Wie der Tannenbaum dem Waldbächlein einen Zweig nachschickte, und wie es ihm Anfangs in der Welt ging.

Wie nun der Tannenbaum gesehn,
Das Bächlein kehre nimmer wieder,
Ging durch sein Reis ein traurig Wehn,
Und helle Tropfen rannen nieder.
Doch weckten sie nicht die Röslein roth,
Die schliefen fort und immer fort;
Die Vöglein ließen hören kein Wort,
Sie lagen in den Nestern todt.
Und aus dem moosigen Gestein,
Daraus mit voller Wassermacht
Das Brünnlein sich befreit vom Schacht,
Rann noch ein Strahl gar schwach und klein.
Drein schüttelt' aus dem Herzensschoos
Den grünsten Zweig die Tanne los,
Und schickt' ihn so dem Bächlein nach.
Der fragte nicht, wohin, wozu?
Und auch der Tannenbaum nicht sprach –
'S war eine jammervolle Ruh'.

Doch drunten, da ward es gar rührig und laut;
Da trafen hundert geschwätzige Wellen
Zusammen als flüchtige Reisegesellen,
Und machten sich mit dem Bächlein vertraut.
Das trug das Herz im offnen Mund,
Und that in unerfahrner Weise
Sogleich sein ganzes Leben kund.
Nur meint' es dabei, es käm' ihm leise
Doch noch ein seltsam Bangen an
Auf diesem glänzenden Wassergleise;
Und ob es auch hab' wohlgethan,
So heimlich zu gehn vom Mutterherzen,
Wo's ihm doch stets so wohl ergangen:
Das könne die Tanne nimmer verschmerzen,
Drum sei's noch gar von Zweifel befangen,
Und möcht' zuletzt doch lieber nach Haus.
Da lachten die andern es schmählend aus:
„Geh', schäm' dich, du Söhnchen, so fromm und zart!
Zu weinen auf solcher funkelnden Fahrt!
Sei froh, daß du's nun überstanden,
Und frei bist von den lästigen Banden!
Wir haben ja auch in Waldesnacht
Die dunkle Kindheit wie du verbracht,
Und sprengten endlich den finstern Bann.
Nun sei verständig, bist nun ein Mann!
Was mag dein Tannenbaum dich kümmern,
Der hilft dir all dein Leben zu Nichts,
Den schlägst du dereinst noch selber zu Trümmern,
Drum muthig fort auf dem Wege des Lichts!“
Und drängend nahm ein wilder Schwarm
Das zagende Bächlein keck in den Arm,
Und riß es dahin die wirbelnde Fluth.
Und heisa! Im Arme der starken Wellen
Da kam auch dem Bächlein der rechte Muth,
Und freudig rief es: „Nun frisch voran!
Ich hab' ja zur Reise so frohe Gesellen,
Die haben Alle, was ich, gethan,
Und haben drüber nicht Reu nicht Schmerz;
Will mich nun auch nicht kindisch stellen,
Will zeigen ein starkes Mannesherz.“
Und frisch und keck dahin es zog.


Das Vöglein hoch in den Lüften flog;
Da sang es leise über die Au –
Und ach! Welch' zauberhafte Schau
Stieg auf in wunderfarb'gem Schein!
Da spiegelte vom Uferstein
Im Bächlein sich ein schimmernder Bau,
Und buhlerisch sah vom Altan
Die Königstochter stolz sich an,
Und sah ihm tief in's Herz hinein,
Daß es erbebt' in minniger Qual.
Das Vöglein sang zum zweiten Mal.
Da dufteten blühende Hügel von Wein,
Es tanzten vor Lust die Gondeln am Strand;
Und singende Zecher, die Lauten zur Hand,
Die sprangen hinein so flink und dreist;
Und da sie singend das Bächlein umschwammen,
Da priesen sie der Wasser Geist,
Und schwangen jauchzend die Hüte zumal,
Und warfen in's Wasser die Becher zusammen.
Da traf der süße, berauschende Strahl
Dem Bächlein tief in die pochende Brust;
Und weiter zog's in trunkner Lust,
Und hing ihm der Becher am schlürfenden Munde.
Das Vöglein sang zum dritten Mal.
Da tauchten herauf viel rosige Glieder,
Wie Funkeln der Gletscher im Sonnenstrahl,
Und schmolzen zu bläulichen Wellen wieder.
Drauf stiegen, – o Wunder, reizend zu schauen!
Vom Grund herauf viel Meeresfrauen,
Als schwankte geheim aus den Fluthen zugleich
Ein Garten von Lilien so schlank und bleich.
Ihr Aug' umfloß ein tiefes Weh,
Und sah die Seele draus dich an,
Gleich einem goldbeflaumten Schwan,
Der sterbend schwimmt auf blauem See.
Die legten sich der Fluth an's Herz,
Und kos'ten sie mit stummem Schmerz,
Und setzten ihre Kronen von Gold
Den Wellen auf zum Minnesold.
Und ach! Die jüngste, die bleichste von allen,
Die war dem Bächlein an's Herz gefallen,
Und hielt es mit zitternden Händen umschlossen,
Und zog es heimlich vom Weltgebraus
Hinab in der Königin Wasserhaus;
Und im krystallnen Säulensaale,
Vom Regenbogenglanz umflossen,
Da goß sie's in diamantne Schale,
Und bracht' es ihrer Herrin dar.
Die wusch darin ihr goldnes Haar,
Draus falscher Weisheit Kräfte schwellen,
Daß in des Bächleins eitle Wellen
Der Goldstaub schimmernd niederfiel.
Da trieb's hinauf ein stolzes Verlangen,
Mit seinem goldnen Schatz zu prangen,
Und sich zu weiden an neuem Spiel.
Da rang es zum Lichte – da war es oben. –

Wie stumm, wie öd', soweit es schaute!
Der Himmel grau! Die Luft so schwer!
Die Schlösser, die Hügel all' zerstoben,
Die Gondeln versunken, verklungen die Laute!
Die Ufer grabesstill und leer!
Den goldnen Schatz, den hatt' es nicht mehr.
Da ging sein Odem so ächzend tief,
Ein eis'ger Schauer es überlief;
Und alle Wellen der weiten Bahn
Frug's zitternd eine nach der andern,
Und fleht' um ihren Schutz sie an.
Doch keine einz'ge gab Bescheid
Im frostigen Vorüberwandern.
Da weint' es laut vor bitterm Leid,
Und rief hinaus im ersten Gram:
„O Vöglein, Vöglein, schütze mich!“
Doch nirgends ihm die Antwort kam.
Der letzte Strahl des Tags verblich.

Von heil'gem Glanz allein umglommen
Kam still der Tannenzweig geschwommen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen