Chortitza-Rosenthal, am 17. Oktober 1919.
Wir gehen weiter in den Herbst hinein und wünschen, dass es tüchtig kalt wäre. Zwar wissen wir nicht, womit wir in diesem Winter den Ofen heizen werden; aber untere Hoffnung gründet sich auf die Hilfe des Frostes. Sobald der Dnjepr erstarrt und das Eis tragen wird, muss es eine Wendung geben, denn dann können entweder jene herüber oder diese hinüberkommen. Die meisten wünschen im stillen Herzen, jene möchten herüberkommen. Wenn es die Weißen sind, müssten sich auch unsre Jünglinge, die im Selbstschutz waren, wieder einfinden. Russlands Rettung bringen die Weißen keinesfalls und deshalb könnte ihre Herrschaft auch nur eine vorübergehende Phase sein. Mag kommen, wer will, und wenn es der Teufel ist, so schlimm kann es nicht sein, wie diese Höllenmenschen. So sagen viele. Rette uns, Frost! Dnjepr, erstarre!
Das Thermometer lässt untere Hoffnung sinken. Der Dnjepr fließt noch . . .
Bande! Wozu treibt sie uns! Der Ofen muss geheizt werden, und da gilt es Brennstoff zu beschaffen. Auf einem Hof, der von dem Besitzer verlassen werden musste, weil er den Zustand nicht mehr ertragen konnte, stehen auf der Tenne Strohhaufen. Von dort her müssen mein Freund und ich in großen Bündeln das Stroh auf dem Buckel heimtragen. Es ist eine grässliche Arbeit. Die Haufen sind bei Tauwetter von Vieh und Menschen auf der Suche nach trockenem Stroh zerwühlt worden, und nun ist alles hart gefroren. Es ist eine Sträflingsarbeit, sich durch die gefrorenen Strohklumpen mit bloßen Händen durchzuarbeiten und dann mühsam das heizbare Stroh zu zupfen. Von allen Seiten werden Tunnels in den Haufen hineingearbeitet und glaubt man sein Bergwerk ausbeuten zu können, fällt es plötzlich zusammen, weil jemand darüber hinwegging. Von neuem geht man mit blaurotgefrorenen Händen an die undankbare Arbeit. Keuchend schleppen wir heraus und müssen gleich wieder den Gang wiederholen, weil bei dieser Kälte der Ofen ungeheure Mengen Stroh braucht, um Wärme zu geben. Unsere Gäste sitzen währenddem am Ofen und gehen Fruu Grete knurrend zu willen, dass sie es noch wärmer haben möchten. Und unwillkürlich stutzt man: Welche Wendung hat unsere Weltordnung genommen? Hat man nur deshalb viele arbeitsreiche Jahre auf das Universitätsstudium verwandt, um ungeschlachten Analphabeten den Ofen zu heizen? Glaubten wir denn nicht, dass die unwissenden Massen von uns belehrt sein wollten? Und nun sehen wir: sie wollen unteren Weisheitskram gar nicht. Wer fragt nach Wissenschaft? Sie haben der Weisheit letzten Schluss gefunden. Wir Vertreter der hohen Wissenschaften grübeln und — graben wie die Maulwürfe im Stroh. O Tempora o mores! Aber lernen wir das eine wenigstens, noch ehe wir an die Ursachen und Folgen der Zerstörung Karthagos herangehen, dass wir das Leben nur im Leben kennen lernen. So ist es: sie sind die Herren und wir die Sklaven. So war’s ja schon oft im Laufe der Jahrhunderte. Aber feinfühliger, empfinden wir die Schmach vielleicht doppelt hart. Tatsache bleibt, dass wir innerlich stark entrüstet sind darüber, statt Hüter der Wissenschaft zu sein, nur Pferdekräfte ersetzen zu müssen und Wüstlingen zu dienen. Spartaker, wir greifen nicht zu den Gewehren! Wenn wir edler sind als unsere Peiniger, verwenden wir andere Waffen!
Das Thermometer lässt untere Hoffnung sinken. Der Dnjepr fließt noch . . .
Bande! Wozu treibt sie uns! Der Ofen muss geheizt werden, und da gilt es Brennstoff zu beschaffen. Auf einem Hof, der von dem Besitzer verlassen werden musste, weil er den Zustand nicht mehr ertragen konnte, stehen auf der Tenne Strohhaufen. Von dort her müssen mein Freund und ich in großen Bündeln das Stroh auf dem Buckel heimtragen. Es ist eine grässliche Arbeit. Die Haufen sind bei Tauwetter von Vieh und Menschen auf der Suche nach trockenem Stroh zerwühlt worden, und nun ist alles hart gefroren. Es ist eine Sträflingsarbeit, sich durch die gefrorenen Strohklumpen mit bloßen Händen durchzuarbeiten und dann mühsam das heizbare Stroh zu zupfen. Von allen Seiten werden Tunnels in den Haufen hineingearbeitet und glaubt man sein Bergwerk ausbeuten zu können, fällt es plötzlich zusammen, weil jemand darüber hinwegging. Von neuem geht man mit blaurotgefrorenen Händen an die undankbare Arbeit. Keuchend schleppen wir heraus und müssen gleich wieder den Gang wiederholen, weil bei dieser Kälte der Ofen ungeheure Mengen Stroh braucht, um Wärme zu geben. Unsere Gäste sitzen währenddem am Ofen und gehen Fruu Grete knurrend zu willen, dass sie es noch wärmer haben möchten. Und unwillkürlich stutzt man: Welche Wendung hat unsere Weltordnung genommen? Hat man nur deshalb viele arbeitsreiche Jahre auf das Universitätsstudium verwandt, um ungeschlachten Analphabeten den Ofen zu heizen? Glaubten wir denn nicht, dass die unwissenden Massen von uns belehrt sein wollten? Und nun sehen wir: sie wollen unteren Weisheitskram gar nicht. Wer fragt nach Wissenschaft? Sie haben der Weisheit letzten Schluss gefunden. Wir Vertreter der hohen Wissenschaften grübeln und — graben wie die Maulwürfe im Stroh. O Tempora o mores! Aber lernen wir das eine wenigstens, noch ehe wir an die Ursachen und Folgen der Zerstörung Karthagos herangehen, dass wir das Leben nur im Leben kennen lernen. So ist es: sie sind die Herren und wir die Sklaven. So war’s ja schon oft im Laufe der Jahrhunderte. Aber feinfühliger, empfinden wir die Schmach vielleicht doppelt hart. Tatsache bleibt, dass wir innerlich stark entrüstet sind darüber, statt Hüter der Wissenschaft zu sein, nur Pferdekräfte ersetzen zu müssen und Wüstlingen zu dienen. Spartaker, wir greifen nicht zu den Gewehren! Wenn wir edler sind als unsere Peiniger, verwenden wir andere Waffen!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes