Das horchte zu in frommer Ruh

Wie das Waldbrünnlein beim Tannenbaum so glücklich war.


Das horchte zu in frommer Ruh,
Und dunkler ward's und dunkler immer;
Da hört' es bald die Lieder nimmer,
Ihm fielen leis die Augen zu.
Doch droben in der nächt'gen Bahn,
Da hatten die Sterne sie aufgethan,
Und schauten durch der Tanne Ranken,
Die immer wacht' in Sorg' und Gedanken,
Die ganze Nacht das Brünnlein an.


Doch auch die Rosen, die Vöglein auch,
Die blieben wach noch manche Stunde,
Und traut beisammen im Dornenstrauch,
Da plauderten sie mit frommem Munde
Wohl über's Brünnlein noch gar lang,
Bald seligfroh, bald wehmuthsbang.
Und sannen hin, und sannen her,
Was wohl das Brünnlein recht erfreue,
Und wie sie mehr und immer mehr
Ihm stärken seine Lieb' und Treue;
Und was sie Alles ihm können thun,
Auf daß nur noch die wen'gen Tage
Es gern beim Tannenbaum woll' ruhn
In gläub'gem Harren sonder Klage,
Und dann im großen Strom der Erde
So recht ein heilig Wasser werde.
Und ach! je tiefer seine Lieb'
Dem Tannenbaum sich aufgeschlossen
Durch ihrer Liebe sorglich Warten,
Mit um so frischerm jungen Trieb
Alltäglich neue Röslein sprossen
Im stillgeborgnen Waldesgarten;
Und um so süßre junge Weisen
Den Vöglein aus dem Herzen flossen,
Der Tanne Mutterlieb' zu preisen.
Ach ‘s war ein frommes Glück zum Weinen,
So selig war dem Frühlingsbronnen!
Doch all' die wundersamen Wonnen
Vergingen in der Lieb' zum Einen,
Zum alten, treuen Tannenbaum.

So war im Wachen und im Traum
Das Brünnlein nur mit Lieb' bedacht.
Und oftmal noch in später Nacht
Bog sich ein Röslein flüsternd nieder,
Und küßt' sein schlafend Angesicht;
Und oft beim vollen Mondenlicht
Sang noch ein Vöglein verlorne Lieder.
Dann ward's allmählig still, ganz still,
Als wie ein Kind, das schlafen will. –
Nur dann und wann taucht' aus dem Dorn
Ein schüchtern Reh so schlank hervor,
Hob lauschend scheu das Haupt empor,
Und sah zum eingeschlafnen Born
Mit klugem Auge fromm hinein.
Dann schwand es im Gehölze sacht. –
Der Tannenbaum blieb wach allein,
Und rauschte leise durch die Nacht.

Jetzt sagt nur selbst mit offnem Muth:
War's nicht dem Brünnlein froh und gut?
Und hatte nicht die Tanne gethan,
Was nur dem Kinde die Mutter thut?
Und ach! welch eine Dankesschuld
Sie rechnete dem Brünnlein an
Für soviel treue Mutterliebe!
Ach Nichts, als daß in frommer Geduld
Es kurze Zeit noch bei ihr bliebe,
Bis es des Wassers Fülle hätte,
Und es ihr Rauschen ganz verstände,
Auf daß einst jeder neuer Strahl,
Von ihr durchrauscht, aus heil'ger Stätte
Den rechten Weg zum Meere fände!

Nichtwahr, ihr meint doch auch zumal:
Das könnt' es doch so leicht ihr thun
Für soviel Lieb' und Sorg' und Harm!
Ist's für ein Kind im Mutterarm
Denn gar so arg, darin zu ruhn? –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen