Ein Tag in Worms im Juni 1852

Jüdische Gemeinde – Luther. - Reichstag
Autor: Morgenblatt für gebildete Leser. Jahrgang 36, Erscheinungsjahr: 1852
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Worms, Rhein, Juden, Reichstag, Reformator, Luther
Vom Rhein bis zur Stadt ist nur eine kurze Strecke. Der Weg führt über einen flachen Grund von Äckern und Wiesen. Pappeln und Weiden, die stete Verzierung des mittelrheinischen Ufers, fehlen auch hier nicht, bis dahin, wo sie den Obstgärten das Feld räumen. Auch die Fischer- und Bleicherhütten am schmalen Wasser eines Altrheins oder Bachausflusses sind reichlich und in mannigfaltiger Form vertreten und geben Stoffe zu recht hübschen kleinen Landschaftsbildern mit der nötigen Staffage von proletarischen Weibern und Kindern, wie sie ein niederländischer Maler nur wünschen könnte. Darauf tritt die alte, stückweise noch erhaltene Stadtmauer näher, und über dieselbe und durch ihre weiten Breschen schauen die nur im Bilde schönen Rückseiten alter Häuser hervor. Das Tor ist verschwunden, aber zwei alte Mauertürme mit ihren Zinnen stehen noch fest und warten nicht mehr der zerstörenden Faust des Krieges, sondern der nivellierenden Hand der modernen Kultur, die allenthalben unablässig beschäftigt ist, die Reste und charakteristischen Zeichen des Mittelalters aus der Umgebung der Städte zu entfernen, in denen das moderne Bürgertum nur von parlamentarischen Kämpfen redet und solche führt und dabei der alten Zeit lächelt, in der der Bürger mit Armbrust und Hakenbüchse hinter den Zinnen der gemeinsamen Schutzmauer stand.

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Die Richtung der Gassen ist noch recht mittelalterlich krumm und eckig, nichts daran modernisiert, obwohl die ältesten Häuser beziehungsweise neu genannt werden müssen, da ihre Entstehung kaum anderthalb Jahrhunderte hinter der Jetztzeit liegt. Man atmet ordentlich wieder auf, wenn man die lange, dem Rhein parallel laufende Hauptstraße erreicht hat, deren Name, Kämmerergasse, an das uralte heimische Geschlecht derer von Dalberg erinnert.

Hier ist wenigstens Licht und Luft, da und dort sogar ein mehr oder minder freier Raum, selbst ein geräumiger Platz, wie der bei der St. Martinskirche. Das Gepräge der lebendigen Kleinhandelsstadt tritt so recht augenfällig hervor. Laden schließt sich an Laden, Kram an Kram, Wirts- und Gewerbehäuser bilden da und dort eine kurze Unterbrechung. Israel for ever! aber auch kein Wunder.

Die Wormser Juden datieren weit zurück. In der Tat dürfte diese israelitische Gemeinde die älteste in Deutschland sein. Wenn auch nicht schon fünfhundert Jahre vor Christus Juden hier sich angesiedelt haben, wie behauptet werden will, so ist doch ziemliche Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass dies schon vor der Zerstörung Jerusalems geschah. Jedenfalls haben die Wormser Juden zu aller Zeit behauptet, an der Kreuzigung Jesu keinerlei Schuld zu tragen, da ihre Vorfahren schon vor jener Zeit hier ansässig gewesen. Das war in der Tat ihr Schade nicht.

Durch das ganze Mittelalter herab standen sie ziemlich oben an unter den „kaiserlichen Kammerknechten,“ haben manche Privilegien vor andern voraus erhalten, und der Oberrabbi von Worms hatte, nach kaiserlicher Verfügung, den Vorrang vor allen andern in Deutschland.

Die prachtvollste Synagoge stand in Worms, und was noch von derselben vorhanden, beweist zum mindesten, dass sie von hohem Alter ist. So unscheinbar sie von außen dasteht, so merkwürdig sind einzelne Teile des Innern, die unleugbar das Gepräge der Baukunst des zehnten Jahrhunderts tragen. So berühmt als diese Synagoge, ja noch berühmter war seiner Zeit „der heilige Sand,“ die israelitische Begräbnisstätte. Judäas geweihte Erde war in Schiffen hierher gebracht worden, und manche Gläubige aus fernen Gegenden verordneten, dass ihre Leichname nach Worms gebracht werden sollten, damit sie dort im heiligen Sande ihre Ruhestätte fänden. Worms hat auch noch sein altes Ghetto, trotz des Feuers von 1689.

Es verschonte gerade dieses Viertel. Indes ist die Judengasse jetzt meist von Christen bewohnt, während die Juden sich mehr der Hauptstraße zugewendet und bemächtigt haben. Sie sind hier allenthalben im Vordergrund, und darum wohl auch keine andern bedeutenden Familien hier ansässig.

Wie man in Konstanz nach dem Konsiliums-Saal fragt, so fragt und sucht hier jeder, der nach Worms kommt, gewöhnlich zunächst nach der welthistorischen Stelle, wo einst Luther vor Kaiser und Reich gestanden und sein berühmtes „Hier stehe ich und kann nicht anders“ ausgerufen. Aber kein Gastwirt, kein Krämer und selbst kein Gelehrter kann darüber bestimmte Auskunft geben. Krieg und Zeit haben so gründlich aufgeräumt, dass von jenen Gebäuden kein Stein auf dem andern geblieben. Man ist sogar darüber nicht einig, ob die große Szene im Rathaus, oder im Bischofshof, oder wo sonst gespielt. Der letztere, einst in der Nähe des Doms auf den Unterlagen des uralten Palastes der burgundischen Könige erbaut, bot die ausgedehntesten Räume, während der Rathaus- oder Bürgerhofsaal für jene Reichstagssitzung wohl zu klein war. Dieses Rathaus stand einst an der Stelle der jetzigen evangelischen Kirche am Markte, da wo vor Zeiten die Pfalz des Königs Dagobert und Karls des Großen sich erhob. Schon um deswillen werden Reisende meist dahin gewiesen, freilich um nichts zu sehen, als eine massive Kirche aus dem vorigen Jahrhundert, die innen noch viel geschmackloser ist als außen. Ronge muss wohl auch berichtet worden sein, hier sei die denkwürdige Stelle gewesen, denn als er Anno 1845 nach Worms kam, postierte er sich just vor die Pforte dieser Kirche und glaubte wohl in den Schuhen des großen Reformators zu stehen, als er das Volk anredete, das Kopf an Kopf gedrängt den ganzen Marktplatz füllte. Er war sicherlich im Irrtum. Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, zu bemerken, dass die Wormser, wohl in Folge reformatorischer Reminiszenzen, dem kleinen Nachtreter des großen Luther in ziemlicher Zahl sich anschlossen und gleich darauf zwei deutsch-katholische Prediger zumal anstellten. Jetzt ist kaum einer mehr da, und der Lärm, der sich so laut geäußert, ganz kleinlaut geworden, ja fast verklungen und verschollen.

Worms - Der Marktplatz und Dom

Worms - Der Marktplatz und Dom

Worms - Der Dom

Worms - Der Dom

Worms - Die Dreifaltigkeitskirche

Worms - Die Dreifaltigkeitskirche

Worms - Der Rhein-Hafen

Worms - Der Rhein-Hafen

Worms - Das Lutherdenkmal (Ausschnitt)

Worms - Das Lutherdenkmal (Ausschnitt)

Worms - Das Lutherdenkmal

Worms - Das Lutherdenkmal

Worms - Rheinbrücke

Worms - Rheinbrücke

Worms - Stadtansicht

Worms - Stadtansicht