Achtzehntes Kapitel - Granada.

Lage der Stadt. - Xenil und Darro. - Die Fonda nueva. - Die Straßen von Granada. - Die Kathedrale. - Die Cartuja. - Phantasien auf der Bivarrambla. - Ein Turnier in alter Zeit. - Der Zacatin. - Die Alhambra. - Die Xeneralife. - Der Thurm der Gefangenen. - Der Parador der Sultanin. - Blick in die Umgebung. - Der Paseo. - Casa de Boabdil. - Ein Fest auf dem Sacro Monte. - Die Schönheit der Andalusierinnen.




Fast im südlichsten Theile des schönen Spaniens, nicht viele Stunden vom mittelländischen Meer, wo seine tiefblauen Wellen an die Küste von Malaga und Almeria schlagen, erhebt sich eine Gebirgskette so hoch, daß die Spitzen ihrer Berge mit ewigem Schnee bedeckt sind, die Sierra Nevada. Gegen Süden und Westen fallen ihre Wände schroff herunter, eine riesenhafte Schutzmauer bildend für die herrlichen Thäler und prachtvollen Städte, die sich auf der östlichen Seite befinden. Hier fällt das Gebirge terrassenförmig ab, und nachdem es hoch oben prächtig malerische Bergformen zeigt, sinkt es in weichen lieblichen Ausläufern in's Thal hinab. Einer dieser Ausläufer, eigentlich ein vorspringender Bergrücken, Cerro de Santa Elena genannt, ist durch zwei enge, felsige Thäler von den andern vorspringenden Ausläufern getrennt, und aus diesen Thälern, wo unten die Myrthe blüht und die Granate mit ihrer glühenden Blüthenpracht üppig gedeiht, stürzen zwei klare frische Bergwasser, der Xenil und der Darro, hervor, so das Elenengebirge auf zwei Seiten abgränzend. In der Ebene angekommen, neigen sich diese fröhlichen Kinder des Berges gegen einander und vereinigen sich vielleicht eine Stunde von dessen Fuße. Der Xenil ist der stärkere und das spanische Volkslied nennt ihn den Verlobten und den Darro die Braut, die ihm ihren goldführenden Sand zur Morgengabe bringt, auch in der Umarmung des Gemahls verschwindet, denn von der Vereinigung an, führen beide Flüßchen miteinander den Namen Xenil und eilen so durch die Vega dem Guadalquivir entgegen. – Über diese Vermählung existiren eine Menge spanischer Romanzen und Lieder. Eine derselben prophezeiht den einstigen Untergang Granadas durch die reißenden Fluthen des Darro, indem es sagt:

Darro tienne prometido,
De casarse con Genil;
Is el ha de Ilevar en dote
Plaza nueva y Zacatin

Darro hat es einst verheißen,
Mit Senil sich zu vermählen:
Führt ihm zu als Morgengabe
Plaza Nueva und Zacatin.

Und diese Vega! Sie ist am Fuße des Elenagebirges, was die Huerta bei Valencia ist; nur ist ihre Vegetation an Bäumen stärker und reicher.

Auf jenem wunderbaren Stückchen Erde nun, welches der Lauf des Xenil und Darro von der Ebene abschneidend dem Fuße des Cerro de Santa Elena zuweist, an diesen weichen Bergausläufer im Halbkreise geschmiegt und theilweise an ihm emporsteigend, liegt die alte prächtige Maurenstadt Granada. Während ihr westliches Ende in der Ebene lagert, sind die östlichen Stadttheile in die Schlucht des Darro hinein fortgebaut und sind auf das rechte Ufer übergetreten, wo nach der Flucht der Araber aus Baeza, Antequera u. s. w. ein neuer Stadttheil, der Albayzin, entstand, die heutige Zigeunervorstadt mit Schutt, Ruinen und Erdhütten bedeckt, sie, die einst zehntausend vornehme Ritterfamilien beherbergte.

Auf jenem Bergausläufer aber, den hohe schneebedeckte Gebirge eifersüchtig zu bewachen scheinen und die Flüsse liebend umschlingen, thront das kostbarste Kleinod Granada's, ja jetzt ganz Spaniens:

Noch in ihren Trümmern hehr,
Mit Moschee und Marmorbade,
Wie ein Mährchenpalast der Sultanin Schehezerade,
Liegt das Maurenschloß Alhambra –

Ein in allen Farben blitzender Edelstein, hoch erhaben über der Stadt und wieder überragt von der Gebirgskette der Sierra Nevada mit ihren zackigen Formen in grünlich violetter Färbung, die oben zum hellen Silbergrau verblaßt und gekrönt ist mit den blendenden Flächen des ewigen Schnees, über welche wieder emporstreben die glänzenden Gletscher des hohen unersteigbaren Veleta, des prachtvollen Cerro de Caballo und des Mulahacen mit seinem breiten, starren Haupte, die sich hier allein der unbeschreiblich klaren Luft auf dem tiefblauen Himmelsgewölbe so scharf mit ihren feinsten Nuancen abzeichnen. Vor der Stadt breitet sich, vielleicht dreißig Stunden im Umfange haltend, die üppig blühende Vega aus, in welcher Granada liegt wie in einem grünen Meere.

Und wie ist die Stadt sanft am Berge aufsteigend auch in ihren Einzelnheiten so schön! Die unzählbaren Häuser mit ihren flachen Dächern und Terrassen, häufig mit freundlich grünenden Pflanzen bedeckt, mit luftigen Bogenreihen, mit Bogenfenstern und Arcaden, durchwebt vom hellen Grün der Orangenbäume und eingerahmt mit stolzen fast schwarzen Cypressen; über die Häusermassen empor erheben sich zahllose Kuppeln und Thürme, letztere bald schlank und zierlich, bald schwer und massenhaft.

Der Ausläufer des Elenagebirges, auf dem die Alhambra liegt, ist mit frischem weichem Grün bedeckt und zeigt nirgendwo eine nackte kahle Fläche, wie die meisten Berge Spaniens. Wird doch dieser Hügel von vielen und reichen Quellen getränkt, welche die Sierra Nevada ihrem Liebling spendet, auf daß er unaufhörlich prangen kann in jugendlicher Frische und dem Schmucke ewig grüner Wälder. Zwischen diesen hervor am Rande des Elenenberges erheben sich gewaltige, meistens viereckige Thürme und Mauern, welche in einem weiten Kreise die ganze obere Fläche des Berges einrahmen; aus rothem Sandstein erbaut, haben sie eine angenehme warme Farbe, die sich aus der grünen Umgebung so freundlich abhebt. Von dieser Färbung hat auch die ganze Mauernburg ihren Namen; so sagt man wenigstens; denn Alhamra heißt die rothe.

Unter Alhambra versteht man aber nicht nur den bekannten Palast der maurischen Könige, sondern den ganzen Theil der Stadt, der auf der bezeichneten Anhöhe liegt und dessen Häuser wahrscheinlich zur engeren Hofhaltung gehörten; man könnte sagen, sie ist die Akropolis von Granada. Jetzt befindet sich dort oben eine Pfarrkirche mit einem Kloster, eine ziemliche Zahl Häuser, Höfe und Gärten, einige wüste mit Schutt bedeckte Plätze, der große unvollendet dastehende Palast Karls des Fünften und neben ihm die übrig gebliebenen Theile des Sommerpalastes der Kalifen.

All das Ebengenannte ist mit einer mehrere Ellen dicken Mauer und den gewaltigen viereckigen Thürmen ringsum eingeschlossen. Die meisten dieser Thürme waren von jeher zur Vertheidigung bestimmt und sind jetzt leer und halb verfallen; in einigen findet man freilich wie einen Edelstein unter Schutt und Trümmern irgend ein kleines erhaltenes Gemach im maurischen Geschmack wunderbar und herrlich verziert; nur an der Nordseite, wo sich der Berg steil zum Darro hinabsenkt, wo die größten Thürme stehen, sind sie wohl erhalten und verschließen in sich jene bekannten Gemächer, welche den Patio de la Alberca, der Hof des Teiches genannt, sowie den Löwenhof umgeben. Hier ist die sogenannte Casa real del Alhambra, die Wohnung der maurischen Könige, was wir, wie schon bemerkt, im engen Sinn unter dem Namen Alhambra begreifen.

Da, wo an der Südseite die Befestigungen aufhören, steigt man zu einer ziemlich tiefen Schlucht hinunter, auf deren gegenüber liegenden Seite höher als die Alhambra das kleine maurische Sommerschloß Xeneralife liegt, leicht und luftig von allen Seiten dem erquickenden Hauche zugänglich, der von den Schneebergen herabweht, mit Säulengängen und Terrassen, blendend weiß hervorleuchtend zwischen fast schwarz erscheinenden Cypressen, wie eine wunderliebliche Phantasie, wie ein verkörperter architektonischer Traum.

So waren wir also in Granada, wonach ich mich so unbeschreiblich gesehnt, was ich zu erreichen gestrebt wie ein Kleinod, das mir auch ewig bleiben muß; eine Erinnerung an dieß Paradies der Erde, und das ist Granada mit seiner himmlischen Umgebung, wird sich in meinem Gedächtniß, so hoffe ich, ungeschwächt erhalten, bis ich einstens überhaupt nichts mehr denken werde. Alle Mühseligkeiten der Reise, die wir bis jetzt erduldet, erschienen uns niedagewesen und tausendfach belohnt. Wer ja, wie wir schon in alten Mährchen lasen, das kostbarste Zauberschloß gewinnen wollte, oder die Hand der wunderschönen Prinzessin, der mußte durch Wüsten und Einöden ziehen, mußte sich mit Drachen und Riesen herumschlagen. Ja, in allen unsern kleinen Leiden war uns der Gedanke an Granada stets wie ein Stern in dunkler Nacht, und mehr als Einmal citirte ich in den dürren Flächen der Mancha und den wilden Toledaner Bergen meinem Reisegefährten die Worte Freiligrath's:

Und düster durch versengte Halme
Wall' ich der Wüste dürren Pfad. –
Wächst in der Wüste nicht die Palme?

So hatten wir also die Palme errungen und Granada erreicht, und als wir auf den Balcon vor unserm Fenster in dem kleinen Gasthof der Fonda nueva traten, sahen wir vor uns auf dem Berge den schönen Traum aus der Jugendzeit mit Einem Male verkörpert vor uns stehen, las torres bermejas, die rothen Thürme der Alhambra.

In Madrid hatte man uns die Fonda Minerva zur Wohnung vorgeschlagen; als wir uns aber von dem Eilwagen dorthin begaben, war das Haus öde und leer, vor der Thür empfing uns weder Wirth noch Kellner, sondern ein paar Maurerbursche mit Hammer und Kelle, welche uns anzeigten, der Gasthof sei auf eine Zeitlang geschlossen, weil ein neuer Eigenthümer im Begriff sei, ihn gänzlich umzubauen; zugleich aber erbot sich einer dieser Arbeiter, uns in einen nahe liegenden andern Gasthof zu führen, wo wir uns recht gut befinden würden. Da er hierin Recht hatte, so kann ich nicht umhin, die Fonda nueva allen künftigen Reisenden bestens zu empfehlen. Sie liegt auf dem Plaza del Lobo; dieser stößt an die breiteste Straße von Granada, die Carrera del Darro, von wo wir wenige Schritte zur Alameda vieja haben. Die Straße hat ihren Namen daher, weil der Darro mitten durch sie hindurchfließt, der hier von mehreren kleinen Brücken überwölbt ist. Gegenüber unsern Fenstern erhob sich ein eigenthümlicher alter Palast im ausgeartetsten Rococogeschmack mit wunderlichen Bildhauerverzierungen und seltsam gewundenen Säulen, wie man sie sonst nirgends bei Bauwerken aus jener Zeit wohl finden kann; das Dach in einer eigenthümlich ausgeschweiften Form und seinen sonderbaren Umrissen erinnerte mich lebhaft an neuere Gebäude in Constantinopel, namentlich die tief herabreichende Bedachung an einen kostbaren alten Brunnen in Topchana. Dieser Palast hier in Granada heißt sonderbarer Weise das Haus des Veziers, dient aber jetzt zu einer Kaserne.

Unser Gasthof befand sich in einem neugebauten Hause; in den untern Räumen war ein Café, was für uns leider den Übelstand hatte, daß wir den ganzen Tag bis in die späte Nacht hinein die unaufhörlichen Dudeleien eines Klavierspielers mit anhören mußten, eines unglücklichen Musikanten, der dort zum Vergnügen der Gäste fort und fort auf seinem Instrumente taglöhnerte. Ich habe dieser leidigen Zuthat zu vielen spanischen Kaffeehäusern schon in Madrid erwähnt; hier aber hätte der Gasthofbesitzer billigerweise etwas mehr Rücksicht auf seine Gäste nehmen sollen. Im Übrigen war an den Zimmereinrichtungen, an der Küche und den Preisen nichts zu tadeln; Frühstück und Diner wurden annähernd auf englische Weise servirt. Noch am Tage unserer Ankunft meldete sich ein Führer zur Alhambra und den übrigen interessanten Punkten Granada's, ein hübscher und lustiger Mensch, gebildet und von unerschöpflicher Laune, den ich empfehlend erwähnen muß. Er hieß ben Saken, ein Name, der fast arabisch klingt, und war der jüngere zweier Brüder von gleichem Beruf. Zur Ankunft hatten wir gut dinirt und schliefen vortrefflich, obgleich in gespannter Erwartung der wunderbaren Dinge, die wir morgen sehen sollten. War mir doch in der That zu Muth, wie in den Tagen meiner Kindheit vor dem Weihnachtsabend, wo wir eine herrliche Bescheerung erwarteten, von deren Schätzen wir nichts ganz Gewisses wußten, und uns nur ahnungsvoll erinnerten, daß wir allerlei prächtige Sachen in bunten Farben schillernd durch die geöffnete Thür erblickt.

Am andern Tage betraten wir schon in der Frühe die Gassen Granada's, durch welche wir einen Spaziergang machten und dann erst zur Alhambra hinaufstiegen. Hätten wir nicht dieses Ziel im Herzen gehabt oder wäre Granada die erste spanische Stadt mit maurischen Überresten gewesen, die wir betraten, so würden wir zu diesem Spaziergang Tage lang gebraucht haben; in Toledo, Jaen und so vielen andern Orten konnten wir oft Stunden lang betrachtend vor einem maurischen Thorbogen, vor einem zierlichen Fenster stehen bleiben, die sich aber auch dort nur vereinzelt zwischen den übrigen Bauwerken und an den Häusern zeigten, wogegen uns hier in Granada auf jedem Schritte irgend ein Anklang aus der Zeit der kunstsinnigen Araber aufstieß. War es hier eine ganze Hausfaçade mit hufeisenförmigen Fensterbogen, zierlichen Säulchen oder einer maurischen Terrassenkrönung, so war es dort ein Thor mit herrlich gemeißelten Inschriften, hier eine Brücke, die unverkennbare Spuren ihrer Erbauer trugen. Dabei haben manche Straßen, namentlich aufwärts an den Ufern des Darro etwas unbeschreiblich malerisch Ruinenhaftes, hervorgebracht durch die Überreste einer kühn gesprengten Brücke, von der man noch Stücke der Endpfeiler, die Hälfte des zierlichen Bogens und dergleichen an den Häusern kleben sieht, oder durch einen Balcon mit fehlenden Gittern, einer Wand mit grünen Schlingpflanzen bedeckt, oder durch ein weithervorspringendes maurisches Dachgesims, das einstens schön geschnitzt war und in hellen Farben prangte. Doch ist jetzt das Holzwerk verwittert, theilweise herabgefallen und grau geworden.

Die Straßen von Granada sind sehr eng und gewunden, wie in allen Städten von arabischer Bauart; die neueren Privatwohnungen sind einfach und ohne besonderen Styl, nur haben sie größtentheils Terrassen und hoch oben auf dem Dache meistens gegen Westen geöffnete Arcaden. Obgleich die Stadt an schönen öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Klöstern, Spitälern aus der früheren und späteren christlichen Zeit reich ist, so sind diese doch nicht im Stande, von Granada den so poetischen maurischen Hauch oder Anstrich, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu verwischen, vielmehr ist es gerade, als haben die Araber erst gestern die Stadt verlassen und könnten schon morgen wieder kommen, um ohne große Veränderungen von ihren Häusern und Schlössern Besitz zu ergreifen. Sind es doch kaum vierhundert Jahre, daß der letzte König von Granada, Boabdil, die Stadt verlassen mußte, und wenn ihm auch eine große Menge seiner Anhänger nach Afrika folgte, so blieb doch eine größere Anzahl edler Familien und Bürger zurück, die freilich nach und nach gezwungen wurden, zum Christenthum überzutreten, aber trotzdem noch lange an den Sitten und Gebräuchen ihrer Väter festhielten. Bis zur Zeit Karls des Fünften war maurische Tracht noch ziemlich allgemein in Granada und erkauften sich doch noch im Jahr 1536 die übrig gebliebenen Araber für achtzigtausend Dukaten das Recht, die Tracht ihrer Väter beibehalten zu dürfen, für welche Summe Karl der Fünfte seinen Palast auf der Alhambra zu bauen begann.

Wie denn in der Stadt fast kein altes Haus mehr ist, das nicht mehr oder minder Überreste arabischer Baukunst zeigt, neben andern Gebäuden, die in demselben Styl noch vollkommen erhalten sind, so erinnern auch die Namen der Plätze, die Vivarrambla, sowie mancher Straßen und Thore, der Zacatin, Calle de los Zenetes, de los Gazules, de los Gomeles lebhaft an die Herrschaft der Araber.

Was muß Granada in jener Zeit gewesen sein, wenn man bedenkt, wie viel Wunderbares heute noch übrig geblieben ist, nachdem Fanatismus und Rohheit drei Jahrhunderte lang ihre verwüstende Hand an die Thürme und Schlösser der maurischen Königsstadt legten, damals, wo Granada zehn glänzende Schlösser zeigte, die auf den Abhängen des Gebirgs standen? Damals, wo Granada der letzte Hort des Maurenthums in Spanien war? wo sich die Blüthe der arabischen Ritterschaft zusammenfand zu Schutz und Trutz ihres letzten Besitzthums in dem schönen Spanien gegen die unter König Ferdinand mächtig andringenden Christen? – damals, wo die Stadt der letzten maurischen Könige noch sechzigtausend wohlgerüstete Streiter in's Feld stellte? –

Die Kathedrale von Granada, die wir im Vorübergehen besahen, ist im sechszehnten Jahrhundert erbaut; eingespannt in ein sehr enges Stadtviertel, hat man rings um dieselbe keinen geeigneten Gesichtspunkt, um sie als Ganzes aufzufassen und auf die beiden Thürme, deren höher gediehener uns sogar noch unvollendet scheint, ist nur von ferner gelegenen Plätzen über der umgebenden Häusermasse weg ein Aufblick zu bekommen. Der ganzen Anlage nach könnte man diese große Kirche eine Schwester derjenigen von Jaen nennen, so ähnlich sind sich beide in der Wahl der dabei angewandten Bauformen. Das Innere ist schlank und von edlen Verhältnissen, namentlich der Chorabschluß von mächtiger Wirkung; was uns aber besonders anzog, war die Nordseite und namentlich das, leider nur von einem ganz kurzen Standpunkt sichtbare Nordportal. Gekuppelte Colonnen mit daran aufgehängten Wappenschildern und den oft wiederkehrenden Säulen des Herkules, prächtige eingerahmte Bogenstellungen, dazwischen angebrachte Nischen und Cartouchen, durchflochten von Friesen mit allerliebsten Kinderfiguren, die in den Ranken spielen, machen aus diesem sich über die ganze Höhe der Façade erstreckenden Portal ein so reiches Ensemble, daß es wohl mit allem Fug an die Seite der Certosa von Pavia gestellt werden darf.

Die südliche Seite des Äußern ist alt und noch ganz gothisch, obwohl etwas schwerfällig, doch von ganz origineller Anordnung, wie denn überhaupt der kleine Platz, der hier neben der Kirche liegt, mit den interessanten alten Nachbarhäusern einen sehr dankbaren Vorwurf für einen Architekturmaler abgibt.

In dem eben erwähnten älteren Theil liegt die königliche Kapelle mit den weltberühmten herrlichen Königsgräbern.

Auf der einen Seite sind durch ein hohes Gitter abgeschlossen die Marmorsarcophage mit den liegenden Bildsäulen Ferdinands des Katholischen von Aragonien und seiner Gemahlin Isabella, auf der andern Philipps des Schönen und der tollen Johanna, Meisterstücke spanischer Bildnerei, wie denn diese ganze geräumige Kapelle mit ihrem schönen Eingangsportal den wohlthuendsten harmonischen Eindruck hinterläßt.

Obgleich wir ein anderes berühmtes Bauwerk Granadas, die Cartuja, erst auf einem späteren Spaziergange in Augenschein nahmen, so will ich doch derselben hier mit einigen Worten gedenken. Sie liegt außerhalb der Stadt, gegen die Seite des Stier-Platzes und ein paar englische Damen, die wir in unserem Gasthofe trafen, machten uns die größte Lust, sie zu sehen, da sie uns sagten, was Schönheit, Pracht und Geschmack anbelange, verschwinde die Alhambra vollkommen neben dieser Carthause. Obgleich uns das schon damals sonderbar vorkam und wir etwas mißtrauisch wurden gegen den Geschmack der Engländerinnen, so meinte doch auch unser Führer, ben Saken, die Cartuja sei mit das Prachtvollste, was die Stadt aufzuweisen habe. Wir wollten keineswegs über der arabischen Kunst die Denkmäler der christlichen versäumen, die in der That bei Schilderungen Granada's zu oft in den Hintergrund gedrängt werden. Prachtvoll ist das Innere der Kirche der Cartuja unstreitig, deren Eingangsthüre schon aus seltenem Weinrebenholz besteht, denn noch nie sahen wir eine solche Verschwendung von Gold und eine solche Menge der edelsten Baustoffe in einem Raume beisammen; die herrlichsten Marmore und Alabaster an den Wänden, überall die Thüren von wunderbarer Marqueterie aus edlen Hölzern, Perlmutter, Schildkröte, kostbaren Metallen u. s. w. mit den zierlichsten Zeichnungen und in den kleinsten Maßen. Der Camarin hinter dem Hochaltar ist von einer an's Fabelhafte gränzenden Pracht. Aber leider ist die Kostbarkeit der Baumaterialien auch Alles, die Verhältnisse und die sonstige architektonische Anordnung dieses verschnörkelten Raumes hat keinerlei Verdienst. Für das Non plus ultra wird die daran stoßende Sakristei gehalten, die nahezu so groß und hoch als die Kirche ist, weiß mit Gold; Boden, sowie Lambris [Fußnote] [Wandtäfelung] und Altar mit den buntesten Marmorgattungen belegt. Die Schränke von unsagbarer Kostbarkeit, aber alle Gliederungen von unten bis ins Deckengewölbe so unruhig in allerlei Geigenformen verschlungen und völlig in der Art, als wären sie aus einer Butterspritze gekommen, daß wir es für das Werk eines wahnsinnig gewordenen Baumeisters halten mußten, und ich hiemit jeden Reisenden darauf, nur als auf ein Curiosum aufmerksam gemacht haben will. Der schöne Ecce Homo von Murillo, der sich dort befindet, kann jedoch für den Gang entschädigen.

Ben Saken, der an unseren Ausrufungen wohl merkte, wie sehr die Kirche der Karthause unter unseren Erwartungen geblieben war, veranstaltete zu unserer Entschädigung einen kleinen Imbis, zu dem er Wein und Brod aus einer benachbarten Locanda holte und den wir in dem verwilderten Klostergarten zu uns nahmen, und dieß war in der That eine Entschädigung. Wir ließen uns in einem der kleinen Gärtchen nieder, die zu den Zellen gehörten, wo die nun vertriebenen Karthäuser wohnten. Vom Betpulte hinweg waren die frommen Mönche mit zwei Schritten in der freien Natur, wo sie ihre Rosen pflegten und ihr Grab gruben; heute aber ist von einer Pflege der üppig wuchernden Gesträuche nicht mehr die Rede und nach und nach haben die rankenden Rosenzweige die Steinbank bedeckt, über welche sie früher eine Laube zum Schutz gegen die Sonne bildeten, aber gerade in dieser Verwilderung sind die Gärten der Karthause so über alle Beschreibung romantisch und schön. Vielleicht war es Profanation von uns, daß wir uns längere Zeit hier aufhielten, als in der Kirche, daß wir das Glas mit weißem Wein kreisen ließen und ben Saken zuhörten, der uns eine spanische Romanze sang, die vom Falle Granadas erzählte. Vielleicht; – doch kann ich versichern, daß der blaue Himmel über uns und das wuchernde Rosengesträuch zwischen den Steinen und an den Wänden uns zu dankbareren Gefühlen gegen den aufforderte, der alles das werden ließ, als die seltsamen Marmorverzierungen in der Kirche, bei deren Anblicke nur ein Gefühl des Mitleids rege wird über den menschlichen Geist, der solches schaffen konnte.

Von der Kathedrale kamen wir durch mehrere winkelige Straßen auf den berühmten Platz von Vivarrambla, der in der alten Geschichte Granada's eine so bedeutende Rolle spielt.

Sich erging der Maurenkönig
Durch die Straßen von Granada
Von den Thoren von Elvira
Bis zum Thore Vivarrambla's.

Hier wurden von der Blüthe der maurischen Ritterschaft in Scherz und Ernst große Feste gefeiert, der Stier mit der Lanze gehetzt, auf raschen Pferden das Rohrspiel getrieben, oder man traf sich hier zum scharfen Kampfe auf Leben und Tod. Dann waren, wie uns die alten Geschichtschreiber erzählen, die Häuser des Platzes aufs Glänzendste verziert, mit Devisen und bunten Fahnen, vor Allem aber mit einem Kranze schöner Damen, die sich rings auf den Balconen befanden und durch ihre feurigen Blicke die Kämpfer aufmunterten. Damals gab es unter dem obgleich schwachen, aber prachtliebenden König Boabdil noch mächtige Geschlechter in der Königsstadt, die aber statt gemeinsam den andringenden Christen entgegenzutreten, untereinander hartnäckige Fehde hielten wie die Capuletti und Montecchi in Verona, und sich fast bei jedem öffentlichen Zusammentreffen reizten und dann blutig an einander geriethen. Es waren zwei mächtige Geschlechter, die Abencerragen und Zegri, die seit langen Zeiten sich gegenseitig haßten und welchen die andern berühmten Ritter Granada's, die Alhamaren, Alabezen, Abenamaren, Gomelen und Gazulen anhingen. Auch an Pracht der Waffen, Pferde und Gewänder suchten sich diese Geschlechter zu überbieten, woher es denn auch wohl kam, daß bei den Kampfspielen und Stiergefechten hier auf der Vivarrambla eine fabelhafte Pracht zur Schau getragen wurde. Von den Fahnen und Devisen, mit denen der Platz ausgeschmückt waren, hatten erstere die Farben der verschiedenen Geschlechter, letztere galten der Tapferkeit, dem Ruhme und der Schönheit und Herrlichkeit Granada's.

Das ist nicht der Tod, durch welchen
Hohen Namens Ruhm erlangt wird,
Sondern ein glorreiches Leben,

oder:

Fama soll den Ruf verkünden
Von Granada, der so groß ist,
Daß es sie unsterblich machet.

auch hieß es an einem andern Orte:

Wahrer Adel nur bestehet
In dem Trachten nach der Tugend;
Wenn ihn Rechtlichkeit begleitet
So gewinnt er Ruhm der Hoheit.

Von der Pracht der Feste selbst sagte eine andere Devise:

Töne laut, des Ruhms Posaune,
Und sie breche jedes Schweigen,
Weit verkündigend die Große
Dieser unsrer schönen Feste,
Die mit solchem Glanz hervortritt.

Ein arabischer Geschichtschreiber, Haben-Hamin, der in Granada geboren war und eine Chronik seiner Vaterstadt bis zur Eroberung durch König Ferdinand schrieb, gibt die Beschreibung eines großen Festes auf der Vivarrambla, welche nicht uninteressant für den Leser sein wird; und wenn sich auch vielleicht der Berichterstatter Ausschmückungen erlaubt, so lernt man doch die damalige glänzende Zeit, sowie die Parteispaltungen in der maurischen Königsstadt kennen, welche hauptsächlich Schuld an ihrem schnellen Untergange waren.

Im Monat September, so erzählt der Araber, nach dem Ramadan, als die Fastenzeit geendigt war, befahl der König, aus dem Gebirge von Ronda vierundzwanzig auserlesene Stiere zu holen. Der Platz von Vivarrambla war zubereitet für die Feierlichkeit, und der König, begleitet von vielen Rittern besetzte den königlichen Erker, der zu diesem Zwecke ausersehen worden. Die Königin mit ihrem Damengefolge nahm ihren Sitz auf einem andern Erker von eben der Einrichtung wie des Königs. Alle Fenster am Vivarrambla waren voll schöner Damen; und aus dem Reiche kamen so viele Leute, daß sich nicht Gerüste und Fenster genug für sie fanden. Solche Menge Volks war nie gesehen worden bei einem Feste in Granada. Auch von Sevilla und Toledo kamen dazu viele angesehene maurische Ritter. Bei diesem Feste beschlossen die Zegri, um ihre Feinde, die Abencerragen, zu reizen, ein altes Kennzeichen derselben, blaue Federbüsche, auf ihre Helme zu nehmen. Fühlen sie sich verletzt, wie ich hoffe, sagte einer ihrer tapfersten Ritter, Mahomad, so werden sie schon einen Streit mit uns beginnen; dann werfen wir im zweiten Gange statt der Rohre spitze Lanzen, und da wäre es ein besonderes Unglück, wenn nicht ein Abencerrage fiele.

Des Morgens begannen die Stiergefechte, wobei die Abencerragen durch ihre Schnelligkeit und Geschicklichkeit Verwunderung erregten. In allen Fenstern und Altanen war nicht Eine Dame, die ihnen nicht zärtlich zugethan gewesen wäre. Es ward für ausgemacht gehalten, daß es im ganzen Reiche nicht einen Abencerragen gäbe, der nicht begünstigt würde von Damen, und zwar von den angesehensten. Dieß war der Hauptgrund des tödtlichen Hasses und Neides der Zegri, Gomelen und Maza. Wahr ists, jede rechnete sich zur Ehre, zum Liebhaber einen Abencerragen zu haben, und diejenige hielt sich für unglücklich und geringer, die keinen hatte; mit großem Rechte: denn nie sah man einen Abencerragen von üblem Wuchse oder Anstande, nie einen feigen oder unentschlossenen; alle waren sie leutselig und Freunde des Volkes; niemals ging der Bedrängte, mochte er sein, wer er wollte, ohne Hülfe von ihnen; selbst den Christen waren sie hold; in Person stiegen sie hinab in die unterirdischen Kerker, besuchten die christlichen Gefangenen, thaten ihnen Gutes und schickten ihnen Speisen. Dabei waren sie vor allen tapfer und gute Reiter. Diese Eigenschaften zusammen machten sie geschätzt und geliebt im ganzen Reiche. Niemals zeigten sie Furcht, selbst bei dem Anblicke großer Gefahr. Sie verursachten viel Vergnügen durch ihren Anblick, da sie auf dem Platze umherritten; Aller, besonders der Damen Augen waren ihnen zugewandt. Nicht geringer als sie erschienen an diesem Tage die Alabezen, die ebenfalls edle Ritter waren. Auch die Zegri zeigten sich sehr preiswürdig. Geschickt trafen sie den Tag acht Stiere mit der Lanze, ohne daß Einer von ihnen auch nur etwas aus dem Sattel gerückt wäre, und die wüthenden Stiere wurden so verwundet, daß es nicht nöthig ward, ihnen die Kniekehlen zu zerschneiden.

Es mochte ein Uhr sein, nachdem zwölf Stiere gehetzt waren; da ließ der König die Hörner und Trompeten erschallen, welches ein Zeichen war, daß sich alle Ritter des Festes auf seinem Balkon versammeln sollten. Sie kamen, und der König, sehr zufrieden mit ihnen, gab eine prächtige Mahlzeit, dasselbe that die Königin ihren Damen, die an dem Tage reich geschmückt und von bewundernswürdiger Schönheit waren. Alle erschienen prächtig gekleidet, die Königin mit einem brokatenen Mantel von unschätzbarem Werthe wegen der vielen eingestickten Edelsteine. Sie hatte einen außerordentlich schönen Kopfschmuck, und vor der Stirne eine wunderbar künstlich gemachte Rose, in deren Mitte ein Rubin gefaßt, der eine Stadt werth war. Wohin sie den Kopf wandte, wurden die Augen geblendet von dem Glanze des Steines. Die schöne Darache war ganz blau gekleidet, ihr Mantel vom feinsten Damast, mit Silberstoff gefüttert und durchwirkt mit Goldstreifen. An ihrem reichen Kopfputze hafteten zwei kurze Federn, eine blau, die andere weiß, das bekannte Zeichen der Abencerragen. In dieser Kleidung war sie so schön, daß keine Dame in Granada sie übertraf, obgleich es dort zu der Zeit sehr viele reizende gab und eben so reich geschmückte. Galiane von Almeria hatte ein Kleid von weißem Damast, so köstlich gewirkt, als bisher noch nicht gesehen war; der Mantel war ausgezackt mit großer Ordnung und Kunst, gefüttert mit dunklem Brokat; ihr Hauptschmuck besonderer Art. Man sah deutlich an ihrer Kleidung, daß sie frei war von verliebter Leidenschaft, wiewohl sie wußte, daß der tapfere Abenamar sie zärtlich liebte; aber dem Prinzen Muza hatte sie außerordentliche Zeichen ihrer Gunst gegeben. An diesem Tage war Abenamar nicht beim Spiele. Fatime erschien in schwarzer Kleidung; sie wollte nicht Muzas Farbe tragen, denn sie wußte schon, daß seine Neigung auf Darache gerichtet war. Ihr Rock war sehr kostbar, von schwarzem Sammt mit weiß brokatenem Futter, der Hauptschmuck reich und prächtig, an der Seite eine einzige grüne Reiherfeder. Sie war so schön, wie irgend eine der Anwesenden. Kohaide, Sarrazine, Arbolaje, Charife und die andern Damen der Königin zeigten sich ebenfalls in ungemeiner Pracht und solchem Reize, daß die Versammlung so vieler Schönheiten Erstaunen verursachte. Auf einem andern Erker saßen die Damen des Abencerragischen Geschlechtes von nicht minder anziehender Schönheit im Reichthum der Kleidung; besonders die liebliche Lindaraja, Tochter des Abencerragen Mahamete, welche alle übertraf; neben derselben ihre Verwandten, die ihr wenig nachgaben. Als Liebhaber im Dienste der schönen Lindaraja verrichtete der muthige Gazul ausgezeichnete Thaten in Sanlukar.

Um wieder auf unsern Gegenstand zu kommen: Die Ritter und Damen endigten um zwei Uhr Nachmittags ihr Mahl. Ein schwarzer fürchterlicher Stier wurde losgelassen, der von solcher Schnelligkeit war, daß er denjenigen gleich erhäschte, auf den er stürzte, und kein Pferd ihm jemals entwischte. »Schön wäre es,« sagte der König, »diesen tüchtigen Stier niederzustoßen.« Malike Alabez stand auf und bat um Erlaubniß, es mit dem Thiere aufnehmen zu dürfen. Der König gab sie ihm, obgleich Muza es auch zu thun wünschte, jedoch darauf verzichtete, als er sah, daß Alabez Lust dazu habe. Dieser verbeugte sich ehrerbietig vor dem König, grüßte höflich die Ritter, und stieg hinunter vom Balkon auf den Platz, wo seine Leute einen vortrefflichen Grauschimmel hielten, den ihm sein Vetter geschickt hatte, der Sohn des Alkaiden von Roth- und Weißvelez, ein Mann von hoher Geburt, dessen Vater maurische Ritter, genannt Alkifaen, verrätherisch umbrachten aus Neid wegen seiner guten Eigenschaften und der Liebe des Königs. Aber dieser rächte nachdrücklich die Verrätherei; von den sechs schuldigen Brüdern entkam nicht Einer, sie wurden alle enthauptet. Der gute Alabez, von dem wir jetzt reden, erhielt die Statthalterschaft von Weiß-Velez; ihn liebte sehr der König Audalja, den wir hier den jungen nennen. Von seinem Oheim also erhielt er das Pferd, welches er jetzt bestieg und einen Umgang machte im Platze, wobei er nach allen Erkern der Damen schaute, um seine Gebieterin Kohaide zu erblicken, und als er an den ihrigen kam, ließ er sein Pferd auf die Kniee fallen, neigte den Kopf auf den Sattel und bezeugte so seine tiefe Ehrerbietung seiner Dame und den andern, welche dort saßen; darauf gab er dem Rosse die Sporen, das mit der Wuth und Schnelligkeit des Blitzes davon stürzte.

Der König und alle Anwesenden bewunderten Alabez gutes Benehmen; nur den Zegri war es zuwider, denn sie betrachteten es mit Augen voll tödtlichen Neides. In diesem Augenblick entstand ein großes Geschrei: der Stier rannte auf dem Platze umher, warf über hundert Menschen nieder, tödtete sechs und flog wie ein Adler auf den Ort zu, wo Alabez hielt. Dieser wollte heute seine außerordentliche Geschicklichkeit zeigen: er sprang mit großer Leichtigkeit vom Pferde, und ging dem Stier entgegen, den Mantel in der linken Hand haltend. Als der Stier ihn ganz in seiner Nähe erblickte, schickte er sich an, ihn mit den Hörnern zu fassen; aber der gute Alabez erwartete ihn festen Muthes; und nun, da der Stier den Kopf senkte, um den fürchterlichen Stoß zu vollführen, warf er ihm den Mantel über die Augen, wandte sich ein wenig auf die Seite und faßte mit der rechten Hand das rechte Horn, mit solcher Kraft, daß das Thier unfähig war zu stoßen. Es bemühte sich loszureißen, machte große Sprünge und hob dabei immer den Ritter von dem Boden. Der brave Maure war in augenscheinlicher Gefahr, und es fehlte nicht viel, so hätte er bereut, die mißliche Probe unternommen zu haben; doch da sein Herz unerschütterlich war, so wankte er nicht, sondern hielt mit großer Tapferkeit gegen den Stier aus, der brüllend strebte, ihn mit den Hörnern zu fassen, aber wegen der Geschicklichkeit des Mauren nicht zu diesem Ziele gelangen konnte. Am Ende fand es Alabez schimpflich, auf solche Weise mit einem Thiere sich zu balgen; er lehnte sich auf die linke Seite des Stiers und drehte ihn mit solcher Kraft und Gewandtheit an den Hörnern, daß er mit ihm zu Boden fiel, wobei er die Hörner in die Erde drückte. Der Sturz war so fürchterlich, daß ein Berg zu fallen schien. Das Thier lag wie zerschlagen und konnte sich eine Zeitlang nicht rühren. Alabez erhob sich, ließ es liegen, nahm seinen feinen seidenen Mantel und ging auf sein Pferd zu, welches die Diener hielten; leicht, ohne in den Steigbügel zu treten, sprang er hinauf; alle Anwesenden waren entzückt über seinen bewundernswürdigen Muth. Nach einiger Zeit erhob sich der Stier, jedoch nicht mit seiner gewohnten Behendigkeit. Der König ließ Alabez rufen; er erschien mit so ungezwungenem Anstand, als wenn gar nichts Besonderes vorgefallen wäre. »Gewiß, Alabez,« sprach der König zu ihm, »Ihr habt gethan wie ein wackerer und muthiger Ritter; von heute an seid Ihr Hauptmann von hundert Pferden, und Alkaide der Veste Kantoria, eine gute einträgliche Stelle.« Für diese Gnade küßte ihm Alabez die Hand.

Unterdessen mochte es nun vier Uhr Nachmittags sein, und der König ließ zum Reiten blasen. Auf dieses Zeichen hielten sich alle Ritter des Festes bereit, um vorzurücken, wenn der Augenblick hiezu käme. Nach beendigtem Stiergefechte erschollen zahlreiche Trompeten, Pauken und Hörner. Der Platz war nun geräumt, und durch die Straße Zacatin ritt Muza, des Königs natürlicher Bruder, herein, der Anführer eines Turniergeschwaders, welches zu Vier und Vier auftrat, so rasch und auf so edle Weise, daß es eine Lust zu sehen war, dann vorüberzog und endlich in derselben Ordnung, schnell wie der Wind davon flog. Der Haufen bestand aus dreißig Rittern, lauter berühmten Abencerragen, nur Alabez war nicht von diesem Geschlechte, seiner Tapferkeit wegen nahmen sie ihn jedoch zum Begleiter.

Wir sprachen oben von den blauen silberstoffenen Turnierkleidern und den wilden Männern als Merkzeichen: die Ritter erschienen mit denselben so reizend, daß alle Damen bei ihrem Anblick entzückt waren. Prächtig nahmen sich aus die Abencerragen, alle auf schneeweißen Rossen, nicht minder die Zegri, die durch eine andere Straße herein kamen, in Fleischfarbe und Grün gekleidet, mit blauen Federbüschen, auf schönen kastanienbraunen Pferden; Alle trugen dieselben Zeichen in den reichgestickten blauen Binden über den Tartschen; es waren dieß Löwen von der Hand einer Jungfrau gefesselt, und die Inschrift hieß: »Mehr Stärke hat die Liebe!« So erschienen sie je vier im Platze, und machten nun, nachdem sie sich gesammelt, rasche Schwenkungen und Spielgefechte mit einer Gewandtheit und Übereinstimmung, die nicht weniger Vergnügen machten, als die der Abencerragen. Beide Haufen nahmen ihren Posten, legten die Lanzen weg und hielten ihre Rohre in Bereitschaft. Auf den Schall der Trompeten und Hörner begann das Spiel sehr anmuthig und wohl verabredet, acht gegen acht rennend. Die Abencerragen, welche ihr bekanntes Abzeichen, die blauen Federn, an den Zegri bemerkten, gaben sich alle Mühe, sie mit den Rohren herunter zu werfen, konnten aber nicht zum Zwecke kommen, denn die Zegri deckten sich zu gut mit ihren Tartschen. Das Spiel ging so fort mit Heftigkeit und mancherlei Wendungen, aber immer nach Ordnung; es gab einen sehr befriedigenden Anblick. Das Fest wäre glücklich zu Ende gegangen, wenn es das Schicksal gewollt hätte, dieses aber, immer veränderlich, bewirkte, daß beiderlei Ritter ihrer unauslöschlichen Feindschaft nachgingen, bis sie alle zu Grunde gerichtet waren, wie wir unten erzählen werden. Die Wahrheit zu sagen: Mahomad, das Haupt der Zegri, war die ganze Ursache dieses unglücklichen Tages; er hatte überlegt, wie der gute Alabez oder einer der Abencerragen getödtet werden könne, und in dieser Absicht richtete er es ein, daß Alabez von der gegenüberstehenden Seite auf seinen Haufen sprengen mußte, damit er und die Seinigen auf die Alabezen und ihre Anhänger losstürzen können. Sechs Rohre waren schon geworfen, als Mahomad seinem Haufen zurief: »Jetzt ist es Zeit, daß das Spiel sich entzünde!« Darauf nahm er seinem Diener eine Lanze mit scharfer Damascener Eisenspitze, und erwartete Alabez mit acht Rittern seines Haufens, der nach der Weise des Spieles auf seinen Gegner zueilte, wohl bedeckt mit der Tartsche. Da sprang Mahomad hervor, ersah den Fleck, wo er Alabez am besten verwunden könne, und warf die Lanze mit solcher Gewalt, daß sie die Tartsche durchdrang und die Spitze den Arm faßte; der Ärmel des festen Panzerwamses war nicht stark genug, zu widerstehen, das spitzige Eisen fuhr hinein und durchbohrte den Arm, dieser Stoß verursachte Alabez großen Schmerz; er eilte auf seinen Posten zurück, besah den Arm und fand ihn verwundet und voll Blut; laut rief er Muza und den übrigen zu: »Ritter! wir sind schändlich verrathen, ich bin auf böswillige Weise verwundet worden.« Bestürzt und entrüstet ergriffen sämmtliche Abencerragen ihre Lanzen; Mahomad wandte um mit seinem Haufen, um wieder seinen vorigen Platz einzunehmen, als Alabez in größter Wuth auf ihn zurannte. Da er eine sehr flüchtige Stute ritt, so erreichte er ihn schnell, rief mit vorgestreckter Lanze: »Verräther! hier sollst Du mir bezahlen meine Wunde!« und durchstieß die Tartsche, die Lanze ging in den Panzer des Zegri und drang mehr als handbreit in den Leib. Der Stoß war so heftig, daß der Zegri halbtodt vom Pferde fiel. In diesem Augenblicke begann ein wüthendes Scharmüzel zwischen beiden, schon gerüsteten Parteien, wobei die Zegri bald im Vortheil waren, da sie sich besser dazu vorbereitet hatten als die Abencerragen; doch thaten ihnen diese tapferen Ritter nebst Muza und dem wackern Alabez großen Schaden. Groß war das Geschrei, ungeheuer das Getümmel. Der König, der Anfangs die Ursache des blutigen Kampfes nicht wußte, eilte herunter von seinem Balkon auf den Platz, bestieg ein schönes, reichgeschmücktes Pferd und rief: »Hinaus! hinaus!« indem er, mit einem Stabe in der Hand, sich zwischen die erbitterten Streiter warf. Ihn begleiteten die vornehmsten Ritter von Granada und halfen ihm Frieden stiften.

Granada war seinem Untergang nahe, denn zu den Zegri stießen noch die Gomelen und Maza, zu den Abencerragen die Almoradi und Vanega; der Streit wurde immer hitziger und verwickelter, und man sah kein Mittel vor sich, Ruhe zu stiften. Endlich brachte es aber der König und die übrigen anwesenden, unparteiischen Ritter dahin, daß die Kämpfer Frieden machten. Der tapfere Muza führte seinen Haufen durch den Zacatin nach der Alhambra, in Begleitung aller Vanega und Almoradi; die Zegri zogen sich zurück durch das Thor von Vivarrambla nach dem Schlosse Bivataubia mit der Leiche Mahomads, der inzwischen gestorben war.

Diese beständigen Streitigkeiten zwischen Abencerragen und Zegri's läuft wie ein rother Faden durch die Geschichte der letzten Zeiten Granada's und schloß mit der bekannten Ermordung einer Menge von Rittern des ersteren Geschlechtes auf Befehl des Königs Boabdil, da vier Zegri den Abencerragen Abinhamad beschuldigten, mit einer Gemahlin des Königs eine Zusammenkunft im Garten der Xeneralife gehabt zu haben. Boabdil ordnete zur Wiederherstellung der Ehre der Königin, für deren Unschuld sich fast ganz Granada erhob, ein Gottesgericht an, in welchem die vier Zegri mit vier andern Rittern kämpfen sollten, doch hatte die Königin, so sagt der Geschichtschreiber, im Bewußtsein ihres Rechts Keinen ihrer Freunde zu ihrer Vertheidigung aufgefordert und überließ Alles dem Willen Gottes.

Auf demselben Platze, wo wir uns jetzt befinden, wurden damals Turnierschranken aufgerichtet, sowie ein schwarzes Gerüst, auf welchem die Königin, umgeben von ihren Frauen und umringt von den edelsten Geschlechtern, die sich in Trauerkleidern eingefunden hatten, mit Ergebung ihr Schicksal erwartete. Die Stimmung gegen den König war so, daß die Stadt anfing, sich zu empören und die Almoradinen, Alabezen und Gazulen im Begriff waren, hervorzubrechen, um Boabdil vom Throne zu stoßen. Doch wurden sie gewarnt, denn wenn sie auch die Königin aus Lebensgefahr befreiten, so blieb doch ihre Ehre befleckt, wenn sich keine Kämpfer für sie zeigten. Alle Fenster, Erker und Altane waren besetzt und angefüllt mit Menschen, unter denen aber Niemand war, der nicht geweint hätte und tief gerührt gewesen wäre. Die vier Zegri, welche erwartend in den Schranken hielten, trugen über ihrer Rüstung grüne und schwarze Kleider und hatten eben solche Fähnlein und Federn. Auf ihren Schildern zeigten sich Schwerter, an denen Blut herabtropfte, mit der Inschrift: »Für die Wahrheit wird es vergossen.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien