Chortitza-Rosenthal, am 6. Februar 1920.

Statt der ukrainischen Anarchisten haben wir jetzt die großrussischen Bolschewiki im Haus, die jenen auf den Fersen sind und hier in unserem Ort Station machen. Die meisten Kolonisten fürchteten die Bolschewiki gleich den Anarchisten. Wir sehen aber, dass es regelrechte Truppen sind. Oft zeigen sie ein menschliches Rühren bei unserem Elend, das ihre Gegner verursacht haben. Es sind mobilisierte Soldaten aus allen Schichten der Gesellschaft und durchaus nicht alle Bolschewiki Diese Menschen können uns ja auch nicht helfen, aber wir empfinden es schon wohltuend, nicht ausgeflucht und ausgeraubt zu werden. Allerdings ist zum Rauben nichts mehr geblieben.

Die Bolschewiki haben ihr Heerwesen reorganisiert, und nun ist Disziplin bei ihnen, so dass eigentlich nur noch in der Weise gestohlen wird, wie von jeher in Russland gestohlen wurde. Rohheit herrscht überall nach diesem fluchwürdigen Kriege. Wie kann es anders sein, als dass junge Menschen, die vielleicht vier Jahre vor Ausbruch des Krieges Soldat wurden und die bis heute das rohe Handwerk übten, in moralische Verwirrung geraten!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes