Abschnitt. 2

Sie war die Bewunderung aller Welt, aber kaum minder der Stolz Sir William Hamiltons, über den sie herrschte, wie Delila über Simson. Sie beschloß Nutzen zu ziehen von dieser unbeschränkten Gewalt, und im September 1791 finden wir sie als – Lady Hamilton. Kurz zuvor war Sir William von seinem Gesandtschaftsposten in Neapel nach London zurückgekehrt, und die „Gesellschaft“ jener Tage, nach französischem Vorbild nicht allzu peinlich in Sachen der Moral, beeilte sich, eine Erscheinung willkommen zu heißen, die, durch ihre Vergangenheit wie durch ihre Talente, in gleichem Maße Unterbrechung der Salon-Einerleiheit versprach. Nur eine Ausnahme war und blieb: der prüde Hof der Königin Charlotte weigerte sich, die ehemalige Courtisane zu empfangen, und ignorierte es, daß das ehemalige Kindermädchen des Dr. Budd zur Lady Hamilton und Gemahlin eines Gesandten am neapolitanischen Hofe emporgestiegen war. Ihr Aufenthalt in London währte nicht allzu lange; schon im folgenden Jahre kehrte ihr Gemahl auf seinen Posten zurück, und es entstand jetzt am sizilianischen Hofe die Etiketten-Frage, ob man einer Lady, die von ihrer eignen Souveränin mißachtet worden sei, Zutritt zu gestatten habe oder nicht. Marie Karoline indes, die stolze Schwester Marie Antoinettens, war viel zu eigensinnig und viel zu wenig wählerisch in der Wahl ihrer Mittel, um andauernd die prüde Laune einer englischen Königin zwischen sich und Lady Hamilton treten zu lassen, und binnen kurzem war diese dort Freundin, rechte Hand und Ratgeberin, wo man auf Augenblicke die Möglichkeit ihres Erscheinens in Frage gestellt hatte. Das Band, was sich bald fester und fester zwischen beiden Frauen knüpfte, war kein Band wahrer und inniger Zuneigung: Marie Karoline verstand nicht zu lieben, aber ihr unbegrenzter und unvertilgbarer Haß gegen Frankreich brachten ihr die Gemahlin des englischen Gesandten schon um deshalb näher, weil diese (was immerhin sonst auch) zum mindesten doch eine Engländerin war; und nun erst schuf die überraschende Gleichgeartetheit beider Gemüter ein Maß von Anhänglichkeit, das, wie fern auch von wahrer Liebe, nichtsdestoweniger in Worten und Briefen gelegentlich einen leidenschaftlichen Ausdruck fand.

Es war 1793, nach einem ungefähr einjährigen Aufenthalt in Neapel, als die erste Begegnung zwischen Lady Hamilton und Lord Nelson, damals noch Kapitän des Agamemnon, statthatte. Nelson zählte fünfunddreißig Jahre; nichtsdestoweniger paßte noch völlig jene Schilderung auf ihn, die zehn Jahre zuvor der spätere König William IV. als Midshipman in sein Tagebuch niedergeschrieben hatte.


Es heißt daselbst: „Wir lagen in Staten-Island und ich hatte Wache am Bord des ‘Barfleur’, als Kapitän Nelson vom ‘Albe-marle’ in seiner Barke anlegte und alsbald auf dem Deck erschien. Es war das seltsamste Exemplar von einem Kapitän, das ich all mein Lebtag sah. Schon sein Anzug fiel auf: er trug eine reichbesetzte Uniform; sein schlichtes ungepudertes Haar war in einen steifen hessischen Zopf von beträchtlicher Länge zusammengeflochten, und die altmodischen Schöße seiner Weste waren wenig geeignet, seine Erscheinung minder auffällig zu machen. Ich wußte nicht wer er war, und konnte nicht begreifen, was er überhaupt wolle. Meine Zweifel schwanden indes, als er mir durch Lord Hood vorgestellt wurde. Es lag etwas unwiderstehlich Liebenswürdiges in seiner Art zu sprechen und zu sein, und die Begeisterung, mit der er sich über jeden zum ‘Dienst’ gehörigen Gegenstand äußerte, bewies hinlänglich, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei.“

Die erste Begegnung zwischen Nelson und Lady Hamilton war nur flüchtiger Natur, dennoch hinreichend, um diese ausrufen zu lassen: „Er wird der größte Mann Englands werden !“

Fünf Jahre vergingen, bevor Nelson an die neapolitanische Küste zurückkehrte. Er war nicht mehr „Kapitän Nelson vom Agamemnon“, er war jetzt Fair, Feldherr, Eroberer und umrauscht von dem Jubel und Beifall halb Europas. 1794 hatte er Calvi belagert und ein Auge verloren. 1797 in der unsterblichen Seeschlacht von St. Vincent und unter dem Zuruf: „Westminster-Abtei oder rühmlicher Tod!“ hatte er den „San Josef“ geentert und den „San Nicholas“ dazu. Zwei Monate-später nahm er für immer Abschied von seinem rechten Arm bei Teneriffa, und wieder nach zwölf Monaten, in demselben Augenblicke als sich die Nilschlacht entschied, empfing er eine Wunde in den Kopf. Dieser Nelson setzte jetzt seinen Fuß auf neapolitanischen Boden und sah seine zukünftige Geliebte zum zweitenmal. Er war nicht schöner geworden, aber das Auge Lady Hamiltons hatte die Bewunderung glatter Gesichter hinter sich und ihre Seele jauchzte auf bei dem Triumphzug des Helden, als gälte ein Teil davon ihr selbst. Selber ruhmesgeizig, konnte sie nur noch die Träger des Ruhmes lieben.

Lady Hamilton war inzwischen und lange vor dem Eintreffen Nelsons nicht müßig gewesen. Sie hatte sozusagen Hand in Hand mit ihm gearbeitet und zu dem Erfolg seiner Unternehmungen, so wie zum wachsenden Glanze seines Ruhms nicht wenig beigetragen. Von dem Augenblicke ab, wo sie die Sache der englischen Flotte zur ihrigen machte, setzte sie ihre ganze Seele daran. Ihre Natur erlaubte ihr nicht, sich mit halben Triumphen zu begnügen, und jeder Stein, der ihrem Bau nicht paßte, mußte umgeformt oder beseitigt werden. Sie hatte in gleichem Maße den Mut, das Höchste zu wollen, und das Geschick, es auszuführen. Ein einziges Beispiel unter Tausenden mag für den klugen und opferbereiten Eifer sprechen, mit dem sie unausgesetzt für das Wohl ihres Vaterlandes tätig war. Eines Morgens erfährt sie, daß Privat-Depeschen des Königs von Spanien an den König von Neapel eingetroffen sind. Was ist ihr Inhalt? Sie weiß es nicht, aber sie will und muß es wissen. Mit Hilfe der Königin wird das Dokument aus dem Schlafgemach des Königs entwendet, abgeschrieben und ruhig wieder in die Westentasche gesteckt, daraus es genommen wurde. Der Brief war des Stehlens wert gewesen. Er sprach den festen Entschluß des Königs von Spanien aus: „die englische Allianz aufzugeben und einen Bund mit Frankreich gegen England einzugehen“. Kein Augenblick war zu verlieren. Ihr Gemahl lag lebensgefährlich krank darnieder, aber Entschlossenheit weiß sich selbst zu helfen. Schon in der nächsten Stunde war ein Privat-Kurier Lady Hamiltons auf dem Wege nach London; aus ihrer Börse hatte sie die 400 L. St. genommen, die nötig waren, das abschriftliche Dokument in die Hände Lord Grenvilles gelangen zu lassen. Man mag über diesen gestohlenen Brief denken wie man will (das Größte muß sich oft der kleinlichsten Mittel bedienen); niemand aber wird anstehen die Geistesgegenwart und den opferbereiten Patriotismus zu bewundern, der aus dieser Handlungsweise spricht.

Aber ein noch wichtigerer Dienst war ihrem Einfluß und ihrer Entschlossenheit vorbehalten, ein Dienst, den sie in gleichem Maße dem Lande, wie der Person Lord Nelsons leistete und diesen fast zu ihrem Schuldner machte. Im Juni 1798 suchte Nelson die französische Flotte; er verfehlte sie am Ausfluß des Nils, weil ihm inzwischen Nachricht geworden war, sie läge bei Malta. Unschätzbare Zeit war verlorengegangen und schlimmer als das, die englische Flotte begann Mangel zu leiden; Trinkwasser und Lebensmittel gingen aus. In dieser Not erschien Kapitän Troubridge in Neapel, um im Namen des Admirals die Erlaubnis um freien Eingang in die sizilischen Häfen nachzusuchen. Diese Erlaubnis ward verweigert, sie mußte verweigert werden, denn Frankreich und Neapel befanden sich zur Zeit in Frieden und ein Traktat bestand, wonach in allen sizilischen Häfen nicht mehr als zwei englische Kriegsschiffe angetroffen werden durften. Kapitän Troubridge stand auf dem Punkte mit seinem abschläglichen Bescheid zum Admiral zurückzukehren, aber die immerwache Lady Hamilton war inzwischen nicht müßig geblieben. Während König und Minister in früher Morgensitzung beisammen waren und hin und her berieten was zu tun und zu lassen sei, glitt Lady Hamilton leichten Fußes in das Schlafgemach Marie Karolinens, und sich vor sie auf die Knie werfend, beschwor sie die überraschte Königin, selbständig und unbekümmert um das „Ja“ oder „Nein“ des Ministerrats, einen Entschluß zu fassen. Sie schilderte ihr in den lebhaftesten Farben, daß das Wohl beider Sizilien in ihre Hand gelegt sei, daß die französische Flotte, wenn sie dem verfolgenden Nelson entginge, nicht gegen England, wohl aber gegen das stets verdächtige Neapel sich wenden werde, und daß von dem Ausgange dieser Stunde das Stehen oder Fallen ihres Thrones notwendig abhängig sei. „Schreiben Sie, Majestät! ein Federstrich und Sie sind Ihr eigener Befreier. Warum zögern? Ihre Unterschrift gilt überall im Lande wie die des Königs selbst; eine Zeile – und Land, Gemahl und Krone sind vom Untergang gerettet.“ Dieser siegenden Beredsamkeit unterlagen alle Bedenken; Feder, Tinte und Papier waren wohlweislich zur Hand; Lady Hamilton diktierte und die Königin schrieb eigenhändig den Befehl, daß alle Kommandanten beider Sizilien angewiesen seien, die englische Flotte mit Gastlichkeit zu empfangen und mit Wasser und Lebensmitteln nach Wunsch zu versorgen. Diese unschätzbare Ordne übersandte Lady Hamilton an Nelson, fügte aber in einem Privatschreiben den englisch-eifersüchtigen Wunsch bei, daß man die Dienste der Königin nicht weiter in Anspruch nehmen möge, als es zum Gelingen des Plans und zum Ruhme Englands dringend notwendig sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Sommer in London