Hier war der erste Durchbruch

Kurz hinter Brody fangt es zu schneien an und bald sind die Ackerfurchen leicht mit Schnee bedeckt. So fahren wir stundenlang durch weißes Land, bis wir auf einmal halten müssen. Hier ist eine Grenze. Nicht dass wir jetzt schon das ehemalige Russland vor uns hätten. Es ist nur die Grenze des nach dem bolschewistischen Rückzug automatisch erweiterten Generalgouvernements, soweit es bereits der Zivilverwaltung angeschlossen ist. Was östlicher liegt, ist Operationsgebiet und untersteht direkt der militärischen Verwaltung.

Plötzlich sehen wir die Überreste eines großen Kampfes. Von den Häusern zweier Dörfer, die in etwa einem Kilometer Abstand an der Straße stehen, sind kaum die Grundmauern übriggeblieben. Da und dort suchen Männer und Frauen mit Stöcken zwischen den verkohlten Trümmern, als ob es ihnen möglich wäre, noch irgendwelche Oberreste von ihrem Hab und Gut zu finden. Da und dort läuft auch noch ein Huhn, eine Ente und einmal sogar eine Gans, durch die Straßen der einstigen Dörfer. Hier wurde wahrhaftig ganze Arbeit geleistet. Auf der Strecke zähle ich im Vorbeifahren 39 mittlere und schwere Tanks, aber nicht ein einziger deutscher ist darunter.


Und noch etwas fällt mir auf, von dem ich bisher nur gehört oder gelesen hatte: Jetzt, wo das Getreide nicht mehr steht, sieht man ganz deutlich diese kreisrunden, in die Erde gegrabenen Löcher, die keinen größeren Durchmesser haben und die nicht tiefer sind, als dass sich ein Mann stehend gerade hinunterzwängen kann. Aus diesen „Fuchslöchern" — wie sie die deutschen Soldaten nennen, haben die Russen aus der natürlichen Deckung des Getreides heraus, ihre ahnungslosen Opfer aus drei bis vier Meter Entfernung abgeschossen. Den Erfolg dieser Kampfmethode sieht man an den am Ort des Todes geschaufelten Soldatengräbern. Hier drei, da vier und dort ein halbes Dutzend.

Das Terrain der Tankschlacht zieht sich etwa 15 Kilometer längs der Straße, bis in die Nähe von Dubno hin. Die zerstörten Panzer lassen sich am Ende nicht mehr zählen. Es müssen an die zweihundert sein, und auch acht deutsche sind noch dabei. In diesem Gebiet, in mehr oder weniger offenem Gelände, wurde der erste große sowjetrussische Abwehrversuch zerschlagen, an dieser Stelle gelang den Deutschen der erste große Durchbruch nach dem Osten.

Welcher Mut und welche innere Disziplin, welche unvorstellbare Tapferkeit muss das Herz dieser deutschen und auch der russischen Tankfahrer erfüllt haben! Man muss sich das vorstellen: Ein Gelände, das keinerlei Deckung bietet, nur hin und wieder eine Bodenwelle. Aber kein Baum, kein Strauch, nichts, gar nichts. Auf kilometerweite Entfernungen haben sich die Tankfahrer gesehen und sind aufeinander losgerannt. Mit dem vollen Bewusstsein, dass es keine andere Hilfe geben kann, als die eigene. Keinen andern Glauben und keine andere Hoffnung als die, auf sich selbst. So schoss der eine auf den andern, und jeder einzelne Mann in den Panzern musste es wissen und wusste es: Es wird solange aus allen Rohren geschossen, bis einer liegen bleibt. Und es ist immer einer liegen geblieben.

Die nachfolgenden Infantriekämpfe waren noch heiß genug. Den deutschen Truppen stellten sich dabei freiwillige Verbände von Ukrainern zur Seite. Wie sie gekämpft haben, das sehen wir in jedem Dorf, wo hohe Birkenkreuze ihre aus Erde erbauten und pyramidenhaft in die Hohe ragenden Grabdenkmäler schmücken
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Schweizer Journalist sieht Russland