Es war einmal ein Tannenbaum

Wie das Waldbrünnlein beim Tannenbaum so glücklich war.


Das Märchen vom Waldbächlein und Tannenbaum.


Es war einmal ein Tannenbaum,
Der stand an dunkelm Bergessaum
Wohl viele hundert Jahre schon.
Doch zeugte nur der Stamm davon,
Der mächt'gen Aeste schwere Ranken,
Die ewig rauschend niedersanken;
Der Wipfel, der in hehrem Stolz
So königlich aus Strauch und Holz
Zum Himmel trug die schlanke Spitze,
Ein Gottestrutz dem Sturm und Blitze. –
Am Reise war, Jahr aus Jahr ein,
Mit mildem, grünem Frühlingsschein
Aus duft'ger Nacht in lichten Glocken
So frische Jugend aufgethaut,
Wie wenn aus silberweißen Locken
Ein ewig junges Auge schaut.

Einst lag umher ein todter Moor,
Nicht Laub, nicht Blume sproß hervor,
Nur Schierling wuchs und Schilf und Dorn;
Und eine Lilie blüht' allein
Auf einem Plätzchen, das noch rein.
Drauf fiel einmal ein Samenkorn
Aus Himmelsaun in heil'ger Nacht,
Dem mit geheimnisvoller Macht
Alsbald ein Reis entstiegen war;
Und da es sich erschlossen kaum,
Ward's schon zum ries'gen Tannenbaum,
Wie Nichts auf Erden wunderbar.
Nun grünte ringsum duft'ger Plan,
Der schattig im Gehölz verschwamm;
Draus lehnten kindlich um den Stamm Waldröslein ihre Häupter an,
Und kos'ten um die alte Rinde
Im Morgenroth und Abendwinde.
Und Vöglein hatten ganz versteckt
In Kron' und Schoos sich eingeheckt;
Und sangen sie mit trunkner Kehle
So unsichtbar in reichem Chor:
So kam es euch gar seltsam vor,
Es ström' des Tannenbaumes Seele
So Lust wie Leid in Liedern aus.
Und saht zum Wipfel ihr empor,
Und hörtet ihr sein ernst Gebraus:
Da klang es mahnend euerm Ohr,
Ihr solltet Haupt und Kniee senken
In schauerstummem Gottgedenken!
Und wieder aus den tiefsten Ranken,
Da sprach zu euch so milder Laut,
Da grüßt' es euch so muttertraut:
Ihr möchtet still im Grase liegen,
Als wie ein Kindlein in der Wiegen,
Und in des Rauschens heil'gen Tönen
Des Lebens Trübsal all verschmerzen,
Und in mit Gott vereintem Herzen
Euch weinend mit der Welt versöhnen!

Ja, seht als Kinder, groß und klein,
Mit harmlos offnem Aug' ihn an,
Und mäkelt mir nicht viel daran!
Mein Märchen will in's Herz hinein,
Und klopft, bis ihr ihm aufgethan.
Und noch einmal, ich hab' nicht Ruh',
Ich muß es noch einmal euch sagen,
Ach nur als Kinder hört mir zu
In unsern überklugen Tagen!
O des Verstandes kalte Rinde
Von euern warmen Herzen schält!
Ich fühl' es allzutief, dem Kinde
Wird noch einmal so leicht erzählt.
Nichtwahr, ihr Kinder, euch ist's klar,
Welch einen Tannenbaum ich meine?
Ihr wißt am Besten ihn zu deuten!
Er kömmt ja zu euch Jahr für Jahr
Mit goldner Frucht im Kerzenscheine,
Wenn friedensreich die Glocken läuten
Am heil'gen Abend unsers Herrn.
Ob groß, ob klein, – er ist der Eine.
Nun habt ihn auch recht kindlich gern!

Und denkt nur, welch glücksel'ge Rast!
Vom Tannenbaume treu umdacht,
Von mächt'ger Wurzeln Arm umfaßt,
In tiefem moosumblühten Schacht
Gar frisch ein junges Brünnlein quoll.
Noch war es nicht des Wassers voll;
Noch konnt' auf seine Stirne nicht
Der Tannenbaum sein Angesicht
Ihm prägen klar als heil'ges Siegel.
Doch mählig stieg zum Rand sein Spiegel,
Geheim genähret Stund' um Stunde
Tief aus des Berges Herzensgrunde,
Und aus des Himmels Perlenbronnen.
Und ach! der alte Tannenbaum,
Der schloß es tief im Herzen ein
Mit Mutterleid und Mutterwonnen,
Und auch der Quell wollt' Kind ihm sein.
Was dem er that, das denkt ihr kaum!
Ja sonder Rasten Tag und Nacht
War um sein Brünnlein er bedacht –
Das treuste Mutterherz auf Erden
Kann für sein Kind nicht sorglicher werden.

Des Morgens in der frühsten Stunde,
Da schüttelt' er sacht mit weihendem Munde
Den Himmelsthau zum Felsenbecken,
Des jungen Brünnleins Aug' zu klären,
Und ihm des Lebens Kraft zu nähren.
Dann rauscht' er traut, es aufzuwecken;
Und wie vom ersten Licht umflossen
Es strahlend sein tiefes Aug' erschlossen,
Da hielt er rings in Ranken und Hecken
Die Vöglein schon bereit zum Singen;
Und Maienglocken und Röslein am Rain
Er immer zuvor schon munter machte,
Im Morgenhauch geheim zu klingen,
Und funkelnd zu schaukeln im Morgenschein, Daß, wie das Brünnlein nur auferwachte,
Es mög' umblüht und umsungen sein.
Und wie es dann den kühlen Morgen
In Duft und Liedern so schattig geruht,
Da gab es wegen der Sonnengluth
Alltäglich wieder neue Sorgen.
Was gab er sich nicht da für Mühe,
Und bog darüber sein dichtes Reis,
Daß ja kein Mittagsstrahl zu heiß
In seinen frischen Spiegel glühe!
Denn keine Blume, kein Halm und Dorn,
Und was da kroch, und was da flog,
Kein Lüftchen, keine Scholle Grund
Wohl an der Sonne Strahlenborn
Mit soviel tiefer Inbrunst sog,
Als wie des Brünnleins frischer Mund:
Da mußt' dem Tannenbaum wohl bangen,
Daß nicht die Gluth den Quell verzehre;
Drum hielt er ihn so treu umfangen,
Daß allzuheißen Strahl er wehre.
Doch wie die Sonne tiefer zog,
Er wieder vom Wasser die Zweige bog,
Auf daß das lächelnde Himmelsblau
Tief in sein strahlendes Auge schau'.
Und wie er so im mähligen Düstern
Das Brünnlein im Himmel träumen ließ,
Da hub er an vom Paradies
Ihm goldne Märchen zuzuflüstern,
Und sprach zu ihm mit frommem Wort
Von seinem Lieben, seinem Sorgen,
Und wie er sei sein Himmelshort,
Bei dem allein es treu geborgen,
Bis es des Wassers Fülle gewonnen;
Und legt' ihm das Geheimniß aus,
Warum es aus der Nacht der Erden
An's Licht des Lebens sei geronnen,
Und nun noch ruh' im Mutterhaus,
Bis daß es dürf' ein Bächlein werden,
Und fließen als ein Gottesbronnen,
Und wie er's nun noch hüten müßte,
Bis daß genau den Weg es wüßte;
Und sprach ihm von den falschen Bahnen.
Und in dem mütterlichen Mahnen,
Da hub er an mit leisem Beben
Ein Wort in's andre zu verweben,
Bis daß es schwoll zu süßem Klingen,
Das Brünnlein in den Schlaf zu singen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen