Fortsetzung 1 - Ein Ritt nach Andalusien.

Nachdem wir am andern Tage die Chokolade gefrühstückt und bereits zu Pferde saßen, erschien unser würdiger Wirth und Alcalde, um uns einen tüchtigen Schnaps aufzunöthigen, der, wie er sagte, gegen die Morgennebel vortrefflich sei. Und er hatte recht, uns auf diese Art innerlich zu durchwärmen, denn über die weite Ebene vor uns strich eine so kalte Morgenluft, daß wir uns fest in unsere Mantas wickeln mußten. Anfänglich wird es dem Fremden schwer, diese Manta, ein einfaches längliches Stück Zeug, ohne Ärmel und Knopf, beim Tragen fest um sich zu behalten, hat man sich aber einmal einige kleine Kunstgriffe zu eigen gemacht, so bleibt man warm und behaglich darin, wie das Kind in seinen Wickeln. Man nimmt die Manta um die Schulter, wie eine Dame ihren Shawl, doch so, daß die rechte Seite länger herabhängt, welche man, wie das Ende eines Radmantels, fest über die linke Schulter wirft, so Hals und Brust gleichzeitig bedeckend.

In kurzer Zeit waren wir vollends zur Ebene niedergestiegen, und wenn auch der Weg hier recht flach und weich war, – wir ritten meistens durch schwarzen Moorboden, – so hatte er dagegen die große Unbequemlichkeit, daß ihn ein Bach zu seinem Bette auserkoren hatte, in dessen Wasser unsere Pferde oftmals lange Strecken bis an die Knie wateten; und wenn wir dem entgehen wollten und rechts oder links auf die Felder ritten, so waren diese so feucht und schlammig, daß die Thiere hier nur mit großer Mühe fortkommen konnten. Angenehm war es, daß die Sonne heute ebenso prächtig aufging, wie sie gestern Abend niedergesunken war und ein Meer von lichtem Glanz, welches sie rings umher ausgoß, ließ uns den fatalen Weg vergessen. Auch der heutige Morgen erinnerte uns wieder recht lebhaft an das heimathliche Frühjahr; die Wiesen waren mit Thau bedeckt und mit jenen weißen Fäden, die aus der Entfernung wie silberne Schleier glänzen; Alles glühte und strahlte im frischen Licht der Morgensonne, so die feuchten Gräser, das Wasser zu unseren Füßen und die farbigen Streifen des Sandbodens, der bald hier, bald da, rechts und links in der Ferne, sichtbar wurde. Neben uns weideten zahlreiche Heerden, und wo wir dicht an ihnen hinritten, hoben sie die nassen Mäuler hoch empor, blickten uns mit ihren treuherzigen Augen an und brummten leise, vielleicht zum Willkomm und Abschied. Rückwärts blickend sahen wir unser Nachtquartier Fuente el Fresno am Fuß des Berges geschmiegt. Seit vorgestern hatte sich nun das Terrain, durch welches unser Weg lief, zum drittenmal verändert; bei Toledo eine steinige Hochebene, hinter Yvenes, eine Terrasse tiefer, Waldboden, Wiese, und hier bei Fuente el Fresno, abermals ein paar hundert Schuh tiefer, eine fruchtbare Ebene, streckenweise sogar wohl angebaut, gut bewässert, mit zahlreichen Viehheerden. Es ist eigenthümlich, wie von Madrid aus oder von Toledo das Land gegen Osten und Süden beständig staffelförmig abfällt. So befanden wir uns hier auf dem Plateau, welches vom Fuß der Montes de Toledo bis nach der Sierra Morena reicht, welche auf dieser Seite nur einige hundert Fuß hoch emporsteigt, um nach Andalusien hin als eine neue Terrasse von eben so viel tausend Fuß bis in die Ebene von Baylen und Jaen niederzureichen. Durch die geringe Höhe der Sierra Morena gegen Norden kommt es denn auch, daß sie von niederen, unbedeutenderen Bergketten so lange verdeckt wird. So sahen wir dieses Gebirge heute Morgen, in der Ebene reitend, wieder nicht mehr, dagegen war ein anderer Gebirgszug am Horizonte aufgetaucht, ein Seitenläufer der Sierra de Alcaras, welcher östlich allerdings mit der Sierra Morena zusammenzuhängen scheint. Auch die bläuliche Wand dieser Bergkette hatte so die eigenthümlichen und malerischen Zackenformen, welche man so häufig bei den spanischen Bergen antrifft, und woher auch wohl der Name Sierra – Säge für Gebirge im Allgemeinen kommen mag, sowie auch der öfters wiederkehrende Ausdruck für Pässe und Schluchten dientes, Zähne, wie die dientes de la vieja zwischen Sevilla und Antequera und Granada und Guadiz. Wenn man hier in Spanien von einer Ebene spricht, so muß man sich keine Flächen darunter vorstellen, sondern das Terrain ist wellenförmig, indem sich ein kleiner Hügel an den andern reiht, woher es denn auch kommt, daß der Weg jetzt auf- und abwärts, jetzt rechts und links läuft.


Die Vegetation hatte sich schon bedeutend verändert, Haide, Ginster und niedere Buxbaumsträucher waren gänzlich verschwunden, und dafür sahen wir häufig Gruppen von ziemlich großen Steineichen und in der Nähe der Flußbette Eschen, Erlen und Pappeln, auch bemerkten wir in geschützten Lagen wieder bessere Olivenbäume; überhaupt schien die Gegend hier sorgfältig angebaut zu sein. Ein paar Stunden nach unserem Austritt erreichten wir die weitläufigen Gebäude eines ehemaligen Klosters, welche jetzt zu landwirtschaftlichen Zwecken benützt wurden und auch eine Posada enthielten. Wie die Lage der meisten Klöster, die ich noch gesehen, war auch diese sorgfältig gewählt und hatte man dazu einen höheren Hügel ausgesucht, der die Umgegend beherrschte und dessen Fuß von einem ziemlich ausgedehnten Teiche bespült wurde; rings umher lagen Fruchtfelder und schöne grüne Wiesen.

Felipe schien nicht Lust zu haben, sich bei der Posada aufzuhalten, »denn,« sagte er, »heute hätten wir an guten Wirthshäusern und Dörfern die Auswahl.« Doch betrog ihn auch heute wieder ein tückischer Zufall; wohl passirten wir ein paar hübsche, reinliche Dörfer, wo Felipe nicht anhalten wollte, weil sein Sinn auf ein zweites Kloster gerichtet war, das wir um Mittag erreichen sollten. Endlich sahen wir auch die Kirche desselben und daneben stattliche Gebäude, die etwas versprachen; als wir aber an das große Thor kamen, öffnete sich erst nach langem Pochen ein kleines Thürchen in demselben, und eine alte Frau, die an der Spalte erschien, gab uns den untröstlichen Bescheid, die Venta sei vor einiger Zeit geschlossen worden und sie dürfe niemand in die Gebäude lassen. Glücklicherweise hatten wir, wie auch gestern, einigen Mundvorrath mitgenommen, weßhalb es uns auch gar nicht eingefallen wäre, ein Obdach aufzusuchen, wenn sich nicht gegen zehn Uhr ein so scharfer und kalter Wind erhoben hätte, daß wir uns trotz Spanien und allen Frühlingsbotschaften, nach einem flackernden Feuer sehnten. Felipe ließ übrigens kein Wort der Klage hören, er zuckte leicht mit den Achseln, und wir hatten bald in einem Winkel der hohen Mauer, welche den Klostergarten umgab, ein windstilles Plätzchen gefunden.

Nach glücklich beendetem Frühstück, an welchem auch unsere Thiere theilgenommen, zäumten wir diese wieder auf, zogen die Sattelgurte fester und ritten von dannen. Bald nachher kamen wir durch das seichte Flußbett des Guadiana, der, wie die meisten kleineren Flüsse Spaniens, um diese Zeit sehr wenig Wasser enthielt, doch sahen wir an breiten Sandstreifen auf seinen beiden Ufern, die mit Steingeröll bedeckt waren, daß der Fluß auch zeitweise anders aussehen müsse. Und dieß ist auch der Fall, namentlich im Frühjahr nach heftigen Regengüssen, wo er oft in vierundzwanzig Stunden anschwillt und reißend durch die Ebene schäumt. Für solche Fälle findet man denn wohl an den Hauptstraßen lange steinerne Brücken aus alter Zeit, von denen aber die meisten untauglich sind, da die wilden Wasser einstens Pfeiler und Bögen weggerissen, an deren Wiederherstellung hier natürlich kein Mensch denkt. Diese Nachlässigkeit ist unbegreiflich, namentlich da es an dem herrlichsten Baumaterial nicht fehlt. Die gleiche Sorglosigkeit herrscht ja aber auch bei den Straßen selbst. Wie oft ritten wir stundenlang durch tiefe Kothpfützen, selbst auf Hauptstraßen, an Stellen, wo sich sogar an einer Seite eine felsige Wand hinzog, von der man nur Steine abzustoßen brauchte, die dann ohne weitere Mühe hinabgerollt wären und so die Straße verbessert hätten.

Was den Weg anbelangt, auf dem wir nun schon seit drei Tagen ritten, und der doch von einer wichtigen Stadt, wie Toledo, ausging, so befand er sich in einem Naturzustande, und die Ingenieure, welche ihn angelegt, waren im wahren Sinne des Wortes Esel gewesen. Wo der erste Trupp dieser nützlichen Thiere hinzog, da folgten die anderen so lange, bis vielleicht später ein feiner Kopf unter ihnen einen besseren Pfad über die benachbarten Äcker auffand, worauf denn die alte Straße für fernere Zeiten verlassen blieb.

Als wir uns zum Ritt von Toledo anschickten, hatte man uns auch wohl schüchtern von Ladrones gesprochen, uns aber mit noch größerer Besorgniß die Frage gestellt: was wollen Sie anfangen, wenn unterwegs ein tüchtiges Regenwetter eintritt? Und unser Gastwirth hatte gemeint, im Sommer sei er auch schon einmal nach Fuente el Fresno geritten, aber im Winter – davor wolle ihn Gott bewahren. Und der Mann hatte recht. Was bei anhaltend schlechtem Wetter in diesen Gegenden und auf diesen Wegen mit uns geworden wäre, weiß ich selbst nicht. Doch hatten wir ja mit vielem Glück schon drei Viertel des Weges hinter uns, auch war der Himmel klar und blau, der allerdings heftige Wind trocknete Felder und Straßen augenscheinlich ab, und wenn ich meinem Reisegefährten scherzweise die Frage stellte: »würdest du selbst bei Regenwetter Toledo zu Pferd verlassen haben, oder in den Eilwagen gestiegen sein?« so antwortete er mir lachend: »Nein, das Letztere gewiß nicht, es ist doch ein ganz anderes Leben, so sein eigener Herr zu sein und hoch vom Sattel herab in die Welt schauen zu können.« – Und so war es auch. Ich hasse nichts so sehr, als das dumpfe Hinbrüten, in welches wir bei einer längeren Fahrt, selbst in bester Gesellschaft, am Ende verfallen. Und so tausenderlei Schönes geht dabei für uns verloren, wird uns von dem engen Rahmen des Wagenfensters neidisch abgesperrt, so viele Bilder und Eindrücke aller Art, die wir, frei um uns schauend, so gerne in die Seele strömen lassen – schöne Bilder, prächtige Gedanken, die uns erfreuen, wenn wir auch nicht im Stande sind, den hundertsten Theil davon wieder zu geben. Wie angenehm ist es auch, um leiblicher Genüsse zu gedenken, mit der Befriedigung eines schönen Durstes nicht von der Stunde des Mayorals abhängig zu sein, der wieder auf den schlechten Weg und elende Maulthiere angewiesen ist.

So kommen wir jetzt an ein freundliches Dorf mit breiten und zugleich gepflasterten Straßen, an dessen Eingang sich Felipe lächelnd umschaut und, indem er die ausgespreizten Finger der rechten Hand an den aufwärts gekehrten Mund hält, pantomimisch die gläserne Gießkanne bezeichnet, von der ich früher sprach. Der vortreffliche Führer weiß eine noch vortrefflichere kleine Kneipe mit dem allervortrefflichsten Landwein, der sehr gut schmeckt und nur wenige Kupfermünzen kostet. Wir restauriren uns, und dann geht es wieder lustig vorwärts, bei Wiesen und Feldern vorbei, durch die Furth eines Baches, aufwärts über eine Haide, die schon dichter mit starken Olivenbäumen besetzt ist. Wir kommen bereits dem Süden näher, sind wieder in der Mancha und haben links die Stadt Ciudad real, die wir aber nicht sehen.

Für mich war es höchst interessant, als wir nun an großen Olivenpflanzungen vorbeikamen, wo gerade die Ernte gehalten wurde. Ich bemerkte, daß dieß hier auf die gleiche Weise vor sich ging, wie ich es häufig in Italien gesehen. Auch hier lagen um den Stamm herum große Tücher von grauer Leinwand, und Männer waren beschäftigt, mit langen Stangen die Früchte abzuschlagen, während kleine Bursche und Mädchen überall an den Zweigen hingen und die schönsten Oliven in Körbchen pflückten. Als es später wurde und wir in die Nähe des Städtchens Almagro, des Zieles unseres heutigen Marsches, kamen, geriethen wir in zahlreiche Haufen dieser nun nach Hause zurückkehrenden Arbeiter. Viele saßen auf Pferden und Eseln und erinnerten mich in ihrem Costüm an die Bauern und Beduinen bei Beirut und Jaffa. An den nackten Füßen hatten sie Sandalen, darüber eine kurze Hose von Leinwand, eine Blouse von gleichem Stoff, und über Alles das fiel ein breiter, langer Mantel herab, oftmals weiß und braun gestreift und von gleichem Schnitt, wie ihn die Söhne der Wüste tragen. Auch das flatternde Kopftuch fehlte nicht, hier ein lose umgewundenes Taschentuch, gelb und roth, und um die Täuschung vollständig zu machen, trugen die meisten Männer auf der Schulter die langen Stangen, welche sie zum Olivenabschlagen benutzt, in derselben Haltung, wie der Beduine die Lanze. Weiber und Kinder waren nicht weniger malerisch bekleidet, und die ersteren trugen häufig einen Anzug, der in der That unbeschreiblich ist; über ein kurzes Röckchen hing die lange, farbige Manta herab, deren Ende über den Kopf geschlungen war, was den Figuren etwas Unbestimmtes, aber höchst Malerisches gab. Die meisten der Weiber und Mädchen trugen Krüge auf den Schultern, ähnlich den alten Amphoren. Obgleich sie wahrscheinlich den ganzen Tag nach spanischen Begriffen stark gearbeitet hatten, waren doch Alle lustig und guter Dinge, ein alter Mann auf einem grauen Esel riß unbarmherzig in die Saiten seiner Guitarre, dazu knackten ein paar junge Bursche mit den Castagnetten und sangen eins der andalusischen Lieder, so seltsam klingend für ein fremdes Ohr, von denen man anfänglich glaubt, sie haben alle die nämliche Melodie, was wohl daher kommt, daß die Wendungen am Schlusse in der That fast immer die gleichen sind, und welche Vaterland und Abstammung ebensowenig zu verläugnen vermögen, als ein großer Theil des südspanischen Volks selbst. Wie oft glaubte ich zu träumen, sowie ich die Klänge jener Lieder, namentlich aus weiblichem Munde, vernahm, und wenn ich die Augen schloß, fühlte ich mich lebhaft zurückversetzt nach Damaskus, wo an schönen Abenden, wenn wir auf der Terrasse unseres Hauses wandelten, die Stimmen unsichtbarer Sänger sich in gleichen melancholischen Tönen ebenso tremulirend wie hier vernehmen ließen.

Aber wir sind ja in Spanien, wo der Ernst eines solchen Liedes gleich wieder gemildert wird durch die neckischen Seguidillas, Zigeunerliedchen, die nur dem Volke hier eigen sind und allenfalls mit den österreichischen Schnaderhüpferln in Rhythmus und Melodie verglichen werden können. An Beweglichkeit und Scherz übertreffen die Nachkömmlinge ihre Vorfahren in vieler Hinsicht, und wenn der Orientale selten aus seinem Gleichmuthe herauskommt, so ist die geringste Kleinigkeit im Stande, den südlichen Spanier zu erfreuen. So trieben sich heute Abend bei unserer Begegnung an der Spitze des Zuges der Landleute ein Eselfohlen und ein kleiner schwarzer Bock mit einander herum, welche bald das Ziel der allgemeinen Aufmerksamkeit wurden und Guitarre, Castagnetten und Gesang verstummen ließen. Es gab aber auch nicht leicht etwas Possierlicheres, als wenn der kleine Esel mit seinem gravitätischen Wesen, den schweren Kopf bedächtig auf- und abnickend, dahinschritt und ihn nun der Bock in den ausgelassensten Sprüngen so lange angriff, bis sein geduldiger Gegner begann, den Kopf zwischen die Vorderfüße zu stecken, hinten auszuschlagen und endlich in den unbehülflichsten Courbetten davonsprang. Ja, wenn er auf diese Art in Bewegung gesetzt war, so konnte er gar nicht mehr zur Ruhe kommen und tanzte unter dem schallenden Gelächter aller Zuschauer auf dem benachbarten Acker ganz allein umher, wobei er aber beständig ausschlug und von sich stieß, als müsse er sich eine ganze Menge unsichtbarer Gegner vom Leibe halten; hierauf verfiel er dann wieder in seinen kleinen Hundetrab, und das wartete der boshafte Bock ruhig ab, um dann seine Beleidigungen sogleich wieder aufs neue zu beginnen. Die ganze Schaar, Alt und Jung, interessirte sich für dieses Kampfspiel und feuerte unter immerwährendem Lachen bald den Esel, bald den Bock an; dieß trieben sie so fort, bis wir nach einer kleinen halben Stunde Almagro dicht vor uns liegen sahen. Von außen gewährte dieser Ort ein ungleich stattlicheres Aussehen als unser früheres Nachtquartier und präsentirte sich als eine hübsche Stadt mit einer bedeutende Kirche und emporragenden Gebäuden verschiedener Art. Wir wünschten unsern Begleitern einen guten Abend, der freundlich erwidert wurde, und trabten schneller vorwärts, um unser heutiges Reiseziel zu erreichen, wurden aber dicht vor dem Eingang in die Straße noch einige Augenblicke durch einen Leichenzug aufgehalten, der uns entgegen kam und von einer Musik begleitet war, wie ich nie etwas Ähnliches gehört. Dem Zuge voraus schritt nämlich ein Mann mit einem Bombardon, dem sechs Sänger folgten, welche in ziemlich kunstloser Weise einen Psalm vortrugen, zu welchem besagtes Bombardon in den tiefsten und rauhesten Tönen den Grundton angab. Etwas Roheres und Ohrenzerreißenderes erinnere ich mich nicht gehört zu haben; ja es machte trotz der ernsten Handlung einen wahrhaft komischen Eindruck, auch konnte man in Versuchung kommen, sich ein paar Jahrtausende zurückversetzt zu glauben, wo allenfalls die Druiden einen ihrer Mitbürger auf ähnliche Art zur letzten Ruhestätte geleitet haben würden. Dabei blies der Musikant mit aller Kraft seiner Lunge, und als wir schon zwischen den Häusern von Almagro ritten, hörten wir noch einzelne der tiefen und brummenden Töne des Bombardons.

Almagro ist ziemlich bedeutend, hat 8000 Einwohner, zwei Pfarrkirchen, einige Klöster, und hier war früher die Residenz der Großmeisterin der Damen des Ritterordens von Calatráva; die Straßen des Städtchens sind breit, gepflastert, aber sie lagen einsam, ohne alles Leben; mitunter sahen wir große stattliche Häuser von zwei bis drei Stockwerken, ganz von Stein, die Fenster mit kleinen eisernen Balkons versehen, mit mächtigen Einfahrten, über denen sich in Stein gehauene Wappen befanden. Zu den auffallenden Zügen, die dem Reisenden in Castilien entgegentreten, gehört das häufige Vorkommen solch großer, durch ihre Bauart nicht selten den besten Zeiten der spanischen Architektur angehörender, aber unbewohnter, verödeter und unheimlicher Gebäude, welche besonders dazu beitragen, vielen jener Städte ihren ernsten, düstern, aber eben deßhalb imposanten, geheimnißvollen, die Phantasie vielfach beschäftigenden Charakter zu geben. Es sind dieß Wohnungen, zum Theil Stammhäuser und Majoratssitze adeliger Geschlechter, deren Besitzer aber schon seit Jahrhunderten zum größten Schaden des Landes in den Kreisen der Hauptstadt und den Intriguen des Hofes sogar auch das Andenken an die würdige, wohlthätige Stellung verloren haben, die sie inmitten ihrer Besitzungen behaupten könnten; kaum daß der Tod des Vaters den Sohn auf wenige Tage und vielleicht zum ersten- und letztenmal in die Wohnung seiner Vorfahren führt, um die Huldigungen seiner Vasallen, die Ehrfurchtsbezeugungen der großen Anzahl auf mancherlei Weise von einem alten, reichen Geschlechte abhängiger Menschen anzunehmen, deren Wohl und Weh nachher gewissenlosen Geschäftsführern und Advokaten überlassen bleibt. – Auch an freundlichen Häusern und zierlichen Gärtchen ritten wir vorbei, die wohlgepflegt erschienen und mit eisernen Gittern abgesperrt waren. Endlich kamen wir auf den Hauptmarkt der Stadt, einen großen viereckigen Platz, rings mit Häusern umgeben, deren unterer Stock aus Arkaden bestand, in welchen sich kleine Läden und Boutiken befanden. Daß wir uns dem Süden wieder näherten, sahen wir an großen Haufen Orangen und Granatäpfeln, die hier aufgeschichtet waren.

Statt der gestrigen und vorgestrigen Posada führte unser heutiger Gasthof den Namen Fonda und bestand aus ein paar großen, um einen Hof gelegenen Gebäuden, welche oben eine offene Gallerie hatten, von welcher aus man in die verschiedenen Zimmer gelangte. Anfänglich glaubten wir, hier endlich einmal ein behagliches Unterkommen zu finden; als uns aber ein zerlumpter Kerl, halb Hausknecht, halb Mozo, die besten Gemächer des Hauses zeigte und sich sonst keine Seele in diesem »Hôtel« um uns bekümmerte, vermißten wir schmerzlich unsere Posaden der vorigen Tage mit ihrer gemeinschaftlichen Küche und ihrem ganzen patriarchalischen Wesen, besonders den herzlichen Empfang sämmtlicher Hausbewohner bis zu den Hunden hinab, die uns ebenfalls mit freundlichem Schweifwedeln bewillkommt hatten, während hier vor der Thüre eine knurrende Bestie lag, die der Mozo erst mit einem Fußtritt entfernen mußte.

Man wies uns zwei Gemächer an, eine Art Vorzimmer mit einem Fenster nach dem Hofe und ein Schlafzimmer ohne weitere Öffnung als die Thüre, zu welcher wir hereintraten. Hier befanden sich zwei große hölzerne Schragen mit einigem Bettwerk, im Vorzimmer aber ein wackeliger Tisch und zwei defekte Stühle. Der Kellner ließ uns allein, und gleich darauf erschien eine Magd, welche uns einen Brassero mit fast ausgebrannten Kohlen brachte, und sich zu gleicher Zeit erkundigte, wann wir zu Nacht zu speisen wünschten. In ganz Spanien hatten wir unter dem jüngeren weiblichen Geschlecht keine schmutzigere Erscheinung gesehen, als diese Donna; ihr einstens bunter Anzug hatte eine graue Aschfarbe angenommen, die sich auch ihrem vollen Gesichte mitgetheilt hatte, aus welchem übrigens frische Lippen, weiße Zähne und ein paar schöne, große Augen hervorglänzten. Es war uns nicht sehr angenehm, die Zubereitung unseres Nachtessens in den Händen dieses Mistkäfers zu wissen, und um dieselbe so weit als möglich zu überwachen, beschlossen wir, später in die Küche zu gehen; vorher aber machten wir einen Spaziergang auf den Markt, wo wir für geringes Geld eine Anzahl der schönsten Orangen einkauften.

Was wir später in der Küche von der Anfertigung unseres Essens sahen, trug nicht gerade dazu bei, unsern Appetit zu vermehren. Man bereitete für uns Hammelfleisch mit Reis, und obgleich die Padrona des Hauses, welche in der Ecke saß, die Kocherei höchstselbst zu überwachen schien und zuweilen mit dem Löffel in der Brühe herumfuhr, auch dieselbe kostete, so war es doch der Mistkäfer, der mit eigenen schmutzigen Händen die Ingredienzien hinzuthat, als: Zwiebel, Salz oder Pfeffer. Daß sie dabei mit eben diesen Händen abwechselnd in ihr schwarzes, struppiges Haar fuhr, war noch nicht das Schlimmste, und nach später glücklich vollbrachtem Nachtessen versicherte mich Horschelt, er habe gesehen, wie der Mistkäfer vor der Thüre einiges Holz klein gemacht und sich dabei eines Vortheils bedient habe, den man auch bei unsern Holzspältern sieht, um den glatten Stiel des Beils fester halten zu können. Doch in ähnlichen Fällen »schließt man die Augen zu und greift es herzhaft an.« Daß wir es mit unserem Nachtessen nach zwölfstündigem Ritte ebenso machten, wird uns keine hungrige Seele verübeln; dabei war aber Hammelfleisch und Reis ziemlich schlecht, der Wein mittelmäßig, und sogar unser letzter Trost, die Chokolade, eine Brühe fast so dünn, wie man sie im lieben Deutschland zu trinken pflegt. Überhaupt hatten wir mit Schrecken bemerkt, daß je mehr wir uns dem Süden Spaniens näherten, die Chokolade an Güte abnahm; es war nicht mehr die prächtige dicke Masse von Valencia und den Posaden aus der Mancha, deren fingerdicken Rahm man mit dem Löffel abschöpfte und dieser dann doch noch in dem übrigen fast aufrecht stehen blieb. So ändert sich alles in dieser Welt, aber was half unser Klagen? wir machten dadurch die Köchin nicht reinlicher und die Chokolade nicht dicker. Interessant war uns ein großer, sehr alter, messingner, dreiarmiger Leuchter, welcher unserem Souper leuchtete; dieser hatte nämlich oben auf der Spitze den kaiserlich österreichischen Doppeladler, wohl kunstlos gearbeitet, aber nicht zu verkennen. Obgleich man denselben in Spanien an fast allen Gebäuden aus der Regierungszeit Karl's V. häufig findet, so überraschte es uns doch eigenthümlich, ihn an einem Hausgeräth zu finden, doch fanden wir es angenehm, das bekannte, liebe Wappenzeichen hier vor uns zu sehen.

Die ganze Fonda mit ihren ziemlich großen Gebäuden hatte dabei etwas so Ödes und Unheimliches, daß wir zum erstenmal unsere Thüre zu verriegeln suchten und vor Schlafengehen die Gewehre neben uns lehnten und die Messer unter dem Kopfkissen verbargen. Morgen also sollten wir Val de Penas erreichen und dort unsere Freunde wiederfinden; ich sage Freunde, denn neben unserem Reisegefährten, Baumeister Leins, hatten uns bekanntlich noch ein paar liebe deutsche Bekannte aus Madrid, Herr Steinfeld und Herr Weiß, am Fuß der Sierra Morena Rendezvous gegeben, um mit uns durch den herrlichen Gebirgspaß zu ziehen.

Schon öfters während der langen Ritte der letzten Tage hatten wir uns dieses Zusammentreffen aufs Lebhafteste und Freundlichste ausgemalt, und beschlossen, wo möglich den Freunden zuvorzukommen und sie mit einem Glase des vortrefflichen Weines, der dort wächst, des besten spanischen Landweines – in der schönsten Val de Penas-Laune zu empfangen. Da wir aber von Almagro dorthin noch eine Strecke von circa acht Leguas hatten, beschlossen wir, noch vor der Morgendämmerung aufzubrechen, was auch dem edlen Felipe recht angenehm zu sein schien, denn da er uns in Val de Penas verlassen sollte, so hoffte er, an demselben Tage mit seinen Thieren noch eine gute Strecke des Heimwegs zurücklegen zu können.

Es war noch finstere Nacht, als er uns weckte, kaum drei Uhr, und sogar in unserem Schlafzimmer recht empfindlich kalt. Wir kleideten uns hastig an, und erhielten unsere Chokolade durch den Mistkäfer, den Felipe ebenfalls zu so guter Stunde von seinem Strohsacke aufgejagt. Daß diese edle Spanierin in ihrem vollständigen Anzug zu Bett gegangen sein mußte, sahen wir deutlich an ihren Kleidern, welche sich genau in demselben Zustande befanden, wie Abends vorher. Unsere Rechnung war größer als an den vorhergehenden Tagen, und so verließen wir denn noch ziemlich schlaftrunken und mißmuthig die Fonda und klepperten durch die öden Gassen Almagro's.

Der Himmel war klar und sternenhell und die Kälte so groß, daß der Boden hart gefroren war. Wenn ich bei diesen unseren Touren zu Pferde saß, so war es mein erstes Geschäft, sämmtliches Gepäck, Waffen und alle Gegenstände zu untersuchen, die ich bei mir trug, ob ich nichts zurückgelassen. Dieß hatte ich heute Morgen vergessen, mich fest in meine Manta gewickelt, und trabte, die brennende Cigarre im Munde, verdrossen und schweigend über das dämmerige Feld dahin; Horschelt machte es ebenso, und Felipe, den die Bepackung seines Maulthiers aufgehalten hatte, kam hinter uns drein. Auf einmal rief er uns zu, wir möchten einen Augenblick halten. Ich wandte mein Pferd um und sah sogleich, daß uns vom Stadtthore her Jemand eiligst nachlief und zuweilen rief. Wir ritten zurück, der ankommenden Person entgegen, und sahen, daß es der arme Mistkäfer war, der mir meine Geldtasche brachte, die ich im Zimmer liegen gelassen hatte. Ich habe diese Thatsache als einen Beweis der großen Ehrlichkeit, die überhaupt unter dem spanischen Volke zu finden ist, unmöglich verschweigen können. Die Versuchung war gewiß groß für das arme Mädchen, denn wenn ich auch keine Reichthümer bei mir trug, so führte ich doch in unserer gemeinschaftlichen Reisekasse mehr Gold, als die ehrliche Finderin in ihrem ganzen Leben zu verdienen hoffen durfte. Daß wir sie großmüthig belohnten, verstand sich von selbst; erhielt ich doch meine Geldtasche wieder und zu gleicher Zeit eine ziemliche Strafpredigt meines langen Malers, der sich recht lebhaft die Folgen eines solchen Verlustes ausmalte. Dieser Vorfall hatte übrigens das Gute, daß er unsere üble Laune brach und wir von da angenehm plaudernd vorwärts gingen, – gingen im wahren Sinne des Wortes, denn die Kälte des Morgens war so empfindlich, daß wir nur gehend im Stande waren, unsere erstarrten Füße etwas zu erwärmen.

Almagro liegt in der früher erwähnten Ebene, doch eine halbe Stunde von dem Orte entfernt fängt das Terrain schon an zu jener Bergkette aufzusteigen, die mit der Sierra de Alcaraz zusammen hängt, und die wir während des gestrigen Rittes in ihren eigenthümlich gezackten Formen beständig vor Augen hatten. Bei unserem Ausritte konnten wir der tiefen Finsterniß wegen von dem vor uns liegenden Terrain nicht viel erkennen und mußten nur froh sein, ohne zu stürzen, wenn auch beständig stolpernd, das vor uns liegende Ackerfeld zu passiren, welches von den tiefen Geleisen der Straße durchschnitten wurde, entgegengesetzt aber von der Pflugschar aufgerissen war. Bald übrigens graute der Tag im Osten und der klare sternfunkelnde Himmel über uns versprach einen guten Tag. Wir zogen emporsteigend dem Sonnenaufgange entgegen und erfreuten uns an der tiefen glühenden Röthe, welche hier dem strahlenden Gestirn voranflog und die größere Hälfte des Himmelsgewölbes bedeckte. Vor uns zeichnete sich die Helle scharf ab zwischen malerisch in einander geschobenen Bergen, deren tiefe Thäler, vorhin noch in wechselnden Schatten vom Schwarz zum Grau, von diesem zum Violett, sich nun plötzlich mit rother Gluth ausfüllten. Es ergriff uns eine wahrhaft feierliche Stimmung, als wir zugleich mit der Sonne immer höher und höher stiegen, und es war uns, als hätten wir uns mit ihr auf der Bergkette droben ein Rendezvous gegeben, eine Zusammenkunft, in welcher sie uns viel Schönes erzählen würde von dem, was sie gestern in der Heimath bei unsern Lieben gesehen. Der gestrige belebte Tag war zu solchen Berichten nicht geeignet, aber die einsame Stille des frühen Morgens zu dergleichen freundschaftlichen Mittheilungen besonders geschaffen.

Jetzt schoß der erste Sonnenstrahl über die vor uns liegenden Berge daher, zitternd und flimmernd, einen gewaltigen Regen von Silber und Gold, von Brillanten und farbigen Edelsteinen, die sich an Ästen und Gräsern festhingen, um uns her ausbreitend. Der Boden zu unsern Füßen flammte glühend auf und war zu gleicher Zeit wunderbar schattirt, denn jede Erhöhung, jedes kleine Steinchen, vorn vom Lichte hell bestrahlt, warf hinter sich einen langen, dunklen Schlagschatten. Fast unheimlich und gespenstig erschienen unsere Schatten und die unserer Pferde, die langgestreckt hinter uns dreinzogen und uns auf die schauerlichste Art karrikirten.

Die erste Bergkette hatten wir erstiegen und sahen parallel mit dieser eine zweite höhere, durch ein tiefes, aber nicht sehr breites Thal von uns getrennt. Das Terrain hier oben war rauh und kahl; spärlich wuchsen Sträucher und kleine Steineichen zwischen den schieferfarbigen Felsen, von ganz eigenthümlich durcheinander geworfenen Formen. Man sagt, in der Nähe des Passes, auf dem wir gerade ritten, befinde sich noch vollkommen erkennbar ein ausgebrannter Vulkan, eine Angabe, die ganz und gar zu dem Charakter der Gegend paßte. Die Erde rings umher ist schwarz, und wenn man auch die Spuren von bearbeiteten Feldern sieht, so sind diese wahrhaft trostlos mit dichtem Steingeröll übersät. Unser heutiger Weg schien nicht so wie der gestrige durch den Zufall angelegt zu sein, sondern man sah wohl, daß hier Menschenhände thätig, gewesen waren und ihm seinen Lauf vorgezeichnet hatten. Daß er sehr steil abwärts führte, daran waren die schroffen Bergwände schuld, und da wir in Spanien reisten, wunderten wir uns weiter nicht über die großen und kleinen Felsen und Steine, die von den Höhen herabgerollt waren und ruhig mitten im Wege lagen.

Felipe gönnte uns übrigens keinen langen Spaziergang, denn auf der Höhe angekommen, ermahnte er uns aufzusteigen und schneller zu reiten. Er schien große Eile zu haben, nach Val de Penas zu kommen; dabei fing er sein vorgestriges Manöver wieder an und ersuchte uns, die Gewehre in Bereitschaft zu setzen, da dieser Bergpaß ebenfalls einer der verrufensten von ganz Spanien sei. Doch hatten wir nicht die mindeste Lust, uns mit dem Selbsttragen der Waffen zu beschäftigen, indem wir auf dem außerordentlich holperigen Wege alle unsere Aufmerksamkeit der Führung der Pferde zuwenden mußten, die jeden Augenblick stolperten. Horschelts Pferd stürzte einmal heftig auf die Knie nieder, sprang aber glücklicherweise im nächsten Augenblick wieder auf, ohne seinen Reiter abzuwerfen.

Jetzt hatten wir das Thal durchritten und stiegen an der zweiten Bergkette in die Höhe. Mit jedem Schritte wurde übrigens die Gegend wilder und großartiger, und als wir auf der Höhe angekommen waren, hielten wir mit einem Ausruf der Verwunderung an. Vor uns hatten wir eine der malerischsten Schluchten, die eine kühne Phantasie nur erfinden kann; wie Coulissen schoben sich mehrere hundert Fuß hohe Felsen senkrecht und scharf gezackt so in und durch einander, daß man die überaus steil abfallende Straße nur wenige Schritte mit den Augen verfolgen konnte. Zur Linken hatten wir einen den Pfad noch überragenden halbrunden Berg, der uns die Aussicht sperrte, rechts dagegen lagen die Felszacken terrassenförmig unter einander und schlossen sich in weiter Ferne scheinbar an ein majestätisches Gebirge, welches in prächtigen Umrissen und fast schwarzer Färbung dort lag – die Sierra Morena, die wir jetzt endlich und, wie wir glaubten, ziemlich nahe vor uns sahen. Gerade vor uns den Weg und die Schlucht hinab aber war der Anblick entzückend schön; tief unten sahen wir das Ende dieses Bergpasses scharf begränzt durch zwei riesenhafte Felswände, zwischen denen hindurch wir einen schmalen Streifen des grünen Thales erblickten. Von den dunkelgrauen Felsen eingerahmt erschien dieß im hellsten Sonnenlichte wie ein glänzender Lichtstreifen, leuchtend und strahlend, während unten in der Schlucht und hier oben in dem Passe selbst die tiefen Schatten wahrhaft malerisch wechselten mit dem glühenden Lichte der Morgensonne, das rings um uns her die höchsten Felsspitzen vergoldete.

Wir hätten hier stundenlang verweilen können, namentlich Maler Horschelt bedauerte es sehr, daß ihm die Zeit mangelte, eine Farbenskizze aufzunehmen, doch wollte sich Felipe auf unseren Vorschlag, hier einen Ruhepunkt zu machen, durchaus nicht einlassen, sondern fuhr bei dieser Zumuthung höchst verdrießlich auf seinem Maulthiere hin und her und meinte, das sei ein undankbares Unternehmen, hier auf diesem verrufenen Platze anhalten zu wollen; er seinestheils habe nicht die geringste Lust dazu. So zogen wir denn noch eine kleine Strecke auf ebenem Wege fort, bevor wir an den Bergabhang kamen, und erlebten auf dem »verrufenen Platze« ein ganz eigenthümliches Abenteuer. Wir ritten in einem schmalen und tiefen Hohlwege, und als wir an die Schlucht gelangten, sahen wir mit einemmale, daß uns andere Reisende entgegenkamen und zwar, was das Auffallendste war, nicht zu Pferd oder Maulthier, sondern auf großen zweirädrigen Karren, deren jeder von mehreren Maulthieren gezogen wurde und sich langsam und mühsam herauf bewegte, so daß die hölzernen Fuhrwerke zwischen den Steinen bedenklich krachten und Räder und Achsen ächzten. Die Karavane bestand aus vier Wagen, die hinteren mit Ballen und Kisten beladen, während auf dem ersten ein wohlgekleideter Mann saß, im langen Überrock, den runden Hut auf dem Kopfe, auf dem Schoß eine doppelläufige Flinte; hinter ihm auf einem Strohsacke befanden sich zwei Frauenzimmer und ein paar kleine Kinder. Das alles stieg so plötzlich vor uns aus der Tiefe auf, daß wir im ersten Augenblick überrascht anhielten, im zweiten aber um uns herschauten, um in dem engen Hohlwege eine Möglichkeit des Ausweichens zu entdecken. Die war durchaus nicht vorhanden, und schon wollte ich mein Pferd herumwerfen, um wieder zurückzureiten, als Felipe mit einem lauten Ausrufe des Ärgers sein Maulthier gegen die ziemlich steile Wand des Hohlweges trieb und es zwang, in ein paar tüchtigen Sätzen hinaufzuspringen. Horschelt folgte ihm, indem er seinem Pferd einen tüchtigen Hieb mit der Reitpeitsche gab, und ich machte es ebenso. Doch da ich sah, daß das Gewehr des Malers bei dem Satze aufwärts heftig an einen Stein anschlug, so riß ich das meinige vom Sattelhaken in die Höhe und kam so mit hochgeschwungener Waffe droben an, wobei ich durch einen flüchtigen Blick auf den Mann im Wagen wohl bemerkte, daß dieser seine Doppelflinte wie zum Schuß emporhob. Wie groß aber war unser Erstaunen, als wir uns, auf dem Feld über dem Hohlwege angekommen, von vier Guardias Civiles, zwei zu Fuß, zwei zu Pferd, umringt sahen, während ein paar auf der andern Seite der Straße die Gewehre nach uns richteten. Ich hätte laut auflachen können, denn mir schien es im ersten Augenblicke klar zu sein, daß man uns bei unserer eiligen Flucht aus dem Hohlwege für zweideutige Gesellen hielt, die vielleicht von oben herab eine Attaque auf die Reisenden drunten versuchen würden. Natürlicherweise hielten wir ruhig, und um meine gänzlich friedfertigen Gesinnungen darzuthun, hing ich mein Gewehr wieder ruhig an den Sattelhaken. Nachdem sich sämmtliche Gensdarmerie, auch die von der andern Seite um uns versammelt, trat ein Unteroffizier derselben an Felipe heran und begann mit sehr ernster Miene ein Examen, wobei sich jedoch bald herausstellte, daß wir harmlose Reisende waren. Nur Eines wollte dem Manne der öffentlichen Sicherheit nicht recht einleuchten; »warum,« sagte er, »wenn eure Papiere anders in Ordnung sind, zieht ihr hier allein in dieser verrufenen Gegend herum und habt euch nicht von Almagro ein paar meiner Kameraden mitgeben lassen, wie es sonst wohl der Brauch ist?« Nun wußten wir aber in der That nicht, daß dieser Paß wirklich unsicher war, denn wenn wir dem Gerede von Felipe hätten trauen wollen, so hätten wir uns von Toledo bis nach Val de Penas müssen begleiten lassen. Um aber das Mißtrauen des Gensdarmen in die Vortrefflichkeit unserer Papiere gänzlich niederzuschlagen, beeilte ich mich, aus meiner Geldtasche ein wichtiges Dokument hervorzuholen, welches ich der Freundlichkeit des preußischen Gesandten in Madrid, Herrn Grafen von Galen, verdankte. Dieß war nämlich eine offene Ordre des Herzogs von H., General en chef der gesammten spanischen Gensdarmerie, welche besagte, daß uns damit das Recht verliehen sei, in allen Provinzen des Königreichs Guardias Civiles zu Pferd und zu Fuß so viel zu requiriren, als uns zum Geleite nothwendig seien. Dabei sprach der Herzog den Befehl aus, uns auch in jeder andern Weise Hülfe angedeihen lassen zu wollen.

Mit welch merkwürdigem Gesichtsausdruck der vor uns haltende Gensdarmerie-Unteroffizier dieß Papier durchlas, brauche ich nicht zu beschreiben; er faltete es zusammen, und als er darauf ehrfurchtsvoll seine Hand an den Hut legte, schauten sich seine Kameraden ziemlich überrascht an und wußten nicht, was sie von der plötzlichen Sinnesänderung ihres Chefs halten sollten. Ich glaube, ein paar der letzteren wären gar zu gern mit uns nach Val de Penas zurückgekehrt, doch bedankten wir uns aufs Beste für dieß Anerbieten, welches uns der Unteroffizier machte, wünschten ihm einen guten Tag, ebenso wie dem Herrn und den Damen im Wagen drunten und ritten sehr vergnügt die Schlucht hinab.

Auf Felipe hatte das Vorzeigen des Papiers mit dem wichtigen Inhalte einen unverkennbaren Eindruck gemacht; er betrachtete uns scheu von der Seite und mit Zeichen der größten Hochachtung. Ob es ihm merkwürdiger erschien, daß wir uns überhaupt im Besitz dieses Papiers befanden, oder daß wir trotz desselben kein Geleit requirirten, bin ich wahrhaftig nicht im Stande, anzugeben. Unser Führer bedauerte nur, von dem Vorhandensein desselben nicht früher Kenntniß gehabt zu haben; die in Almagro meinte er, hätten uns anders springen müssen, und die gesalzene Rechnung hätten wir ihnen zur Hälfte gestrichen. »So ein Papier,« setzte er hinzu, »könnte mich zum reichen Manne machen.« Unterdessen ritten wir vorsichtig den Felspaß hinab und erfreuten uns an den grandiosen Formen, in denen die Felsmassen rechts und links höher und höher emporstiegen. Der Berg hatte sehr wenig Abdachung und fiel rechts und links von dem Passe so steil abwärts, daß wir unten wie durch ein kolossales Felsenthor ins Freie traten. Der Rückblick von hier war wahrhaft majestätisch, und Horschelt ließ sich durch keine Einreden Felipe's abhalten, die himmelhohen Felsen mit ihren wunderlichen Formen flüchtig zu skizziren. Was diesem Passe noch einen eigenthümlichen Reiz verlieh, war, daß sobald er hinter uns lag, wir auf der nun sanft absteigenden Straße in weniger als einer Viertelstunde auf den Grund einer großen Thalebene von so freundlichem, lachendem und heiterem Ansehen gelangten, daß der Contrast der Wildniß hinter uns unmöglich größer sein konnte. In den sanftesten Wellenlinien breitete sich die Fläche stundenweit vor uns aus, zur Linken mit den Ausläufern der Bergkette, von der wir eben herabkamen, eingefaßt, die aber, wie sie niedriger wurden, einen freundlicheren Charakter annahmen und statt der dunkelgrauen Felsen nur malerisch zerklüftete Schichten und Streifen in Roth und Gelb zeigten, nebenbei auch eine kräftigere Vegetation. Vor uns und zur Rechten war die Landschaft in einem weiten Bogen durch die Anfänge der Sierra Morena begränzt, die nach einem duftigen Morgen nun vom hellsten Sonnenlichte bestrahlt, in prächtigen dunklen Farben glänzten. Dabei war die Kälte des frühen Morgens verschwunden, Frühlingslüfte umspielten uns, so daß wir bald unsere Manta's ablegten. Am Fuße des Berges, den wir eben passirt, lag ein freundliches Dorf, Moral de Calatrava, mit breiten, reinlichen Straßen, hübschen Häusern und spitzem Kirchthurm mit röthlichem Dache, der allerlei heimathliche Erinnerungen in uns erweckte. Felipe schlug vor, sich nach der harten Tour, die wir schon gemacht, hier durch ein kleines Frühstück zu restauriren und führte uns zu diesem Zwecke vor eine kleine Posada, wo wir einen vortrefflichen Wein, sehr gutes Brod und eine erträgliche Wurst fanden.

Munter ging es dann weiter in die Ebene hinaus, auf einem breiten, sandigen Wege, der den Hufen unserer armen Thiere sehr wohl zu thun schien; wenigstens trabten sie lustig darauf los, hinter dem unermüdlichen Felipe drein, der uns mehr und mehr zur Eile antrieb. Die Straße führte über Wiesen, bei gut angebauten Fruchtfeldern vorbei, und hie und da zur Abwechslung am Rande eines Baches, dessen Ufer mit Erlen und Weiden besetzt waren, und dabei lief der Weg immer in der sanftesten Wellenlinie auf und ab, ein kleiner Hügel befand sich am andern, was der ganzen Ebene ein eigenthümlich bewegtes, aber auch ziemlich langweiliges Ansehen gab. Übrigens ist dieß eine bemerkenswerthe Fläche, reich an gutem Wein und Getreide, namentlich in regnerischen Jahren und mit den ausgedehntesten und futterreichsten Weiden, welche zahlreiche Viehheerden nähren. Unfern von Moral el Calatrava fließt der Javallon der Guadiana entgegen, den Plinius schon als ein Wunder bespricht. Zwischen Alcaraz und Ossa de Montiel nämlich hat er seinen Ursprung in einer Reihe von Teichen, und ist dann, der hohen Berge wegen, wodurch er sich sein Bett gebrochen, eine Stunde lang nicht mehr sichtbar, um plötzlich bei San Juan wieder zum Vorschein zu kommen, weßhalb die Spanier sagen, er habe eine so große Brücke, daß ganze Schafheerden auf derselben weiden könnten. Durch dieß weite, bald sandige, bald sumpfige Thal ritten wir nun fort, Stunde um Stunde, bis um Mittag, wo wir in weiter Ferne die Kirchthurmspitze von Val de Penas erblickten, nach dreitägigem, mühevollem Marsche das langersehnte Ziel unserer kleinen Tour, wo uns die Freunde vielleicht schon seit mehreren Stunden erwarteten.

»Hatje, Hatje!« schrie Felipe immerfort und trieb zur Eile. – Noch eine weitere Stunde und die Häuser von Val de Penas traten deutlich hervor, ebenso wie zu unserer Rechten die schönen Formen der Sierra Morena. Bald sahen wir auch die Landstraße links auf den Höhen und konnten ihren breiten Streifen verfolgen, bis er in den Gassen von Val de Penas verschwand. Abermals eine Stunde, da hatten wir die ersten Häuser des Ortes erreicht und unser edler Felipe, stolz auf die glücklich vollbrachte Reise, ritt nun im Schritt, den rechten Arm in die Seite gestemmt, der Hauptstraße zu, die – es war gerade ein Festtag – ziemlich belebt war.

Val de Penas hat zwei anständige Fonda's, in welchen die beiden Linien der von Madrid kommenden Diligencen anhalten, weßhalb wir ungewiß waren, wo wir unsere Freunde finden sollten. Als wir durch die Straßen ritten, betrachteten wir aufmerksam die Häuser und hofften immer, das lachende Gesicht unseres Baumeister Leins irgendwo zu entdecken, der ja versprochen hatte, uns als pünktlichster Reisemarschall zu erwarten. – Vergebens. Wir erreichten die erste Fonda, ritten in den Hof und forschten zugleich, ob nicht gestern Abend oder heute Morgen einige Fremde angekommen seien. Es war Niemand da. Wir gingen in die andere Fonda, die gegenüberlag – auch da Niemand. Man wird begreiflich finden, daß uns das ziemlich verdrießlich machte, um so mehr, als man uns sagte, die Eilwagen von Madrid passirten Val de Penas gegen ein, zwei oder drei Uhr in der Nacht. So waren denn die sehnlichst erwarteten Freunde nicht eingetroffen und konnten im besten Falle erst morgen Früh ankommen. Wir kehrten in den ersten Gasthof zurück, wo wir unsere Pferde gelassen, und da wir dieselben nur bis hieher gemiethet hatten, wir auch auf alle Fälle warten mußten, so zahlten wir unsern Führer aus, beschenkten ihn aufs Beste, worauf der edle Felipe einen herzlichen Abschied von uns nahm, um sogleich wieder nach Moral de Calatrava zurückzukehren.

Unser Gasthof an der großen Straße nach dem Süden gelegen und zugleich Stationsort der hier sich kreuzenden Eilwagen hatte eine fast großstädtische Einrichtung. Ein Kellner in runder Jacke, die Serviette auf dem linken Arm, – wir hatten einen solchen seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen, – führte uns in den Speisesaal, wo eine hübsche und gut gedeckte Tafel bereit stand. Man erwarte in einer Stunde, sagte er uns, die Eilwagen von Cordova und Granada, doch könnten wir auch vorher speisen, wenn es uns beliebe. – Die Eilwagen von Cordova und Granada, wie das entzückend klingt! Ja, wir waren diesen herrlichen Orten schon um ein bedeutendes näher gerückt, hatten die langweilige, unangenehme Tour von Madrid hieher glücklich umgangen und den angestrengten Ritt hinter uns, auf wenige Stunden vor uns aber die prächtige Sierra Morena, und in nächster Nähe eine wohlbesetzte Tafel mit dem funkelnden Val-de-Penas-Wein, besaßen hiezu tüchtigen Hunger und Durst, und dieß Alles zusammengenommen versüßte in etwas die fehlgeschlagene Hoffnung, von den Freunden herzlich bewillkommt zu werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien