, der Vater mit zwei kleinen Söhnen und eine sehr dicke Mutter, die sich bei unserem Eintritt entrüstet erhob und für einen Augenblick einen Anblick gewährte, wie die Sphinx der alten Griechen. Anfänglich wollte sie uns nicht in ihrer Nachbarschaft dulden und hielt uns eine lange Rede mit solch spanischer Zungenfertigkeit und Geschwindigkeit, daß wir wenig mehr verstanden, als am Schluß jeden Satzes, bevor sie heftig Athem holte, das wohlbekannte: Caramba! Endlich schlug sich der Kellner in's Mittel, und da auch seine Vorstellungen nichts fruchten wollten, so zog er entrüstet den Vorhang vor ihrem Bette zusammen, worauf wir sie noch längere Zeit hinter der Gardine dumpf grollen und murmeln hörten wie ein verziehendes Gewitter.

Da sich der Restaurateur nicht darauf vorgesehen hatte, im Hafen von Tarifa ein Nachtessen besorgen zu müssen, so fiel dieses sehr frugal aus und erinnerte mich an die Klage des Einsiedlers: »Immer Früchte und gar kein Fleisch!« Nicht einmal eine Chocolade war zu bekommen, und nachdem wir noch auf dem Verdeck im sanft herabrieselnden Regen eine Cigarre geraucht, krochen wir in unsere Bettkasten. Vorher aber hatte mich der Steuermann versichert, wir würden in der Frühe zur Fahrt durch die Meerenge einen klaren Morgen haben; eine Aussicht, die mich alles nächtliche Ungemach in der heißen dunstigen Cajüte gern ertragen ließ. Schon vor Tagesanbruch befand ich mich auf dem Verdeck und bemerkte mit großer Freude nicht nur, daß der Regen aufgehört hatte, sondern daß auch das dickte Gewölk am Himmel zerrissen war und hie und da ein bleicher Stern hervorblinkte. Freilich waren rings umher Meer und Felsen noch in Nebel und Dunkelheit eingehüllt, doch konnte man jetzt schon die Wasserfläche des Hafens von Tarifa, sowie die malerischen Umrisse der Mauern und Thürme erkennen. Der Capitän befand sich ebenfalls auf dem Verdeck und blickte ungeduldig an dem Schornstein hinauf, aus welchem der Rauch anfing emporzuqualmen. Ich muß gestehen, daß ich in unsäglicher Erwartung um mich her schaute; sollte ich doch ein Schauspiel erleben, wie nie zuvor: die Fahrt durch zwei Welttheile, die, obgleich einander in Wirklichkeit so nahe gerückt, doch wieder so gar keine Vergleichungs- und Berührungspunkte haben, die beiden Extreme der Civilisation, Europa und Afrika. Welche gewaltige Flut von Gedanken, Empfindungen, Erinnerungen bestürmte uns hier beim Anblick dieses kolossalen Felsenthores, das mit seinen geschichtlichen Erinnerungen und schon mit seinem Namen: »Säulen des Hercules,« bis zur Fabelzeit hinaufreicht!

Jetzt hob sich der Anker des Don Manuel, und während der wirklich klar aufsteigende Tag siegreich die Dämmerung verdrängte, glitten wir langsam aus dem Hafen von Tarifa, und befanden uns in kurzer Zeit in der Straße, welche beide Welttheile und zwei gewaltige Meere trennt. Ich glaube nicht, daß es irgendwo auf der Erde eine Stelle gibt von so großartiger landschaftlicher Schönheit wie hier; während wir links die Berge von Tarifa hatten, rückwärts die zerklüfteten, sonderbar geformten Felsenspitzen des Cap Spartel, sah jetzt Tanger aus nebelhafter Ferne zu uns herüber; vor uns im Osten erhob sich die Sonne in einem Dunstkreise glühend roth, und ihren Strahlen entgegen, welche nun mit Einem Male das tiefblaue Mittelmeer vor uns mit einem purpurnen Lichtstrom übergossen, schwammen wir durch das gewaltige Riesenthor von Gibraltar. Mit einem goldenen Glanze überströmten die herausdringenden Strahlen den bis jetzt im trüben Morgendunste hinter uns liegenden atlantischen Ocean, und wunderbar herrlich war es dabei anzusehen, wie die Spitzen der hohen Gebirge von Ronda auf der einen und die Felsenkronen von Tetuan auf der andern Seite, die soeben noch in dunkles Violett gehüllt, da lagen, jetzt plötzlich von der Sonne glühend angestrahlt wurden, und wie zu gleicher Zeit die prachtvollen Felsen von Ceuta lange Schlagschatten auf die bewegte spiegelnde Flut warfen. Man hätte laut aufjauchzen können bei all der Pracht, und obgleich sich, sowie wir weiter fuhren, die Gestade von Europa und Afrika langsam verschoben, so zeigten sie doch immer neue reizende Einzelnheiten. Was war aber in dieser gewaltigen Natur unser elendes Schifflein? Noch immer war der enge Kanal zwischen beiden Welttheilen im Aufruhr, und die Fluten, welche vom heftigen Winde bewegt das Mittelmeer hinaustreibt, kämpften erbittert mit der Strömung, die, ein eigenthümliches Spiel der Natur, der atlantische Ocean in unerforschlicher Tiefe immer und immerfort in's Mittelmeer hineinsendet.

Trotzdem aber arbeitete Don Manuel wacker vorwärts, und in kurzer Zeit trat der eigenthümlich geformte Felsen von Gibraltar vor unsere Augen. Ringsumher erhoben sich im weiten Kreise schöne hohe Berge, den Meerstrom so einschließend, daß man in einem weiten See zu fahren glaubt. Noch eine halbe Stunde und unser kleiner Dampfer ließ seinen Anker in dem weiten Hafen von Gibraltar, nahe bei Algesiras, fallen.

Da es noch ziemlich früh am Tage war, so mußten wir längere Zeit auf Boote warten, die uns an's Land bringen sollten; doch hatten wir hier so viel Prachtvolles zu sehen, daß uns dieser Aufenthalt nicht lang däuchte. Auf der großen Bai schaukelte eine Menge Schiffe, kleine Küstenfahrer und Kauffahrteischiffe mit den Wimpeln aller Nationen, dazwischen aber lagen schwarz und finster große englische Kriegsdampfer, gewaltige Fahrzeuge, meistens mit zwei Schornsteinen, welche mit Soldaten, Pferden und Kriegsbedürfnissen aller Art nach dem Orient gingen, wo das blutige Kriegsspiel schon begonnen hatte. Zahlreiche Boote vermittelten die Verbindung der Schiffe mit dem Lande. Hinter dem Mastenwalde erhob sich die Stadt Gibraltar, amphitheatralisch an den Felsen hinangebaut, die Häuser sind meistens mit dunklen Farben angestrichen, scheinen auch schlecht gebaut, und bieten so, wenn man an das glänzende Cadiz denkt, einen düstern und traurigen Anblick. Hinter der Stadt erhebt sich nun in den bekannten, riesenhaften, so malerischen Verhältnissen, in einer einzigen Masse aufsteigend, der Felsen von Gibraltar, das alte Calpe; nach Osten zu stürzt er fast senkrecht in's Meer, ein zwölfhundert Fuß hohes Vorgebirge bildend; seine Abdachungen nach Süden und Westen sind sanfter, aber immer noch nach militärischen Begriffen unersteiglich; gegen Norden, wo die Felswände gleich riesenhaften Mauern aufsteigen, hängt er mit Spanien durch eine schmale Landzunge zusammen, ein neutraler Grund, der ganz flach und eben nur wenige Fuß über dem Meere erhaben liegt. Sehr leicht wäre es, diesen Isthmus vermittelst eines Kanals zu durchschneiden und so Gibraltar zu einer Insel zu machen, wodurch der wirklich unverschämte Schmuggelhandel hier erschwert würde und hauptsächlich die von Malaga kommenden Schiffe das Vorgebirge nicht zu umschiffen brauchten, was bei stürmischem Wetter häufig nicht ohne Gefahr geschehen kann.

Ein eigenthümliches Spiel der Natur ist es, daß der Felsen von Gibraltar von der Bai, mehr aber noch von der Landzunge aus gesehen, die Gestalt eines riesenhaften, ruhenden Löwen hat. Auf der äußersten Spitze seines Rückens steht der alte von Taric erbaute Saracenenthurm, daneben das weiße englische Wachthaus mit seinem Signalmaste, an dem große schwarze Kugeln verkünden, daß am fernen Horizonte im Osten oder Westen Schiffe erscheinen. Hoch oben aber flattert die Fahne Englands, weithin sichtbar, und so anzeigend, daß sie es ist, welche hier am Eingange des Mittelmeers drohend Wache hält. Gegen Norden nach dem Lande zu erhoben sich schon zur Zeit der Mauren vier befestigte Linien über einander; von den heutigen Festungswerken, den berühmten in Felsen gehauenen Batterien, entdeckt man von unten keine Spur; nur sieht man auf dem Kopfe des Löwen feste, trotzige Mauern; in seiner Brust, die er kühn dem Festland entgegenwendet, befinden sich jene furchtbaren Kanonenhöhlen, und wenn wir auch vielleicht dort oben zwischen wehenden Gebüschen undeutlich eine kleine schmale Felsspalte entdecken, so können wir unmöglich glauben, daß es eine jener Schießscharten sei, aus denen dem Angreifer Kugeln des schwersten Kalibers entgegenfliegen. Von den Festungswerken auf der westlichen, uns und dem spanischen Algesiras zugewendeten Seite, unten am Hafen, sehen wir zwei aus Granit schief in das Meer hineingebaute Hafendämme, die beiden Molo's, welche mit Geschützen des schwersten Kalibers besetzt sind.

Über den Namen Gibraltar, das alte Heraklia, gibt es verschiedene Lesarten; nach Einigen soll es Giebel-Thor heißen, Bergthurm, nach Andern Dschebel el Taric, Berg des Taric, weil der tapfere arabische Feldherr hier 714 mit seinen Mauren landete.

Es schien mir, als habe der Kapitän des Don Manuel in die Aufhebung der Quarantaine hier noch keinen rechten Glauben gesetzt; denn statt dicht bei Gibraltar hatte er sich so nahe an Algesiras gelegt, daß uns die dortigen Bootführer als ihre Beute beanspruchten, mit einer ziemlich großen Fähre vor unsern Dampfer kamen und uns abholten. An der spanischen Küste befand sich ein altes Pfahlwerk in die Bucht hineingebaut, wo Boot und Nachen bei ganz ruhiger See anzulegen schienen; heute aber, wo die Fahrzeuge immer etwas auf dem Wasser tanzten, steuerte unser Nachen nördlicher dem Ufer zu, um vielleicht fünfzig Schritte von demselben zu halten. Zugleich erschien denn auch eine Menge Lastträger, die bis an den Gürtel ins Wasser gingen, um unser Boot auszuladen. Sie nahmen Koffer und uns selbst auf ihre Schultern, und es war komisch anzusehen, wie wir rittlings den Strand erreichten. Nach einigen Paßschwierigkeiten, die wir mittelst ein paar Peseten in's Reine brachten, durften wir über das eben bezeichnete alte Pfahlwerk einen kleinen Dampfer besteigen, welcher die Verbindung zwischen Algesiras und Gibraltar vermittelt. Damit hatten wir eigentlich das schöne Spanien verlassen und wandten ihm lange schmerzliche Blicke zu, sandten noch viele Abschiedsgrüße hinüber, wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen. –

Ein gebrechlicheres und elenderes Fahrzeug, wie der Dampfer war, der uns hinüberführte, hatte ich lange nicht gesehen;

— — — ein kleines Ding,
Das leck schon war und Wasser fing,
Als wie ein alter Stiefel,

heißt es irgendwo von Charons Nachen, und gerade so war unser Fahrzeug, dabei von erschreckend englischem Ansehen; auf dem Verdeck die bekannten schweren Reiserequisiten, blonde Herren mit schottischem Plaid, und blonde Damen mit grünen Schleiern und wasserblauen Augen. Statt unseres prächtigen Piratenkapitäns vom Don Manuel stand hier ein fetter Kerl auf dem Radkasten in langer Ärmelweste, den Hut auf dem Hinterkopfe, mit dickem aufgedunsenem Gesichte und röthlichem Backenbarte. Ja, es war wirklich Charons Nachen, der uns hinweg vom glühenden wunderbaren Lichte der Sonne in die kalte nüchterne Unterwelt führte. – Lebe wohl, du schönes Spanien!

Bald legten wir am neuen Molo von Gibraltar an und hätten glauben können, während der kurzen Überfahrt von Algesiras viele, viele hundert Meilen nördlich gekommen zu sein. Hier waren englische Matrosen und englische Lastträger, englische Soldaten und englische Kaufleute; ein englischer Lohnbedienter pries uns das englische Clubbhaus an; englisch geschnittene Backenbärte befanden sich hier an englischen sonst glatt rasirten Köpfen, und über dem Thor, durch das wir gebückt fast kriechen mußten, da des Sonntags halber nur der untere Theil geöffnet wurde, wehte die englische Flagge.

Daß eine Stadt wie Gibraltar, im Mittelpunkt des spanisch-andalusischen Lebens gelegen, zwischen Cadiz, Sevilla, Cordova, Granada und Malaga, gegenüber dem poetischen Maurenlande durch ein Paar Tausend Engländer ein so trostlos nüchternes Ansehen gewinnen kann, ist völlig unerklärlich. Wenn man durch die lange Hauptstraße Gibraltars geht, nicht rechts blickend wo durch irgend eine Seitengasse ein Stück des Mastenwalds hervorsieht, aber nach links, wo der gewaltige Fels hereinragt, so hätte man glauben können, in der stillsten Krämerstadt mitten im Lande zu sein, die fern, abgeschlossen von der Welt daliegt, und wohin sich höchstens zweimal in der Woche ein alter, gebrechlicher Post-Omnibus verirrt. Und diese drückende Leere auf den Straßen! Nur hin und wieder wandelt ein einsamer Paletot oder ein paar rothröckige Soldaten. Gott sei Dank, daß wir an einem Kaffeehaus vorbeikamen, vor dem ein paar Mauren saßen, den langen weißen Burnus über den seidenen malerischen Gewändern, mit schönen gelben, arabisch ernsten Gesichtern. Dazu die Stille der Häuser, kein Gelächter, kein Geplauder an den halboffenen Fenstern, kein Guitarrenklang, kein lustiges Lied. Wo waren die lieben spanischen Augen geblieben, die frischen lachenden Lippen mit den schönen Zähnen! Hie und da sah man wohl eine Jungfrau am Fenster sitzen, aber aufrecht und steif, strenge und wohlerzogen die Blicke abwendend, wenn die vorüberwandelnden Fremdlinge allzukühn aufschauten, oder das Fenster schließend, wie es ja auch wohl im ähnlichen Falle bei uns daheim geschieht von der wohlgekämmten Tochter einer achtbaren Familie.

Im Hôtel Gibraltar, einem guten englisch eingerichteten Gasthofe, bekamen wir ordentliche Zimmer, und kleideten uns sogleich um, um einen Empfehlungsbrief abzugeben, den wir in Madrid erhalten, und zwar an den preußischen Consul, Herrn Schott, dessen liebenswürdige Persönlichkeit uns schon manche Reisende gerühmt hatten. Wir fanden auch alles Gute und Liebe, was man von diesem gastfreundlichen Hause gesagt, aufs Vollkommenste bestätigt, und wenn auch keine Vergeltung, so übe ich doch eine Gerechtigkeit, wenn ich sage, daß Herr Consul Schott in der That der Hort seiner deutschen Landsleute ist. Seit längeren Jahren in Gibraltar, verheirathet mit der liebenswürdigen Tochter eines reichen spanischen Hauses, findet man bei ihm und ebenso im Hause seiner Schwiegereltern, der Familie L., die vollste spanische Gastfreundschaft, wie sie, fern von Zwang und beengender Etikette, nur eben diese noble prächtige Nation zu bieten vermag. Mitten in dem nüchternen Gibraltar ist das Haus des Herrn L. wie eine Oase in der Wüste, ein Stück andalusisches Leben. Hier findet man auch wieder den kleinen reizenden Patio mit frischem Wasser und blühenden Blumen, und in den gastlich geöffneten Sälen einen Kreis blühender Töchter, die so freundlich waren, uns, die wir so schmerzlich an das für uns verlorene spanische Paradies dachten, durch vortrefflich vorgetragene andalusische Lieder das schöne Land wieder herbeizuzaubern.

Herr Schott war so freundlich, uns zur Alameda von Gibraltar zu geleiten, indem er uns lächelnd versicherte, die Schönheit derselben würde uns gewiß mit dem kalten Anblick der Stadt versöhnen, und darin hatte er vollkommen Recht. An den Festungsthoren, durch welche wir die Stadt auf der südlichen Seite erstiegen, sieht man noch deutlich den kaiserlichen Adler Karls des Fünften. In kurzer Zeit befanden wir uns außerhalb der eigentlichen Gräben und Wälle, an welche sich die Hafendämme mit ihren furchtbaren Batterien zu unserer Rechten anschließen, so eine drohende Kette Geschütze des schwersten Kalibers bis zur Ostspitze bildend. Zwischen diesem Hafendamme und der rechts aufsteigenden Felsenwand befindet sich nun die Fläche, welche der Paseo von Gibraltar einnimmt. Der eigentliche Garten ist klein, aber von wunderbarer Schönheit; ein sehr geschickter Gärtner hat das unten sanft gegen den Felsen ansteigende Terrain meisterhaft zu benutzen verstanden, überall verschlungene Wege angebracht, die jetzt durch Lorbeergebüsch, dann durch ungeheure Rosenlauben, deren eine sich seltsamerweise über die weißen Rippen eines Wallfisches wölbt, über zierliche Brücken hinweg von Terrasse zu Terrasse steigen, überall eine neue herrliche Aussicht gewährend. Der untere Theil ist muldenförmig und eine wahre Schale voll prachtvoller Pflanzen; Geranien, die wir bei uns ja nur in kleinen Exemplaren haben, bildeten hier mannshohe Gruppen und lange Hecken, bedeckt mit blendenden purpurrothen Blumen; wie wild aus dem Grase wachsend, treiben Gladiolus ihre großen schönen Blüthenkolben in die Höhe, einen glühenden Kranz um riesenhafte Aloen bildend, die mit dem Blaugrün ihrer Stachelblätter so angenehm zwischen der saftigen Farbe der Geranien und Lorbeeren hervorbrechen. Gegen die Ostspitze zu setzt sich die Alameda in einem breiten Fahrwege fort, und das Eigenthümliche der ganzen Anlage hier am Ufer des Meeres wird noch erhöht durch die unzähligen Batterien, welche man an allen Orten zwischen dem blendenden Grün hervorblicken sieht. Der Gärtner hat die Kriegswerkzeuge auf die lieblichste und zierlichste Art mit in den Bereich der Anlagen gezogen. Wir betreten einen sanft geschlängelten Pfad, der uns vielleicht zu einer Rosenlaube führen kann, und treten plötzlich auf eine Plateforme, mit blankgeputzten Achtundvierzigpfündern bedeckt. Dort durch's Gebüsch schimmert auf weißem Kiesgrunde etwas, das wir für Ruhesitze halten; wir kommen näher und finden eine Mörserbatterie, deren weite Mündungen uns drohend anschauen, vielleicht erschrecken könnten, wenn nicht Schlingpflanzen und Geranien, die am Fuße der Lafetten wachsen, zierliche Ranken hinaufsendeten und mit ihren rothen und blauen Blüthen das kalte Eisen zu liebkosen schienen, ja es durch ihren Anblick freundlich stimmten.

Die Alameda von Gibraltar ist ein völliger Geschützgarten, und mir kam häufig die Idee, als habe sie irgend ein alter General, ein eifriger Blumenliebhaber, so angelegt und die Batterien damit verwoben, weil er nun einmal ohne den Anblick derselben nicht leben kann. Auf einer kleinen Anhöhe im Garten steht das von Matrosen grotesk aus Holz geschnitzte lebensgroße Bildniß des Lord Wiot, des tapfern Vertheidigers von Gibraltar. Der Fahrweg durch den Pasto, dem starren Felsen abgerungen, zieht sich zwischen reizenden Landhäusern, meistens Wohnungen der englischen Offiziere, bald hie und da von grünen Gärten begränzt, bis zur östlichen äußersten Spitze des Felsens, wo man eine prachtvolle Aussicht genießt, links und rechts die gewaltige Meeresflut, vor sich die malerischen Berge der afrikanischen Küste in dunkel violetter Färbung.

Auf dem Rückwege stieg Herr Consul Schott mit uns ein paar hundert Schritte den Felsen hinan und brachte uns zu einem kleinen höchst eigenthümlichen Garten, ganz verdeckt in einer Felsspalte liegend, dessen Entstehung er uns erzählte. So wenig man hier in Gibraltar verhindert wird, zwischen den unteren Batterien spazieren zu gehen, so streng ist es verboten, irgendwo zu zeichnen oder etwas am Erdreich zu verändern. Nun meldete eines Tages eine Patrouille, die den Felsen umkreiste, sie habe dort oben auf der Höhe einen höchst sonderbaren Garten entdeckt. Ein Schuhmacher von Gibraltar nämlich hatte den verbotenen Platz da oben geebnet und nach seinem Geschmacke angelegt. Der Gouverneur mit einigen Offizieren sah sich bewogen, hinaufzuklettern und fand nun da eine Anlage der komischsten Art, wie wir sie heute noch sahen. Am Eingang stand das alte verstümmelte Holzbild eines Schiffsschnabels, irgend ein englischer Admiral, dem eine Thonpfeife im Munde steckte; daneben aus dem Gestein traten ein paar Pferdsköpfe hervor, weiter oben einzelne hölzerne Arme und Beine, die der Schuster Gott weiß wie aufgefunden; dann kam man auf eine kleine Terrasse, wo die Felswand auf der einen Seite mit allen möglichen Porzellan- und Glasscherben geschmückt war; unten in einer Höhlung lag ein ausgestopftes Reh und in verschiedenen natürlichen Nischen wahrhaft schreckliche Ungethüme, menschliche Statuen vorstellend, die der Eigenthümer selbst aus Kalk und Gyps gemacht; auch Eva war da, am Feigenbaume stehend, und neben ihr stellte ein alter Cactusstengel die Schlange vor. Die Terrasse führt in eine Höhle des Felsens, welche der Schuster »das Museum« nannte, und hier stand bei einander, was er seit langen Jahren in Trödelbuden gefunden, zerstückelte Gypsfiguren, z. B. der Oberkörper der Venus mit einem Matrosenhut auf dem Kopfe, Fetzen von Fahnen und Wimpeln aller möglichen Schiffe, und ausgestopfte Hunde und Katzen neben Flaschen, Gläsern, neben Gewehrkolben ohne Läufe oder rostigen Säbeln mit zerbrochenen Klingen. Ich glaube nicht, daß damals der Gouverneur von Gibraltar, Sir Gardiner, bei diesem Anblicke mehr gelacht als wir. Der Schuster erhielt denn auch die Erlaubniß, seinen Garten behalten zu dürfen, und zeigte ihn nun mit großem Selbstgefühl den besuchenden Fremden, nicht ohne von vielen Stücken höchst anmuthige Historien zu erzählen.

Als wir herabsteigend die Alameda wieder erreichten, dämmerte es bereits zwischen den Felsen. Von der Höhe des Felsens herab donnerte ein Kanonenschuß, zum Zeichen, daß das Thor auf der Nordseite gesperrt werde. Auch auf den Kriegsschiffen krachte es, die Flaggen begrüßend, die bei einbrechender Nacht vom Mast niedergelassen wurden. Dieser Augenblick war wunderbar schön auf der Alameda. Hinter der Meerenge im Westen war die Sonne strahlend niedergegangen, und während unten schon ein feiner Duft die Bäume und Sträuche umzog, glänzte oben auf der Spitze des Felsens noch die stolze Flagge Englands über dem Wachthaus und dem alten Saracenenthurm.

Während wir langsam dem Thore zuschritten, entzündeten sich hie und da an den Bergen Lichter in den Landhäusern, welche freundlich durch die dunkeln Gebüsche glitzerten. Auf einem der Kriegsschiffe brausten die Klänge eines Musikcorps durch den stillen Abend, und als wir die Straßen Gibraltars wieder betraten, begegneten wir einer Patrouille Bergschotten, die mit den schnarrenden Tönen des heimathlichen Dudelsackes ihren Zapfenstreich aufspielten.

Am andern Morgen erhielten wir durch die Freundlichkeit des Herrn Consuls Schott die Erlaubniß, die Felsengallerien mit ihren Batterien sehen zu dürfen, und zwar wurde es uns gestattet, hinaufzureiten, was in sofern seine Annehmlichkeiten hat, da der Weg, den man machen muß, sehr weit ist. Wir nahmen im Gasthof einen Lohnbedienten, der uns für Pferde sorgte, und ritten um neun Uhr von Hause weg. Der Weg führte an der rechten Abdachung des Felsens hinauf, anfänglich durch die Stadt, die terrassenförmig aufgebaut ist, zuweilen nur durch steile Steintreppen verbunden, und wo die oben hinführenden Straßen öfter auf gleicher Linie mit den Dächern der unten liegenden Häuser laufen. Außerhalb der Stadt zieht sich der schmale Reitpfad im Zickzack durch zerrissene Felspartien und führt noch längere Zeit an einzeln stehenden Häuschen vorbei, dann haben wir offene Batterien wie auf der Alameda, mit allerlei zierlichen Gesträuchen untermischt, Orangen, Citronen und Lorbeer, neben alten maurischen Thürmen und neueren Festungswerken. Und wie grandios entwickelt sich die Aussicht, während man immer höher und höher aufwärts steigt! Die Stadt zu unsern Füßen mit ihrem Mastenwalde scheint sich ängstlich zusammenzuducken, wobei die majestätischen Berge von Europa und Afrika immer riesenhafter aufsteigen, und die Bai von Gibraltar, drunten für uns so weit und groß, schrumpft zu einem kleinen See zusammen, während sich die sonnbeglänzten Weltmeere nach Osten und Westen in ihrer Unendlichkeit ausdehnen. Vierhundert Fuß über der Stadt erreichten wir die erste Gallerie, wo uns ein Sergeant der Artillerie erwartete, um durch sämmtliche Werke unser Führer zu sein. Ein schweres festes Thor öffnet sich vor uns und aus dem blendenden Sonnenlichte treten unsere Pferde in einen schattigen, vielleicht zwanzig Fuß hohen Felsengang, der sich endlos vor uns auszudehnen scheint und wo das Echo die Hufschläge dröhnend wiedergibt. Es ist ein eigenthümliches Gefühl, durch diese Batterien zu reiten, und man erstaunt über die Willenskraft der Menschen, welche durch den harten Fels diese Gänge gehöhlt. Vermittelst der Schießscharten fällt das Licht herein, und wenn diese auch weit und hoch sind, so braucht man doch nur in die schwindelnde Tiefe hinabzuschauen, um zu begreifen, daß man von drunten diese Öffnung nicht entdeckt, selbst nicht die Mündung der Vierundzwanzigpfünder, die hinausragen. Obgleich die Gänge weit und der Fels über den Batterien hoch ausgewölbt ist, so soll doch der Pulverdampf, namentlich bei Nord- und Ostwinden, hier leicht unerträglich werden und ein anhaltendes schnelles Schießen sehr erschweren.

Die zweite Gallerie, die man an der Bergwand auf schmalen Zickzackwegen hinaufreitend erreicht, liegt siebenhundert Fuß über dem Meere und ist die längste. In der Mitte derselben befindet sich die Batterie Sanct Georg, ein großer, in den Felsen ausgehauener, runder Salon, wenn ich nicht irre, mit Vierundsechzigpfündern besetzt, welche nach beiden Meeren hinausfeuern können; etwas tiefer liegt die Batterie Lord Granville's mit sechzigpfündigen Carronaden. Von dieser Gallerie zur dritten und höchsten, die sich tausend Fuß erhebt, geht es außerhalb des Felsens lange und ziemlich steil aufwärts, weßhalb sich der begleitende Sergeant auf die Croupe des Pferdes unseres Lohnbedienten schwang, um mit dem schnell gehenden Thiere gleichen Schritt halten zu können. Dieser Lohnbediente, der mich protegirte, hatte mir das beste Pferd gegeben, einen festen maurischen Schimmelhengst mit langem Schweif, prachtvoller Mähne und etwas heftigem Temperament. Dabei hatte er die Gewohnheit, jeden Augenblick den Kopf in die Höhe zu werfen, und zeigte schon in der untersten Gallerie, daß es ihm durchaus kein Vergnügen mache, durch die halbdunklen hallenden Gänge zu gehen, strebte auch, da er an der Spitze ritt, so hastig vorwärts, daß ich ihn nur mit Mühe halten konnte. Die oberste Gallerie hatten wir kaum zur Hälfte durchritten und waren an einen Punkt gekommen, wo der Gang ziemlich stark aufwärts stieg, als mein Hengst mit Einem Male seinen Kopf nachdrücklicher wie bisher in die Höhe warf und gleich darauf in den tollsten Sätzen mit mir durchging; umsonst nahm ich die Zügel fest an, ich fühlte wohl, daß die Stange in seinem Maul nicht mehr wirkte. Alles, was ich thun konnte, war, ihn in der Mitte des Ganges zu halten, um nicht an den vorspringenden Felsen der Wände gestreift zu werden. Bald hatte er übrigens das Ende des Ganges erreicht, wo eine Schildwache, die uns kommen hörte, den Thorflügel halb öffnete; dort raste das Pferd hinaus, nicht ohne mich an dem vorstehenden Riegel tüchtig zu streifen. Ein verschlossenes Lattenthor vor dem Eingange ließ ihn nicht weiter; und als ich draußen am hellen Tageslicht nachsah, hatte sich bei dem Aufwerfen des Kopfes die Kinnkette aus dem Haken gelöst und da war freilich an ein Halten des feurigen Pferdes nicht mehr zu denken.

Sämmtliche Gallerien haben hundertundzwanzig Geschütze und diese ganze Seite des Felsens mit den zahlreichen Außenbatterien über sechshundert, die meisten von schwerem Kaliber. Man sagt: Gibraltar ist unbezwinglich, und es mag wohl der Fall sein, so lange eine unbesiegte britische Flotte den Felsen schützend umgibt; würde aber Frankreich und Spanien die Oberhand zur See bekommen, – was letzteres anbelangt, so ist freilich wenig Aussicht vorhanden, – so gibt es auch wieder keine Festung, die leichter und nachdrücklicher zu blokiren wäre, als Gibraltar. Was die Kanonen gegen die Landenge Spaniens zu anbetrifft, so haben sie wohl mehr den Zweck, Angriffsbatterien auf den Isthmus zu zerstören, als einen schnell andringenden Feind zurückzutreiben.

Beim Austritt aus der obersten Gallerie ritten wir noch einen mühsamen Pfad bis auf die höchste Spitze des Felsens, zum englischen Signal- und Wachthause, wo sich das Nützliche mit dem Angenehmen vereinigt findet; denn hier oben ist eine kleine Restauration, welche die Frau eines englischen Sergeanten hält, wo man guten Porter, herrliches weißes Brod und besten Chesterkäse erhält. Eine solche Labung ist nirgendwo zu verachten; hier aber ein derartiges Frühstück Angesichts zweier Welttheile und zweier großer Meere wahrhaft köstlich und ewig unvergeßlich.

In der Restauration des Wachthauses kauft man zum Andenken an den Felsen von Gibraltar allerlei hübsche Sachen, welche gemacht sind aus den agatähnlichen Steinen der Michaelshöhle, die im südlichen Theile des Felsens liegt und zu welcher wir jetzt hinabritten. Vor einem hohen Felsenthor stiegen wir von den Pferden, unser Führer zündete Fackeln an und dann ging es ziemlich steil abwärts. Unten angekommen, sieht man die natürlichen Felsenmassen sich wie die Kuppeln eines ungeheuren Domes wölben; von schlanken Säulen unterstützt, die durch Tropfsteingebilde verziert, bald gothischen Pfeilern ähnlich sehen, bald seltsamen phantastischen Gestalten, bald riesenhaften Baumstämmen mit weitverzweigten Ästen. Prachtvoll ist von hier aus gesehen die bläuliche Färbung des Tageslichtes vor dem hier unten nicht sichtbaren Eingange; an den wild zerrissenen Felswänden beleuchtet es oben grell die vorspringenden Zacken und zeigt Schlagschatten von wahrhaft abenteuerlichen Formen. Im Hintergrund der Höhle bildet die Fortsetzung derselben ein steil abfallender Felsengang, dessen Ende und Tiefe noch nie ergründet worden ist. Schon häufig sind englische Offiziere hier auf Entdeckungsreisen ausgegangen, indem sie an Stricken hinabglitten, ohne ein Ende der Höhle zu finden; am weitesten soll der englische General O'Hara gekommen sein, der an der Stelle, wo er endlich ohne Erfolg umkehren mußte, einen kostbaren Degen hinterlegte für einen spätern Entdecker, der sich aber bis jetzt noch nicht gefunden. Der Sage nach soll dieser Gang unter dem Meere nach Afrika führen und dort mit einer Höhle auf dem Affenberge bei Ceuta in Verbindung sein. Hiedurch will man es auch erklären, daß zahlreiche Affenheerden, die man heute an der Ostseite des Felsens von Gibraltar häufig sieht, morgen spurlos verschwunden sind, um nach einigen Tagen ebenso plötzlich wieder zu erscheinen. Als wir später zur Stadt zurückkehrten, hielt unser Führer plötzlich sein Pferd an und zeigte nach einer buschigen Stelle des Felsens. Dort bewegte sich freilich an verschiedenen Stellen etwas und huschte unter dem Laube hin und her, ob es aber afrikanische Affen oder europäische Hasen waren, darf ich als wahrheitsliebender Reisender mich nicht unterstehen, zu entscheiden.

Gibraltar hat ein kleines Theater, welches aber meistens unbenutzt ist. Zufällig aber traf es sich in den Tagen unseres Dortseins, daß die englischen Offiziere der Garnison zu irgend einem wohlthätigen Zweck eine Vorstellung veranstalteten. Sie gaben ein Schauspiel: Richelieu, ich glaube eine englische Übersetzung aus dem Französischen. Wir erhielten Eintrittskarten, von denen wir begreiflicherweise Gebrauch machten. Das Schauspielhaus ist klein, aber freundlich, und war mit einer gewählten Gesellschaft besetzt. Zwischen blonden englischen Damen in großer Toilette sahen wir wieder einmal auch schöne schwarzäugige Spanierinnen, und neben den unmalerischen europäischen Fräcken malerische Trachten aus der Berberei, Mauren im weißen Burnus, die das seltene Schauspiel und die unverständliche, für sie so harte Sprache ernsthaft anstaunten. Sehr reich waren die Costüme der Acteurs; an ächten Frauen agirten nur zwei wirkliche Schauspielerinnen, ein paar blutjunge hübsche Offiziere stellten die übrigen Damenrollen dar. Gespielt wurde im Allgemeinen ziemlich gut; auch waren Künstler und Publikum außerordentlich heiter; für mich ist aber die Erinnerung an jenen Abend eine schmerzliche, denn wie wenige jener frischen lebenslustigen jungen Leute mag auf den blutgetränkten Schlachtfeldern der Krimm der unerbittliche Tod verschont haben!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien