Chortitza-Rosenthal, am 24. Oktober 1919.

Ein furchtbares Ereignis hat sich zugetragen. Als Gerücht war es mir bekannt seit zwei Tagen. Ich glaubte dem nicht. Heute habe ich die sichere Bestätigung erhalten. Das Hofdorf Eichfeld — nur 25 Werst von hier entfernt, existiert seit dem 18. Oktober nicht mehr. Am 17. Oktober abends haben Reiterbanden das Dorf umstellt, sich auf die einzelnen Höfe verteilt und die Deutschen so überrascht, dass keiner dem anderen Nachricht geben könnte. Dann haben sie, meist mit kalter Waffe, die ganze männliche Bevölkerung über 15 Jahre niedergemacht: 84 Menschen. Es mühen sich herzbrechende Szenen abgespielt haben, wobei Frauen in der Verzweiflung mit ihren Leibern ihre Männer oder Söhne zu schützen versucht, aber nur ihr Leben eingebüßt haben. Die meisten Witwen sind mit ihren Kindern, viele in Nachtkleidern, barfuß in die Frostnacht hinausgeflohen. Sie haben Zuflucht gesucht in dem vier Werst entfernten deutschen Nachbardorf. Jedoch auch dort sollten sie auch nicht zu Atem kommen. Die gleiche Metzelei begann auch hier. Unerklärlicherweise hat sich das Tragödienspiel nur auf zehn Höfen abgespielt. Dann sind jene Räuber, von denen viele als Bewohner des nächsten ukrainischen Russendorfes erkannt worden sind, wieder abgezogen. Von den vierzig Höfen des verlassenen Dorfes Eichfeld fahren die Russen der Nachbardörfer in großen Transporten alles bewegliche Inventar davon. Auch die Dächer werden abgetragen und weggeschleppt.

Mit Hochspannung warten wir auf unter Verhängnis. Die Spannung übertäubt alle Qualen, die wir sonst tagtäglich ertrugen und die uns so empfindlich peinigten. Noch hat man uns vor die Entscheidung nicht gestellt. Aber dass wir mit Räubern nicht paktieren können, ist sonnenklar.


Morgen kommt das vierte Regiment zurück und das sechste kommt an seiner statt an die Front. Wir kennen jene Helden schon zur Genüge. Da haben sich die rabiatesten Teufel zusammengefunden. Wir zittern. Wir wissen, was geschehen kann.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes