Chortitza-Rosenthal, am 5. November 1919.

Ein neuer erbarmungsloser Feind! Wir sind verloren! Der schwarze Tod geht um. Erbarmungslos fasst er zu. Zuerst erkrankten die Anarchisten. Sie lagen in allen Häusern herum, und die einheimische Bevölkerung pflegte sie. Nun ist der Funke auch zu uns übergesprungen: Flecktyphus! Ich sprach mit dem Arzt H. Er betätigte, dass es in den meisten Fällen Flecktyphus sei, in den übrigen sei es der Rückfalltyphus. Die Krankheit der letzten Art lässt ihren Opfern nach etwa einer Woche eine Pause von einigen Tagen. Das Fieber weicht, die Kranken glauben sich gesund und beginnen zu essen. Dann aber setzt das Fieber in verstärktem Maße ein. Es ist, wie wenn die Katze mit der Maus spielt. Wenn die Maus sich freigegeben glaubt, springt der grausame Peiniger von neuem zu und würgt das hilflose Tierchen.

Es gibt für uns kein Entrinnen, denn auch die Ärzte willen unter den obwaltenden Umständen kein Mittel, uns zu schützen. Absonderung der Erkrankten wäre die einzig mögliche Rettung, aber diese Maßnahme ist gänzlich unmöglich. Die Anarchisten, auch die kranken, lassen sich nicht aus den Häusern wegtragen. Man hat es versucht. Zurzeit ist es schon zu spät. Es sind ihrer zu viele.


Von zwei Ärzten liegt der eine schon krank darnieder. In der Apotheke gibt es keine Arznei mehr. Schmerzlich ist die Erkenntnis, dass wir alle demselben Schicksal entgegengehen. Früher oder später muss jeder daran glauben. Vorgestern starb einer meiner Kollegen und eine meiner Schülerinnen, eine achtzehnjährige Seminaristin. Nur wenige Menschen begleiteten die beiden Särge auf den Friedhof. Als wir die Gräber zuschütteten, merkten wir, wie kraftlos wir schon sind. Wir konnten es fast nicht schaffen.

Das große Leid ist nun in jedem Hause. Von den 6.000 Einwohnern unseres Ortes hat jeder mit den Kranken zu tun.

Außer den Anarchisten sind bei uns schon erkrankt das kleine Töchterchen meines Freundes und die Großmutter. Bewusstlos liegen die Elenden da im höchsten Fieber, und wir können ihnen nicht helfen! Nicht einmal den Arzt können wir zur Beruhigung herbeiholen. Der eine Arzt, der noch aufrecht ist, geht von Bett zu Bett und ist bereits so erschöpft, dass seine Erkrankung jeden Augenblick eintreten muss.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes