Chortitza-Rosenthal, am 26. Oktober 1919.

Unser Kommandant teilte mir heute mit, dass die Erregung unter den Anarchien nachgelassen hat. Mag sein, dass ihre Kampflage sich etwas gebessert hat. In den letzten Tagen waren die Telefonisten sehr aufgeregt am Telefon. Heute sprechen sie nicht so viel. — Ich hörte gestern, dass sie sich untereinander darüber unterhielten, ob die Hauptstadt Jekaterinoslaw noch in ihrem Besitz sei oder nicht. Obwohl wir die Ohren spitzen, dürfen wir jedoch nie direkt nach ihrer Kampfeslage fragen, um nicht in den Verdacht zu kommen, dass unser Verhalten nicht mehr neutral ist. Die Haltung der Anarchisten ist uns gegenüber drohend genug. Es gibt eine besondere Inquisitionsabteilung unter ihnen, die sich den Anschein gibt, Gegenspionage zu betreiben. An der Spitze steht der berüchtigte Batjko Prawda. Man nennt ihn die rechte Hand Machnos. Er ist ein Mann von ungewöhnlich kräftiger Konstitution, dem nur die Füße fehlen. Sie sind ihm früher amputiert worden. Er steht und geht auf künstlichen Füßen, die er an seinen kurzen Beinen angebracht hat. Er soll früher Bettler gewesen sein. Jetzt ist er neben Batjko Machno ein Glanzstern unter den Anarchisten, die ihm sogar den Zunamen Batjko (Väterchen) gegeben haben. Er kennt keine Rücksicht und schrickt vor keinem Mittel zurück, Menschen zu quälen. Nicht weit von uns wohnt ein Mann, der Mitinhaber einer Fabrik war. Offenbar vermuten sie bei ihm Geld und da hat Batjko Prawda ein Verhör mit ihm angestellt. Er soll gestehen, wo er Gewehre versteckt hat. Da er keine besitzt, begann man die Inquisition. Man knutete ihn, man entkleidete ihn und letzte ihn auf eine Flamme, dann wieder errichtete man einen Galgen, knüpfte ihn auf, bis er am Verscheiden war und ließ ihn wieder auf die Erde. Quälereien in dieser Richtung gehen noch viel weiter.

Vor einiger Zeit stäupte man einen Mann P., damit er angebe, wer von den Deutschen Gewehre versteckt halte. Als die Qual unerträglich wurde, hatte der Mann die Schwäche, einige Namen zu nennen, um nur nicht mehr gefoltert zu werden. Darauf nahm man die genannten Männer vor. Es waren zwei meiner Schüler, junge Lehrer. Während drei Tagen hat man sie fast stündlich mit Bleiknuten geschlagen, dass sie schließlich flehentlich ihre Peiniger um die Gnadenkugel baten. Man schickte sie schließlich heim, aber nun liegen sie da und man versicherte mir, dass keine Stelle am ganzen Körper heil geblieben wäre. Man habe die in die Wunden verheilten Kleider nur mit größter Mühe abnehmen können. Jetzt liegen die armen unschuldigen Opfer in ihren Eiterwunden, und man weiß nicht, auf welche Seite man sie schmerzlos betten soll.


Einen Familienvater, Mühlenbesitzer, haben sie derart misshandelt, dass er nach zwei Tagen gestorben ist. —

Und diese Inquisitoren waren auch bei uns. Sie gaben vor, mein Freund und ich hielten zwei Ballen Kleidertuch versteckt. Diese ungeheuerliche Behauptung hatte den gleichen Zweck, uns zu quälen. Ich war nicht im Haus, und es wurde nach mir geschickt. Mein Freund aber wandte sich, als man ihn mit den Waffen bedrohte, an untere Einquartierung, und diese lenkte das Unheil ab. Jene gingen darauf zu unserem alten Nachbarn und durchsuchten dessen Haus und fanden ein Stück Sohlenleder, was zu unserer Zeit mehr wert ist als Geld. Damit hatte es diesmal sein Bewenden. Diese Inquisitoren suchen sich täglich neue Opfer aus.

Jeder seufzt: Los von diesen Peinigern!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes