Abschnitt. 3

Nelson antwortete, daß, wenn er eine Schlacht gewönne, diese nach ihr und der Königin benannt werden solle, denn ihnen allein würde England den Sieg und den Dank dafür schuldig sein. Er gewann die denkwürdige Nilschlacht (Abukir). Wäre seine Flotte außerstande gewesen, sich im Hafen von Syrakus mit Wasser und Lebensmitteln zu versehen, so würde die Schlacht ungeschlagen geblieben sein. Es ist durchaus Pflicht hierauf hinzuweisen. Mag man die Fehler Lady Hamiltons und ihre sittliche Führung verurteilen, es unterliegt auf der andern Seite keinem Zweifel, daß England ihrem Patriotismus große und unvergleichliche Dienste verdankt. Wie schnöde man diese Dienste vergaß, werden wir noch Gelegenheit finden, unter Erröten zu schildern.

Krank und wund kam Nelson am 20. September 1798 nach Neapel. Er trat im Hause des britischen Gesandten ab und fand von Seiten Lady Hamiltons eine Abwartung und Pflege, die ihm nach verhältnismäßig kurzer Zeit Frische und Gesundheit wiedergaben.


Doch von anderer Seite her zogen sich Wolken zusammen, und machten, alsbald für immer, den gastlichen Tagen in Neapel ein Ende. Der französische Gesandte zögerte keinen Augenblick, auf das Einlaufen der englischen Flotte in den Hafen von Syrakus als auf einen Friedensbruch hinzuweisen; aber so mächtig war der Einfluß Lady Hamiltons auf die Entscheidung des Hofs, daß man sich entschloß, die Beziehungen zu Frankreich überhaupt abzubrechen und dem Gesandten der Republik zu bedeuten, daß er Neapel binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen habe. Dieser Schritt war kühn, aber nicht glücklich. Eine französische Armee drang aus Ober-Italien unaufhaltsam vor und warf das neapolitanische Heer über den Haufen, das halb aus Feiglingen, halb aus Verrätern bestand. Im Dezember marschierten die Franzosen auf Neapel und der Hof mußte fliehen. Aber ohne die Geistesgegenwart der Lady Hamilton wäre es bereits zu spät gewesen: König Ferdinand würde als ein Opfer der Volkswut gefallen sein und Maria Karoline das Schicksal ihrer Schwester Marie Antoinette geteilt haben. Lady Hamilton, wiewohl selbst von tausend mißtrauischen Augen bewacht, übernahm die Rettung der königlichen Familie und führte sie aus, wie alles, was sie unternahm. Durch einen unterirdischen Gang, der vom Palast aus zur Küste führte und an dessen Vorhandensein, in der allgemeinen Furcht und Verwirrung, niemand außer ihr gedacht hatte, schaffte sie die königliche Schatulle, Kostbarkeiten und allerhand Meisterwerke der Skulptur und Malerei, alles zusammengenommen zu einem Wert von dritthalb Millionen Pf. St., auf die britischen Schiffe; – mit einem Worte, sie war, wie der sonst sicherlich nicht poetisch überschwengliche Nelson sich ausdrückte, „ein vom Himmel gestiegener Engel“, herabgesandt zu Trost und Rettung der königlichen Familie. Die Verluste Sir William Hamiltons bei dieser Gelegenheit waren außerordentlich bedeutend; um nicht Verdacht zu erwecken und die Flucht glücklich bewerkstelligen zu können, ließ er die ganze Einrichtung seines Hauses, sowie alles bewegliche Eigentum seiner Gemahlin zurück, und büßte dabei ein Vermögen von 39.000 Pf. St. ein. – Nelson empfing das neapolitanische Königspaar, so wie Sir William und Lady Hamilton an Bord des Vanguard und führte sie in Sicherheit nach Palermo.

Die politische Bedeutsamkeit Lady Hamiltons schließt mit diesem Tage ab; der Hof eines flüchtigen Königspaares bot kein Feld mehr für ihre Tätigkeit. – Wann ihre Beziehungen zu Nelson intimerer Art wurden, wäre nutzlos zu untersuchen; es genügt, daß sie es wurden. Wie man auch über dies Verhältnis denken mag, es war wenigstens ein offenes und ehrliches und entzog sich weder dem Licht des Tages noch dem Urteil der Welt. Sir William kannte und – duldete es. Nelson fiel bei Trafalgar 1805. Sir William Hamilton starb 1808. Am 30. Januar 1801 gebar Lady Hamilton eine Tochter; sie ward Horatia getauft; ihr Vater war Lord Nelson.

Die Menschen lieben es (natürlich an andern) sich Schuld und Strafe die Waage halten zu sehen. Das Leben Lady Hamiltons gewährt dem Auge des Beschauers diese Befriedigung im vollsten Maße; es endigt als Trauerspiel. Bei der Rückkehr Sir Williams nach England lag diesem begreiflicherweise nichts näher, als um annähernde Ausgleichung der schweren Verluste zu bitten, die er in Neapel erlitten hatte. Lady Hamilton setzte ihre Juwelen an die Unterstützung dieses Gesuchs. Vergeblich; Sir William starb nach Jahren; seine Bitte war und blieb unerfüllt. Sterbend beauftragte er seinen Neffen, Mr. Greville, zugunsten Lady Hamiltons Se. Majestät um Fortdauer der Pension anzugehen, die er bei Lebzeiten bezogen hatte. Er berief sich dabei auf den patriotischen Eifer, den seine Gemahlin im Dienste Englands gezeigt habe; umsonst, Eifer und Dienste waren undankbar vergessen.

Am 21. Oktober 1805, an Bord des „Victory“ und angesichts der vereinigten französischen und spanischen Flotte, zog sich Nelson in seine Kajüte zurück, um ein Kodizill zu seinem Testamente zu machen. Er verwies auf die vielfachen und großen Verdienste Lady Hamiltons und schrieb wie folgt:

„Wär’ ich selbst imstande gewesen diese Dienste zu belohnen, ich würde jetzt nicht das Land anraten, es zu tun; doch es lag außer meiner Macht, und so hinterlaß’ ich denn Emma Lady Hamilton meinem Könige und meinem Vaterlande als ein Vermächtnis, und erbitte für sie alles das, was nötig sein wird, ihre Stellung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Ebenso empfehl’ ich meine Adoptiv-Tochter Horatia Nelson Thompson der Wohltätigkeit meines Landes und spreche hiermit den Wunsch aus, daß sie in Zukunft allein den Namen ‘Nelson’ führen möge. Dies sind all meine Wünsche, die ich in demselben Augenblicke an König und Vaterland zu richten habe, wo ich auf dem Punkt stehe, eine Schlacht für sie zu schlagen.

Möge Gott mein Land und meinen König segnen, und alle diejenigen, die meinem Herzen nahestanden. Auf meine Familie hinzuweisen ist überflüssig; es wird sich von selbst verstehen, Sorge für sie zu tragen.“

Wenige Stunden nach der Unterzeichnung dieses Dokuments lag Nelson auf seinem letzten Bett. Ein Schuß aus dem Mastkorb des „Redoutable“ hatte sein Werk getan. Dr. Scott war um ihn. „Doktor“ –sprach der Sterbende – „wie ich Euch sagte – es ist vorbei.“ – Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich hinterlasse Lady Hamilton und meine Adoptiv-Tochter Horatia dem Lande als ein teures Vermächtnis.“

Fünf Viertel-Stunden später trat Kapitän Hardy an das Lager des Admirals. „Ich hoffe“ – sprach Nelson mit fester Stimme – „daß keins unsrer Schiffe genommen wurde!“ „Nein, Mylord „ – antwortete Hardy – „damit hat’s nichts auf sich.“ „Ich bin ein toter Mann, Hardy“ – fuhr Lord Nelson fort – „ich fühl’ es, es geht schnell; bald wird’s vorbei sein. Tretet näher. Bitt’ Euch, sorgt dafür, daß meine liebe Lady Hamilton mein Haar empfängt und alles, was mir sonst noch gehört.“

Wieder verging eine Stunde und wieder war Hardy an seiner Seite. „Noch wenig Minuten und – es ist aus. Werft mich nicht über Bord, Hardy.“ Der Kapitän antwortete: „O nein, gewiß nicht!“ und Nelson fügte hinzu: „Ihr wißt, was Ihr zu tun habt. Sorgt für meine liebe Lady Hamilton, sorgt für die Arme!“

Wenig Augenblicke noch und Nelson sprach seine letzten Worte: „Dank Gott, ich habe meine Pflicht getan!“ Doch die Worte, die diesen unmittelbar vorausgingen, waren die alten Klagetöne: „Vergesset mir nicht, Doktor, daß ich Lady Hamilton und meine Tochter Horatia dem Lande als ein Vermächtnis hinterlasse. Vergeßt mir Horatien nicht!“

Nelsons Kodizill erwies sich nicht besser als ein unbeschriebenes Blatt Papier. Seine letzten Bitten verhallten in leere Luft; Lady Hamilton fand nicht Trost und nicht Hilfe. Schreiende Undankbarkeit, lieblose Härte brachen von jetzt ab in ununterbrochener Reihenfolge über die Verlassene herein. Kapitän Blackwood, gehorsam dem Wunsche seines Freundes, brachte das Dokument nach London und legte es in die Hände des Rev. William Nelson, Bruder des Admirals, und später Earl Nelson. Dieser ehrenwerte Gentleman befand sich nebst Gemahlin und Familie gerade um diese Zeit in dem gastlichen Hause der Lady Hamilton und war derselben ohnehin dadurch verschuldet, daß seine Tochter bereits sechs Jahre lang im Hause der Lady lebte, und von dieser auf das liebevollste und sorgfältigste erzogen worden war. Der ehrenwerte Gentleman hielt es indessen für angemessen alles dessen uneingedenk zu sein, und in nicht ungegründeter Furcht, daß die Überreichung dieses Kodizills die Höhe der Summe beeinträchtigen könne, welche das Parlament auf dem Punkte stand für die Familie Lord Nelsons zu bewilligen, fand er es für passend das Kodizill so lange in seine Tasche zu stecken, bis die volle Summe von 120.000 Pfd. St. der Familie zugestanden war. An demselben Tage speiste er bei Lady Hamilton in Clarges-Street, und mit der befriedigten Miene eines Mannes der sich vorgesehen hat, überreichte er jetzt das wertlos gewordene Papier seiner Wirtin und bat sie sarkastisch, damit zu tun was ihr gut erscheine.

Und wie dieser, so alle. Man zog sich zurück, ja mehr, man floh sie, sie, die einst der Mittelpunkt fürstlicher Feste und die Freundin einer Königin gewesen war. Man kannte jetzt plötzlich ihre Vergangenheit, weil man sie kennen wollte; die Welt war nicht tugendhafter, aber Lady Hamilton war – arm geworden. Wenige Meilen von London, nahe dem Merton-Schlagbaum, hatten Nelson und seine Geliebte einst ihren gemeinschaftlichen Wohnsitz gehabt. Das Haus mit allen seinen Schulden und Verpflichtungen kam jetzt an Lady Hamilton. Sie hatte nie zu sparen verstanden und verstand es auch jetzt nicht; nach kurzer Zeit schon ward ihr das Haus genommen. Sie ging nach Richmond, verließ es aber bald und mietete sich in Bond-Street ein. Von hier ward sie durch unbarmherzige Gläubiger vertrieben und verbarg sich längere Zeit vor ihnen, man weiß nicht wo. 1813 finden wir sie in Kings-Bench, bis das Mitleid eines City-Alderman sie aus dem Gefängnis befreite. Krank an Leib und Seele und durch einen gewöhnlichen Kutscher abermals mit Gefängnis bedroht, sehen wir das unglückliche Weib auf der Flucht nach Calais. Hier gab ihr der englische Dolmetscher, selbst ein unvermögender Mann, eine armselige Wohnung. Aber der Roman ist noch nicht aus.
Eine englische Lady pflegte täglich bei einem Metzger in Calais das Fleisch für ihren Lieblingshund selbst einzukaufen. Der Dolmetscher trat an sie heran: „Ach Madame, ich weiß, Ihr habt ein Herz für Eure Landsleute! Da ist eine arme Lady, die froh sein würde, den schlechtesten Bissen zu haben, den Ihr Euren Hunde gebt.“ Mistreß Hunter, eine mildherzige Dame, war zu helfen bereit; sie schickte Speisen und Wein und bat den Dolmetscher alles zu beschaffen, was ihm nötig erscheinen möchte, die schreiendste Not zu lindern. Er tat’s, und bat dabei Lady Hamilton wiederholentlich, den Besuch der menschenfreundlichen Dame zu empfangen. Endlich gab jene ihre Zustimmung, aber nur unter der Bedingung, „daß es keine Dame von Rang und Titel sei“. Mrs. Hunter kam, die arme Kranke dankte ihr und segnete sie. – So starb Lady Hamilton, „schön“, wie ihr letzter Besucher erzählt, „noch im Tode“.

Der Earl Nelson aber, so wird einstimmig berichtet, ging alsbald nach Calais, um das Eigentum Lady Hamiltons in Empfang zu nehmen. Er fand nur Pfandscheine und Schuldverschreibungen, die er Miene machte uneingelöst zu sich zu stecken. Im übrigen verweigerte er beharrlich jede Bezahlung oder Wiedererstattung und kehrte vermutlich wenig befriedigt nach England zurück.

Das ist die Geschichte des Kindermädchen Emma Lyon!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Sommer in London